VORWORT
WARUM »MISTER KARSTADT« KEINE BIOGRAPHIE WILL
»Politik ist die Kunst, das eigene Umfeld zu kontrollieren.«
HUNTER S. THOMPSON
Sein Terminkalender ist prall gefüllt. Er ist immer unterwegs. Heute in New York, morgen in Berlin fliegt er übermorgen nach Mumbai und am nächsten Tag schon wieder zurück in die USA. Wer wie Nicolas Berggruen in der Welt etwas bewegen will, darf nicht müde werden, Dinge anzuschieben. Einen »heimatlosen Milliardär« nennt sich Berggruen deshalb gern. Eine Idee, welche die zweitauflagenstärkste Wirtschaftszeitung nach dem Wall Street Journal, die indische Economic Times (vom 13. Januar 2013), in ihrer Serie über Milliardäre und ihre verrücktesten Ideen zu Berggruens exzentrischster Eigenheit erklärte. Berggruen hat nämlich keinen festen Wohnsitz. Stattdessen fliegt er mit seinem Privatjet von einem Fünf-Sterne-Hotel zum anderen. Mit dieser Eigentümlichkeit erinnert er die indischen Nachrichtenmacher an Howard Hughes. Der Texaner galt als Inbegriff eines spleenigen Milliardärs. Er verlegte sein Büro in ein Flugzeug und sperrte sich gegen Ende seines Lebens in einem Hotel in Las Vegas ein, weigerte sich zu duschen oder Haare und Fingernägel zu schneiden. Am 5. April 1976 starb er in seinem Flugzeug über Dallas kreisend. So ähnlich stellt sich der indische Journalist Yusuf Begg auch das Finale von Nicolas Berggruen vor: der Tod über den Wolken – willkommen im Nirwana!
Der Vergleich mit Howard Hughes mag auf den ersten Blick amüsant erscheinen, gewisse Ähnlichkeiten, zumindest im Ansatz, sind allerdings nicht von der Hand zu weisen. Was man über Nicolas Berggruen zu wissen glaubt, stammt überwiegend aus dem Internet. Über hundert Clips mit ihm sind auf YouTube abrufbar. Als Präsident bei den Konferenzen seiner Denkfabrik, dem Berggruen Institute on Governance, als Podiumsgast bei öffentlichen Veranstaltungen des Public Policy Institute of California (PPIC) oder als Referent bei Oxford Union, einem weltweit renommierten Debattierclub, sieht man ihn mit leiser, monotoner Stimme über sein Lieblingsthema referieren: »die Herausforderung und die Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen und sich der Herausforderung zu stellen«. Seine Botschaft lautet stets: »Die Herausforderungen werden immer größer, und sie werden immer schneller auf uns zukommen. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Mit etwas Glück kann man ihm in einem der drei Luxushotels begegnen, in denen er als Stammgast logiert: im Peninsula in Los Angeles, im Carlyle in New York und im Claridge’s in London. Die meiste Zeit aber ist er unterwegs, sitzt in seinem Privatjet und fliegt über den Wolken. Dort fühlt er sich am wohlsten, denn, wie er sagt, die ganze Welt sei sein Zuhause.
Dennoch schlagen in Nicolas Berggruens Brust zwei Seelen: »Die New Yorker und die Berliner«, sagt er. Inzwischen weiß mindestens die Hälfte aller Deutschen, wenn sein Name erwähnt wird, dass es sich bei ihm um »Mister Karstadt« handelt. Seit September 2010 besitzt Nicolas Berggruen diese deutsche Handelsikone, die 1881 gegründet wurde und die er für einen symbolischen Euro übernommen hat, um deren Untergang vorerst zu verhindern. Mit diesem Investment wurde der relativ unbekannte Sohn des ehemaligen Galeristen und »Picasso-Freunds« Heinz Berggruen zum Medienobjekt. Seither nimmt das Interesse an seiner Person unvermindert zu, was nicht zuletzt an der Prominenz aus Politik, Kunst und Wirtschaft liegen dürfte, die Nicolas Berggruen um sich schart. Sie alle scheinen sich von diesem dynamischen Macher wie von einem Messias unwiderstehlich angezogen zu fühlen. Sich selbst zu verkaufen, kann Berggruen wie kein anderer. Diese Fähigkeit hat er von seinem Vater geerbt. Seine Medienvorherrschaft als Investor ist mit virtuellen Webauftritten gesichert und mit exzellentem Videomaterial unterfüttert. Die virtuelle Macht der Bilder übertüncht seine wenig aussagekräftigen Botschaften, die ihn mitunter wie eine flüchtige Illusion erscheinen lassen. Handelte sein Vater Heinz Berggruen einst mit Kunstwerken von Picasso, Klee und Matisse, so hat sich sein Sohn selbst zu einem kuriosen Phänomen hochstilisiert.
EIN MESSIAS FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT
Was treibt Nicolas Berggruen an? Was sind seine Beweggründe? So einfach es auch klingen mag, die Antwort lautet schlicht: Er ist begabt! Er gehört zu den »Talenten« der Investmentbranche, nach denen schon der Ex-Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, immer Ausschau gehalten hat. Nicolas Berggruen hätte es in jeder Bank an die Spitze gebracht, ob in London, Frankfurt am Main, Paris oder New York. Allerdings ist er wie sein Vater: Ein Nomade, der durch die Welt des Geldes und der Kunst zieht. Mit einem nicht zu bändigenden Unabhängigkeitswillen geboren, versteht er es, für seine Absichten die anderen zielstrebig zu überzeugen. Mit seinen Erfolgen reift in ihm die Überzeugung, über allem zu stehen und alles zu erreichen.
Hinzukommt, dass sich ihm großartige Chancen bieten. Denn die Welt ist gar nicht so groß, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Sie wird von etwa 5000 Menschen beherrscht. Dieses Verhältnis muss man sich vergegenwärtigen: Sieben Milliarden Menschen hängen vom Willen von 5000 Einzelpersonen ab. Das ist nicht einmal ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Von diesem wiederum gehört nur knapp zwei Drittel der Gruppe der Milliardäre an. Weltweit, ermittelte die Hurun Global Rich List, gibt es 1453 Megareiche. Einer von diesen ist Nicolas Berggruen. Natürlich gibt es noch eine Dunkelziffer, die sich auf keiner Liste findet und über welche die Schätzungen weit auseinander liegen: Der Reichenforscher Hans Jürgen Krysmanski spricht von 3000 Milliardären weltweit, von denen nicht einmal die Hälfte namentlich publik ist. Nicolas Berggruen ist in der weltweiten Öffentlichkeit bereits bekannt, was dazu führt, dass es ein Interesse vonseiten der Ratingagenturen gibt, ihn zu beobachten und seine Vermögensverhältnisse zu bewerten. Zwar ist er 2013 aus den Top 500 der reichsten Personen der Welt herausgefallen – er befindet sich »nur« noch auf Platz 736 –, aber er kann immer noch rund zwei Milliarden Dollar sein Eigen nennen.
Während sich bei Multimilliardär Warren Buffett eine klare Front zwischen Befürwortern und Gegnern ausmachen lässt, ist bei Nicolas Berggruen vorläufig weit und breit kein erklärter Feind ausfindig zu machen. Vielleicht weil er noch nicht das Stadium erreicht hat, das seinen Konkurrenten gefährlich werden könnte. In den amerikanischen Medien wird Nicolas Berggruen bislang eher wie ein Kuriosum betrachtet, auch ist er dort fast nur Experten bekannt. Darüber hinaus hält er sich brav im Hintergrund. Ins allgemeine amerikanische Bewusstsein ist er deshalb noch nicht vorgedrungen. Bis dato ist Berggruen außerhalb der Insiderkreise von New York und Los Angeles ein »Mister No Name«.
KEIN INTERESSE AN EINER ZUSAMMENARBEIT
Dass man so wenig über ihn weiß, liegt gewiss auch daran, dass es in seinem verschworenen Mitarbeiterkreis, der auf einem versiegelten Gebiet agiert, bislang noch niemanden gab, der über ihn und seine Methoden ausgepackt hat. Einige Insider glauben den Grund zu wissen: Außer Berggruen selbst würde sich in seinem undurchschaubaren Firmenlabyrinth niemand wirklich auskennen. Das war schon bei seinem Vater so. Die Biographie, die dessen Vorgehensweise aufzeigte, erschien erst nach seinem Tod. Zwar gingen Nicolas Berggruen und sein Bruder Olivier Berggruen nicht gegen die Autorin Vivien Stein juristisch vor – weder ließen sie eine einstweilige Verfügung erwirken, noch strittige Passagen schwärzen –, aber noch ein Buch über Berggruen, so vernimmt man aus seinem unmittelbaren Umfeld, soll es so schnell nicht mehr geben.
Auch ein Buch über ihn selbst lehnt Nicolas Berggruen ab. Er wird zwar nicht müde, sich bei seinen zahlreichen Medienauftritten für Transparenz in der Politik stark zu machen, aber diese gilt nicht, sobald es um seine Person geht. Als Privatmensch will er ein Unbekannter bleiben. Ein Phantom, von Mysterien umwoben. Das gehört zu seinem Geschäftsprinzip. Je weniger man über ihn weiß, desto erfolgreicher kann er agieren. Deshalb geht er auch nicht direkt in die Politik, denn dann müsste er sich zur Wahl stellen. Als Kandidat müsste er es sich gefallen lassen, dass sein Leben von allen Seiten durchleuchtet würde. Vom Aktienbesitz über die Steuererklärung bis hinein ins Schlafzimmer – Amerika ist für seine Schlammschlachten berüchtigt. Also kandidiert er nicht. Schließlich kann man sich dem Weltgeschehen auch ohne Wählermandat widmen, wie er mit seiner Denkfabrik beweist. »Politik«, so sagt er, »ist für mich eine Berufung.«
Die Frage, ob er an dieser Biographie mitgewirkt hat, beantwortet sich damit von selbst. Nicolas Berggruen war weder zu einem Gespräch noch zu Auskünften über sein Firmenimperium bereit. Statt Transparenz zu schaffen, machte er die Schotten dicht. Keiner von seinen...