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Die Nackten und die Tobenden

FKK - Wie der freie Körper zum deutschen Kult wurde

AutorErnst Horst
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641093228
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Kultur kurios: neue Einblicke in die deutsche Seele von Bestsellerautor Ernst Horst.
Deutschland 1953: In Würzburg verlangt ein Regierungsschulrat, dass Medizinstudenten Anatomie nur am männlichen Körper gelehrt bekommen. Die Anatomie des weiblichen Körpers solle erst dazukommen, wenn die Studenten verheiratet seien. Im neu eröffneten Schwimmbad von Paderborn dürfen Männer nur mit Badehosen von vorgeschriebener Beinlänge und Frauen nur mit einteiligen Badeanzügen baden. Sittlichkeit landauf, landab. Kein Wunder, dass die Freikörperkultur, genauer: die Gründung eines Vereins zu dem Zwecke, nackt mit Familie und Freunden alltäglichen Vergnügungen wie Ringtennis oder Baden nachzugehen, ein ausgesprochen deutsches Phänomen in der Geschichte darstellt.

In Die Nackten und die Tobenden lässt Kulturforscher Ernst Horst die Hochzeit der FKK-Bewegung von 1949 bis 1970 wiederaufleben, um zu untersuchen, wie der nackte Körper zum deutschen Kult wurde, welche Kontroversen die Deutschen 'im Lichtkleid' verursachten und wie sie ganz nebenbei eine nie da gewesene Medienlandschaft hervorbrachten.

Ernst Horst, geb. 1951 in Oberhessen, verwandt mit Johann Wolfgang von Goethe, Studium der Mathematik, diverse Veröffentlichungen über Stellardynamik, geprüfter Sachkundiger für Getränkeschankanlagen, seit 1993 freier Mitarbeiter beim Feuilleton der FAZ. Sein erstes Buch 'Nur keine Sentimentalitäten!' erschien 2010 bei Blessing.

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Leseprobe

Einleitung

She has eyes that folks adore so,
And a torso even more so.

Groucho Marx: Lydia the Tattooed Lady

Dieser Bericht ist eigentlich eine Liebeserklärung. Bitte denken Sie daran, wenn ich es vergessen sollte. Es ist so meine Art, dass ich das, was mir gefällt, auch gerne verspotte. Aber worum geht es genau? Vielleicht kennen Sie ja den Begriff Pseudoereignis, den Daniel J. Boorstin in seinem Buch The Image (1961, deutsch 1964) eingeführt hat. Ein Pseudoereignis ist ein Ereignis, das hauptsächlich als seine mediale Inszenierung stattfindet. Ich bin der Meinung, dass die Freikörperkultur von 1893 bis circa 1970 hauptsächlich ein solches Pseudoereignis war. Ich glaube, dass es in dieser Zeit viel mehr Leser von FKK-Zeitschriften und -Büchern gab als tatsächliche Nacktbader. Wenn man so will, dann war am Anfang der Hauptzweck der FKK-Bewegung, dass die einschlägigen Publikationen Stoff hatten, über den sie berichten konnten. Und diese Wechselbeziehung von den Nackten und den Verlagen will ich hier unter anderem schildern. Was die Zeitschriften zu einer besonders angenehmen Lektüre machte, waren natürlich die vielen Fotos von netten jungen Damen, die darin im »Lichtkleid« zu sehen waren. Die FKK ist eine Weltanschauung, und da Deutschland ein Rechtsstaat war und ist oder sich zumindest häufig Mühe gab, als solcher zu erscheinen, konnte die Obrigkeit die Zeitschriften mit diesen Bildern nicht so ohne Weiteres verbieten. So schützten die FKKler die Verlage, und umgekehrt waren die Zeitschriften so etwas wie Rekrutenwerbung für die Nacktvereine. Im Laufe der Jahrzehnte lockerten sich die Sitten dann immer mehr. Die deutschen Männer konnten ihren Bedarf an Aktfotos auch anderswo decken. Die Polizei verlor die Lust daran, Nacktbader zu jagen. Heute gibt es in Deutschland keine kommerziellen FKK-Hefte mehr, und wer nackt baden will, der findet ohne allzu viele Probleme seinen Platz. Der ganz große Trend ist die FKK schon seit vielen Jahren nicht mehr.

Ich will hier aber hauptsächlich über die heroische Epoche berichten, als die FKK-Presse noch der Zerrspiegel war, der die Freikörperkultur-Bewegung zwar entstellt, aber doch noch erkennbar reflektierte. Dabei will ich mich hauptsächlich auf die Zeit von 1949 bis 1970 beschränken. Das hat gute Gründe. Erstens könnte man über die Periode vor 1933 ein eigenes Buch schreiben. Dazu müsste man aber in Hannover leben, weil es nur dort die perfekte Bibliothek für diesen Zweck gibt. Später dann im Nationalsozialismus war die FKK gleichgeschaltet und nur noch eine Persiflage der vielschichtigen Bewegung, die sie noch kurz zuvor in der Weimarer Republik gewesen war. Außerdem fällt mir wie Karl Kraus zu Hitler nichts ein. Erst nach dem Krieg und der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 ging es in Westdeutschland dann wieder richtig los. Vorher hatte man andere Sorgen. Etwa um 1970 hatte sich die FKK vom Pseudoereignis zum Ereignis entwickelt. Das war zwar gut für die FKK, aber das Thema verlor damit weitgehend seine skurrilen und absurden Aspekte. Pseudoereignisse sind viel komischer als Ereignisse.

Bild 1: Vor vielen tausend Jahren: zeitweiliges Ende der FKK

Mein wichtigster Grund für das Primat der Jahre 1949 bis 1970 sind aber die Bilder. Die FKK-Hefte in dieser Zeit bestanden in der Regel halb aus Fotos und halb aus Text. Das lag wohl am Herstellungsverfahren. Zwei Druckbögen wurden miteinander kombiniert. Deshalb gibt es aus dieser Zeit schöne ganzseitige Fotos in Hülle und Fülle. Diese wirken auf mich etwa so nostalgisch wie Abbildungen von alten amerikanischen Straßenkreuzern. Die besten Schwarz-Weiß-Bilder sehen aus wie die bräunlichen Fotos, die man von früher kennt, nur sind sie wesentlich größer, nämlich ungefähr im Format DIN A5. Die wenigen Farbbilder hingegen haben den Reiz des Unvollkommenen. Sie wirken oft wie handkoloriert, obwohl sie es gar nicht sind.

Man muss gar nicht groß erwähnen, dass nicht die FKK selbst, wohl aber das Betrachten von FKK-Publikationen eine hauptsächlich männliche Beschäftigung war. Frauen sind subtiler, sie betrachten vielleicht auch einmal ganz gerne einen Adonis, aber bei ihnen brennen da nicht gleich alle Sicherungen durch. Falls Sie eine Frau sind, dann müssen Sie, verehrte Leserin, sich das Buch, das Sie gerade in der Hand halten, nicht unbedingt anschauen, außer Sie sind Professorin für Volkskunde. Kaufen Sie einfach zehn Exemplare und verschenken Sie diese an männliche Freunde. Die werden es Ihnen danken.

Aber was ist FKK beziehungsweise Fkk oder Freikörperkultur genau? Das ist einer von mehreren Namen für das gleiche Freizeitvergnügen. Der ursprüngliche Begriff war Nacktkultur. Im Laufe der Zeit bekam dieser Ausdruck einen abwertenden Beiklang. Charly Strässer, ein Nacktkultur-Pionier der 1920er-Jahre, erinnerte sich 1956 daran, dass man sich deshalb 1925 auf einer Tagung in Naumburg auf den Terminus Freikörperkultur einigte. Auf Englisch sagt man nudism (von englisch nude, was wiederum von lateinisch nudus kommt). Auf Deutsch klingt Nudismus aber nicht so gut, etwa so wie Säufer statt Trinker. Deshalb wurde auch noch das Wort Naturismus erfunden, das aber nur die Naturisten selbst verstehen. Bleiben wir also bei FKK, das Wort ist zwar irgendwie kakofon, aber wir sagen ja auch LKW und USA. Manchmal wird die FKK auch Fkk geschrieben, aber man muss sich ja immer festlegen. Der Duden bevorzugt FKK.

FKK ist das gemeinsame nackte Baden, Sonnenbaden und Ballspielen von Männern, Frauen und Kindern im Freien. Das macht man entweder an dafür allgemein freigegebenen Stellen oder auf abgetrennten »Geländen«, die von einem FKK-Verein für seine Mitglieder unterhalten werden. Der deutsche Dachverband der Vereine ist der Deutsche Verband (ursprünglich Bund) für Freikörperkultur, der DFK. Die internationale Organisation der nationalen Verbände ist die INF/FNI, die International Nudist Federation. Viel Bürokratie für die Rückkehr in den Garten Eden! Die FKK ist in Deutschland entstanden und hat sich anschließend in sehr unterschiedlichem Ausmaß auch in anderen Ländern verbreitet. Gerade die deutsche und die schweizerische FKK waren ursprünglich lebensreformerisch und asketisch geprägt. Über alle diese Punkte können Sie später noch mehr lesen.

Was hat FKK mit Sexualität zu tun? Das ist eine schwere Frage, auf die ich noch keine vollständige Antwort weiß. Die größten Gegner der FKK (zumindest in Deutschland und Umgebung) stammten früher sehr oft aus den konservativen Tiefen der katholischen Kirche. Sie sahen wohl weniger in der Nacktheit selbst eine Sünde, vielmehr befürchteten sie einen Automatismus, der von der Nacktheit zu unkeuschen Gedanken und Schlimmerem führt. Irgendwie kam da auch die Erbsünde ins Spiel. FKKler bestritten die Existenz eines solchen Automatismus immer wieder. Furchtlose Reporter wie Rudolf Walter Leonhardt, der verstorbene Feuilletonchef der ZEIT, und Manfred Schmidt, der bekannte Zeichner und Reiseschriftsteller aus den 1960er-Jahren, haben im heldenhaften Selbstversuch einen Nacktbadestrand besucht und dort nur wenig Erotik gefunden. Leonhardts Begleiterin Yvonne Lefranc fasste das Erlebnis so zusammen:

»Ein bisschen viel strip für meinen Geschmack und vielleicht ein bisschen wenig tease, aber das kann ich nicht so beurteilen.«

Ich glaube, die Wahrheit liegt in der Mitte. Männer sind verschieden. Nicht jeder ist ein abgeklärter Rudolf Walter Leonhardt. Der eine oder andere wird auf Sylt vermutlich durchaus seines Nächsten Weib begehren, auch wenn er sich nicht gleich auf sie stürzt. Am FKK-Strand benimmt man sich nämlich hochanständig. Manchmal wird der Begriff FKK auch im Zusammenhang mit Gruppensexaktivitäten missbraucht. Dafür können die FKKler nichts. Das ist ein wenig so wie mit den Masseusen, die sich irgendwann in Masseurinnen umbenannten, weil sich irgendwelche Liebesdienerinnen als Masseusen tarnten. FKK ist nur dann echte FKK, wenn auch Kinder zugelassen sind. Gewisse dumme Menschen ohne Sprachgefühl verwenden den Begriff »FKK« einfach als Synonym für »ganz oder teilweise ausgezogen«. Das ist unpräzise. Ein FKK-Bild zeigt einen vollständig nackten, naturnah aussehenden Menschen im Freien. Vielleicht mit Badesandalen, wenn das Terrain felsig ist, aber niemals mit Stöckelschuhen.

Bild 2: Hinter dem hohen Sichtschutz spielt sich Unvorstellbares ab.

Man kann vermuten, dass die FKK auch eine gewisse Anziehungskraft auf manche Exhibitionisten und Voyeure ausübt. Meine Meinung dazu ist, dass Exhibitionismus und Voyeurismus zwar schon pathologisch sein können, aber als Straftaten ein übertrieben schlechtes Image haben. Laut Spiegel-Online (»Ich mach doch nix«, 31....

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