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E-Book

DIe Maschine Mensch

Nach der Übersetzung von Adolf Ritter

AutorJulien Offray de La Mettrie
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783738630749
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Julien Offray de La Mettrie war ein französischer Arzt, Philosoph und Aufklärer. Bekanntheit erlangte er vor allem durch sein materialistisches Menschenbild und seinen konsequenten Atheismus, weswegen er seinen Zeitgenossen als "enfant terrible" der Aufklärung galt. Diese vollständige Ausgabe basiert auf der Übersetzung von Adolf Ritter aus dem Jahr 1875 und wurde sprachlich überarbeitet und der heutigen Sprache angepasst.

Julien Offray de La Mettrie war ein französischer Arzt, Philosoph und Aufklärer. Bekanntheit erlangte er vor allem durch sein materialistisches Menschenbild und seinen konsequenten Atheismus, weswegen er seinen Zeitgenossen als "enfant terrible" der Aufklärung galt.

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Leseprobe

Zueignung




Herrn Haller, Prof. der Medizin in Göttingen.

Es ist keine Zueignungsschrift, die ich hier an Sie richte; Sie sind über alles Lob erhaben, das ich Ihnen erteilen könnte, und ich weiss nichts Unnützeres und Faderes als eine sogenannte akademische Rede. Auch will ich keine Auseinandersetzung der neuen Methode bringen, die ich befolgt habe, um einen oft wiederholten und erschöpften Gegenstand wieder aufzunehmen. Sie werden dieses Verdienst wenigstens selbst herausfinden und im Übrigen beurteilen, ob Ihr Schüler und Freund seine Lehrzeit wohl verwendet hat. Nur von dem Vergnügen will ich reden, das ich bei Abfassung dieses Werkes empfunden, mich selbst, nicht mein Buch Ihnen weihen, um mich über die Beschaffenheit jenes erhabenen Wohlgefühls aufzuklären, welches die Forschung gewährt. Dies ist der Gegenstand meines Vorworts. Ich wäre nicht der erste Schriftsteller, der, weil er nichts zu sagen weiss und der Unfruchtbarkeit seiner Phantasie zu Hilfe kommen möchte, ein Thema wählt, bei dem es niemals derselben bedurft hat. Sagen Sie mir also, Apollos zwiefacher Sohn, berühmter Schweizer und moderner Zertrümmerer, die Sie Alles zugleich verstehen: die Natur zu messen und, was noch mehr ist, sie zu empfinden, ja sogar sie auszudrücken; sagen Sie mir, gelehrter Arzt und noch grösserer Dichter, durch welchen Zauber das Studium Stunden in Augenblicke verwandeln kann: erklären Sie mir das Wesen dieser Geistesvergnügungen, die sich von den gewöhnlichen so sehr unterscheiden ... Aber die Lektüre Ihrer eigenen reizenden Dichtungen hat mich selbst damit zu sehr erfüllt, als dass ich nicht versuchen sollte zu sagen, was sie mir eingeflösst haben. Der Mensch hat, unter einem solchen Gesichtspunkt betrachtet, nichts meinem Gegenstände Fremdartiges.

Die Wollust der Sinne, so lieblich und begehrt sie sein mag, so viel Lob ihr auch die offenbar ebenso dankbare als feine Feder eines jungen französischen Arztes erteilt hat, gewährt nur einen einzigen Genuss, der zugleich ihr Grab ist. Wenn ihn das völlige Vergnügen nicht ganz und gar tötet, so bedarf er doch einer gewissen Zeit, um wiederzuerwachen. Wie ganz anders die Quellen der geistigen Vergnügungen! Je näher man der Wahrheit kommt, desto reizender findet man sie. Ihr Genuss vermehrt nicht nur das Verlangen, sondern man geniesst schon, sobald man zu gemessen strebt. Man geniesst lange und doch rascher als der Blitz vorüberfährt. Darf man sich auch wundern, dass das Vergnügen des Geistes dem der Sinne in gleichem Masse überlegen ist, als der Geist dem Körper? Ist nicht der Geist der oberste Sinn, der Sammelplatz aller Wahrnehmungen? Münden sie nicht alle in ihn, wie Strahlen in einen Mittelpunkt, der sie hervorbringt? Suchen wir also nicht länger den unwiderstehlichen Zauber, durch welchen ein Herz, welches die Liebe zur Wahrheit entflammt, sich plötzlich gleichsam in eine schönere Welt versetzt fühlt, wo es Götterfreuden schmeckt. Von allen Anziehungen der Natur ist die stärkste, wenigstens für uns beide, mein lieber Haller, die der Philosophie. Welch schöneren Ruhm gibt es, als in ihren Tempel durch die Vernunft und die Weisheit geführt zu werden! Welche ehrenvollere Eroberung, als sie alle Geister zu unterwerfen!

Lassen wir an uns vorüberziehen alle Gegenstände jener Freuden, die den gemeinen Seelen unbekannt sind. Wie schön und umfassend sind sie! Zeit, Raum und Unendlichkeit, Erde, Meer und Firmament, alle Künste und Wissenschaften geben ihren Beitrag zu dieser Art von Genuss. Ihm genügt nicht die enge Schranke dieser Welt, er ersinnt sich Millionen andere. Die ganze Natur ist seine Nahrung und die Phantasie sein Triumph. Betrachten wir Einzelnes.

Bald ist es die Dichtkunst oder die Malerei, bald die Musik oder die Baukunst, der Gesang, der Tanz usw., welche dem Kenner entzückende Freuden bereiten. Siehe dort die Delbar (Pirons Frau) in einer Opernloge; abwechselnd bleich und rot schlägt sie mit Rebel den Takt, gerät mit Roland in Wut und wird gerührt mit Iphigenien. Alle Eindrücke des Orchesters zeichnen sich auf ihrem Antlitze, wie auf Leinwand. Ihre Augen besänftigen sich und ersterben, lachen und bewaffnen sich mit kriegerischem Mute. Man hält sie für närrisch. Aber sie ist es nicht, man müsste denn Empfinden des Vergnügens Narrheit nennen. Sie ist nur von tausend Schönheiten durchdrungen, die mir entgehen.

Voltaire vermag sich bei seiner Merope der Tränen nicht zu enthalten; weil er sowohl des Werkes als der Künstlerin Wert zu ermessen weiss. Sie haben seine Schriften gelesen, während er zu seinem Unglück die Ihrigen nicht zu lesen im Stande ist. In wessen Händen und Gedächtnis findet sie sich nicht? Wessen Herz wäre so hart, von ihnen nicht gerührt zu werden, und wie sollte sich sein Geschmack nicht Anderen mittheilen? Er spricht mit Entzücken hiervon.

Wenn ein grosser Maler – ich habe es erst jüngst mit Vergnügen bemerkt, als ich die Vorrede zum Richardson las – von der Malerei spricht, wie grosses Lob erteilt er ihr nicht! Er betet seine Kunst an, er setzt sie über Alles und zweifelt beinahe, dass man glücklich sein könne ohne Maler zu sein. So sehr ist er von seiner Kunst bezaubert.

Wer hat nicht eine ähnliche Empfindung des Glückes wie Skaliger oder der ältere Malebranche verspürt, wenn er schöne Stellen aus griechischen, englischen oder französischen Tragikern oder gewisse philosophische Werke las? Die Dacier hatte nie auf das gerechnet, was ihr Gatte ihr versprach, und sie fand hundertmal mehr. Wenn man schon eine Art Begeisterung beim Übersetzen und Entwickeln der Gedanken Anderer empfindet, was dann erst, wenn man selbst denkt? Was bietet dann jenes Hervorbringen und Erzeugen von Ideen, welche durch den Geschmack an der Natur und durch das Forschen nach Wahrheit erweckt werden? Wie soll man jenen Akt des Willens oder des Gedächtnisses beschreiben, durch welchen die Seele sich gewissermassen aufs Neue schafft, indem sie eine Idee mit der Spur einer ähnlichen verbindet, damit aus ihrer Übereinstimmung und Verknüpfung eine dritte sich bilde? Denn wunderbar ist die Schöpfungsweise der Natur. Sie ist so gleichförmig, dass ihre Gebilde fast alle auf dieselbe Art entstehen.

Die Vergnügungen der Sinne verlieren, wenn sie ohne Zucht bleiben, ihre ganze Lebendigkeit und sind dann keine Vergnügungen mehr. Hierin gleichen ihnen die Freuden des Geistes bis auf einen gewissen Grad. Auch sie muss man zeitweise aussetzen, um sie zu kräftigen. Mit einem Wort: die wissenschaftliche Forschung hat ihre Höhepunkte wie die Liebe. Auch den Geist ergreift in solchen Augenblicken, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine Starrheit und Regungslosigkeit, bei welcher ihn der Gegenstand, der ihn erfasst und entzückt, so wonnetrunken macht, dass er in Gedanken von seinem eignen Körper und von Allem, was ihn umgibt, losgelöst scheint, um ganz und gar dem anzugehören, was er verfolgt. Durch vieles Empfinden empfindet er nichts. So gross ist das Vergnügen, welches man hat, wenn man die Wahrheit sucht oder findet. Von der Macht ihrer Reize gibt uns die Ektase des Archimedes ein Beispiel; bekanntlich kostete sie ihm das Leben.

Mögen die andern Menschen sich in das Gewühl stürzen, um sich nicht kennen zu lernen oder um sich gar zu hassen: der Weise flieht die grosse Welt und sucht die Einsamkeit. Warum gefällt er sich nur, wenn er mit sich oder mit seines Gleichen allein ist? Weil er in seiner Seele einen treuen Spiegel besitzt, in welchem seine gerechte Selbstliebe ihre Rechnung durch Selbstbetrachtung findet. Wer tugendhaft ist, hat von seiner Selbsterkenntnis keine andere Gefahr zu fürchten, als die angenehme, dass er sich lieben lernt.

Wie in den Augen eines Menschen, der die Erde von der Höhe des Himmels aus betrachtet, alle Grösse der übrigen Menschen verschwinden, die stolzesten Paläste sich in Hütten wandeln und die stärksten Armeen einem Ameisenhaufen gleichen würden, der sich mit der lächerlichsten Wut im Kampfe um ein Getreidekörnchen befindet, so erscheinen die Dinge einem Weisen, wie Sie es sind. Er lacht über die eitlen Bemühungen der Menschen, wenn sie durch ihre Menge die Erde versperren und sich um ein Nichts, das mit Recht keinen von ihnen befriedigt, drängen und stossen.

Wie erhaben tritt Pope in seinem Versuche über den Menschen auf. Wie klein erscheinen vor ihm die Grossen, die Könige. Sie, mein Lehrer und noch mehr mein Freund, der von der Natur dieselbe Kraft des Geistes erhalten aber nicht gebraucht hat und ob seiner Undankbarkeit nicht verdiente, einen so hohen Rang in der Wissenschaft einzunehmen, Sie lehrten mich, gleich jenem grossen Dichter zu lachen oder zu seufzen über das Spielwerk und die Kleinigkeiten, welche die Monarchen so ernstlich beschäftigen. Ihnen allein verdanke ich all mein Glück. Nein, die Eroberung der ganzen Welt wiegt das Vergnügen nicht auf, welches der Philosoph in seinem Kabinett empfindet, wenn er von seinen stummen Freunden umgeben ist, die ihm Alles sagen, was er zu hören wünscht. Möge mir Gott nur das Unentbehrliche und die Gesundheit lassen, das ist Alles, was ich von ihm verlange. Mit der Gesundheit wird mein Herz ohne Widerwillen das Leben lieben; mit dem Unentbehrlichen wird mein Geist stets zufrieden die Weisheit pflegen.

Ja, das Studium ist ein Vergnügen jedes Alters, jedes Ortes, jeder Jahreszeit und jedes Augenblickes. In wem hat Cicero nicht die Lust nach solch beglückender Erfahrung angefacht? Eine Unterhaltung in der Jugend, mässigt es die aufbrausenden Leidenschaften, und um es recht zu geniessen, sah ich mich manchmal veranlasst, der Liebe zu opfern. Denn die Liebe flösst dem Weisen keine Furcht ein: sie weiss Alles zu verbinden und eins durch das andere zur Geltung zu bringen. Die Wolken, welche seinen Verstand umnebeln, machen ihn nicht träge, weisen ihn nur...

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