2. Die Bedeutung von Integration
2.1 Das Problem der Integration
Das Thema dieser Arbeit, „Die Sozialintegration der türkischen Nachfolgegenerationen in der Bundesrepublik Deutschland“, bedarf zunächst der Aufklärung des Begriffes Integration, denn Integration sei – umstritten, umbestimmt, komplex und kompliziert. Das Wort Integration hat sein Ursprung aus dem lateinischen; „integrere“ bedeutet „Wiederherstellung eines ganzen“ (Duden-Fremdwörterbuch 2005). Integration beschäftigt sich in der Soziologie mit den Prozessen der Eingliederung von Ausländern in die Mehrheitsgesellschaft, daher handelt es sich um ein „Grundbegriff der Soziologie“ (Glatzer 2004: 15).
Es gibt viele unterschiedliche Begriffe, die die Eingliederung eines Migranten beschreiben. Allgegenwärtige Begriffe sind Integration, Assimilation, Akkulturation, Absorption, Adaption, Isolation, Marginalisierung, Segregation, usw. Die wohl bekanntesten und seriösesten Theoretiker der Migrationforschung und somit des Begriffes Integration, sind Park (1928), Taft (1953), Eisenstadt (1954) und Gordon (1964). Diese international anerkannten Autoren gehören zu den ersten Migrationsforschern, die sich mit dem Thema befasst haben und in diesem Gebiet bedeutende Kenntnisse erlangt haben, die noch heute als Meilensteine der Integrationsforschung gelten. Noch heute ist wissenschaftliches Arbeiten zum Thema Integration ohne die Vorkenntnisse der genannten Autoren undenkbar.
Wie Hoffmann-Nowotny schon treffend gesagt hat, „man übertreibt sicher nicht, wenn man behauptet, die Geschichte der Menschheit sei auch eine Geschichte der Wanderungen“ (Hoffmann-Nowotny 1990: 15). Die Bedeutung der Eingliederung von Ausländern, die klassischen Eingliederungsansätze, basieren vorwiegend auf Immigrationsforschungen der USA (Deligöz 1999: 24). Denn die Vereinigten Staaten von Amerika (und eigentlich der ganze Kontinent) sind von Anfang an ein Einwanderungsland gewesen und sind es immer noch. Kein anderes Land besteht aus so vielen verschiedenen ethnischen Gruppen wie die USA. Integration ist etwas Selbstverständliches für die Amerikaner, auch wenn es dort ebenso seine Schwierigkeiten hervorbringt.
Trotz zahllosen Forschungsansätzen und Theorien hat man sich bei dem Konzept der Integration nicht auf eine allgemein gültige Definition einigen können. Es gibt vor allem große Diskrepanzen hinsichtlich der Begriffe Integration und Assimilation, die entweder für das Gleiche gehalten werden oder im Gegensatz zu einander gesehen werden. Die genauere Begriffserläuterung wird im Verlauf dieses Kapitels nahe gebracht. Die meisten Autoren, die über die Eingliederung von Ausländern sprechen, benutzen vorwiegend den Begriff Integration, wenn sie über die Eingliederung der Ausländer sprechen. Dieser Begriff, wiederum, wird dann häufig auch in verschiedenen Dimensionen eingeteilt, wie z.B. soziale, strukturelle, politische, gesellschaftliche, kulturelle, assimilative Integration, usw. (die im Abschnitt von Esser genauer erläutert werden). Nichtsdestoweniger, man spricht von Integration.
In der Literatur, sei es, empirische Studien, Berichte für die Regierung, Aufsätze der Bevölkerungsforschung, Ergebnisse von Surveys und Arbeitspapieren, Integration wird mehr oder minder immer gleich verstanden. Im Großen und Ganzen ist eines sicher: Integration ist ein zweiseitiger und andauernder Prozess. „Die Beachtung sowohl der Integrationsbereitschaft, des Integrationswillens der Zuwanderer als auch der Aufnahmemöglichkeiten und der Aufnahmefähigkeit der Aufnahmegesellschaft sind grundlegende Vorraussetzungen für eine erfolgreiche Integration. Damit ist Integration stets ein wechselseitiger und langwieriger Prozeß, beruht Integration auf Gegenseitigkeit und schließt komplizierte Lern- und Gewöhnungsprozesse ein“ (Wendt 1999: 14).
Ferner ist „Chancengleichheit“ ein weiterer Aspekt einer zweckvollen Integration. „Ziel ist es dabei, Migrantinnen und Migranten die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Deutschland zu ermöglichen“ (Die Bundesregierung 2005: 3). Heckmann/Tomei fassen beide Aspekte zusammen: „Integration wird allgemein verstanden als die Abnahme von Unterschieden in den Lebensumständen von Einheimischen und Einwanderer. Integration ist ein Prozeß, der über Generationen verläuft“ (Heckmann/Tomei 2003: 4).
Integration soll also eine gleichberechtigte Teilhabe am alltäglichen Leben ermöglichen und dazu werden selbstverständlich die einzelnen Lebensbereiche analysiert; Ansonsten ist Integration dementsprechend eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur gemeinsam von Ausländern und Einheimischen in einem komplexen gesellschaftlichen Prozess erfolgreich gemeistert werden kann. Aber wie ist das hinsichtlich der Eingliederung in der Bundesrepublik Deutschland?
Im deutschsprachigen Raum haben insbesondere Hoffmann-Nowotny (1973/1990) und Esser (1980/2001) sich etabliert, da ihr Schwerpunkt in der Gastarbeiterforschung in Europa liegt (vgl. Blume 1988: 7 / Deligöz 1999: 24, Glatzer 2004: 14 / Mammey 2005: 35). Dies bestätigen die Theoretiker auch selber (vgl. Hoffmann-Nowotny 1990: 15 / Esser 2001: 17). Beide Theorien über die Eingliederung von Ausländern basieren auf sehr unterschiedlichen Methoden. Hoffmann-Nowotny sieht die Integrationschancen der Migranten in funktionalistischer Sicht, d.h. der Autor konzentriert sich nur auf einen Teilgebiet der Integration; der Autor bestimmt die Integration aufgrund der Struktur der Aufnahmegesellschaft. Esser jedoch betrachtet Integration als etwas, das über das Individuum vermittelt wird, gemäß dem methodologischen Individualismus. Dieser Ansatz der Handlungstheorie untersucht die Handlungsmotive und Handlungsbeschränkungen des einzelnen Menschen. Nach wie vor machen diese beiden Migrationsforscher eine Differenzierung zwischen Integration und Assimilation. Diese Differenzierung besteht aufgrund der unterschiedlichen theoretischen Ansätze, die in den einzelnen Abschnitten der Autoren noch erläutert werden. In den nächsten Teilabschnitten der Arbeit werden die Theorien von Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny und Hartmut Esser genauer analysiert.
2.2 Integration nach Hoffmann-Nowotny
Hoffmann-Nowotny erwähnt in seinen Forschungsarbeiten über Integration, dass es bisher keine Einigkeit und Vereinheitlichung über das Konzept des Begriffes Integration gegeben hat. „Was ich vor nunmehr fast zwanzig Jahren (Hoffmann-Nowotny,1973; 171) festgestellt habe, gilt auch heute noch in exakt gleicher Weise: Das genannte Verhältnis des Einwanderers zur Einwanderungsgesellschaft ist sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der öffentlichen Diskussion weit davon entfernt, terminologisch einheitlich gefasst zu sein“ (Hoffmann-Nowotny 1990: 16). Diese Aussage zeigt noch einmal die prekäre Lage rund um den Begriff Integration.
Um eine Definition von Integration darzulegen greift er auf Eisenstadt zurück, der von Absorption in drei Stufen spricht (vgl. Hoffmann-Nowotny 1973: 171):
Akkulturation:
Phase, in der der Einwanderer „die verschiedenen Rollen, Normen und Gebräuche der aufnehmenden Gesellschaft lernt“.
Zufriedenheit und persönliche Anpassung:
„Art und Weise, in welcher der Einwanderer sich mit den Schwierigkeiten, die seine Situation impliziert, auseinandersetzt“.
institutionelle Dispersion:
Der Zustand indem die vollständige Zerstreuung des Einwanderers als eine Gruppe innerhalb der wichtigsten institutionellen Bereiche der aufnehmenden Gesellschaft stattfindet. Diese Dimension „bezieht sich auf die Tatsache, ob die Einwanderer innerhalb der Struktur des Einwanderungslandes an bestimmten Stellen konzentriert oder gleichmäßig über alle Ebenen verteilt sind“.
Hoffmann-Nowotny geht von den Begriffen "Assimilation" und "Integration" aus, die sich mit den Dimensionen "Akkulturation" und "institutioneller Dispersion" Eisenstadts decken. Um jedoch die zentralen Aspekte der Eingliederung anhand einer allgemeinen Theorie zu konzeptualisieren, stellt er das „Struktur-Kultur Paradigma“ vor. Er unterscheidet „zwei grundlegende Dimensionen der sozialen Realität“ (Hoffmann-Nowotny 1973: 16 / 1990: 172). Hierbei handelt es sich um „Kultur“ und „Gesellschaft“. Dabei wird Kultur als Symbolstruktur und Gesellschaft als die Positionsstruktur der sozialen Realität bezeichnet.
Anhand der Erkenntnisse von Eisenstadt und die Theorie des „Struktur-Kultur Paradigma“ bedeutet Integration die Partizipation an der Gesellschaft und Assimilation...