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E-Book

Die Sternstunden der Deutschen

AutorGuido Knopp
VerlagEdel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783955309695
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Dramatische Stunden, geballte Emotionen und schicksalsträchtige Momente - das zeichnet sie aus, die Sternstunden der Geschichte. Ob Luthers Thesenanschlag, das entscheidende Tor beim Wunder von Bern oder der Tag, an dem die Mauer fiel: Guido Knopp versammelt 100 Ereignisse, die unserer Geschichte und unserem Gefühl als Deutsche eine neue Richtung gaben. Begleitet von eindrucksvollen Bildern, ist so ein ungewöhnlicher Gang durch die deutsche Geschichte entstanden.

Prof. Dr. Guido Knopp, Jahrgang 1948, war jahrzehntelang Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte. Zuvor war er Redakteur der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' und Auslandschef der 'Welt am Sonntag'. Als Autor publizierte er zahlreiche internationale Sachbuch-Bestseller. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Jakob-Kaiser-Preis, der Europäische Fernsehpreis, der Telestar, der Goldene Löwe, der Bayerische und der Deutsche Fernsehpreis, das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und der Internationale Emmy.

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Leseprobe

1848


Die Paulskirche – das erste deutsche Parlament


Am 18. Mai 1848 trat in der Frankfurter Paulskirche zum ersten Mal eine frei gewählte Nationalversammlung zusammen, um über Grundrechte und die deutsche Einheit zu beraten – eine politische Sensation. Das zersplitterte und monarchisch verfasste Deutschland hatte aus der Mitte des Volkes ein gemeinsames Parlament geschaffen, in dem Volksvertreter aus allen Landesteilen über die Schicksalsfragen der Nation berieten.

Wie in ein Festtagsgewand gehüllt, empfing die schwarz-rot-gold ausstaffierte Paulskirche am Premierentag 330 der insgesamt mehr als 600 gewählten Abgeordneten, die durch die freie Wahl (zumindest des männlichen, nicht fronabhängigen Teils) der deutschen Bevölkerung bestimmt worden waren. Unter ihnen waren zahlreiche Prominente wie der Dichter Ludwig Uhland, der »Turnvater« Friedrich Ludwig Jahn oder der Germanist Jacob Grimm. Einige Wochen zuvor war das Undenkbare geschehen: eine Revolution in Deutschland, der Wille zur Einigkeit in einem zerrissenen Land. Und zwar keineswegs, wie Lenin den Deutschen später süffisant nachsagte, mit einer ordnungsgemäßen Bahnsteigkarte in der Tasche.

Die Märzrevolution des Jahres 1848 hatte aus braven Untertanen entschiedene Barrikadenkämpfer gemacht. Es war ein Volksaufstand ohne Beispiel in der deutschen Geschichte. Binnen weniger Tage waren die eher braven deutschen Biedermeier-Reiche nicht mehr wiederzuerkennen gewesen. Es herrschte Aufruhr im Land: Bauern verbrannten in der allgemeinen Krawallstimmung Grundbücher. Gesellen stürmten neuartige Maschinen, Handwerker verlangten die alte Zunftordnung zurück, Tagelöhner rebellierten gegen ihre Ausbeutung. Erhebliches Drohpotenzial erhielten die Forderungen und Petitionen dabei durch den Druck der Straße. Vielerorts verschanzten sich aufstandsbereite Kleinbürger, Handwerker oder Studenten hinter rasch errichteten Barrikaden. Kämpfe entbrannten mit Soldaten, die zum Schutz der Landesherren aufmarschierten. Zurück blieben jede Menge Tote, Verwundete, zerstörte Gebäude.

Häufig war es allein die Furcht vor unkontrollierbarer Gewalt, die die Machthaber zum Einlenken brachte. In der Hoffnung, die aufgebrachte Bevölkerung zu besänftigen, bewilligten die meisten Könige und Fürsten in ihren Herrschaftsbereichen elementare Grundrechte und ersetzten ihre konservativen Regierungsbeamten durch reformbereite »März«-Minister. Nie zuvor war die Macht der Einzelstaaten so geschwächt, nie war die Aussicht auf eine Verwirklichung des Traums der Demokratie in einem »vereinten« Deutschland greifbarer als in jenen Tagen des Frühjahrs 1848.

Noch bedeutsamer war ein anderes Ergebnis der Unruhen: Zum ersten Mal in der Historie sollte eine demokratische Verfassung für ganz Deutschland beschlossen werden. Frankfurt am Main wurde zum Versammlungsort erkoren. Dort waren schon im Mittelalter die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt worden, und dort hatte der Deutsche Bund seinen Hauptsitz. Das Parlament stand vor Herausforderungen, die gewaltige Kräfte erforderten. Es wollte nicht nur eine Staatsform mit allen Rechten und Regeln neu erfinden und durchsetzen, die diesem Land bis dahin vollkommen fremd war.

Die Parlamentarier waren angetreten, eine einheitliche Verfassung auszuarbeiten, die allen Deutschen Grundrechte und Mitbestimmung garantieren sollte. Doch wie konnte diese Verfassung aussehen? Sollte ein Monarch an der Spitze stehen oder das Volk als Souverän in einer Demokratie gleichberechtigter Bürger? Wie föderal oder zentral sollte das Staatsgebilde beschaffen sein? Außerdem musste zunächst definiert werden, was dieses Deutschland überhaupt war. Gerade die Vormachtstaaten Österreich und Preußen regierten über große Gebiete, die nicht-deutschen Landsmannschaften wie Tschechen oder Polen Heimat waren. Sollten Regionen, in denen Deutsche zahlenmäßig nicht die Mehrheit stellten, auch zum neuen Reich gehören?

»Wenn über manches Zweifel besteht und Ansichten auseinandergehen – über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel. Es ist die Forderung der ganzen Nation.«

HEINRICH VON GAGERN

In der neuen deutschen Nationalversammlung gruppierten sich die Abgeordneten gemäß ihrer jeweiligen Weitsicht. Königstreue, Verfassungsverfechter, radikale Republikaner, gemäßigte Freiheitsfreunde oder welche Richtung auch immer – sie alle formierten sich zu einzelnen Fraktionen, die die Sitzordnung aller künftigen Parlamente prägten. Vom Rednerpult aus betrachtet, umrahmten am linken Rand die Demokraten und am rechten die Monarchisten ihre Abgeordnetenkollegen aus dem politischen Mittelfeld. Das Plenum in der Paulskirche war insoweit mehr als nur ein maßstabsgetreues Abbild des damaligen politischen Spektrums: Es war auch die Urzelle unseres späteren Parteiensystems.

Die Wahl Heinrich von Gagerns zum ersten Parlamentspräsidenten offenbarte die politischen Kräfteverhältnisse in der Nationalversammlung. Von Gagern, auf den mehr als drei Viertel der Stimmen entfielen, war ein weithin anerkannter und aufrechter Liberaler. Doch als Verfechter einer durch Verfassungsregeln gezähmten Monarchie stand er für einen eher behutsamen Umgang mit den alten Gewalten.

Nicht viele konnten sich damals vorstellen, die in Jahrhunderten gewachsenen monarchischen Staatsverfassungen überhaupt auch nur in Frage zu stellen. Nach einer beinahe zwei Wochen währenden Debatte einigte sich die Versammlung auf den »kühnen Griff«, den ihr von Gagern als Lösung nahegelegt hatte: Die provisorische Zentralgewalt sollte nicht von fürstlichen Gnaden, sondern vom Parlament selbst geschaffen werden. Als Entgegenkommen sollte der mehrheitsfähige Kandidat dem monarchischen Establishment entstammen: Die Wahl fiel auf den habsburgischen Erzherzog Johann, einen halbwegs aufgeklärten

Mann, der aber als Onkel des österreichischen Kaisers Ferdinand I. im habsburgischen Traditionsgefüge sehr fest verankert war. Als »Reichsverweser« sollte Erzherzog Johann bis zur Entscheidung über die endgültige Staatsform die Regierungsgeschäfte der zu schaffenden Nation führen. Die Kür des betagten Fürsten war somit eine Vorentscheidung zugunsten der »konstitutionellen Monarchie«. Nach 42 Jahren hatte Deutschland damit wieder ein gemeinsames Oberhaupt.

Der Einzug von Erzherzog Johann in Frankfurt wurde zu einem triumphalen Ereignis. Er selbst schien sich dabei in der Hoffnung zu wiegen, eine Art »Volkskaiser« eines wiedervereinten deutsch-österreichischen Reiches werden zu können. Das sogenannte »Reichsgesetz über die Einführung einer provisorischen Zentralgewalt«, das die Nationalversammlung außerdem verabschiedet hatte, verlieh Erzherzog Johann den militärischen Oberbefehl und die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands. Wie es das Gesetz vorsah, berief der Reichsverweser ein Reichsministerium ein – die erste gesamtdeutsche Regierung. Über die Frage der Grenzen des neuen Nationalstaats aller Deutschen kam es jedoch bald zum Streit mit Österreich, das im »Zerreißen der Monarchie« eine eklatante Schwächung des Vielvölkerstaats befürchtete. Mit diesem Konflikt begannen sich die Abgeordneten der Nationalversammlung in zwei politische Lager aufzusplitten: auf der einen Seite standen die »Großdeutschen«, auf der anderen die »Kleindeutschen«. Die »Kleindeutschen« wollten einen Staat ohne Österreich mit einem preußischen Erbkaiser, aber ergänzend einen völkerrechtlichen »ewigen« Bund mit dem österreichischen Kaiserstaat.

Am 27. März 1849 kam es in der Nationalversammlung zur Abstimmung über eine Reichsverfassung, die Österreich nebst seinen deutschen Gebieten ausschloss. Damit war nicht nur der Traum, sondern auch die große Chance gescheitert, alle Deutschen in einem gemeinsamen Staat zu vereinen.

»Ich sage es Ihnen rundheraus: Soll die tausendjährige Krone deutscher Nation, die 42 Jahre geruht, wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meinesgleichen, die sie vergeben werden; und wehe dem, der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt.«

FRIEDRICH WILHELM IV.

Tags darauf wurde die Wahl des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zum erblichen deutschen Kaiser beschlossen. Wenige Tage später – genauer gesagt am 3. April 1849 – bot eine Abordnung der Nationalversammlung dem Regenten in Berlin die Kaiserkrone an. Doch dieser lehnte den aus »Dreck und Letten (d. h. aus Lehm) gebackenen Reif«, wie er später unter Berufung auf sein »Gottesgnadentum« sagte, kategorisch ab. Der »Ludergeruch der Revolution«, der dieser Krone angeblich anhänge, war ihm Grund genug, sich nicht an die Spitze eines deutschen Nationalstaats zu stellen. Somit war auch die »kleindeutsche« Lösung gescheitert. Zwar erkannten schließlich insgesamt 28 deutsche Staaten die Reichsverfassung an, doch da die vier größten und stärksten Länder – Österreich, Preußen, Sachsen und Hannover – ihr die Anerkennung verweigerten, war der Traum von der deutschen Einheit vorerst ausgeträumt.

Aus Empörung über das Wiedererstarken der Monarchien kam es im Mai des Jahres 1849 in Sachsen, in der Pfalz und in Baden erneut zu bewaffneten Aufständen. In Baden übernahm eine provisorische Regierung die Staatsgewalt. Doch auch diese Revolution scheiterte am Ende. Viele Aufständische wurden nach dem Fall der Festung Rastatt, des letzten Bollwerks der Aufrührer, gleich erschossen oder später hingerichtet.

Mit andern Worten: Keine Einheit, keine Freiheit – Hunderttausende enttäuschter Deutscher verließen in den folgenden Jahren und Jahrzehnten ihre Heimat. Baden verlor sogar ein Fünftel seiner Bevölkerung. Die meisten der Auswanderer gingen nach Nordamerika und...

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