Vor dem Krieg
Lyder und Perser
Die Vorgeschichte der Perserkriege beginnt mit einem Lyder. Der kleinasiatische König Kroisos, so entscheidet Herodot, ist der Erste, von dem er mit Sicherheit weiß, dass er die Feindseligkeiten gegen die Griechen eröffnete. Er unterwarf die Griechenstädte Kleinasiens – und so steht am Anfang des griechischen Triumphes eine Niederlage. Die Figur des Kroisos ist für Herodot ein Medium für Legenden aus der frühen Geschichte der Griechen. Er erzählt in diesem Zusammenhang die Geschichte von der Begegnung mit dem weisen Athener Staatsmann Solon (ca. 640–ca. 560), der dem König die Vergänglichkeit aller Macht vor Augen führte, und vom Besuch des eher materiell interessierten Atheners Alkmaion (6. Jh. v. Chr.), der sich in der Schatzkammer des Kroisos das Vermögen zusammenraffte, das die Grundlage für den Aufstieg seiner Familie legte (Herodot 6.125).
Die Regierungszeit des Kroisos fällt etwa in die Jahre 561/0 bis 547/6. Das lydische Reich, das er regierte, umfasste, ausgenommen Lykier und Kilikier, die Völker westlich des Flusses Halys, der von Süden kommend ins Schwarze Meer mündet und somit eine natürliche Grenze im nordöstlichen Kleinasien bildet. Kroisos gelang es, die asiatischen Festlandsgriechen zu unterwerfen und sie – mit unterschiedlichen Konditionen – zur Zahlung eines regelmäßigen Tributs (Phoros) zu zwingen. Ephesos und Milet erhielten Sonderbedingungen; mit den Griechen auf den vorgelagerten Inseln schloss er einen Freundschaftsvertrag.
Anders, als es das Ergebnis vermuten lässt, war der lydische Versuch, auch nach Osten zu expandieren, durchaus planvoll vorbereitet. Kroisos bemühte sich um Bundesgenossen und fand sie, zumindest formal, in Ägyptern, Babyloniern und Lakedaimoniern. Beim Orakel von Delphi erkaufte er sich durch große Weihegeschenke psychologische Hilfe. «Wenn Du den Halys überschreitest, wirst Du ein großes Reich zerstören», lautete nach Herodot der Spruch der Pythia, der Kroisos gab, was er wünschte, und gleichzeitig das vermutlich nicht erwartete Scheitern einkalkulierte. Ob es mehr ist als eine schöne – und nur für Kroisos unerfreuliche – Geschichte, lässt sich nicht sagen. Kroisos jedenfalls überschritt den Fluss, eroberte die kappadokische Hauptstadt Pteria, musste sich aber nach einem persischen Gegenschlag in seine eigene Residenz in Sardes zurückziehen, die nach kurzer Belagerung fiel. Ob Kroisos dabei getötet oder, wie Herodot will, von Kyros begnadigt wurde, wird unterschiedlich überliefert. In jedem Fall markiert der Sturz des Kroisos den Beginn des großen griechisch-persischen Dualismus, der über 200 Jahre lang, bis Alexander der Große das Perserreich zerstörte, die Geschicke des östlichen Mittelmeerraumes bestimmen sollte.
Es ist die Dynastie der Achaimeniden, denen die Griechen in dieser Zeit gegenüberstehen, und begründet hat sie und das persische Weltreich der Bezwinger des Kroisos, Kyros, dem schließlich das Epitheton «der Große» beigelegt wurde. Selbst erst zu Beginn der fünfziger Jahre auf den Thron gelangt, eroberte er schnell von seinem Stammland, der Persis, aus das «Reich der Meder» mit der Residenzstadt Ekbatana. Drei Jahre später stand er schon am Halys und kurz darauf an der kleinasiatischen Westküste, ehe die Ägäis ein weiteres Vordringen verhinderte, zu dem ihm, vor der Annektierung Phönikiens, einstweilen auch die meerestaugliche Flotte fehlte.
Angeblich hatte Kyros die kleinasiatischen Griechen noch vor seinem Sieg aufgefordert, von Kroisos abzufallen. Für diese bestand aber kein Anlass, vorzeitig die Herren zu tauschen. Die Griechen beteiligten sich mit eigenen Kontingenten am Zug des Kroisos und, nach dessen jähem Ende, am Aufstandsversuch des von Kyros eingesetzten lydischen Schatzmeisters Paktyes. Nach der Niederschlagung wurden die Küstenstädte, die sich den neuen Herrschern nicht ergaben, unterworfen, allein Milet, das rechtzeitig die Seite gewechselt oder an der Rebellion nicht teilgenommen hatte, konnte einen Vertrag auf der Basis der bisherigen Bedingungen abschließen. Politisch wurde eine Unfreiheit gegen die andere ausgetauscht, die Verschlechterung für die Griechen bestand vor allem darin, dass ihre Bedeutung im riesigen Perserreich schwand. Die Zentralmacht war nicht mehr in Sardes, sie hatte sich in die fernen Regierungsstädte Susa und Ekbatana verlagert. Statthalter vertraten in der neu geschaffenen lydischen Satrapie mit Sardes als Residenz den Großkönig. Wirtschaftlich erschlossen sich über die persischen Reichsstraßen neue Gebiete, doch war deren Bedeutung für die Ionier nicht ausschlaggebend: Ihr Handel wurde über das Meer abgewickelt.
Spartaner und Athener
Die späteren Hauptgegner jenseits der Ägäis, Athen und Sparta, auf welche die Perser rund 60 Jahre später treffen sollten, waren zu dieser Zeit noch wenig bedeutende Stadtstaaten. Immerhin hatte sich Sparta Mitte des 6. Jahrhunderts zur wichtigsten Kraft auf der Peloponnes entwickelt und Konkurrenten wie Tegea und Argos überflügelt. Das Bündnis mit Kroisos belegt zudem die frühe Bereitschaft, sich auch auf überseeische Interventionen einzulassen. Zu etwa dieser Zeit begann Sparta auch, ein eigenes Bündnissystem mit niedrigem Organisationsgrad zu etablieren, das etwas zu Unrecht – denn die Mitglieder konnten durchaus gegeneinander Krieg führen – als Peloponnesischer Bund bezeichnet wurde. Die Kenntnisse über die Frühzeit des Bündnissystems sind gering. Offenbar schloss Sparta mit verschiedenen Städten der Peloponnes Einzelverträge ab, welche die Bündner bei innerer Autonomie zur Heeresfolge verpflichteten. Für ein gemeinsames Unternehmen war allerdings eine Mehrheitsentscheidung erforderlich. Gegebenenfalls musste Sparta auch auf die Unterstützung einzelner Verbündeter verzichten, doch war es am Ende des Jahrhunderts, unabhängig davon, schon zur stärksten militärischen Landmacht in Griechenland aufgestiegen.
Athens Weg durch das 6. Jahrhundert lässt sich dank Aristoteles und Herodot besser verfolgen. Die erste große soziale Krise hatte Solon entschärft, indem er vor allem die Schuldknechtschaft aufhob. Seine Reformen festigten das Polisgefüge, sie bewahrten den Staat vor einem Bürgerkrieg, konnten aber die Etablierung einer Tyrannis – einer nicht legitimierten Alleinherrschaft –, wie sie schon zuvor in vielen griechischen Städten ausgeübt worden war, nicht verhindern. Der Mann, der in der zweiten Jahrhunderthälfte zunächst die Geschicke der Stadt bestimmte, war der Tyrann Peisistratos, der 546, kurz nach der Niederlage des Kroisos, seine Alleinherrschaft nach zwei gescheiterten Versuchen im Kampf gegen die anderen Aristokraten durchsetzte. Er stützte sich dabei auf seine guten Beziehungen zu führenden Familien auswärtiger Poleis und ein Söldnerheer. Einzelne Aristokraten wurden verbannt, andere arrangierten sich. Ökonomische Maßnahmen (das ist umstritten), eine forcierte Baupolitik, Vergünstigungen und Belohnungen von Anhängern vermochten die ärmere Bevölkerung ruhigzuhalten, der es – auch dank einer langjährigen Friedenszeit – zumindest nicht schlechter ging als unter der Herrschaft des Adels. Archäologische Funde scheinen wirtschaftlichen Aufschwung und vermehrten Export zu bestätigen. Das bestehende institutionelle Gefüge wurde nicht aufgehoben, Peisistratos kontrollierte aber den Zugang zu den wichtigen Ämtern. Wie gefestigt das System war, belegt der problemlose Herrschaftswechsel (528/7) zu seinen Söhnen Hippias und Hipparchos. Selbst als Letzterer bei einem Attentat (aus angeblich privaten Motiven) ermordet worden war, gelang den Aristokraten der Sturz der Tyrannis nicht aus eigenen Kräften. Erst auf eine militärische Intervention der Spartaner hin verließ Hippias 510 Athen und ging nach Kleinasien, von wo er, von zahlreichen Anhängern unterstützt, seine Heimkehr betrieb. Beim Angriff des Großkönigs Dareios auf Athen, zwanzig Jahre später, sollte seine Rückführung eine zentrale Rolle spielen.
Die Beurteilung der athenischen Tyrannis ist in Antike wie Moderne unterschiedlich. Das negativ verzerrte Bild des brutalen Einzelherrschers entstand im aristokratischen Parteienstreit nach der Vertreibung des Hippias. Der Kampf der Aristokraten um mehr persönlichen Einfluss wurde später zum Freiheitskampf des Volkes stilisiert und mit der Errichtung von Denkmälern wie dem Standbild der Attentäter Harmodios und Aristogeiton auch kanonisiert. Demgegenüber idealisiert Aristoteles die Herrschaft des Peisistratos als...