3. Beobachtung:
Viele Eltern und Großeltern verstehen die Lebensläufe ihrer Kinder bzw. Enkel nicht mehr.
Die unter der »2. Beobachtung« beschriebene Entwicklung führt gleichzeitig dazu, dass viele Eltern und Großeltern Lebens- und Berufswege ihrer Kinder beziehungsweise Enkel nicht mehr verstehen. Ein süßes Beispiel hierzu ist der Videoclip der Innovations-Agentur Dark Horse, in dem eine 100-jährige Oma den Job ihres Enkelsohns erklärt: »Da hat er zusammen mit anderen eine Firma gegründet. Die beraten Firmen. Große Firmen und auch kleine Firmen, die Schwierigkeiten mit dem Absatz haben. Da denke ich mir, dass er eben hingeht und sagt ›Brauchen Sie Beratung?‹. Oder wir schauen in die Zeitung auf Annoncen und sehen, wer da vielleicht irgendwas sucht, der so etwas brauchen kann. Und dann melden wir uns. Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind sehr gut. Das wird sehr viel angenommen, weil die Menschen, viele, können ihren Betrieb nicht so leiten, wie er geleitet werden müsste. Und ihre Waren nicht so anpreisen, wie es sein müsste.«45
Auch meine Mama tut sich des Öfteren schwer damit, zu erklären, was wir Kinder denn jetzt genau machen. Berufe werden immer vielfältiger und oftmals auch digital. Und auch die Lebensstile verändern sich. So war mein Papa noch vor einigen Jahren leicht schockiert, als meine Schwester und ich ihm erzählten, wir wollen uns später mal eine Nanny finanzieren, die bei der Kinderbetreuung hilft, damit wir wieder frühzeitig in den Job zurückkehren können. Und wenn ich heute davon erzähle, was meine Pläne für die nächsten ein, zwei, drei Jahre sind, hören meine Eltern gespannt zu und kommentieren: »Das wäre bei uns früher so nie möglich gewesen. Aber mach du mal!«
4. Beobachtung:
Wir (er-)leben die Arbeitswelt viel globaler.
Einen starken Einfluss auf die Arbeitswelt nachrückender Generationen hat die Globalisierung: sowohl in Bezug auf Zu- und Abwanderung von Menschen als auch auf die digitale weltweite Vernetzung. Laut dem Trendkompendium 2030 von Roland Berger leben aktuell drei Prozent der Weltbevölkerung außerhalb ihrer Heimatländer.46 Tendenz steigend. Deutlich höher liegt die Zahl der digitalen Vernetzung. Im Jahr 2014 waren weltweit knapp drei Milliarden Menschen online.47
Vor ein paar Wochen habe ich beispielsweise ein kleines E-Book gemeinsam mit einer Bekannten aus Budapest geschrieben. Wir haben uns übers Netz kennengelernt und nur einmal in Köln getroffen. Kommuniziert haben wir über Skype, WhatsApp und Facebook. Geschrieben in GoogleDrive. Und mein aktueller Web-Grafiker ist in Deutschland geboren und reist aus Jobgründen viel im Ausland umher. Vor einer Woche habe ich mit ihm zwischen Island und Deutschland via Skype kommuniziert. Diese Woche ist er in Asien unterwegs. Und auch Laura, die mich beim Schreiben dieses Buches sehr unterstützt hat, habe ich bisher nur zwei Mal – und dann auch nur kurz – live gesehen.
Eine hohe Migrationsrate junger qualifizierter Menschen verzeichnen aktuell die südlichen Länder Europas wie Spanien, Griechenland und Portugal. Darüber hinaus ist aber auch die Abwanderungsrate hochqualifizierter Deutscher recht hoch. Und während Deutschland aktuell noch das beliebteste nichtenglischsprachige Gastgeberland für Studenten ist, ziehen viele nach ihrem Abschluss weiter. Das heißt: Wir sind schlecht darin, ausländischen Absolventen langfristig gute Jobmöglichkeiten zu bieten. Und genau hierbei verlieren wir unfassbar viel teuer geschultes Potenzial. In Fachkreisen spricht man hierbei von Brain Drain. Dabei könnten wir aufgrund unserer schrumpfenden Bevölkerungssituation qualifizierte Menschen sehr gut gebrauchen. Sowohl um das wachsende Demografieloch zu stopfen als auch, um dem Fachkräftemangel entgegenwirken zu können. So manche Initiativen hat die Politik in den vergangenen Jahren ja bereits organisiert. Beispielsweise werden EU-Migrantinnen und -Migranten unter 28 finanziell unterstützt, wenn sie hierzulande eine Ausbildung machen oder einen Jobstart wagen. MobiPro-Eu heißt dieses Programm, welches von jungen Leuten aus dem Ausland sehr gut angenommen wird. Rund 9100 Förderanträge wurden seit dem Start gestellt (Stand Juli 2015) – 6400 davon für eine Ausbildung und 2700 für eine Stelle als Fachkraft. Junge Flüchtlinge hingegen haben es noch verhältnismäßig schwer, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dabei haben beinahe alle in ihrer Heimat die Schule besucht, knapp die Hälfte hat eine Berufsausbildung und jeder Zehnte ein Hochschulstudium absolviert. Unter ihnen sind Facharbeiter, die gerne arbeiten wollen, oder solche, die eine Lehrausbildung anstreben. Darin steckt viel Potenzial für Betriebe, die händeringend Lehrlinge suchen. 2014 blieben fast 40.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Ein neuer Höchststand in Deutschland – verursacht durch eine zunehmende Akademisierung nachrückender Generationen.
Hauptschüler als Lehrlinge – aus einem Interview mit Porsche-Personalchef Thomas Edig
Porsche bedeutet Luxus, Porsche ist Statussymbol und Lebenseinstellung zugleich. Und Porsche ist ein Vorzeigeunternehmen, wenn es darum geht, auf die Kompetenzen junger Hauptschüler zu setzen und ihnen eine Lehrstelle anzubieten. 40 Prozent der Ausbildungsplätze sind für Hauptschüler reserviert. Bam!
Auf die Frage »Warum?« antwortet Thomas Edig: »Immer mehr Jugendliche machen Abitur und gehen studieren, gleichzeitig sinkt die Zahl der Schüler. Wir sehen das auch als soziale Verpflichtung. Die Hauptschule hat in unserem Bildungssystem massive Schwierigkeiten.« Nach Edig müssten wir in Deutschland viel intensiver bei der Förderung der Jugendlichen ansetzen, die noch nicht einmal ihren Hauptschulabschluss schaffen. »Man kann diese Jugendlichen im Unternehmen entwickeln, wenn man sie fordert und fördert«, so Edig. Bei Porsche selbst werden solche Jugendlichen im »Porsche Förderjahr« ausbildungsreif gemacht – eine Initiative der Betriebsräte und der Ausbildungsleitung. »Von 22 Jugendlichen in den ersten beiden Jahrgängen haben wir 20 in die duale Ausbildung übernommen«, sagt Edig.
Edig fordert Unternehmen auf, nicht nur zu jammern. Man bekäme keine perfekten Jugendlichen fertig gebacken aus der Schule, sondern man müsse Lösungen suchen, wie man den Nachwuchs über duale Ausbildungsmöglichkeiten gut fordern und fördern kann.
Diese positive Entwicklung sollte nicht nur Porsche selbst ermutigen weiterzumachen, sondern auch andere Unternehmen dazu bringen, ähnliche Initiativen zu ergreifen, um jungen Menschen eine Perspektive zu geben.
(Quelle: Handelsblatt, Wirtschaft & Bildung, 5. August 2015)
2015 haben aufgrund der Flüchtlingskrise viele Menschen einen Asylantrag in Deutschland gestellt, die meisten im erwerbsfähigen Alter. Wie Benyamin Ahmadi, ein heute 22-jähriger Junge, der mit 17 aus dem Iran geflohen ist. Ohne Hilfe Dritter wäre Benyamin arbeitslos. Dass er eine Lehre als Steinmetz in Lübeck antreten durfte, hat er Wolfgang Cramer vom Jugendmigrationsdienst zu verdanken. Auf dem Weg zum unterschriebenen Ausbildungsvertrag musste Benyamin eine bürokratische Ochsentour durchlaufen, die so schwer ist, dass noch nicht einmal Behörden selbst die Rechtslage überblicken können. Traurige Realität! Cramer und seine beiden Kollegen sind aktuell für etwa 9000 Jugendliche verantwortlich, von denen sie pro Jahr nur 200 beraten können. Auch das ist traurig! »Das Problem ist«, so Cramer, »dass der Bund sagt, Flüchtlinge seien Ländersache, und die Länder wälzen das Problem gerne auf die Kommunen ab.« Und wenn Flüchtlinge einen Betrieb finden, der ausbilden möchte, bitten sie bei der Ausländerbehörde um Erlaubnis, die in vielen Fällen vom örtlichen Arbeitsamt dann abgelehnt. So stehen Bewerber und Betrieb am Ende häufig ohne Ausbildungsplatz und ohne Azubi da.48
Mythos
»Ein bisschen Migration und ein späteres Renteneintrittsalter werden den demografischen Wandel schon abfedern.«
Wahrheit
»Um Deutschland wettbewerbsfähig zu halten, brauchen wir dringend Migration und Integration in unbekanntem Ausmaß. Wir brauchen 400.000 Personen Nettozuwachs, um die Bevölkerungszahl zu halten. Das ist doppelt so viel wie in der Vergangenheit.«
A. T. Kearney, 2014, »Deutschland 2064 – Die Welt unserer Kinder«. https://www.atkearney.de/web/361-grad/deutschland-2064
Die steigende Globalisierung führt auch dazu, dass wir immer mehr Anglizismen und Jugendwörter in unseren Alltag einbauen.
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Für uns Junge ist das völlig normal. Für ältere Generationen nicht unbedingt. Eine Begegnung mit meiner Oma (82) hatte mir das knallhart vor Augen geführt: Ich saß mit ihr bei Kaffee und Kuchen am Tisch. Wir waren am Plaudern und sie fragte mich, was ich mit dem Rest des Tages anfangen will. »Chillen«, sagte ich. Oma schaute...