Einleitung
Wenn du es träumen kannst,
kannst du es tun!
Walt Disney
Just als ich mir wie ein Schnellkochtopf vorkam, der kurz vorm Explodieren ist, konnte ich entfliehen. Mein vierter Film, The Female Voyeur, ist fertig und kommt in ein paar Wochen raus. Ich habe ein Jahr lang daran gearbeitet und sowohl die Produktion als auch die Postproduktion haben sehr viel Kraft gekostet. 14-Stunden-Tage. Jedes Wochenende arbeiten. Bis zur totalen Erschöpfung. Nachts wach liegen, zu gestresst zum Schlafen. Sorgen, weil ich mehr Geld in ein Projekt gesteckt habe als jemals zuvor – ein Projekt, an das viele nicht glauben, weil der DVD-Verkauf in der heutigen Zeit ständig sinkt und das Medieninteresse an Pornos aus weiblicher Perspektive nachlässt. Manchmal frage ich mich, warum ich mir das antue: Tag und Nacht arbeiten, größere, bessere, strahlendere Filme drehen und mich weiter verschulden anstatt ein normales, ruhiges und geregeltes Leben mit mehr (finanzieller) Sicherheit zu führen? Warum gehe ich all diese Risiken ein, warum bin ich so eine Perfektionistin und warum stecke ich viel Zeit und Geld in Projekte, auch wenn ich meine Grenzen längst überschritten habe? Wenn ich manchmal die roten Zahlen auf meinem Konto sehe und kurz vor dem Burn-out stehe, denke ich: Vielleicht sollte ich einfach aufhören, es ruhig angehen lassen, auf Nummer sicher gehen.
Nach Lanzarote bin ich gekommen, um einmal durchzuschnaufen, Bestand aufzunehmen und meinen Lebensweg von der Anti-Porno-Aktivistin zur feministischen Pornoproduzentin niederzuschreiben. Zu Hause wäre das bei der endlosen Flut an E-Mails und Anrufen nicht möglich gewesen. Nach acht Jahren, die ich Pornos aus weiblicher Perspektive produziere, bin ich noch immer ein »Ein-Frau-Betrieb« und habe keine Angestellten, an die ich Aufgaben delegieren kann. Ich beantworte jede E-Mail selbst, und so vergeht jeder Arbeitstag wie im Flug. Manchmal bleibt nicht ein Moment Zeit für das, was ich am meisten liebe: Filme machen, Fotografieren und Schreiben. Also habe ich mir ein ruhiges Ferienhäuschen in den Bergen gemietet, um dieses Buch zu schreiben.
Vorhin fragte mich die Verkäuferin im nahegelegenen Bioladen, wo ich ein paar Lebensmittel gekauft habe, was mich nach Lanzarote getrieben hätte. Ich erzählte ihr, dass ich hier bin, um über Pornos von und für Frauen und über meine Arbeit als unabhängige Pornoproduzentin zu schreiben. Ihre Augen wurden groß, und sie bekräftigte immer wieder, wie interessant und aufregend sie das fände. Diese Reaktion machte mich stolz und glücklich, denn manchmal vergesse ich vor lauter Müdigkeit, Stress und Schulden, dass meine Arbeit wichtig ist, weil sie von vielen Frauen auf der Welt wertgeschätzt wird. Zu Hause checkte ich meine E-Mails, darunter war die Nachricht einer Frau aus Toronto, die ich nie getroffen habe. In der Betreffzeile stand: »Danke.« Weiter schrieb sie: »Ich kann vieles von dem nachfühlen, wofür du seit Jahren stehst. Das, was du mit deinen Filmem aussagst, lässt mich wieder frei durchatmen. Es tut gut zu wissen, dass es Frauen wie dich auf dieser Welt gibt, die etwas bewegen. Verglichen mit dieser männlichen Massenproduktionsindustrie gibt es so wenige weibliche Visionen und Darstellungen davon, was Sex wirklich ist. Und ich will das verändern. Ich möchte mich kurz bei dir dafür bedanken, dass du es mir und anderen ermöglichst, dir auf deinem Weg zu folgen. Hab einen wunderschönen Tag …«
Und mein Tag wurde wirklich wunderschön. Denn das ist es, warum ich meine Arbeit mache. Deswegen liebe ich meine Arbeit: um andere Frauen zu ermutigen, ihre Stimme zu finden, sich auszudrücken und ihre Fantasien und Träume wahr werden zu lassen. Diese Art von Feedback ist mir wichtiger als ein ausgeglichenes Konto oder Massen von Auszeichnungen.
Nach acht Jahren harter Arbeit, vier Filmen, drei Frauenporno-Kompilationen, zwei Büchern, zahllosen Workshops, Messen, Fernsehauftritten und Interviews sowie der Ausschreibung eines Preises für neue Erotikregisseurinnen drehe ich immer noch Pornos aus weiblicher Sicht, weil sie gebraucht und gewünscht, wertgeschätzt und gemocht werden.
Nachdem uns eingebläut wurde, Frauen seien einfach nicht visuell veranlagt, müssen wir vieles nachholen: beim Filme gucken und Filme machen – besonders von Pornofilmen. Die meisten Pornos werden immer noch von Männern für Männer produziert und stellen daher deren Fantasien und ihre Interpretation weiblicher Sehnsucht, Begierde und Lust dar. Für uns Frauen ist es also wichtig, dass wir unsere eigene erotische Bildsprache finden, damit wir uns ausdrücken können, die Möglichkeit haben, uns mit den Fantasien und Begierden anderer Frauen zu identifizieren und den Männern zu zeigen, wer wir sind und was wir wollen. Uns auszuschließen, wenn es um Pornos geht, würde nur die männlichen Mythen über unsere Sexualität fortbestehen lassen, was nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer negative Konsequenzen hätte: Pornos, die Frauen auf weit gespreizte »Fotzen« und Männer auf ewig harte »Schwänze« reduzieren, schränken letztendlich die Möglichkeiten von uns allen ein, einander Lust zu bereiten oder auf unsere Kosten zu kommen. Wir brauchen mehr Ausdrucksfreiheit und Abwechslung bei Pornos, kein Ficken wie am Fließband, das einzig auf den männlichen Orgasmus und den Cum Shot abzielt.
Beim Spracherwerb ist der erste Schritt, lesen zu lernen, beim zweiten Schritt geht es ums Schreiben und sich selbst frei auszudrücken. In den 80ern »lasen« viele Frauen Pornos. Das, was sie sahen, gefiel ihnen nicht, und das Genre wurde vehement kritisiert. Die Kritik der Feministinnen, Pornos würden gewalttätigen Sexismus endlos wiederholen und glorifizieren, war und ist in vielerlei Hinsicht immer noch gerechtfertigt. Feministin zu sein bedeutete damals, gegen Pornos zu sein. Porno buchstabierte sich für uns porNO. Punktum. Keine weiteren Fragen. Keine neuen Visionen weit und breit. Alle Pornos waren schlecht.
Ich bin Feministin und war auch gegen Pornos. Manche von uns blendeten ihre Existenz einfach aus, andere wollten sie grundsätzlich verschwinden lassen, sie verbieten. Anstatt unsere Begierden und Fantasien in aussagekräftigen und innovativen Bildern auszudrücken, die uns gefallen, gaben wir einfach auf und überließen das Feld weiterhin den Männern. Wir waren freiwillig still und unsichtbar.
Ich kam jedoch an einen Punkt, an dem es mir nicht mehr reichte, Nein zu sagen. Ich wollte nicht nur gegen etwas sein – ich wollte für etwas sein, eine Alternative schaffen, die mich befriedigt und hoffentlich andere Frauen und Männer inspiriert. Ich wollte, dass meine Fantasien nicht länger geheim und im Verborgenen bleiben, sondern dass sie gesehen und gehört werden. Als Fernsehproduzentin wusste ich, wie man einen Film dreht, außerdem besaß ich einen Camcorder, sodass ich eines Tages beschloss, die Art von Porno zu drehen, die ich sexy finde und die mich und meine Freundinnen anmacht.
Hauptberuflich als Pornoregisseurin zu arbeiten war nie vorgesehen. So drehte ich meine ersten Filme nicht, um Geld zu verdienen, sondern um mit Freundinnen und Bekannten das zu filmen, was uns heißmachte – in der Hoffnung, die Filme eines Tages irgendwie herausbringen zu können. Es gab keine Crew. Als ich Sexual Sushi drehte, machte ich alles allein: von der Regie über die Kameraarbeit bis hin zu Setfotos und belegten Broten – ich kümmerte mich einfach um alles. Meine Freundinnen, Freunde und ich hatten jede Menge Spaß dabei. Wir machten Filme aus Jux und purem Vergnügen, es gab keine Regeln und kein Drehbuch, es war ein kreatives erotisches Experiment, das an Wochenenden in meinem und den Schlafzimmern von Bekannten stattfand. Es dauerte fast ein Jahr, bis Sexual Sushi es 2004 in die Läden schaffte und ich die ersten Schlagzeilen mit dem Slogan »Pornos sind politisch!« machte.
Selbst in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich acht Jahre später professionell Pornos für Frauen produzieren würde. Was als kreatives Experiment begann, wurde zum Mittelpunkt meines Lebens – die Lust an Pornos aus weiblicher Sicht mit der ganzen Welt zu teilen. Es machte mich glücklich, war aber auch sehr anstrengend. Meine Filme unabhängig zu produzieren, ohne Investoren und allen Widerständen zum Trotz, war das Schwerste, was ich jemals gemacht habe. Mit nur 50 £ in der Tasche nach England zu ziehen, sich dort als erfolgreiche Fernsehproduzentin zu etablieren, zehn Monate lang auf eigene Faust mit dem Rucksack um die Welt zu reisen waren nichts dagegen. Es gab so viele Kämpfe mit den meist männlichen Geschäftsleuten, die die Pornoindustrie vertreten, eine Reihe von schlechten Erfahrungen mit der Presse und viele kleine und große Dramen beim Drehen. Der Weg einer weiblichen Pornoproduzentin in einer Welt, die noch immer zum größten Teil von frauenverachtenden Männern dominiert wird, ist nicht der Weg des geringsten Widerstands. Doch ich würde die letzten Jahre für nichts in der Welt tauschen wollen. Die meisten Darstellerinnen und Darsteller aus meinen Filmen sind mir echte Freunde geworden, ich habe mich mit vielen Pornografinnen weltweit vernetzt und mit ihnen zusammengearbeitet und habe meine Filme auf der großen Leinwand gesehen. Vor allem bin ich stolz darauf, dass viele Fantasien meiner Freundinnen und von mir selbst in meinen Filmen visualisiert wurden. Mein Kreis hat sich geschlossen, und mir wird klar, dass ich nicht wählen muss: Ich kann Feministin sein und Pornos produzieren – aus weiblicher Perspektive. Ich bin stolz darauf, Teil einer neuen sexuellen Revolution...