1. Einleitung
Am 26. Januar 2006 fand der offizielle Start des vom amerikanischen Starregisseurs Steven Spielberg gedrehten Kinofilms „München“ statt. In seinem Film erzählte Spielberg die Geschichte der Ereignisse nach der Olympia-Geiselnahme durch die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" von 1972.
Durch dessen Film inspiriert und aus der Notwendigkeit ein passendes Thema für meine Diplomarbeit zu finden entschied ich mich, über die Ereignisse des Olympiaattentates zu recherchieren.
Das Ergebnis der Literaturrecherche diesbezüglich war überraschend. Anstatt mit einer Anzahl von Büchern sprichwörtlich erschlagen zu werden, gab es lediglich drei Bücher, die sich tatsächlich mit der Thematik auseinandersetzten.
Das erste, welches bereits im Jahre 1973 in französischer und zwei Jahre später in englischer Sprache erschien, war das Buch von Groussard Serge „The blood of Israel“. Hierin wurden in romanhafter Erzählweise die Ereignisse wiedergegeben, so wie sie sich zugetragen haben könnten. Quellenangaben oder Originaldokumente standen dem Autor nicht zur Verfügung.
Bis 1999 gab es bezüglich des Attentats keine neuen Forschungsergebnisse, wie dies die promovierte Historikerin Angelika Fox bei ihren Recherchen zu einer Olympia-Dokumentation feststellen musste. 1 So tauchten bis dato immer neue Varianten und Berichte auf, in denen der Ablauf und die Geschehnisse falsch wiedergegeben wurden. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf den zum Teil oberflächlichen und plakativen Journalismus, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Aber die Ereignisse ließen sich nur schwer rekonstruieren, solange die wichtigsten Polizeiakten weiterhin unter Verschluss lagen. Vereinzelte Zeitzeugenberichte beteiligter Personen, die sich nach Jahren zu den Vorkommnissen vor der Öffentlichkeit dazu äußerten, waren und sind problematisch, da diese immer nur einen subjektiven Teil der Geschehnisse wiedergeben konnten. Dies wird dadurch verstärkt, dass Augenzeugenberichte oft den Nachteil haben, besonders wenn das Erlebte vor längerer Zeit in extremen Situationen stattfand, die Sachverhalte unbewusst falsch dargestellt und wiedergegeben werden.
Czeguhn, Jutta: Die Wahrheit bleibt unter Verschluss, in: Fürstenfeldbrucker Neueste Nachrichten.
Was an offiziellen Berichten und Stellungnahmen zu Fürstenfeldbruck herausgegeben wurde, las und ließt sich lückenhaft und nebulös. Auf prekäre Fragen wurde nur ausweichend geantwortet, das Wesentliche wurde nur kurz angesprochen und auf wichtige und verständliche Details verzichtete man gänzlich. So wie die Aktion im „Dunkeln“ verlief, so wird auch der Leser im Dunkeln gelassen. Nichts sollte den Mythos zerstören, dass alles menschenmögliche zur Rettung der Geiseln unternommen wurde. Der bis dato schwärzeste Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde somit, trotz weltweiter Wahrnehmung, schon kurze Zeit später wieder vergessen. Das Drama erreichten den Status einer bedauerlichen Randnotiz, eines kurzen Eintrages in die Statistik, welcher in dem 1.178 Seiten umfassenden offiziellen Bericht zu den Olympischen Spielen auf ganzen drei Seiten Erwähnung fand. 2 Doch nicht alle konnten sich mit den wenigen und ungenügenden Antworten zufrieden geben. Die Angehörigen der israelischen Opfer verlangten zurecht eine Aufklärung, die den wirklichen und genauen Tathergang beschrieb. Vor allem Ankie Spitzer, die Witwe des ermordeten André Spitzer, und Illana Romano, die Witwe von Yossef Romano versuchten verzweifelt an offizielle Dokumente, wie etwa den Autopsieberichten zu gelangen. Zwei Jahrzehnte lang wurden von deutscher Seite Versprechungen gemacht und wieder gebrochen. Niemand der verantwortlichen Politiker sah sich genötigt, den Frauen den Zugang zu den Archiven zu ermöglichen. Alle Petitionen, sogar persönliche Gespräche, unter anderem mit Hans Dietrich Genscher, brachten nicht den gewünschten Erfolg. 3 Erst ein ZDF-Fernsehinterview in welchem sich Ankie Spitzer in einem emotionalen Appell an die Zuschauer wandte, schien die Mauer des Schweigens zum Einsturz zu bringen. Kurze Zeit später erhielt sie von einem unbekannten deutschen Regierungsvertreter geheime Originaldokumente zugesandt, darunter auch der Obduktionsbericht ihres getöteten Mannes. Mit diesen Dokumenten erzwang sie nach ebenfalls hartem Ringen endlich den Zugang zu den angeblich gar nicht existierenden Untersuchungsergebnissen. Am 29. August 1992 durfte sie erstmals zusammen mit einem Anwalt Einblick in die verschlossenen Unterlagen werfen. 4 Das gesammelte Material ermöglichte es nun, den Angehörigen der Opfer im Jahre 1994
Mandell, Richard D.: The Olympics of 1972. A Munich Diary, The University of North Carolina Press,
eine gemeinsame Klage auf Entschädigungszahlungen in Höhe von 40 Millionen Dollar gegen die Bundesregierung, die bayerische Staatsregierung und die Stadt München einzureichen. 5
Die Klage wurde jedoch am 28. Januar 2000 wegen Verjährung vom Oberlandesgericht München abgewiesen. Aufgrund der Höhe des Streitwertes war eine Revision beim Bundesgerichtshof zulässig. 6
Noch in dem selben Jahr veröffentlichte der englische Journalist und Schriftsteller Simon Reeve sein aufsehenerregendes Werk „One Day in September“, welches die Ereignisse der Tragödie und die Fehler der deutschen Behörden während der Geiselnahme schonungslos darstellte. Ermöglicht wurde dies, da ihm Ankie Spitzer die original Zeugenaussagen und Dokumente zuspielen konnte. 7
Nachdem erneut Klage gegen die Verantwortlichen eingereicht wurde, stimmten die Angehörigen 2004 einem Vergleichsangebot der Deutschen in Höhe von drei Millionen Dollar zu. 8
Damit war die Sache auf dem Rechtsweg zu einem Ende gekommen und somit geriet auch das Interesse und das Wissen der Öffentlichkeit über die wirklich stattgefundenen Ereignisse nicht in Vergessenheit, aber in Unwissenheit.
Erst das Jahr 2006 machte die Thematik weltweit und vor allem in Deutschland wieder kurzzeitig aktuell. Zum einem hauptsächlich verursacht durch Steven Spielbergs Kinofilm „München“ und zum anderen durch die Veröffentlichung des Buches „Die Rächer“ von Aaron Klein, indem erstmals auch die Ergebnisse des israelischen Kopelberichtes mitverwendet wurden. 9
Der Punkt, der mich an der ganzen Berichterstattung der beiden Bücher von Reeve und Klein störte, war die Tatsache, dass diese die Geschehnisse zwar sehr detailliert wiedergeben, aber dies auf eine nicht wissenschaftliche Art, sondern in der spannenderen Form eines Politthrillers. Wissenschaftliche, vielleicht dem breiten Publikum „langweilig“ erscheinende Details werden nicht erwähnt.
Die sicherheitspolitischen Vorbereitung, die im Vorfeld der Spiele stattgefunden haben
Czeguhn, Jutta: Die Wahrheit bleibt unter Verschluss, S. 2.
mussten, werden gänzlich ausgelassen oder nur kurz angesprochen. Das Hauptinteresse gilt vielmehr der Geiselnahme und der anschließenden Vergeltungsaktion der Israelis auf die palästinensischen Drahtzieher des Attentates.
Nachdem seit dem Attentat über 30 Jahre vergangen waren und durch die Annahme des Vergleichsangebot im Jahre 2004 eine außergerichtliche Einigung mit den Angehörigen erzielt werden konnte, bestand nun erstmals die Möglichkeit, für wissenschaftliche Forschungszwecke Einblick in die bis dato unter Verschluss gehaltenen Akten zu erlangen. Diese verteilen sich auf den im Bayerischen Hauptstaatsarchiv eingelagerten Aktenbestand des bayerischen Ministerium des Inneren und auf den Aktenbestand der Staatsanwaltschaft München I., welcher im Staatsarchiv eingelagert ist. Unter Einbezug dieser Quellen, deren Benutzung mir nach einem Antrag auf Schutzfristverkürzung gemäß Art. 10 Abs. 4 BayArchivG gestattet wurde, ist mein Ziel, die Geschehnisse des Olympiaattentates von 1972 wissenschaftlich darzustellen, um letztendlich zu verstehen, wie es überhaupt zu dieser Tragödie in Fürstenfeldbruck kommen konnte.
Das Ergebnis des Desasters ist nämlich das Produkt von Ursache und Wirkung. Daher basiert meine Arbeit nicht auf einer minutiösen und chronologischen Darstellung der Vorgänge vom Beginn der Geiselnahme bis zu ihrem blutigen Ende, sondern mein Schwerpunkt gilt vielmehr der Analyse, worin die einzelnen Fehler und Versäumnisse lagen, die letztendlich zur „nicht erhofften Wirkung“ führten. Dazu werden nachfolgend im Hauptteil zuerst die Planungen und Vorbereitungen untersucht und inwiefern daraus Fehler und Versäumnisse resultieren konnten, die es zu der Geiselnahme im Olympischen Dorf kommen ließen. Nach einer verkürzten Darstellung der Geschehnisse vom 05./06. September 1972 folgt eine weitere Analyse der Fehler und Versäumnisse, welche während der Geiselnahme seitens der Polizeikräfte und des Krisenstabes gemacht wurden, deren Ergebnis folglich die missglückte „Befreiungsaktion“ in Fürstenfeldbruck bildete.
Abschließend werden im letzten Punkt des Hauptteils die Konsequenzen beschrieben, die aus der Katastrophe auf personeller und...