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E-Book

Die schöne HABO

Reiseberichte aus einer postromantischen Seefahrt

AutorStefan Sip
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783746039916
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Der Autor hatte eigentlich seine Zeit auf hoher See abgeschlossen. Ein Leben, das dann doch immer ein wenig anders verläuft, hat ihn wieder zurückgebracht in eine Seefahrt, die nicht mehr romantisch ist. Dieses Buch enthält fünfzehn Reiseberichte aus den Jahren 2011 bis 2014, wie sie an Freunde, Verwandte, Nachbarn und Bekannte geschickt wurden. Sie erzählen vom Alltag im Bordbetrieb ganz normaler Containerschiffe, von blinden Passagieren, von Piraten, von Seeleuten, von den Häfen, vom Wetter und vielem mehr sowie davon, was der schreibende Seemann so denkt. Die Reiseberichte wechseln sich ab mit einer Zusammenfassung der maritimen Biografie des Autors von 1985 bis 2018.

Stefan Sip, Jahrgang 1963, Schweizer, aufgewachsen in München und Gümligen (Bern), Matura in Bern, Diplom Nautiker an der Hochschule Bremen und Reederei Manager an der Lloyds Academy in London, lebt seit 1998 in Zürich. Über 30 Jahre arbeitete er in der Hochseeschifffahrt vor allem auf See aber auch an Land - davon 8 Jahre als Kapitän auf Frachtern. Frust und Trauer über die zunehmende Erosion des Berufsstandes sowie die Schattenseiten in einem globalisierten Arbeitsmarkt mit Lohn- und Statusverlust brachten ihn unter anderem zum Schreiben.

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Leseprobe

(1) M/S Sargasso Sea


von Zürich, 14. August 2011

bis Tema Reede, 31. August 2011

Liebe Freunde, Verwandte, Nachbarn und Bekannte, Die Entscheidung, wieder zur See zu fahren, kam recht plötzlich irgendwann im Dezember letzten Jahres. Nachdem das Unternehmertum mir so viel Pech gebracht hatte, war die Zeit einfach reif für eine Denkpause. Einen ersten Einsatz bin ich auf dem M/S Hanjin Amsterdam von Januar bis Juni 2011 gefahren. Seit bald zwei Wochen bin ich nun an Bord des M/S Sargasso Sea.

Navigation

Das Schiff fährt für Maersk im Liniendienst zwischen Asien und Westafrika. Eine Rundreise dauert etwa zweieinhalb Monate je nachdem, wie viele Häfen angelaufen werden. Wer die Reiseroute mitverfolgen möchte, kann dies im Internet mit dem sogenannten Fleettracker auf der Seite der Reederei tun.

Für mich begann die Reise mit einem dreitägigen Simulator-Training am Sitz der Reederei in der Nähe von Hamburg. Von dort ging es weiter nach Namibia. Der lange Flug über Frankfurt und Johannesburg bis Walvis Bay war eben ein langer Flug. Daran änderte auch der neue A380 Superjumbo von Airbus nichts. Wenn man da erst einmal drinnen sitzt, ist es wie in jedem anderen Flugzeug.

Von Walvis Bay ging es dann mit dem Schiff nach Norden über den Äquator bis Apapa (Nigeria), und seit gestern liegen wir etwas über 200 Seemeilen weiter westlich auf der Reede von Tema (Ghana) vor Anker. Unser Liegeplatz soll am Wochenende frei werden.

Wetter

Blauer Himmel und Sonnenschein erwarteten mich auf dem Flughafen von Walvis Bay. Doch es wehte ein frischer südsüdöstlicher Wind. Nachts sank die Temperatur bis auf 10°C. Tagsüber gab es dann angenehme 18°C.

Der Südost-Passat schob uns mit 4 bis 5 Beaufort die ganze Reise von Namibia bis Nigeria vor sich her. See und Dünung von achtern (von hinten) erzeugten bei unserem weich geladenen Schiff eine angenehme Rollbewegung. Der Himmel ist seit unserer Abreise aus Walvis Bay bedeckt. Die Sonne haben wir seit mehr als einer Woche nur ganz kurz und zwischen den Wolken gesehen. Seit Apapa fällt bei Temperaturen von 25 bis 30°C immer so ein alles durchdringender, unangenehmer Nieselregen.

Schiffsbetrieb

Die Sargasso Sea ist mit Baujahr 1995 schon eine ältere Dame. 32 Meter Breite auf eine Länge von 245 Metern machen sie aber recht schlank. Die optische Besonderheit ist der Spoiler auf dem Vorschiff. Der sieht zwar schnittig aus, nützt aber eigentlich nur der Korrosion.

Zurzeit ist der Arbeitsalltag stark geprägt von den unverhältnismäßigen bürokratischen Anforderungen für die afrikanischen Häfen. Die Einklarierung in Apapa hat sechs Stunden gedauert. Die individuellen Bedürfnisse der Behördenvertreter zeigen in der Endabrechnung: 19 Kisten Soft Drinks, 19 Kisten Bier, 18 Flaschen Whiskey, 48 Stangen Zigaretten. Das arrogante und fordernde Gehabe der Beamten passte irgendwie nicht zu den Slums auf der anderen Seite unseres Liegeplatzes. Wellblechhütten, Freilichttoiletten und das Ufer war mit Müll bedeckt. Wir dürfen es wohl einfach nicht persönlich nehmen. Der Kapitän tat es trotzdem und musste – nach eigenen Angaben – Ärger und Bauchkrämpfe mit einer Zigarre kurieren.

Personal

In Walvis Bay gab es nur einen Besatzungswechsel: Ich habe einen polnischen 1. Offizier abgelöst, der offensichtlich tüchtig und kompetent war. Doch hatte er wohl während der Zeit wenig Unterstützung von oben und unten. Wie sich inzwischen zeigt, habe ich da in der Tat ein schwieriges Erbe angetreten. Es gibt hier offensichtlich einige informelle Seilschaften, die in verschiedene Richtungen ziehen. Wir sind 21 Mann: 3 Deutsche, 15 Filipinos, 1 Schiffsmechaniker aus Ghana, der Kapitän ist Pole mit deutschem Pass und ich.

Weltgeschehen

Hat man in Europa von dem Bombenanschlag auf die UNO-Vertretung in Lagos gehört? Lagos und Apapa sind nur durch einen Fluss voneinander getrennt. Es geschah während wir noch auf Reede vor Anker lagen.

In Tunesien und Ägypten soll es so weitergehen wie vorher, nur halt mit anderen Führungsfiguren. Auf Gaddafi tot oder lebendig ist eine Belohnung von 1,2 Millionen ausgesetzt worden. Amerika im wirtschaftlichen Sinkflug budgetiert 1 Milliarde für die Wahlkampagne von Präsident Obama und in Hamburger S-Bahnen und Bussen darf kein Alkohol mehr getrunken werden. Unser deutscher 3. Ingenieur meint: Eigentlich haben wir‘s ja richtig gut in unserer kleinen Welt an Bord.

mit freundlichen Grüßen

Stefan

Als Bürger eines Binnenlandes muss ich mich immer wieder fragen lassen, wie ich denn ausgerechnet zur Hochseeschifffahrt gekommen sei. Nein, und um das gleich hier klarzustellen, Kapitän war nicht mein Traumberuf! Ich stand auch nicht besonders auf Schiffe. Je nach Lebensphase in Kindheit und Jugend interessierten mich eher Flugzeuge und Autos. So hatte ich irgendwann mit Ach und Krach eine Matura bestanden und wusste nicht, was ich nun damit anfangen sollte. Eigentlich war ich mit meinem Leben gerade ganz zufrieden. Ich arbeitete Teilzeit bei einem Taxiunternehmen in Bern und spielte fleißig Wasserball.

Meine Mutter meinte, ich hätte bestimmt nicht eine Matura gemacht, um schließlich ein Leben lang Taxi zu fahren. Mein Vater brachte vom Hallwag Verlag, wo er arbeitete, eines dieser Ratgeberbüchlein nach Hause, die heute noch häufig auf Flohmärkten anzutreffen sind. Berufslexikon für Knaben! Vom Agro-Techniker bis zum Zugführer, den man – wie es präzise angemerkt war – in den Bahnhöfen an seiner roten Tasche erkennt, waren alphabetisch über 130 Seiten alle Berufe aufgelistet, die man sich in der Schweiz damals vorstellen konnte. Es gab jeweils eine kurze Beschreibung und oft noch eine Adresse, wo sich der interessierte Knabe Informationen holen konnte.

Heute bereue ich, nicht etwas Anspruchsvolles studiert zu haben. Doch die Schulzeit hatte es geschafft, meine Neugier auf das Leben und die Freude am Lernen zuzuschütten. Mir war einfach nicht danach, in irgendeiner Hochschule das universitäre Äquivalent einer Schulbank zu drücken. So nahm ich dieses Berufslexikon für Knaben zur Hand – Googeln gab es noch nicht – und schrieb überall dorthin, wo ein interessantes Berufsbild mit überschaubarem Lernaufwand und einer Prise Abenteuer winkte. So erhielt ich neben vielen anderen spannenden Antworten auch einen detaillierten, außerordentlich höflichen Brief von der Alpina Reederei AG am Wiesendamm 4 in Basel. Mit der Matura könnte ich sogar ein Nautik-Studium in Deutschland anstreben und ein Kapitänspatent erwerben. Voraussetzung wäre allerdings, dass ich erst meinen Militärdienst leistete und anschließend zwei Jahre Praktikumsfahrzeit auf Schweizer Hochseeschiffen absolvierte. Das erschien dem Lernmuffel eine durchaus valable Lösung: Erst ein bisschen arbeiten und dann studieren.

Außerdem und nach einem mäßig spannenden Leben konnte es nicht schaden, einmal etwas ganz anderes zu tun. Berufslexikon für Knaben? Hochseeschifffahrt! Meine Mutter fand diese Berufswahl genauso wenig berauschend wie vorher das Taxifahren. Dafür freute sich mein Vater. Er behauptete auf einmal, er hätte in seiner Jugend immer davon geträumt, zur See zu fahren. Ich fuhr also nach Basel zur Alpina Reederei, stellte mich vor und bekam eine Anmusterung auf dem M/S Maloja im Sommer 1985 nach dem Militärdienst in Aussicht gestellt.

Ich hatte mir bei der Aushebung eine Truppengattung ausgewählt, bei der – wie ich hoffte – es ein wenig sportlich zuging. Ich wurde Radfahrer Mitrailleur. Es war eine bittere Enttäuschung. In die Rekrutenschule 26/ 226 in der Kaserne Drognens nahe beim freiburgischen Städtchen Romont rückte ein Haufen sportaffiner junger Männer ein. Wir waren alle in irgendwelchen nationalen oder regionalen Kadern von verschiedenen Sportarten. Natürlich gab es jede Menge Rad-Amateure und Rad-Elite-Amateure. Ich spielte in dieser Saison 1985 Wasserball in der höchsten Schweizer Spielklasse.

Wir hatten nicht nur Lust auf Bewegung und sportliche Leistung. Wir standen auch der Vision der Schweizer Landesverteidigung und dem Milizsystem der Armee positiv gegenüber. Es musste halt einfach sein. Die militärische Grundausbildung kam damals in einem bekömmlichen Format von siebzehn Wochen daher. Es brauchte aber nicht einmal die Hälfte dieser Zeit, um aus dieser leistungsbereiten, motivierten Truppe einen apathischen, frustrierten Haufen zu machen.

Ich konnte damals nicht begreifen, wieso man positiv eingestellte junge Männer bis zur Ermattung schikanierte. Die meisten von uns hatten ja das Zähnezusammenbeißen schon im Sport gelernt. Wo war hier der Sinn? Im Verlauf meines weiteren Lebens sollte ich davor stehen, Entscheidungen über Leben und Tod treffen zu müssen. Im Piratengebiet obliegt es ja dem Frachterkapitän, den Schießbefehl zu geben, wenn er bewaffnete Wächter an Bord hat. Obwohl ich mehrmals mit ehemaligen Elitesoldaten und ihren halbautomatischen Waffen durch den Golf von Aden gefahren bin, ist mir dieser Schießbefehl – dem Meeresgott Neptun und seinem illustren Gefolge sei es mit allem Nachdruck gedankt – erspart geblieben. So denke ich inzwischen...

Blick ins Buch

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