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Die soziale Konstitution der Umwelt

AutorKlaus Kraemer
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl292 Seiten
ISBN9783531910284
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR
Das Buch bietet eine sozialtheoretische Perspektive auf die Umweltproblematik, um so in Abgrenzung zum verbreiteten naturalistischen Primat der Nachhaltigkeitsdebatte gesellschaftliche Gestaltungsspielräume auszuloten, die sich nicht in reinen Anpassungsleistungen an die physischen 'Grenzen des Wachstums' erschöpfen, sondern soziale Chancen zur erweiterten - nachhaltigen - Inwertsetzung von Umweltpotenzialen und zur Entschärfung von ökologischen und sozialen Zielkonflikten eröffnen.

PD Dr. Klaus Kraemer vertritt eine Professor am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms Universität Münster

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Leseprobe
IV. Umwelt in der soziologischen Theorie (S. 53-54)

Die Frage nach der Konstitution von Gesellschaft steht im Mittelpunkt der modernen soziologischen Theorie. Handlungs-, Konflikt-, kommunikations- und systemtheoretische Ansätze verfolgen hierbei ganz unterschiedliche Strategien und Zugänge. Je nach erkenntnistheoretischem Interesse und konzeptioneller Architektonik werden grundverschiedene Aspekte der Konstitutionsproblematik von Gesellschaft aufgeworfen. Bereits allen verwendeten Grundbegriffen wie Handlung und Struktur, Individuum und Gruppe, Klasse und Schicht, Konflikt und Herrschaft, System und Kommunikation ist jedoch gemeinsam, dass die Relation Umwelt- Gesellschaft – im Sinne der Vergesellschaftung von Umwelt und der Materialität von Gesellschaft – kaum hinreichend reflektiert und in die Konstitutionsproblematik eingearbeitet wird.

Gerade vor dem Hintergrund der Herausbildung der Soziologie als eigenständige akademische Disziplin im Verlauf des 19. Jahrhunderts kann nachvollzogen werden, dass klassische soziologische Theorieansätze die Interaktion von Umwelt und Gesellschaft aus zunächst nachvollziehbaren Gründen ausgeklammert haben. Zwar hat die Soziologie immer schon Gesellschaft nicht in einem naturfreien Raum verortet. Gleichwohl hat sie ihren Forschungsgegenstand in Abgrenzung zu naturalistischen Strömungen zu bestimmen versucht, die beispielsweise die Variabilität des menschlichen Verhaltens mit dem Hinweis auf unterschiedliche Klimazonen oder naturräumliche Besonderheiten erklären, die Geschichte von Gesellschaften darwinistisch bzw. evolutionsbiologisch interpretieren, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auf biologische Unterschiede zurückführen oder die psychischen Triebstrukturen und – neuerdings – die genetische Erbausstattung der Menschen als alles entscheidenden Erklärungsfaktor in den Mittelpunkt rücken. Die Geschichte der Soziologie im ausgehenden 19. und im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist deswegen immer auch eine Geschichte der Auseinandersetzungen mit dem Sozialdarwinismus, dem Klimadeterminismus, dem Rassismus oder der Soziobiologie gewesen.

Die Zurückweisung naturalistischer Ansätze ist gerade für die Gründergeneration der Soziologie von Durkheim über Simmel bis Weber von konstitutiver Bedeutung gewesen (vgl. Grundmann 1997b). So wendet Durkheim in der Studie Über die Arbeitsteilung (1988: 323) aus dem Jahr 1893 gegen Herbert Spencer ein, dass die Strukturen der sozialen Arbeitsteilung letztlich nicht auf die Verschiedenheit der Bodenbeschaffenheit und der klimatologischen Bedingungen in unterschiedlichen geografischen Räumen zurückgeführt werden kann: „Zweifellos zeichnen die äußeren Bedingungen die Individuen, die unter ihrem Einfluß leben, insofern sie verschieden sind, differenzieren sie diese Individuen.

Es handelt sich indessen darum zu erfahren, ob diese Verschiedenheit, die zweifellos nicht ohne Beziehungen zur Arbeitsteilung ist, genügt, um diese zu veranlassen. Gewiß kann man sich erklären, daß die Einwohner je nach den Eigenschaften des Bodens und den Klimabedingungen hier Weizen und dort Schafe oder Rinder erzeugen. Aber diese Funktionsunterschiede erschöpfen sich nicht immer, wie in diesen beiden Beispielen, in einfachen Nuancen. Sie sind vielmehr manchmal so ausgeprägt, daß die Individuen, zwischen denen die Arbeit geteilt wird, entsprechend viele unterschiedliche und sogar entgegengesetzte Gattungen bilden. (...) Was haben der Dichter, der in seinem Traum, und der Gelehrte, der ganz in seine Untersuchungen ver sunken ist, der Arbeiter, der sein Leben damit verbringt, Nadelköpfe zu machen, der Bauer, der hinter dem Pflug geht, der Kaufmann hinter dem Ladentisch gemeinsam? Wie groß auch die Varietät der äußeren Bedingungen sein mag, sie weist nirgends Unterschiede auf, die mit derartig starken Gegensätzen vergleichbar wären, und kann diese auch kaum erklären."
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis5
Vorwort7
I. Einleitung8
II. Problemstellung: Die soziologischen Defizite der Nachhaltigkeitsdebatte13
1. Was ist nachhaltig? Strong vs. weak sustainability16
2. Soziale Nachhaltigkeit31
III. Umwelt in der Umweltsoziologie36
IV. Umwelt in der soziologischen Theorie49
1. Umwelt und Handeln in der philosophischen und soziologischen Anthropologie52
2. Soziologische Theorie und Umwelt71
3. Umwelt und Gesellschaft – Interdisziplinäre Brückenkonzepte104
V. Die soziale Konstitution von Umwelt144
1. Umwelt145
2. Umweltfunktionen und soziale Inwertsetzung146
3. Inwertsetzung von Umwelt als sozialer Konstitutionsprozess155
4. Die Geltungsreichweite des Sozialen165
VI. Umwelt und Verteilung169
1. Globale Gefahrengemeinde? – Von der Nivellierung der Gefährdung zur Ungleichheit der Nutzung170
2. Umwelt und soziale Ungleichheit173
3. Verteilungsstrukturen der Umwelt und soziologische Ungleichheitstheorie176
4. Umwelt und Eigentum180
5. Umwelt und Wissen187
6. Umweltnutzung und Wissensasymmetrien189
7. Verteilungsdimensionen von Umwelt193
8. Methodologische und methodische Probleme210
VII. Umwelt als sozialer Konflikt214
1. Umwelt als strategischer Konflikt214
2. Umwelt als Wertkonflikt218
3. Soziale Konflikte um Emissionsrechte und Risikobewertungen223
VIII. Umwelt und soziale Integration228
1. Dynamik des sozialen Wandels – Teilhabe und soziale Integration229
2. Materielle Kultur und soziale Integration233
3. Alltagsorganisation und soziale Integration240
4. Distinktion und soziale Integration243
5. Schlussfolgerungen: Nachhaltigkeit und soziale Integration247
Literatur258

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