1 Projekte sind der pure Frust
Das Leid des Projektmanagers
Projektmanager zu sein ist alles andere als lustig. Meist kommt man zum Projekt wie die Jungfrau zum Kinde. Irgendwann sagt der Chef wie aus heiterem Himmel: „Hier ist ein Projekt. Machen Sie mal!“ und von da an rennt man 18 Stunden täglich unhaltbaren Terminen, lächerlich geringen Budgets und unerreichbaren Zielvorgaben hinterher. Das Projekt schlägt auf den Magen. Schlaflosigkeit, Panikattacken vor wichtigen Zwischenterminen und permanenter Erfolgsdruck sind die ständigen Begleiter des Projektmanagers. Niemand mit gesundem Menschenverstand reißt sich um die Position eines Projektleiters. Aber wem erzähle ich das?
Schließlich wissen Sie das am besten. Sie sind Projektmanager oder Projektleiter. Oder schlimmer noch: Sie werden möglicherweise bald dazu gemacht. Gewiss, viele (die meisten?) Projektmanager sind nach frühestens sechs Tagen bis spätestens einem Jahr völlig gefrustet von ihrem Job. Zu viel Druck, zu viel Hektik, zu kurzlebige Anerkennung. Trotzdem gibt es Projektmanager, die würden ihren Job um nichts in der Welt eintauschen.
Sie sagen: „Es gibt nichts Schöneres als ein Projekt. Ein Projekt ist wie ein eigenes Baby. Man sieht es wachsen und gedeihen.“ Sie begeistern, motivieren und identifizieren sich mit dem Projekt, wie es mit dem Tagesgeschäft und der Linienarbeit kaum möglich ist. Sie lieben Projektarbeit, da kaum etwas an ihr Routine ist. Fast alles ist täglich neu, immer wieder spannend. Erfahrene Projektleiter finden es herrlich, sich jeden Tag erneut dem Unvorhersehbaren zu stellen. Projektarbeit ist eine ständige Herausforderung und immer gut für persönliche Erfolgserlebnisse. Das heißt, wenn man sie richtig anpackt.
Wie man sie richtig anpackt, habe ich in den letzten 10 Jahren über 2 000 Projektleitern und Projektmanagern in Trainings, Beratungen und Prozessbegleitungen gezeigt. Sie alle hatten die Nase voll vom Projektfrust. Viele haben es schließlich geschafft, einen Frustjob in einen Job zu verwandeln, der ihnen Freude macht, Anerkennung bringt und oft genug die Karriere entscheidend beschleunigt. Manche schafften den spektakulären Turnaround, andere verbesserten ihre Lage in kleinen Schritten. Egal, welches Ziel Sie sich gesetzt haben: Es kann nur besser werden. Auf den folgenden Seiten helfe ich Ihnen dabei.
Das Leid des Topmanagers
Ich helfe Ihnen auch, wenn Sie bei der bisherigen Schilderung des Projektmanager-Schicksals sich nur indirekt angesprochen fühlten. Sie sind Topmanager, und der Projektmanager ist Ihr Mitarbeiter. Sie hatten eigentlich gedacht, dass Projektmanagement die Lösung aller Probleme bedeutet, wenn Sie bei ausgelasteten Kapazitäten und minimalem Budgetspielraum noch unbedingt einen wichtigen Kunden oder ein wichtiges Produkt „hereinnehmen“ müssen. Aber irgendwie kam alles anders.
Die Projekte bringen die Linie durcheinander, werden – wenn überhaupt termingerecht – immer auf den letzten Drücker fertig und nie zu den vereinbarten Spezifikationen und kosten Sie Zeit, Zeit, Zeit und nochmals Zeit. Jedenfalls mehr, als Sie erübrigen können. Das liegt nicht am Projektmanagement an sich. Es liegt vielmehr daran, dass Sie viel Projekt und wenig Management haben. Wie Sie hier ein ausgewogenes Verhältnis herstellen, erfahren Sie auf den folgenden Seiten.
Die vier Frustpunkte des Projektmanagers
Wie wird man Projektmanager? Der Chef ruft Sie zu sich und sagt: „Ich habe da ein Problem. Und Sie sind der richtige Mann/die richtige Frau dafür. Machen Sie mal!“ Mit stolzgeschwellter Brust gehen Sie raus: „Ich bin jetzt Projektleiter!“ Der Stolz hält ungefähr zwei Minuten vor. Ebenso lange, wie Sie brauchen, um an Ihren Schreibtisch zurückzugehen.
Übrigens, wenn wir im Folgenden von Projektmanagern und Topmanagern reden, dann sind immer auch Projektmanagerinnen und Topmanagerinnen gemeint. Frauen machen ungefähr 10 bis 20 Prozent der Projektmanager aus. Aber nicht deshalb verwenden wir nur die männliche Form, sondern einfach, um den Lesefluss nicht unnötig aufzuhalten.
Da sitzen Sie also an Ihrem Schreibtisch und fragen sich: „Was hat der Boss denn eben alles erzählt?“ Je länger Sie nachdenken, desto unklarer wird Ihnen Ihr Auftrag, seine Ziele und der Spielraum, den Sie haben. Mit jeder Minute Nachdenkens wird der Frust größer. Und das hat gute Gründe:
Frustpunkt 1: Zielunklarheit. Sie fragen sich: „Was sind eigentlich die konkreten Ziele für das Projekt?“ So genau hat der Chef das gar nicht gesagt! Er hat zwar irgendetwas von „innovativ, schnell und bahnbrechend“ gesagt, aber das ist alles andere als glasklar! Und überhaupt – was bringt das Projekt eigentlich dem Unternehmen? Ist es nicht eher ein „politisches“ Projekt?
Frustpunkt 2: Termin- und Budgetknappheit. Natürlich soll das alles „so schnell wie möglich“ erledigt sein und „so gut wie nichts“ kosten! Weiß der Chef, was er da redet? Das kann er doch nicht ernst gemeint haben!
Frustpunkt 3: Keine Kooperation. Mit einem unguten Gefühl denken Sie sich: „Meine Güte, das schaffe ich ja gar nicht alleine! Ich brauche dafür mehrere andere Unternehmensbereiche. Aber wie soll das gehen? Jede Abteilung ist hier eine Firma in der Firma und kaum eine kooperiert mit der anderen. Außerdem habe ich überhaupt keine disziplinarische Kompetenz! Ich bin auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen der Bereichsfürsten ausgeliefert!“
Frustpunkt 4: „Hilfe! Ich fühle mich total überfordert! Mein interner Auftraggeber sprach zwar von ‚Innovation‘ und ‚Herausforderung‘, aber was heißt das konkret? Wie macht man Innovation? Wie starte ich das Ganze? Was ist mein erster, was mein zweiter Schritt und wie gehe ich sicher, dass ich nicht den zweiten vor dem ersten mache und auf die Nase falle?“
Alle diese Gedanken gehen einem Projektmanager kurz nach der Auftragserteilung durch den Kopf. Sie gehen durch den Kopf, und die Panik wächst. Wenn Sie ein erfahrener Projektmanager sind, wächst die Panik nicht mehr zu exorbitanten Ausmaßen an. Aber im Prinzip ist sie selbst bei alten Projekthasen an jedem neuen Projektstart latent vorhanden. Denn die vier Frustpunkte treten immer auf, egal, wie erfahren man ist. Vor jedem neuen Projekt steht man da und fragt sich: Mein Chef, dieser… Wie kann er mir das antun? Wie soll jemand bei so unklaren Vorgaben saubere Arbeit leisten? Macht der das absichtlich? Will er mich verheizen? Nein, will er nicht.
Tipp für Topmanager: Projektfrust mildern
Natürlich wollen Sie als auftraggebender Topmanager Ihren Projektmanager nicht verheizen. Sie sind Vorstand, Geschäftsführer, Abteilungs- oder Bereichsleiter und haben wirklich Besseres zu tun als Ihre Humanressourcen zu zermürben. Sie haben keine Kapazitäten und kaum Budget frei, aber dieser eine Kunde oder diese eine Produktentwicklung muss unbedingt noch in Angriff genommen werden, weil der Markt das verlangt. Also holen Sie sich einen fähigen Mitarbeiter und machen ihn zum Projektmanager.
Frustpunkt 1: Zielunklarheit. Dass der Projektmanager sich innerlich über Zielunklarheit beschwert, ist nicht Ihre Schuld. Schließlich ist von allen großen Ideen am Anfang nur die Vision vorhanden. Wenn Sie dem Projektmanager alles haarklein beibringen würden, dann könnten Sie das Projekt schließlich selbst planen!
Frustpunkt 2: Termin- und Budgetknappheit. Natürlich soll das alles gestern fertig sein! Die Konkurrenz schläft nicht! Und natürlich würden Sie dem Projektmanager liebend gerne ein sattes Budget zur Verfügung stellen. Aber es ist mitten im Jahr, das Jahresbudget ist verplant, und ein Zusatzbudget bekommen Sie nie und nimmer durchgesetzt. Es sei denn, die Bude brennt.
Frustpunkt 3: Keine Kooperation. Na, dafür können Sie am wenigsten. Außerdem interessiert Sie das nicht primär, denn für die Zusammenarbeit mit den einzelnen Bereichen ist ja der Projektmanager zuständig, oder?
Sie haben also keinerlei Schuld, wenn Ihr Projektmanager gerade am Schreibtisch sitzt und über das Ei brütet, von dem er annimmt, dass Sie es ihm ins Nest gelegt haben. Sie haben es nicht! Aber das nützt Ihnen nichts. Ihr frischgebackener Projektmanager ist schon 120 Sekunden nach Projektstart frustriert. Und Frustrierte bringen keine Topleistung. Sie haben zwar keine Zeit, ihm das Projekt haarklein vorzukauen. Aber ein bisschen aufbauen könnten Sie ihn schon. Dann arbeitet er produktiver, und das Projekt läuft schneller, was wiederum Sie besser aussehen lässt. Es zahlt sich immer aus, wenn man seine Projektmanager gut führt. Also sorgen Sie bereits bei der Projektübergabe für klare Verhältnisse. Wie diese hergestellt werden, steht in Kapitel 2.
Ein Projektmanager sucht vergeblich
Inzwischen sucht der Projektmanager einigermaßen verzweifelt nach Rückendeckung. Er kauft Bücher und belegt ein „Projektmanagement-Seminar“. Er bekommt
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