Einladung
Aus welchem Grund auch immer Sie zu diesem Buch gegriffen haben, begrüße ich Ihre Neugierde und Ihren Wunsch, mehr über die wichtige Aufgabe zu erfahren, Kinder zu bekommen. An diejenigen Frauen, die gerade schwanger sind, habe ich ganz besonders gedacht, als ich dieses Buch schrieb.
Betrachten Sie es als eine Einladung, die wahre Kompetenz des weiblichen Körpers während der Wehen und der Geburt kennen zu lernen. Mein Buch ist keine populärwissenschaftliche Zusammenfassung des gegenwärtigen medizinischen Wissens. Davon gibt es in Buchläden bereits mehr als genug. Was ich mit der wahren Kompetenz des weiblichen Körpers meine, sind die tatsächlichen Erfahrungen von Frauen, egal, ob diese nun medizinisch anerkannt sind oder nicht. Meiner Ansicht nach sind jene Aussagen über den weiblichen Körper am glaubwürdigsten, die medizinische Erkenntnisse aus den vergangenen hundert Jahren mit dem Wissen verbinden, das Frauen schon immer hatten, bevor die Geburt ein Fall fürs Krankenhaus wurde. Dieses Buch beabsichtigt, Ihnen die besten und aktuellsten Informationen über die wahren Fähigkeiten von Frauen in den Wehen und bei der Geburt zu liefern und Ihnen zu zeigen, wie Sie diese im Zusammenhang mit dem bestmöglichen Einsatz moderner Geburtstechnologien anwenden können. Ich möchte Sie ermutigen und informieren.
Seit über drei Jahrzehnten arbeite ich als Hebamme. Ich wohne in einem Dorf in den Vereinigten Staaten, wo Frauen und Mädchen wenig oder gar keine Angst vor der Geburt eines Kindes haben. Meine Kolleginnen und ich brachten mehr als 2200 Babys mit auf die Welt, die meisten zu Hause oder in unserem Geburtshaus. Unsere Arbeitsmethode half mir zu Erkenntnissen über Frauen, die in der medizinischen Ausbildung nicht vorkommen. Es ist schwer zu sagen, ob die Frauen aus unserem Dorf weniger Angst vor einer Geburt haben, weil sie wissen, dass unsere weiblichen Fähigkeiten weit über das medizinische Verständnis hinausgehen, oder ob unsere Fähigkeiten besser zur Entfaltung kommen, wenn wir keine Angst haben. Tatsächlich stimmt beides.
Unser Dorf heißt »Die Farm« und liegt im Süden des US-Bundesstaates Tennessee in der Nähe von Summertown. Mein Mann und ich gründeten es 1971 mit ein paar Hundert anderen Pionieren. Bis heute leben und arbeiten wir dort. Eine der einzigartigen Besonderheiten unserer Gemeinschaft besteht darin, dass sich die Männer von Anfang an nicht in die Vorstellungen der Frauen bezüglich der Organisation und Art ihrer Geburtshilfe eingemischt haben. Gleichzeitig unterstützten sie uns mit ihrem technischen Können, um unsere Geburtshilfe zu optimieren. Bei uns haben Männer niemals bestimmt, wo oder wie unsere Babys geboren werden sollten.
Lassen Sie mich noch einmal auf die Angst vor der Geburt zurückkommen. Ich behaupte nicht, dass die Frauen, die auf der Farm gebären, nicht auch Momente der Angst erleben, wenn die Geburt ihres Kindes kurz bevorsteht, und dass sie anzweifeln, ob sie diese schier unmögliche Leistung vollbringen können. Ich bin sicher, dass jede Frau hin und wieder diese Zweifel in sich hegte. Schließlich ist es nicht für jeden Menschen, der in einer zivilisierten Gesellschaft vor allem ohne Tiere aufgewachsen ist, offensichtlich, wie eine Geburt vor sich geht. Wenn bei den Frauen in unserem Dorf diese Zweifel auftauchen, können sie sich auf die Sicherheit stützen, dass ihre engsten Freundinnen, Schwestern und Mütter es auch geschafft haben. Diese Gewissheit lässt sie daran glauben, dass auch sie dazu fähig sind, egal, ob sie bereits einmal einer Geburt beigewohnt haben oder nicht. Die Frauen auf der Farm haben weibliche Verhaltensweisen wieder entdeckt und mit großem Erfolg angewandt, deren Vorteile Frauen aus der so genannten Zivilisationsgesellschaft nicht bekannt sind und die weit über den herkömmlichen medizinischen Kenntnisstand des weiblichen Körpers und der Geburt hinausgehen.
Aus meiner Erfahrung als Hebamme kann ich sagen, dass der Körper einer Frau immer noch funktioniert. Nun haben Sie die Chance, sich altes Wissen wieder anzueignen und es all den bisherigen Informationen über die Geburt hinzuzufügen. Wo und auf welche Weise auch immer Sie gebären wollen, wird das Geburtserlebnis Ihre Gefühle, Ihre Denkweise, Ihren Körper und Ihre Seele für den Rest Ihres Lebens prägen.
In meinem Dorfa sehen die Frauen einer vaginalen Spontangeburt entgegen, denn auf diese Weise bringt jede Frau ihr Kind zur Welt, mit einer oder zwei Ausnahmen pro Hundert. Natürlich müssen wir hin und wieder eine Frau ins Krankenhaus bringen, um einen Kaiserschnitt oder eine Instrumentengeburt durchzuführen, aber diese Eingriffe sind bei den Frauen, die auf der Farm gebären, vergleichsweise selten. (Unsere Kaiserschnittrate lag bis zum Jahr 2000 bei 1,4 %, die Rate der Zangen- und Saugglockengeburten bei 0,05 %. Die amerikanische Kaiserschnittrate dagegen lag im Jahr 2001 bei 24,4 % und die Instrumentengeburtenrate bei ungefähr 10 %.) Die Frauen auf der Farm wissen, dass die Wehen schmerzhaft sein können, aber viele von ihnen sind sich auch bewusst, dass die Wehen und die Geburt ein ekstatisches – ja sogar orgastisches – Erlebnis sein können. Aber vor allem sind die Wehen und die Geburt für diese Frauen eine Erfahrung, die ihnen ungeheure Kräfte verleiht, egal, ob sie die Wehen als schmerzhaft erleben oder nicht.
Haben Sie noch nie zuvor gehört, dass jemand positiv über die Wehen und die Geburt sprach? Falls dem so ist, sind Sie nicht allein. Dass eine Geburt ein ekstatisches Erlebnis sein und ungeahnte Kräfte verleihen kann, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse der westlichen Kultur. Eine Frau, die ihre Geburt ekstatisch erlebt, gewinnt an innerer Stärke und Weisheit, wie Sie anhand der nachfolgenden Geburtsgeschichten erfahren werden. Selbst wenn die Frauen in meinem Dorf schmerzhafte Wehen haben, wissen sie, wie man die Wehen und die Geburt erträglich machen kann, ohne die Sinneswahrnehmung durch Medikamente zu beeinträchtigen. Wenn Sie die wahre Weisheit und Kraft spüren wollen, die im Erleben der Wehen und der Geburt verborgen sind, sollten Ihre Sinne hellwach bleiben.
In Teil I dieses Buches erzählen Frauen von ihrem Geburtserlebnis. Einige Berichte stammen aus der Generation, die in unserem Dorf Pionierarbeit in der Geburtskultur geleistet hat. In anderen kommen die Töchter und Schwiegertöchter dieser Frauen zu Wort, die bereits selbst – oder deren Partner – in dieser Kultur aufgewachsen sind. Es befinden sich auch Geschichten von Frauen darunter, die zu Hause geboren wurden und in unserer Geburtskultur aufwuchsen und die ihre Kinder wiederum mit Hilfe einer Hebamme zur Welt gebracht haben. Wieder andere Frauen wollten unsere erfolgreiche Geburtshilfe in Anspruch nehmen und kamen in unser Geburtshaus, um dort zu gebären. Wenn Sie gerade schwanger sind oder in naher Zukunft ein Kind planen, werden Sie diese Berichte vielleicht immer wieder einmal nachlesen wollen, um sich während der Vorbereitung auf Ihre eigene Geburt seelisch zu stärken.
Als mein erstes Buch Spiritual Midwifery 1975 (deutsche Ausgabe Spirituelle Hebammen. Faszinierende Geburtserlebnisse, München: Hugendubel 1989) erschien, gehörte es zu den ersten nordamerikanischen Geburtshilfe-Büchern, die veröffentlicht wurden. In kurzer Zeit wurden mehr als eine halbe Million Exemplare davon verkauft und es wurde in mehrere Sprachen übersetzt, sodass ich nicht nur bei einer ganzen Generation von werdenden Müttern und deren Partnern bekannt wurde, sondern auch bei einer erstaunlich großen Anzahl von Ärzten und anderen Geburtshelfern. In einigen Ländern wurde das Buch in den Lehrplan von Hebammen-Schulen aufgenommen. Manche Ärzte berichteten mir, dass ihnen mein Buch half, so manche Ängste hinsichtlich der Entbindung zu überwinden, die sie während ihrer Ausbildung aufgebaut hatten. Ich machte die Bekanntschaft mit einer Schar von Ärzten, die sich selbst als »MDs« bezeichneten (»Midwives in Disguise«; dtsch. »Verkappte Hebammen«).
Aufgrund meines Buches und der darin veröffentlichten Geburtsstatistiken wurde ich überall auf der Welt eingeladen, um über die Arbeit von meinen Kolleginnen und mir mit Geburtshelfern und Frauen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen zu berichten. Durch diesen multikulturellen Austausch erhielt ich einen großen Überblick über Geburts- und Nachsorgemethoden und konnte unsere Entbindungsmethode mit anderen vergleichen. Auf diese Weise stellte ich fest, dass die Entbindungsmethoden in manchen Ländern der bestmöglichen Funktion des weiblichen Körpers entgegenwirkten. Die Erfahrung hat mir auch gezeigt, welch wichtige Rolle die Hebamme in jeder Gesellschaft spielt und wie wichtig es ist, dass Hebamme ein eigenständiger Beruf bleibt – unabhängig von der schulmedizinischen Geburtshilfe, wobei Hebammen in den seltenen Fällen, wo es notwendig ist, jederzeit mit Geburtshelfern zusammenarbeiten können sollten.
Vor nicht allzu langer Zeit sagte ein mit mir bekannter Geburtshelfer, die letzten beiden Seiten meines Buches Spiritual Midwifery seien am interessantesten. Er meinte damit die darin veröffentlichte Geburtsstatistik unserer Farm und sagte: »Sie müssen mir erklären, wie Sie diesen Erfolg geschafft haben, sodass alle Geburtshelfer in Krankenhäusern Ihr Wissen in ihre Arbeit integrieren können.«
In Teil II dieses Buches komme ich seiner Bitte nach. Darin erkläre ich, warum die Geburtsmethode unserer Farm ein so großer Erfolg geworden ist. Ich schildere die Richtlinien unserer Arbeit und empfehle Methoden der Hausgeburt, die sich auf Krankenhausgeburten übertragen...