Vorwort
Zu dir oder zu mir? Oder warum Mönche länger leben
Dieses Buch zu schreiben, war meine. Es zu lesen, Ihre. Und so bringen uns unsere Entscheidungen für eine kurze Zeit zusammen. Mich freut das ungemein, zumal es einem kleinen Wunder gleichkommt. Schließlich gibt es bereits ein paar Bücher, die sich dem komplizierten Vorgang der menschlichen Entscheidungsfindung widmen. Rund 30.000, um genau zu sein. Warum also um Himmels willen nehmen Sie ausgerechnet mein Buch in die Hand?
Wahrscheinlich suchen Sie eine Inspirationsquelle abseits der akademischen Welt, die Ihnen fortan hilft, gezielter zu entscheiden. Vielleicht aber mögen Sie die Anekdoten, mit denen ich meine Standpunkte abseits von Theorie oder mahnendem Zeigefinger zu erörtern pflege. Allenfalls tut es auch gut zu lesen, wie sich historische Größen und der Autor selbst mit Fehlentscheidungen schon zum Narren gemacht haben. Oder Sie haben mein erstes Buch gelesen und versprechen sich von diesem etwas Ähnliches.
Worauf ich hinauswill: Hinter jeder Entscheidung steckt eine Motivation. Und die ist bei allen verschieden. In unserem Fall: Sie wollen etwas erfahren. Und ich? Ich kann nicht anders. Ich bin ein Triebtäter der Worte. Täglich fahre ich zwei Mal 45 Minuten, ein Fußballspiel lang also, von Österreich in die Schweiz zur Arbeit – und zurück. Längst habe ich mir zur Gewohnheit gemacht, die Stille zu nutzen. Statt Musik zu hören, lasse ich meinen Gedanken freien Lauf. Ja, ich gestehe, ich spreche mit meinem Auto. Nein, ich bin nicht verrückt. Wir alle führen Selbstgespräche, wenn wir eine Entscheidung abwägen. Die Stimme der Vernunft versus das Bauchgefühl. Das „Ich“ versus das „Über-Ich“. Die linke versus die rechte Hirnhälfte – wie immer Sie es nennen wollen. Welche Stimme gewinnt, hängt manchmal von der Sache, aber viel häufiger von den Umständen wie Tageszeit, Schlafmangel oder Schmetterlingen im Bauch ab. Doch dazu kommen wir später.
Zurück zu meiner Entscheidung, dieses Buch zu schreiben. In der Tat spielt mein Auto dabei eine zentrale Rolle. Denn es hat ein Talent, das immer mehr Menschen abhandenkommt: Es hört zu. Stundenlang. Ohne aufzumucken – und vergisst dabei kein einziges Wort. Dank modernster Technologie zeichnet es nämlich meine Stimme auf – und sendet mir täglich Sprachnotizen, die mich an all das erinnern, was über meine Lippen kam. Und wissen Sie was? Eines Tages las ich die gesammelten Gesprächsfetzen durch. Dabei fiel mir auf, dass es bei vielen Gedanken und Gesprächen immer nur um eines ging: Entscheidungen. Produkt XY im Sortiment behalten oder auslisten? Bei Orange an der Ampel Gas geben oder bremsen? Den einen gut und den anderen schlecht finden? Und nicht zuletzt: Holst du die Kinder ab – oder fahre ich?
Übung macht den Meister, würde man glauben. Denn wer rund 20.000 Entscheidungen täglich trifft, müsste doch eigentlich ganz gut darin sein. Nur: Das Gegenteil scheint zunehmend der Fall zu sein. Jedenfalls stelle ich fest, dass die unendliche Wahlfreiheit, die wir in unseren Breitengraden genießen, uns kaum freier und viele krank gemacht hat. Wieso, frage ich mich, schießt die Kurve des stetig wachsenden Angebots parallel zu den registrierten Depressionsfällen in die Höhe? Gibt es einen Zusammenhang? Müssen wir lernen, uns zu beschränken? Auch darüber werden Sie später in diesem Buch lesen.
Aber zurück zu meinen digitalisierten Gedanken. In meinem Auto begann ich, Entscheidungen zu studieren. Wie und warum kommen sie zustande, welche Mechanismen und Entscheidungstypen gibt es? Ob Business-Talk, Familiengespräch oder Klatsch, ich sezierte sie alle. Für mich, der von Haus aus ein Schnellentscheider ist, war das eine faszinierende Studie – und letztlich auch die Inspiration zu diesem Buch. Nicht, weil ich meine Entscheidungen für besser halte. Schon gar nicht, weil ich mich damit zum „Entscheidungsmeister“ küren möchte. Keineswegs. Ich spürte einfach, wie schwer sich manche mit Entscheidungen tun. Zudem wurde ich in der Vergangenheit von Freunden schon mehrfach nach meinem „Entscheidungsrezept“ gefragt. Zwischen diesen Buchdeckeln gebe ich es gerne weiter.
Werden gute Entscheider in die Wiege gelegt?
Es versteht sich von alleine, dass ein Buch über Entscheidungen viele autobiografische Züge trägt. Denn wie wir entscheiden, hat weniger mit unseren Genen als mit den Erfahrungen zu tun, die wir bislang mit unseren Entscheidungsmustern gemacht haben. Was auch erklärt, warum sich Menschen mit „Entscheidungsstau“ damit zunehmend schwerer tun. Ich dagegen habe von Kindsbeinen an gelernt, schnell zu entscheiden. Naja, wahrscheinlich haben mich einfach die Umstände dazu gezwungen. Meine Eltern verstarben früh und im Kontext unserer Großfamilie mit acht Geschwistern gab’s keine Schonfrist und schon gar keine Zeit für langes Lamentieren oder Jammern. So hatte ich bereits als Dreikäsehoch verinnerlicht, was ich später in gescheiten Seminaren wieder hören sollte:
Wichtig
Wer aufhört zu jammern, beginnt zu handeln.
Handeln ist gut, aber auch noch nicht die Lösung, musste ich früh genug feststellen. Denn ich befolgte längst nicht alle Regeln, die es für eine gute Entscheidung theoretisch braucht. Dazu braucht es
einen klaren Kopf, um die aktuelle Situation möglichst akkurat einzuschätzen,
ein Talent, um die Zukunft „vorauszusehen“,
ein Gespür, um sich in die Köpfe anderer hineinzuversetzen, und
die Abgeklärtheit, ein gewisses Maß an Unsicherheit auszuhalten.
So trampelte ich als Halbwüchsiger laufend in neue Stolperfallen der Entscheidungsfindung. Pech für mich, müsste man meinen. Doch genau dadurch lernte ich eine weitere, wichtige Lektion: mit meinen Fehlentscheidungen zu leben. Nicht zu hadern, mich nicht tagelang im Selbstmitleid zu suhlen, sondern mit der Konsequenz zu leben. Womit wir wieder am Anfang wären: „Wer aufhört zu jammern, …“. Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin keiner, der fatalistisch „Je ne regrette rien“ singt. Denn natürlich gibt es Entscheidungen, die ich bedaure. Die gibt es bei uns allen. Nur wenn wir sie verarbeiten und uns damit arrangieren, werden sie uns nicht ein Leben lang verfolgen – am besten also, man schließt Frieden mit ihnen.
Eine meiner besten Fehlentscheidungen war jene gegen die Diplomatie: Während meiner Studienzeit lud ein großer Braukonzern in Österreich angehende Absolventen zu einem Event am Arlberg. Zu jener Zeit hatten Studienabschlüsse, die in Innsbruck gemacht worden waren, noch nicht den besten Ruf. Kaum hatte ich am Tisch des Generaldirektors Platz genommen, kam auch schon die Frage: „Was studieren Sie und wann sind Sie fertig“. Dieser „rufschädigenden Frage“ wollte ich mit einer Gegenfrage ausweichen und sagte: „Wissen Sie, was das Schwierigste ist am Technikstudium in Graz?“ – „Nein“, antwortete der Generaldirektor. – „Das Umsteigen in Bischofshofen“, antwortete ich. Da sein Lachen sich in Grenzen hielt, kaschierte ich die Stille gleich mit einer weiteren Frage: „Wo haben Sie studiert, Herr Generaldirektor?“ – „An der TU in Graz“, war seine kurze Antwort.
Mit etwas mehr Diplomatie oder anderer Fragestellung wäre das Gespräch vielleicht anders verlaufen. Jedenfalls habe ich mich nicht beworben auf die ausgeschriebene Stelle.
Entscheiden wäre ja so einfach, wenn nur die anderen nicht wären
Wir alle kennen sie, unsere Mitmenschen, die bei ihrer Entscheidungsfindung Anlauf nehmen und gerne bei Adam und Eva anfangen. Ganz so falsch liegen sie dabei gar nicht mal. Denn im Paradies, so will man uns glauben machen, lebten wir in einem entscheidungsfreien Raum. Die Sonne schien, Milch und Honig flossen. Erst als sich Eva für den Apfel und nicht für Adam entschied, ging es los mit den bis heute nicht enden wollenden Dilemmas. Warum nur hatten Adam und Eva keine anderen kulinarischen Präferenzen? In China jedenfalls hätte der Apfel überlebt.
Aber wir haben ja gelernt: Nur nicht hadern. Zumal ich auch auf etwas anderes hinauswill: Es sind die Sachzwänge und Mitmenschen, die unsere Entscheidungsfindung erheblich komplizieren. Denn es braucht manchmal viel Selbstvertrauen, um etwas, das für uns alleine, im eigenen Kämmerlein, ganz viel Sinn macht, auch „draußen“ im Leben zu vertreten – und durchzusetzen. Mit der Folge, dass all jene, die sehr genau auf ihre eigenen Vorteile bedacht sind, „Egoist“ gescholten, und all jene, die dauernd auf das Wohlbefinden des Gegenübers schielen, sozial gelobt, aber als „Entscheidungsschwächling“ abgestempelt werden.
Was zeigt: Neben all den wissenschaftlichen Studien, Abhandlungen und Tipps, die es zu diesem Thema gibt, darf eines nie vergessen werden: Entscheidungen brauchen Mut. Ein Wort, das ich als Abkürzung verstehe für:
In diesem Buch widme ich dem Thema „Mut zur Entscheidung“ verschiedene Kapitel, denn ich halte es für einen der zentralen „Erfolgskomponenten“ für gute Entscheidungen. Angefangen vom Mut, sich eine eigene Meinung zu leisten, bis hin zum Mut, Nein sagen zu können. Selbst dann, wenn es bedeuten würde, die Hochzeit zehn Minuten vor dem Ja-Wort abzublasen – was mir glücklicherweise erspart blieb –, wenn es sich nicht richtig anfühlt. Immer noch besser, als schon den ersten Ehestreit anzuzetteln, nur weil man nicht aufs Hochzeitsfoto will. Denn nur zu häufig beobachte ich, wie manche es allen anderen recht machen wollen und dabei sich selbst vergessen. Was dann fatalerweise auch ihr Gegenüber nicht glücklich...