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E-Book

Die Pilgererfahrung

Reset für Körper, Geist und Seele

AutorUwe Lauer
VerlagSongtower
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl292 Seiten
ISBN9783965440579
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Im August 2017 geht der 56jährige Industriekaufmann Uwe auf den Jakobsweg nach Spanien, um heraus zu finden, was es mit dessen Mythos auf sich hat. Was er dabei erlebt und wie er sich selbst neu entdeckt, beschreibt er hier in sehr offener Weise mal humorvoll, mal ernst, mal nachdenklich stimmend.

Uwe Lauer, geb. am 14.04.1961 in Grub am Forst nach Grund- und Realschule 3jährige Ausbildung zum Industriekaufmann. In großem Maschinenbauunternehmen Funktion eines Support-Mitarbeiters für Internationale Niederlassungen. Verheiratet, 4 Kinder. Hobbies: Laufen, Schach, Schafkopf, Gitarre + Gesang

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Leseprobe

24 km / 5.40 Std.


 

Offenbar konnte sich auch mein Unterbewusstsein seine Vorfreude auf das Weiterpilgern nicht verkneifen, denn schon um 6.15h rüttelte es an seinem großen Bruder, dem Bewusstsein, bis es freudestrahlend den Schlaf abstreifte und mich erwachen ließ. Meine Endorphine mussten bereits lange vor meinem Erwachen ihre Stiefel geschnürt haben, denn sie waren bereits wie eine Horde kleiner Kinder ganz aufgeregt in meinen Blutbahnen unterwegs. Ja, es war spürbar – ich war voller Tatendrang und mit wenigen geübten Handgriffen hatte ich meine sieben Sachen gepackt und war in meinen Pilgersmoking geschlüpft. Ein Frühstück wurde in diesem Wohnheim leider nicht gereicht, so blieb einmal mehr nur das dünne Angebot aus den Automaten, die sich unten am Garteneingang befanden. Mit einem am Vor-abend gekauften Snack - ein Snickers - und einem Becher heißen Kaffee setzte ich mich für ein paar Minuten in den noch völlig dunklen Garten und frühstückte. Auf dem Rückweg traf ich im Vorraum zum Garten auf einen Mann, der sich mir als Stefan vorstellte und in einer Garnitur sitzend zahlreiche Blasen an seinem nackten rechten Fuß behandelte. Es war wirklich kein schöner Anblick und einmal mehr wurde mir klar, wie gut es mir doch nach acht Tagen ging, „füßisch“ – und überhaupt. Er fragte mich, ob ich wüsste, wie man zur Bushaltestelle käme, da er zunächst ein längeres Stück mit dem Bus weiterwollte. Also wartete ich einfach, bis er startklar war, und nahm ihn zum etwa zehn Minuten entfernten Plaza Domino mit. Unterwegs erzählte er mir, dass er am 14.09. in Santiago eintreffen wolle und eigentlich auch müsse, weil dies sein 50. Geburtstag sei und ihn seine Frau dann dort erwarten würde. Das war also drei Tage früher als mein Plan und mit diesen Blasen an den Füßen würde er es nur noch schaffen, wenn er nun sein Tagespensum reduzierte – und das ginge nur durch Überbrückung einer Etappe mit dem Bus. Verständlich. Es war eine sehr angenehme Kurzbekanntschaft, jedoch auch Stefan habe ich später nie wieder gesehen, denn wir bestiegen verschiedene Busse – und schon viertel vor acht war ich unterwegs nach La Virgen del Camino, wo ich kurz nach acht ausstieg und endlich meinen Camino fortsetzen konnte.

 

Endlich, endlich war es soweit – endlich lag er hinter mir, der lange Zeit er-sehnte und später gehasste Pausentag. Wobei mir vermutlich jeder halbwegs logisch denkende Mensch attestieren würde, dass ein solcher Regenerationstag immens wichtig wäre. Das glaubte ich sogar, aber Spaß machte das nicht. Während des Pilgerns kämpfte und litt der Körper, während gleichzeitig der Kopf sich erholte, entspannte und zur Ruhe kam. Während des Pausentages empfand ich genau dieses Phänomen komplett umgekehrt: Mein Körper entspannte und regenerierte, während mein Kopf kämpfte und litt, gegen Langeweile, gegen unliebsame Stadtgeräusche, gegen die gesamte Zivilisation. Ich sollte daraus meine Lehren ziehen und den nächsten Pausentag nicht wieder in einer großen Stadt verbringen. Am besten mitten in der Prä-rie, in einem Zelt. Gut, das wäre vielleicht etwas übertrieben und ein Zelt hatte ich ohnehin nicht dabei, aber vielleicht in einem deutlich kleineren, verträumten Nest, wo nicht nur mein Pilgerkörper sondern auch sein Oberbefehlshaber, mein Geist, regenerieren konnte.

 

Bei herrlichem Spätsommerwetter hatte ich die Kleinstadt Virgen del Camino schnell hinter mir gelassen, und nach etwas mehr als 5 km war ich so weit außerhalb, dass ich kilometerweit weder nach hinten noch nach vorne irgendeinen Menschen, ein Haus oder eine Straße hätte ausmachen können. Es war absolut nichts in meiner Nähe – ich war völlig alleine mit mir und der Natur, über mir strahlend blauer Himmel, vor mir eine endlos lange Schot-

 

 

terpiste – und ich war lange Zeit so extrem spürbar glücklich wie lange nicht. Mein tägliches Video-Statement, welches ich an diesem Tag just auf diesem Wegabschnitt aufnahm, zeigt mir noch heute unmissverständlich, wie aufgeräumt ich war, ganz eins mit mir, der Natur und dem Camino. Dabei betrug der erste Streckenabschnitt bis zum nächsten Ort stolze 13,8 km – also fast drei Stunden Marsch - aber genau das war es, was ich nach dem Tag in Leon jetzt brauchte. Zeit für mich, mit mir ganz allein, und an keinem anderen Tag davor hatte ich mich so intensiv als Pilger gefühlt wie auf die-sem Stück Weg. Unterwegs kam ich irgendwann an einem kleinen Brunnen vorbei, wo ich meine Wasserflasche auffüllen konnte, bevor ich am späten Vormittag Villar de Mazarife erreichte. Dort machte ich in einem kleinen Biergarten kurz Rast, gönnte mir zwei alkoholfreie Bier und einen Imbiss, bevor ich die letzten zehn Kilometer nach Villavante in Angriff nahm. Und die hatten es dann nochmal richtig in sich. Zunächst 6,5 km immer geradeaus stumpfsinnig an der Landstraße entlang, ein Stück, das gefühlt einfach nicht enden wollte. Bevor dieses Höllenstück begann, saß links am Straßengraben ein leicht fülliger Pilger mit roter Baseballmütze und grinste mir zu, als ich an ihm vorbeilief. Ich hatte ihn vor etwa anderthalb Stunden schon einmal überholt und längst vergessen, doch scheinbar war er während meines Mittagsmahls wieder an mir vorbeigelaufen und nun saß er da im Gras und erholte sich offenbar. Wie schon bei unserer ersten Begegnung sagte er auch diesmal nichts und beließ es bei einem sympathischen Grinsen. Durch

das Zeichen der norwegischen Flagge auf seinem Rucksack war mir klar – er

musste Norweger sein. Sprach vermutlich weder deutsch noch englisch – und vielleicht spanisch nur gebrochen. Ich nickte ihm zu und grinste zurück, als ich mich auf dieses langgezogene Stück begab. Hin und wieder drehte ich mich dabei um, bis ich irgendwann in der Ferne auch den Norweger wieder in Bewegung sah. Ganze anderthalb Stunden lang biss ich mich an dieser eintönigen Landstraße entlang, bevor es dann auf eine Schotterpiste ging, die sich nochmal ganze 4,5 km lang vor mir ausstreckte – während ich schon gut 20 km auf der Uhr hatte und mich eigentlich schon aufs Ankommen freute. Die Piste war übersät mit spitzen Steinen, staubtrocken –

 

 

und kein Schatten weit und breit, während das Quecksilber inzwischen spürbar auf über 30°C geklettert war. Völlig entkräftet und ausgebrannt kam ich um 13.45 Uhr an der Pilgerherberge „Santa Lucia“ in Villavante an. Es war wieder dieser Moment, der sich so schwer beschreiben lässt: Man kommt auf dem Zahnfleisch kriechend an, müsste eigentlich alles was dazu geführt hat, verfluchen, findet kaum noch Kraft, sein Bettlager fertig zu machen, sich auszuziehen, zu duschen etc., aber statt dessen hat das Unterbewusstsein etwas völlig Anderes abgespeichert. Nämlich das man das getan hat, worauf man sich so sehr gefreut hat, dass man 90% der Etappe glücklich war und dass man morgen unbedingt wieder das Gleiche tun wollte. Eine Erkenntnis, die schon jetzt, nach nur neun Tagen, über allen anderen stand. Es war mit allen Erfahrungen des bisherigen Lebens einfach nicht in Einklang zu bringen, war ein völlig neuartiges Gefühl, das sich mit einer seltsamen Wärme in einem ausbreitete und einen völlig vereinnahmte.

 

Ich war einmal mehr einer der ersten in der Herberge und hatte somit noch eine große Anzahl an leeren Betten zur Auswahl. Es war ein großer, sehr gepflegter Schlafraum mit zahlreichen wie neu wirkenden Doppelstockbetten aus Kiefernholz. Und so platzierte ich mich direkt am Eingang zum Schlafsaal und hatte so einen kurzen Weg zu den sanitären Räumen. Als ich nach einer ausgedehnten Dusche zurück an mein Bett ging, um meinen Füßen dort die tägliche Salbung zu verpassen, hörte ich am anderen Ende des Rau-

mes Stimmen eines Paares. Sie unterhielten sich über den ziemlich harten Streckenabschnitt, der hinter ihnen lag und sprachen mir dabei mit jeder Silbe aus der Seele. Als kurz darauf die Frau des Paares den Raum verließ, um nach unten zu gehen, hatte ich das große Bedürfnis, ihr zu folgen in der Hoffnung, ich könnte mit ihr wie zufällig ein paar Worte über die zurückliegende Etappe wechseln. Nach dem Motto: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, und ein bisschen jammern konnte auch nicht schaden. Vielleicht tat es ihr ja auch gut, wenn sie einen Gleichgesinnten traf, der die letzten Stunden ähnlich erlebt hatte wie sie. Als ich die Treppe nach unten geschlurft war, konnte ich sie zunächst nirgends sehen. Vorsichtshalber hatte ich ein paar

 

 

Münzen mitgenommen und druckste mich am Automaten herum, bis sie irgendwann aus dem Garten kam und ich sie endlich spontan ansprechen konnte. „Der Weg hat’s in sich gehabt, oder?“ Sie blieb sofort stehen und ohne eine Sekunde nachzudenken, gab sie mir uneingeschränkt recht. Nachdem wir uns gegenseitig erzählt hatten, wie heftig der Weg auf den letzten 10 km war, ging sie wieder nach oben – und kurz danach auch ich. Offenbar hatten sie meine Rückkehr in den Schlafsaal gar nicht registriert, denn nachdem ich mich auf mein Bett gelegt hatte, hörte ich, wie sie zu ihrem Mitpilger oder Mann sagte: „Ich habe eben unten am Automaten einen Kerl getroffen, der auch gesagt hat, dass es ganz schön hart war, der Weg bis hierher.“ Darauf er: „Vielleicht war das der, den ich gestern Abend in Leon hinten im Garten getroffen habe, der ist nämlich auch hier.“ Darauf sie: „Er erinnert mich ein bisschen an den Mann von Lisa, er sieht fast genauso aus.“ Er: „Wie alt ist er denn ungefähr?“ Sie: „Weiß nicht, vielleicht so Mitte fünfzig.“ Ich lag vorne regungslos in meinem Bett...

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