Prolog
Ich habe sie gehasst, diese Momente. Heute kann ich amüsiert zurückblicken, aber damals – gefangen im schlaksigen Körper eines ungelenken Teenagers – war ich überfordert. Von der Schlagfertigkeit, die ich so dringend gebraucht hätte, war ich so weit entfernt wie Angela Merkel davon, zur beliebtesten Deutschen in Griechenland gewählt zu werden. Und die Erinnerung an dieses Gefühl von Ohnmacht im Angesicht eines Typen, der mit ein paar Sprüchen mein ohnehin nicht allzu ausgeprägtes Selbstbewusstsein pulverisierte, ist heute noch so lebendig, als wäre es erst gestern gewesen.
Ich stand am Tresen dieser Kneipe, in der sich die Jugendlichen trafen, die in der oberpfälzischen Kleinstadt cool sein wollten, und das wollten sie in den Achtzigern alle − egal ob Sportler, Künstler, Popper, Punks oder Normalos. Plötzlich kam einer der ortsbekannten »Künstler« auf mich zu, baute sich eine Nasenlänge entfernt vor mir auf und bellte mir entgegen: »Die Micha hat was Besseres verdient als dich dämlichen drittklassigen Basketballer!«
»Du bist doch nur so ein Möchtegernkünstler, der auch in zehn Jahren noch hier an der Bar abhängen und davon träumen wird, berühmt zu werden, obwohl jeder weiß, dass dein Talent nicht mal zum Anstreichen reicht!« Zehn Minuten später war mir diese Antwort eingefallen – leider neun Minuten und siebenundfünfzig Sekunden zu spät, denn in den entscheidenden drei Sekunden nach seinem Spruch waren erst meine Ohren und anschließend mein ganzes Gesicht knallrot angelaufen, aber aus meinem Mund kam – nichts! Ich stand da wie versteinert und versuchte verzweifelt, mir eine geistreiche Antwort einfallen zu lassen, aber in meinem Kopf herrschte Leere und dementsprechend doof werde ich ausgesehen haben.
Schier endlose Sekunden verstrichen, in denen die Umstehenden auf meine Reaktion warteten, die nicht kam. Ich muss mich gar nicht besonders anstrengen, um das Gelächter der Leute heute noch zu hören. Eine gefühlte Ewigkeit später drehte ich meine rote Birne von meinem Kontrahenten weg und verließ im Bewusstsein einer kapitalen Niederlage den Ort meiner Schmach. Ich kann nicht sagen, wen ich damals mehr verachtete, den Typen, der mich so gedemütigt hatte, oder mich selbst, dem im entscheidenden Moment mal wieder die Worte gefehlt hatten.
Ich war siebzehn Jahre alt, und nach diesem Erlebnis beschloss ich, dass mir so etwas nie wieder passieren würde. Ich würde zu dem schlagfertigen Menschen werden, der ich schon immer hatte sein wollen. Nun, natürlich sind mir ähnliche Geschichten auch danach passiert, und bis heute gibt es Situationen, die mich sprachlos machen. Aber sie sind selten geworden, denn damals begann ich, stetig an meiner Fähigkeit zu arbeiten, nie um eine Antwort verlegen zu sein, ein Gespräch in meinem Sinn führen zu können und möglichst zu etwas Besonderem zu machen.
Ich erzähle Ihnen das alles, weil Sie wissen sollten, dass ich kein geborener »Talker« bin, sondern es waren mein Wille, viel Übung und ein paar Tipps von Profis, die mich zu einem Menschen gemacht haben, der das große Glück hat, seine Berufung gefunden zu haben. Und ich bin sehr sicher: Wenn ich es gelernt habe, mit jedem Menschen, ob Politiker, Popstar oder Priester, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, ohne um die passenden Worte verlegen zu sein, dann können Sie es ebenfalls! Auch heute in meiner Sendung »Mensch, Otto!« ist genau das mein Ziel: ein gutes Gespräch, von dem mein Gast und ich und vor allem Sie als Hörer profitieren.
Ein Indiz für ein gelungenes Gespräch ist, wenn sich die Gäste nach der Aufzeichnung wundern, dass die Stunde schon vorüber ist. Aber die schönsten Komplimente kommen von »Mensch, Otto!«-Hörern, die mir schreiben, dass das Abendessen leider kalt wurde, weil sie im Auto vor ihrer Wohnung die Sendung zu Ende hören mussten. Wer die Zeit vergisst, hat sie offenbar genossen, und wenn das bei einem »Mensch, Otto!«-Gespräch passiert, freut es mich umso mehr. Inzwischen habe ich über tausendfünfhundert Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen geführt, die alle eines gemeinsam haben: Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen, die wir für so spannend hielten, dass wir diesen Menschen in unsere Show eingeladen haben. (Ich benutze »wir« und »unsere« übrigens nicht im Pluralis Majestatis, wie der ein oder andere Kritiker vermuten könnte, sondern, weil »Mensch, Otto!« ohne meine Redakteurinnen nicht möglich wäre: Ohne Catina Töpfer, Franzi Paskuda, Julia Liebing, Katrin Kellermann, Marion Fuchs, Steffi Stockinger und Veronika Macher wäre ich rettungslos verloren − zumindest beruflich gesehen.) Die Geschichten unserer Gäste können unglaublich, skurril, bewegend, komisch und manchmal alles zusammen sein, wie das Leben eben.
Wird das nicht langweilig mit der Zeit? Interessierst du dich wirklich noch für die Leute?
Das sind Fragen, die mir immer wieder gestellt werden und auf die ich bis heute stets ein und dieselbe Antwort gebe: Nein, mir wird nicht langweilig, weil ich gar nicht anders kann, als mich für Menschen und ihre Geschichten zu interessieren. Und ich bin überzeugt, dass jeder von uns eine Geschichte hat, die es wert ist, erzählt zu werden. All diese Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen helfen mir, das Leben, und auch mich selbst, ein wenig besser zu verstehen, und ersparen mir den Therapeuten, wie meine Frau gelegentlich behauptet.
Manchmal denke ich, dass ich noch Geld mitbringen müsste, weil ich diese fabelhafte kleine Show moderieren darf. Aber erzählen Sie das bloß nicht meinem Chef!
Wer war dein Lieblingsgast? Und gibt es jemanden, mit dem es überhaupt nicht funktioniert hat?
Der ersten Frage möchte ich mich ausführlicher widmen, da sie nicht leicht zu beantworten ist. Zu viele Menschen, sowohl Prominente als auch Unbekannte, haben mich beeindruckt, und immer wieder dachte ich, so eine Wahnsinnsgeschichte hast du noch nie gehört, bis die nächste kam, die noch bewegender, spannender und unglaublicher war.
Speziell im Gedächtnis geblieben sind mir jedoch keineswegs nur die berühmten Schauspieler, Musiker oder Sportler, sondern eher unbekannte Menschen mit ganz besonderen Geschichten, alle auf ihre Weise große Persönlichkeiten. Ich kann im Rahmen dieses Buches nur ein paar ausgewählte Namen nennen. Aber es waren viele, die uns durch ihren Mut, ihre Kreativität und ihre Phantasie begeistert, zum Teil auch beschämt haben durch die Kraft, mit der sie sich aus schier ausweglosen Situationen befreiten oder lebensbedrohliche Schicksale meisterten. Ich werde immerhin von einigen berichten, weil gerade sie mir vor Augen geführt haben, wie wenig im Leben doch planbar ist und dass jeder Mensch viel mehr zu leisten imstande ist, als er glaubt.
Um also Beispiele zu bringen für prominente und ganz unbekannte Gesprächspartner, an die ich mich besonders gern erinnere, die auf ihre Weise besonders lustig, geistreich, überraschend, amüsant, bewegend und beeindruckend waren, schildere ich über das Buch verteilt in der Rubrik »Lieblingsgast« insgesamt ein Dutzend Begegnungen.
Lieblingsgast
HERBERT GRÖNEMEYER
Der Mann schüttelte sich vor Lachen, verschluckte sich und rutschte vom Studiosessel. Ein Bus voller Fußballprofis, die am Telefon »Bochum, ich komm aus dir« laut und ebenso falsch anstimmten, hatte etwas geschafft, was in Talkshows und Interviews selten gelingt.
Aber Grönemeyer war vom Gesang der versammelten Mannschaft des VFL Bochum so überrascht, amüsiert und sogar ein wenig gerührt, dass es einfach aus ihm herausbrach und er völlig vergaß, dass sein Lachanfall im Radio von Hunderttausenden Menschen gehört wurde.
Diese Geschichte mit dem für ihn überraschenden Anruf der Fußballer ist eines meiner Lieblingsbeispiele dafür, dass auch Prominente sich echt und ohne Maske zeigen, wenn man sie mit Situationen konfrontiert, mit denen sie nicht rechnen und die ihnen keine Zeit zum Nachdenken lassen. Denn dann vergisst selbst jeder noch so abgezockte und interviewgestählte Prominente im Zweifel seinen Vorsatz, bloß nicht zu viele Emotionen zu zeigen.
Ich gebe gerne zu, dass es auch mir im Gespräch mit Prominenten nicht immer gelingt, solche kostbaren Momente zu erleben, aber den Versuch ist es immer wert. Mein Tipp für fast jede Art von Gespräch: Wenn es Ihnen gelingt, Ihr Gegenüber zu überraschen, es aus seiner Komfortzone zu locken, werden Sie ein interessanteres Gespräch führen und meistens mehr erfahren und erfolgreicher sein. Ach ja, nach der Episode mit dem Männergesangsverein des VFL Bochum öffnete sich Grönemeyer, wie ich ihn nie zuvor erlebt hatte, zeigte sich gnadenlos selbstironisch und alberte herum wie ein Teenager – er hatte Vertrauen gefasst. Vielleicht hat er sich gedacht, wer nüchterne Fußballer zum Singen bringt, kann kein schlechter Mensch sein.
Bis heute, zehn Jahre danach, denke ich immer wieder gerne an dieses Gespräch mit Deutschlands größtem Popstar zurück. Entgegen meiner Erwartung hatte sich Grönemeyer als einer der humorvollsten Menschen entpuppt, mit denen ich in all den Jahren in meiner Sendung zu tun hatte. Und ich bin mir nicht sicher, ob er je wieder in einer Talkshow vor Lachen fast vom Stuhl gefallen ist.
Die Antwort auf die zweite Frage – mit wem es nicht funktioniert hat – ist relativ einfach, denn dieses Gespräch, wenn man es so nennen will, werde ich nie vergessen. Es ist für mich mit einer persönlichen Erfahrung verbunden, auf die ich gerne verzichtet hätte. Natürlich gibt es Gäste, die mich nicht wirklich an sich heranlassen wollen oder zu denen ich keinen tieferen Zugang finde. Das führt dazu,...