I
Eine neue Kunst aus griechischen Formen
Geht man in diesem Sinne von Fragen nach der Rolle der Bilder in der einstigen Lebenswelt aus, dann liegt es nahe, die Geschichte einer römischen Kunst mit dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, an dem sie ihre spezifischen Merkmale auszuprägen begann. Dieser Zeitpunkt fällt mit der Umformung von Staat und Gesellschaft bei der Entstehung des Imperium Romanum zusammen, genauer gesagt mit dem Ausgreifen der römischen Armeen nach Unteritalien und dem griechischen Osten. Denn die mit den Eroberungen der griechischen Städte und Königreiche einhergehende Hellenisierung veränderte die politischen und sozialen Strukturen, die Lebensformen, die Wertvorstellungen und das Selbstverständnis der Gesellschaft Roms und seiner italischen Bundesgenossen von Grund auf. Im Verlauf dieses Prozesses wandelten sich auch in fundamentaler Weise Funktion und Charakter der Bilder, mit denen sich die Römer fortan umgaben, und vor allem: Die griechische Kunst wurde in der Folge zum Grundstock einer neuen Bildersprache.
Wir wollen unsere «römische Kunst» deshalb mit der Zeit der großen römischen Siege über Syrakus (211 v. Chr.), Tarent (209 v. Chr.) und über den König der Makedonen Perseus (168 v. Chr.) bis hin zur Eroberung und Zerstörung Korinths und Karthagos (beide 146 v. Chr.) beginnen. Damals sahen die meisten Römer bei den spektakulären Triumphzügen zum erstenmal griechische Kunstwerke in großen Mengen. Diese erste Begegnung war freilich in keiner Weise auf Kunstgenuß angelegt. Denn die griechischen Kunstwerke wurden zusammen mit den Beutewaffen und den Gefangenen inmitten der marschierenden Soldaten vorgeführt. Man sah die kostbaren Statuen und Silbergefäße massenhaft aufgehäuft auf den Karren und Tragebahren. Aemilius Paullus soll bei seinem drei ganze Tage dauernden Triumph über den letzten Makedonenkönig Perseus neben allem anderen Beutegut dem staunenden Volk nicht weniger als 250 Wagenladungen mit Statuen und Bildern vorgeführt haben. Daß man beim Abräumen und Einsammeln der zahllosen Beutestücke nicht mit der Sorgfalt eines Kunstspediteurs vorging, kann man sich vorstellen. Der griechische Historiker Polybios will mit eigenen Augen gesehen haben, wie die römischen Soldaten nach der Eroberung von Korinth 146 v. Chr. wertvolle griechische Gemälde, die zum Abtransport nach Rom bestimmt waren, als Unterlage beim Würfelspielen benutzten (Polybios 39,2). Und ihr Feldherr Mummius soll den Wert eines berühmten Dionysosgemäldes erst erkannt und dieser aus einer vorgesehenen Versteigerung zurückgezogen haben, als der König von Pergamon, ein Kenner und Liebhaber alter griechischer Kunst, eine hohe Summe dafür bezahlen wollte (Plinius, naturalis historia 35,24). Zweifellos liegt solchen Nachrichten das von den Griechen sorgfältig gepflegte Klischee vom römischen Kulturbarbaren zugrunde. Sie behalten gleichwohl ihren Wert als Momentaufnahmen aus einem einzigartigen Akkulturationsprozeß. Sollte Mummius tatsächlich ein Kunstbanause gewesen sein, so gab es zu diesem Zeitpunkt doch bereits eine ganze Reihe führender römischer Aristokraten aus den großen Geschlechtern, die alles daran setzten, sich die Kultur der hellenistischen Höfe und Städte anzueignen, um diese dann wie neue Griechen zu genießen.
Nicht, als ob das Rom der Könige und der Republik bis dahin aus der Welt gelegen hätte. Wie in anderen Städten Mittelitaliens hatte sich seit archaischer Zeit eine Bildkultur entwickelt, die von Anfang an unter dem Einfluß der griechischen Kunst stand. Diese wurde zunächst vor allem durch die Etrusker, später durch die unteritalischen und sizilischen Griechen nach Rom vermittelt. Auch direkte Importe aus Griechenland sind vor allem unter den Weihegaben der Heiligtümer seit frühester Zeit zu finden. Aufs Ganze gesehen gewinnt man jedoch den Eindruck, daß der Bilderbedarf der festgefügten altrömischen Gesellschaft wie der der anderen italischen Städte noch im 4. Jahrhundert vergleichsweise bescheiden war und sich vor allem auf Tempelschmuck, Votive und Grabbeigaben, seit dem späteren 4. Jahrhundert auch auf repräsentative Ehrenstatuen erfolgreicher römischer Politiker erstreckte. Zu solchen Statuen gehörten wohl auch das Porträt des «Brutus» (Abb. 1) und wenige andere außerhalb Roms gefundene «italische» Bronzeköpfe. Der sogenannte Brutus folgt in Haar-, Barttracht und Stil einem griechischen Porträtschema der Zeit um 300 v. Chr., unterscheidet sich jedoch von gleichzeitigen griechischen Werken durch schärfere Formen und kantige Übergänge. Dank dieser im Vergleich mit den Modellen gerade in seinen Härten besonders ausdrucksvollen Formensprache wirkt der Kopf auf den modernen Betrachter schon seit langem wie «ein echter alter Römer», doch lag ein psychologisierender Ausdruck dieser Art dem italischen Künstler sicher fern. Wir haben es demnach auch in diesem Fall mit einer Übernahme aus der griechischen Kunst zu tun.
1 Sog. Brutus, um 300 v. Chr. Rom, Konservatorenpalast. Bildnis einer römischen Ehrenstatue
Dieser Zustand einer lokalen Bildkultur am Rande der griechisch-hellenistischen Welt änderte sich erst mit der umfassenden Aneignung der griechischen Kultur durch die Römer seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. Was sich im Laufe der Ausbreitung des Römerreiches im griechischen Osten ereignete, war eine einzigartige Form von Akkulturation, hervorgerufen nicht zuletzt durch das Bedürfnis der Römer, sich die glanzvolle Kultur der Mittelmeerwelt anzueignen, um ebenbürtig an der internationalen Kommunikation teilnehmen zu können. Dieser Prozeß veränderte nicht nur die Lebenswelt der Römer, sondern auf lange Sicht gesehen auch die der griechischen Städte von Grund auf. Die Übernahme bestimmter Formen aufwendigen griechischen Lebensstils, etwa in der Kleidung, in den Speiseritualen, im Pflegen der Muße, aber auch die Aneignung griechischer Philosophie, Dichtung und Kunst führte zumindest bei der Führungsschicht zu einem neuen Wertgefüge und zu einem neuen Selbstverständnis. Im Laufe weniger Generationen kam es zu einer umfassenden Neugestaltung aller Lebensräume. Funktion und Bedarf an Bildern änderten sich dadurch grundlegend, und in der Folge entwickelten sich die Strukturen eines neuartigen, spezifisch römischen Bildersystems.
Die hellenistische Kultur verändert den Lebensstil der römischen Aristokraten
Wenn man Plutarch glauben darf, war Marcellus, der Eroberer von Syrakus (211 v. Chr.), der erste, der nicht nur eine riesige Menge von Kunstwerken, sondern mit diesen auch «Lebenslust, Luxus und Nichtstun» nach Rom brachte (Plutarch, Marcellus 21). Die Kritik zielte auf die berühmt-berüchtigte tryphe (zu übersetzen etwa mit dionysischer Fülle und Üppigkeit, Reichtum und Überfluß), die die ptolemäischen Könige in Alexandria schon zu Beginn des 3. Jahrhunderts als ihren Lebensstil und ihr Programm für die Untertanen verkündet hatten und die den Lebensstil der hellenistischen Städte zutiefst prägte. Der ältere Plinius und andere römische Sittenkritiker haben den moralischen Niedergang Roms später unmittelbar mit der Übernahme der griechischen luxuria – das war das moralisierende lateinische Äquivalent für tryphe – in Verbindung gebracht. Auch die griechische Kunst war nach Auffassung ihrer Kritiker zunächst ein Bestandteil dieser Luxuskultur. Bei dieser Kritik ging es freilich weniger um die Kunst als um Gesinnung und um Lebens- und Denkweisen. Vor allem aber befürchtete man, daß die altrömischen Bürgertugenden durch die Propagierung eines genußreichen Lebens bedroht seien. Allerdings waren diese mores maiorum erst in den Spannungen des kulturellen Umbruchs als solche definiert worden, um das Eigene vom Fremden absetzen zu können.
Die Griechen ihrerseits witzelten gerne über die kulturellen Defizite der Römer, so zum Beispiel über das altertümliche Erscheinungsbild Roms, das sich mit seinen engen verwinkelten Straßen, den archaischen Tempeln mit ihrem altväterlichen Terrakottaschmuck und dem Mangel an repräsentativen öffentlichen Bauten, Plätzen und Säulenhallen in keiner Weise mit den gleichzeitigen überaus kunstvollen Marmorarchitekturen der griechischen Städte vergleichen konnte. Das Stadtbild Roms veränderte sich erst seit dem mittleren 2. Jahrhundert, und auch dann nur langsam. Noch Augustus (27 v.–14 n. Chr.) konnte sich rühmen, Rom aus einer Lehm- und Ziegelstadt in eine Marmorstadt verwandelt zu haben. Zuerst nahm seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. das Marsfeld Züge einer hellenistischen Stadt an. Denn dort ließ ein siegreicher Feldherr nach dem anderen neue Marmortempel in griechischem Stil, oft mit weiten Säulenhallen, zur Erinnerung an seine Siege und zum Dank an die jeweiligen persönlichen Schutzgottheiten errichten. Wo man noch im alten Stil baute, bediente man sich wenigstens für die tönerne Architekturdekoration neuer hellenistischer Formen, wie die Reste der Tempelgiebel, die man in Rom wie in anderen...