Einleitung
Das merkwürdige Verhältnis zwischen Geld und Glück
„Glücklich möchten alle Menschen werden.
Wenn sie reich wären, würden sie auch glücklich sein,
meinen die meisten, meinen, Glück und Geld verhielten
sich zusammen wie die Kartoffel zur Kartoffelstaude,
die Wurzel zur Pflanze. Wie irren sie doch gröblich!“
(JEREMIAS GOTTHELF)
Das durchschnittliche Glücksempfinden bzw. die Zufriedenheit der Menschen in entwickelten Ländern nimmt schon lange nicht mehr zu, obwohl die durchschnittlichen Einkommen sich mit dem Wirtschaftswachstum stets weiter erhöhen. Das belegen die empirischen Studien, auf die ich mich in Teil I dieses Buches beziehe. Aber das ist noch nicht alles. Umfragen zeigen auch, dass sich immer mehr Menschen gestresst fühlen. Daraus lässt sich eine eindeutige Schlussfolgerung ziehen: Offenbar leben Menschen nicht so, wie es für sie selbst am besten wäre.
Es ginge ihnen insgesamt besser, wenn sie mehr Zeit hätten und dafür auf zusätzliches Einkommen verzichten würden. So zeigt etwa eine Untersuchung, dass Menschen, die Überstunden machen und deshalb mehr verdienen, dadurch nicht glücklicher werden.1 Trotzdem machen aber viele Menschen freiwillig Überstunden und streben generell nach einem immer noch höheren Einkommen. Die interessante Frage lautet deshalb: Wenn die Menschen ein anderes Verhalten glücklicher machen würde, warum ändern sie es dann nicht?
Der Grund liegt in den sogenannten Tretmühleneffekten, welche im Zentrum von Teil II dieses Buches stehen. Auf einer Tretmühle kann man immer schneller laufen und diese immer schneller bewegen, doch man bleibt immer am selben Ort. Genau gleich verhält es sich mit dem menschlichen Streben, durch mehr Einkommen glücklicher zu werden. Die Menschen werden dadurch zwar immer reicher, aber was ihr Glücksempfinden betrifft, treten sie auf der Stelle. Die Hoffnung auf mehr Glück wird ständig enttäuscht, dennoch wird an diesem irrationalen Glauben festgehalten.
Dass Geld nicht glücklich macht, ist keine neue Erkenntnis. Wir alle kennen diese Redewendung seit früher Kindheit. Aber es gibt einen neuen Gedanken, der die alte Volksweisheit wieder in Frage stellt. Er lautet: „Menschen, die behaupten, dass Geld nicht glücklich macht, wissen nicht, wo einkaufen.“ Was ist nun richtig? Die überraschende Antwort lautet: Beide Aussagen treffen heute zu. Die Glücksforschung zeigt uns deutlich, dass mehr Einkommen die Menschen in entwickelten Ländern im Durchschnitt nicht glücklicher macht.2 Doch es stimmt auch, dass wir nur selten wissen, was und wo wir einkaufen sollen, um tatsächlich glücklicher zu werden.
Dies ist aber ein viel tieferes Problem, als es die obige Aussage suggeriert. Mit der Entwicklung hin zu einer Multioptionsgesellschaft wird es immer schwieriger, die Produkte, Dienstleistungen oder Freizeitbeschäftigungen zu finden, die wir tatsächlich bräuchten, um glücklicher zu sein. Wir ertrinken in der Fülle von Möglichkeiten und haben nur mehr selten die Zeit, eine vernünftige Auswahl zu treffen. Der amerikanische Psychologe Barry Schwartz hat dieses Phänomen in seinem Buch „The Tyranny of Choice“ (dt.: Anleitung zur Unzufriedenheit) eindringlich beschrieben. Er zeigt, wie die wachsende Zahl an Produkten und Dienstleistungen und die immer zahlreicher werdenden Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, also die Auswahl zunehmend zur Tyrannei wird. Und diese Tyrannei ist bereits ein Teil der Erklärung, warum Menschen mit steigendem Einkommen nicht glücklicher werden (siehe Kapitel 9).
Dazu kommt, dass es zwar immer mehr Produkte und Dienstleistungen gibt, aber Dinge wie Liebe, Erfolg, Gesundheit oder Schönheit, die wirklich glücklich machen würden, sind nach wie vor nur selten käuflich erwerbbar. Zwar zeigt die Werbung ständig Menschen, die dank neuer Produkte, Seminare, Kurse oder Diäten liebesfähiger, erfolgreicher, schöner und gesünder geworden sind. Doch wenn man es dann selbst versucht, scheitert man oft kläglich. Das „Nicht-Wissen, wo einkaufen“ ist für den modernen Menschen zu einem existenziellen Zustand geworden, der ihn auf unangenehme Weise an seine eigenen Grenzen in einer Gesellschaft der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten erinnert. Mehr Einkommen in mehr Glück zu verwandeln, wird somit zunehmend zur Sisyphusarbeit.
Wir sind aber nicht dazu verdammt, einfach weiter in den Tretmühlen zu verharren und uns weiter vergeblich abzurackern. In Teil III dieses Buchers wird aufgezeigt, wie wir aus den Tretmühlen ausbrechen können, die unmerklich zu einem Teil unseres wirtschaftlichen und sozialen Alltags geworden sind. Wir sollten uns wieder auf den eigentlichen Daseinszweck der Wirtschaft besinnen, den George Bernhard Shaw folgendermaßen beschrieben hat: „Ökonomie ist die Kunst, das Beste aus unserem Leben zu machen.“ Mit anderen Worten: Es geht nicht um Einkommensmaximierung, sondern Ziel der wirtschaftlichen Tätigkeit sind letztlich Glück, Zufriedenheit, Lebensqualität, oder noch wissenschaftlicher ausgedrückt, subjektives Wohlbefinden. Wozu sonst verdient man schließlich sein Geld, das man ja bekanntlich am Ende des Lebens nicht mitnehmen kann?
Der Ausbruch aus den Tretmühlen ist allerdings kein einfacher Prozess, denn diese sind gleichzeitig auch treibende Kräfte des Wirtschaftswachstums. Einerseits ermöglichen sie unseren Wohlstand, aber auf der anderen Seite hindern sie uns an einem glücklicheren Leben. Mit anderen Worten: Ohne Tretmühlen gibt es kein Wirtschaftswachstum und ohne Wachstum geraten moderne Volkswirtschaften in ernsthafte Schwierigkeiten. Dahinter steckt ein grundsätzliches Dilemma moderner Wirtschaften, dem wir in diesem Buch ebenfalls auf die Spur kommen wollen (siehe Kapitel 11).
Aus ökonomischer Sicht geht es bei der Suche nach der Verwirklichung eines glücklichen Lebens um einen zweistufigen Prozess. Erstens müssen wir ein Einkommen erzielen, damit wir uns die Dinge überhaupt leisten können, die wir für ein glückliches Leben brauchen. In dieser Hinsicht sind wir in den Industrieländern im Allgemeinen Profis. Von klein auf lernen wir die Fähigkeiten, die es braucht, um in der Arbeitswelt Karriere zu machen und viel Geld zu verdienen. Leider reicht das aber nicht aus, wie viele Menschen in ihrem späteren Leben schmerzlich erfahren müssen. Man muss auch in der Lage sein, das verdiente Einkommen so zu verwenden, dass es tatsächlich glücklich macht. Das ist die zweite und noch schwierigere Stufe bei der Verwirklichung eines glücklichen Lebens. Und in dieser Beziehung sind wir oft grauenhafte Amateure.
So gut wir beim Geldverdienen sein mögen, so schlecht sind wir bei der Umsetzung des Einkommens in Glück oder Zufriedenheit. Die dafür erforderlichen Fähigkeiten, die sich mit dem französischen Begriff „Savoirvivre“ oder dem deutschen Wort „Lebenskunst“ umschreiben lassen, werden uns in der Schule nicht beigebracht.
Ein Mensch, der nur ans Geldverdienen und Karrieremachen denkt, handelt in Wirklichkeit unökonomisch, weil er damit sein Glück nicht maximiert. Er verhält sich ineffizient, und zwar in dem Sinn, dass er seine ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht optimal nutzt. Die wesentlichen Ressourcen für den einzelnen Menschen sind Zeit und Geld. Das Ziel muss sein, den optimalen Mix von Zeit und Geld zu finden, der zu einem möglichst glücklichen Leben führt.
Bei der Frage nach dem Glück des Einzelnen trifft sich somit die ökonomische Betrachtungsweise mit der Psychologie bzw. der Philosophie. Es geht um eine Rückbesinnung auf den eigentlichen Zweck des Wirtschaftens, der nicht in der Einkommensmaximierung, sondern in der Glücksmaximierung, bzw., wie es die Ökonomen ausdrücken, in der Nutzenmaximierung besteht.
Die in diesem Buch vertretene ökonomische Perspektive deckt sich wesentlich mit der Auffassung des Philosophen Jeremy Bentham (1789), der vor mehr als zweihundert Jahren in England lebte. Bentham ging davon aus, dass die Menschen nach einem glücklichen Leben streben und die beste Gesellschaft demzufolge diejenige ist, in der die Menschen insgesamt am glücklichsten sind. In der Folge erwies sich dieser zunächst einleuchtende Gedanke allerdings als problematisch. Wie sollte man feststellen, wie glücklich die Menschen insgesamt in einem Land sind? Dieser Frage fühlten sich die Ökonomen bald nicht mehr gewachsen, und so strichen sie den Begriff des Glücks aus ihrer Theorie und ersetzten ihn durch den harmloseren Begriff des Nutzens. Harmlos ist dieser Begriff insofern, als er vorsichtshalber so definiert wurde, dass er gar nicht messbar ist. Der Nutzen, so wie er heute in der ökonomischen Theorie verwendet wird, ist eine sogenannte ordinale Größe. Es lassen sich nur Aussagen darüber machen, ob der Nutzen eines Individuums durch bestimmte Handlungen zu- oder abnimmt, aber nicht, um wie viel er zu- oder abnimmt. Aus diesem Grund lässt sich der Nutzen verschiedener Güter nicht einfach addieren, und auch der Nutzen für verschiedene Menschen lässt sich nicht quantitativ vergleichen. Beobachten können wir gemäß der Annahmen der heutigen Standardökonomie nur die Folgen der Nutzenmaximierung der Individuen. Diese führt dazu, dass die Menschen, wenn sie rational handeln, das tun, was für sie am besten ist. Und tun sie das nicht, dann verhalten sie sich irrational, womit die meisten Ökonomen bis vor kurzem nichts zu tun haben wollten. Erst in neuester Zeit erkennt auch die ökonomische Forschung, dass man das Verhalten der Menschen nur verstehen kann, wenn man ihnen eine gehörige Portion Irrationalität zugesteht.
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