II. Rahmenbedingungen für die Wahl der Rechtsform
1. „Uferlose“ Pflichten des Steuer- und Rechtsberaters, insbesondere im Dauermandat
Steuerberatung und Rechtsberatung sind „gefahrgeneigte Tätigkeiten“. Kein Berater kann für sich in Anspruch nehmen, stets fehlerfrei zu arbeiten. Der Umfang der beruflichen Pflichten, die der Berater bei seiner täglichen Arbeit zu Gunsten der Mandanten einzuhalten hat, wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sehr weit gezogen.
Mit dem Abschluss des Mandatsvertrags übernimmt der Steuer- oder Rechtsberater gegenüber seinem Mandanten von vornherein eine Vielzahl von Pflichten, die nicht ausdrücklich im Vertrag vereinbart werden müssen.
Der Berater hat zu Beginn des Mandats eigenverantwortlich und mandatsbezogen den für die Mandatsbearbeitung relevanten Sachverhalt aufzuklären. Er darf hierbei grundsätzlich auf die tatsächlichen Angaben des Mandanten vertrauen, dies jedoch nur, solange er keine gegenteiligen Erkenntnisse hat (BGH, NJW 2006, 501). In den durch das erteilte Mandat gezogenen Grenzen muss der Steuerberater den Mandanten ungefragt über alle bedeutsamen steuerrechtlichen und wirtschaftlichen Einzelheiten sowie deren Folgen unterrichten und ihn möglichst vor Schaden schützen (BGH, DB 2004, 131; BGH, MDR 2003, 689; BGH, WM 1998, 301; BGH, WM 1994, 602). Dazu gehört auch die Verpflichtung, den Mandanten über absehbare Änderungen der Steuerrechtslage zu unterrichten. In einem „Dauermandat“ besteht diese Pflicht zur ungefragten Beratung des Mandanten in noch weitergehendem Maße (BGH, WM 1998, 299). Entscheidend sind stets die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls. Ist eine außerhalb des Mandats liegende Fehlentscheidung des Mandanten für einen durchschnittlichen Berater bei einer ordnungsgemäßen Bearbeitung auf den ersten Blick ersichtlich, oder ist sie ihm aufgrund seines persönlichen Wissens positiv bekannt, und erkennt der Berater, dass der Mandant selbst die drohende Gefahr nicht erkennt, dann muss der Steuerberater den Mandanten ungefragt auch auf dieses außerhalb des erteilten Mandats liegende steuerliche oder wirtschaftliche Risiko hinweisen, um ihn vor Schaden zu bewahren (BGH, DStR 2006, 160). Bei der Beratung des Mandanten muss der Steuerberater grundsätzlich davon ausgehen, dass der Mandant regelmäßig in steuerlichen Dingen unkundig und demzufolge belehrungsbedürftig ist. Dies gilt sogar auch gegenüber rechtlich und wirtschaftlich erfahrenen Personen, da auch diese zumeist nicht die für eine Entscheidungsfindung erforderlichen steuerrechtlichen Kenntnisse besitzen (BGH, NJW 2006, 501). Der Mandant muss, etwa wenn es um eine Steuergestaltungsmaßnahme geht, auf der Grundlage der Beratung in der Lage sein, die Vorteile und Nachteile der von dem Steuerberater aufgezeigten Alternativen selbst abzuwägen und eine eigenverantwortliche Grundentscheidung („Weichenstellung“) zu treffen (OLG Köln, DStR 2008, 474). Nur dann, wenn der Mandant eindeutig zu erkennen gibt, dass er des steuerlichen Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, darf der Steuerberater sich insoweit auf die für den Mandanten maßgeblichen steuerlichen Fragen beschränken (BGH, NJW 2006, 501; OLG Köln, DStR 2008, 474).
Auf der Grundlage der mandatsbezogenen Sachverhaltsaufklärung und Rechtsprüfung muss der Steuerberater die Schritte anraten, die einerseits geeignet sind, das vom Mandanten erstrebte steuerliche Ziel zu erreichen, und andererseits keine vermeidbaren Nachteile begründen (BGH, DB 2006, 1106; BGH, ZIP 2004, 2058; BGH, NJW 2002, 1571; BGH, NJW 1995, 2108). Soweit mehrere Wege zur Erreichung des Ziels in Betracht kommen, muss er den relativ sichersten und am wenigsten gefährlichen Weg vorschlagen, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann.
Angesichts dieser nahezu „uferlosen“ Pflichten des steuerlichen und rechtlichen Beraters ist die Gefahr, dass der Berater seine Pflichten aus dem Beratungsvertrag nicht immer umfassend einhält, stets präsent. Wenn dem Mandanten durch eine Pflichtverletzung des Beraters ein Schaden entsteht, ist der Berater zum Ersatz dieses Schadens grundsätzlich in voller Höhe verpflichtet. In welcher Höhe dem Mandanten aus der Tätigkeit des Beraters ein Schaden entstehen kann, ist oft nicht im Voraus absehbar. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die vom Gesetz zur Verfügung gestellten Möglichkeiten einer Beschränkung der Haftung in zunehmendem Maße genutzt werden.
2. Haftung bei gemeinschaftlicher Berufsausübung
Ohne den Schutz einer gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbeschränkung haftet jeder Steuer- oder Rechtsberater gegenüber dem Mandanten persönlich und unbeschränkt für mögliche Schäden aus der Beratungstätigkeit. Dies umfasst die Haftung für eigenes Verschulden des Beraters wie auch für ein Verschulden seiner Mitarbeiter.
Bei gemeinschaftlicher Berufsausübung haftet der Berater grundsätzlich ohne Einschränkung auch für die Fehler seiner Sozien (in einer Sozietät als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nach § 705 BGB) oder Partner (in einer Partnerschaft nach § 1 Abs. 1 PartGG). Der BGH hat im Urteil vom 10. 5. 2012 (IX ZR 125/10) ausdrücklich bestätigt, dass auch die Steuerberater-Sozien für Schadensersatzansprüche des Mandanten aus fehlerhafter Bearbeitung des Mandats durch die Anwalts-Sozien uneingeschränkt persönlich haften. Dies gilt unabhängig davon, dass diese nicht zur anwaltlichen Bearbeitung befugten Sozien nicht in der Lage gewesen wären, die Pflichtverletzung des Rechtsanwalts und die Entstehung des Schadens zu verhindern.
Die wirtschaftlichen Folgen lassen sich – verkürzt gesagt – auf den kurzen Nenner bringen: „In der Sozietät haftet jeder für alles.“ Dies gilt nach § 8 Abs. 1 PartGG grundsätzlich auch für die Partnerschaftsgesellschaft.
Bei dem Zusammenschluss mehrerer Anwälte zu einer zuvor nicht bestehenden Sozietät haftet kein eintretender Anwalt für die Altverbindlichkeiten eines anderen Einzelanwalts (BGH, Urteil vom 22. 1. 2004 – IX ZR 65/01, NJW 2004, 836). Gleiches gilt entsprechend auch für die Gründung einer Sozietät zwischen Steuerberatern und auch für die Gründung interprofessioneller Sozietäten.
Anders verhält es sich aber, wenn die Gründung der Sozietät mit einer Einbringung einer oder mehrerer Einzelkanzleien verbunden wird (Übernahme aller Aktiva und Passiva der Einzelkanzlei durch die neue Sozietät): Dann werden die Schulden der eingebrachten Kanzlei(en) zu Schulden der neuen Sozietät, für die dann alle Sozien persönlich haften.
Demgegenüber hat der BGH mit Urteil vom 7. 4. 2003 (II ZR 56/02, NJW 2003, 1803) entschieden, dass der in eine bestehende GbR eintretende Gesellschafter für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft entsprechend § 130 HGB neben den Altgesellschaftern persönlich haftet, und dass dies grundsätzlich auch für Sozietäten gilt, in denen sich Angehörige freier Berufe zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden haben. Die Frage, ob für Verbindlichkeiten aus beruflichen Haftungsfällen eine Ausnahme zu machen ist, hat der BGH in dieser Entscheidung offen gelassen. Diese Frage ist vom BGH bisher nicht ausdrücklich abschließend geklärt. Es spricht aber zwischenzeitlich vieles dafür, dass der BGH eine solche Ausnahme von der Systematik der Haftungsverfassung der GbR nicht mehr anerkennen wird.
Scheidet ein Gesellschafter aus der Sozietät aus, dann haftet er noch für eine Frist von fünf Jahren für die bis zu seinem Ausscheiden begründeten und bis zum Ablauf dieser Frist fällig gewordenen Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 736 Abs. 2 BGB i. V. mit § 160 Abs. 1 HGB). Im Falle der Auflösung der Gesellschaft gilt eine entsprechende Verjährungsfrist von ebenfalls fünf Jahren (§ 736 Abs. 2 BGB i. V. mit § 159 Abs. 1 HGB).
3. Umgang mit Haftungsrisiken („Risiko-Management“)
Zur Vermeidung existenzbedrohender Haftungsrisiken sind Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen möglich, die in einer Zusammenschau im Sinne eines „Risiko-Managements“ geplant und aufeinander abgestimmt werden sollten.
Dazu gehören insbesondere:
| die Wahl einer Rechtsform mit Haftungsbeschränkung (bezogen auf die Kanzlei als Ganzes), |
| die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung mit dem Mandanten (bezogen auf das einzelne Mandat) |
sowie (idealerweise zur Abdeckung der danach noch verbleibenden Haftungsrisiken)
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