Die Geschichte des Gottessohnes
Will man sich ein Urteil über das Übereinstimmen von Werten der Bibel mit Werten der katholischen Kirche machen, ist es unerlässlich, die Aussagen der Bibel genau unter die Lupe zu nehmen. Damit meine ich nicht, dass jeder Interessierte nun ein Theologiestudium absolvieren muss. Nein, dies wäre wohl auch eher hinderlich als förderlich in dieser Sache. Denn bedenkt man den Wissensstand der Protagonisten mehrere tausend Jahre zuvor, bedenkt man zudem, wie sie gelebt haben und unter welchen Voraussetzungen sie ihren Glauben praktizierten, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass auch ein theologisch vollkommen ungebildeter Mensch diese Berichte richtig verstehen können muss. Oder können wir wirklich glauben, dass Moses auf dem Berg Sinai bei der Frage nach Gottes Namen von diesem eine Antwort bekam, über die er erst diverse Abhandlungen lesen musste und die er philosophisch durchleuchtet hat?
Wir können also aus rein logischen Gründen davon ausgehen, dass sowohl Gottes Worte und Taten im Alten Testament als auch die von Jesus für jeden von uns verständlich sind.
Der Gott des Alten Testaments scheint vordergründig ein absolut anderes Wesen zu sein als der des Neuen Testaments. Hier wimmelt es von Katastrophen, Bestrafungen, unglaublichen Forderungen und Regeln. Der liebende Gott, den das Neue Testament darstellt, ist hier nur sehr selten zu finden.
Schaut man jedoch ein wenig genauer und bedenkt man, dass Übersetzer immer eine bestimmte Intention verfolgen, die bei ihrer Wortwahl eine Rolle spielt, ist dieser Gott gar nicht so anders. Er versucht, wie ein Vater es tun sollte, die Menschen auf den Weg der Liebe zu bringen. Er beschützt die, die in Liebe handeln, und vernichtet die, die es nicht tun und auch keine Chance mehr auf Erfolg haben. Einfach, unkompliziert und völlig nachvollziehbar.
Seine Regeln, die er zum Beispiel durch die Zehn Gebote aufstellt, sind durchaus einzuhalten und weniger Vorschriften also logische Konsequenzen aus einem Leben in Liebe. Und so gehen neueste Übersetzungen auch davon aus, dass das »Du sollst nicht …« wohl eher mit einem »Du wirst nicht …« zu beschreiben ist, dem immer ein »Ich bin der Herr, Dein Gott …« vorangestellt ist. Dies hat keine andere Bedeutung als die, dass ein Mensch, der in bedingungsloser Liebe lebt, nur in einer bestimmten Weise handeln kann. Von Forderung keine Spur. Und somit hat Gott auch hier keine Gebote aufgestellt, die niemals zu erfüllen sind, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass die Menschen diese zehn Dinge NICHT tun werden, wenn er als die allumfassende Liebe in ihrem Leben HERRschend ist.
Das Alte Testament erwähnt oft den Wunsch Gottes, dass der Mensch glücklich sein möge. Während diese Teile gerne unterschlagen werden, werden andere hingegen immer wieder als Beweis für die Grausamkeit Gottes herangezogen. Das berühmte »Auge um Auge, Zahn um Zahn« ist wohl der am meisten zitierte Satz, der jedoch weniger von Gott selbst stammt als von Rechtsreformern der damaligen Zeit, die die Blutrache abschaffen wollten. Und auch die Zerstörung ganzer Städte oder allen Lebens wird immer wieder als Beweis genommen, dass Gott rachsüchtig, willkürlich, wütend und gewalttätig ist.
Man könnte über die offensichtlichen Gründe eigene Bücher schreiben, ebenso über die einzelnen Forderungen und Entscheidungen Gottes. Zum Verständnis reicht es meines Erachtens nach jedoch völlig, wenn man sieht, dass Gott immer wieder auf den Weg der Liebe hinweist und erst bei vollkommener Abwesenheit dieser Liebe zu anderen Mitteln greift. Und ob überhaupt ER dies tut, ist eine weitere interessante Frage, denn das vollständige Fehlen von Liebe muss – auch ohne ein Zutun Gottes – zu Zerstörung und Tod führen. Nichts anderes sehen wir in der heutigen Zeit.
Gott selbst jedoch beantwortet die Frage nach seinem wirklichen Wesen umfassend, wenn auch recht kurz: Als Moses ihn auf dem Sinai nach seinem Namen fragt, antwortet er: »Ich bin der Seiende«. Diese Stelle hat unzählige Übersetzungen. Mein Favorit ist jedoch: »Da sprach Gott zu Mose: ›Ich bin, der ich bin.‹ Dann sprach er: ›So sollst du zu den Söhnen Israel sagen: Der Ich bin hat mich zu euch gesandt.‹«1
Gott sagt hier über sich selbst, dass er IST. Nicht, was genau, welchen Namen er hat, über welche Attribute er verfügt. Er sagt über sich selbst, dass er ALLES ist. Die Bedeutung dieses Satzes ist enorm, denn sie verdeutlicht den Unterschied zwischen Gott und den Menschen, erklärt die Notwendigkeit der Dualität, in der wir leben, die Existenz eines einfachen Seins. Zudem macht diese Aussage klar, warum jedes von Gott existierende Bild, jede noch so kleine Vorstellung einfach nur falsch sein kann. Denn er hat keine Charakteristika und gleichzeitig IST er alles. Gott straft mit diesem kurzen Satz alle Lügen, die Aussagen über sein Wesen treffen, und vereint gleichzeitig jede noch so winzige Eigenschaft in sich, sei sie nun positiv oder negativ behaftet. Doch alles, was rein körperlich und ohne Bezug zur Seele ist, schließt er dadurch aus seinem Sein aus. Denn dies gehört in den Bereich der Erfahrung, die nur in der Dualität gemacht werden kann, Gott somit fremd ist. Und genau an dieser Stelle wird eine Verbindung benötigt, die wir im Neuen Testament finden: Jesus. Der einzige Mensch, der es geschafft hat, in der Dualität bedingungslose Liebe zu SEIN.
Kommen wir also damit nun zu dem eigentlichen Punkt, der für Christen ausschlaggebend ist: Das Leben und Wirken von Jesus von Nazareth.
Jesus wurde geboren von Maria, doch schon der Weg dahin ist Grund für jede Menge Diskussionen. War Maria nun Jungfrau, war sie keine? Am Ende bleibt es jedem selbst überlassen, was er glauben möchte. Doch wenn man einmal ehrlich ist, macht es weder Jesus noch Maria weniger bedeutsam, wenn Maria keine Jungfrau mehr gewesen ist, als sie mit Jesus schwanger wurde. Es ändert weder etwas an beider Lebenswegen noch an ihren Überzeugungen, ihrem Glauben oder Taten.
Die Bibel beginnt erst mit ihren Berichten über Jesus, als er ungefähr 28 Jahre alt ist. Ein schon beachtliches Alter in dieser Zeit. Man könnte meinen, er hat an diesem Punkt seines Lebens seine Berufung erkannt, hat den Drang verspürt, die Menschen zurück zur Liebe zu bewegen, nachdem er bereits ein »normales« Leben geführt hatte. Denn dass er achtundzwanzig Jahre einfach nur im stillen Kämmerlein darauf gewartet hat, dass ein Startschuss für sein Predigen fällt, ist eher unwahrscheinlich. Aber über diese Zeit schweigt man sich lieber aus. Bekannt ist nur ein Vorfall, der aber wundervoll ins allgemeine Bild passt. Keine Berichte über den Rest seiner ersten 28 Jahre sind gut, denn wie würde es sich auch machen, wenn Jesus sich als ganz normaler Junge mit anderen geprügelt hätte?
Von Jesus sind eine Menge Gleichnisse überliefert, mit denen er Menschen jeden Alters und jeder Bildungsstufe die Bedeutung der Liebe zu vermitteln versuchte, aber auch ihr Bild von dem bereits beschriebenen rachsüchtigen Gott revidierte. Er brachte den Menschen bei, mit Gott wie mit einem Vater zu reden: Respektvoll, aber im Vertrauen, dass dieser alleine Liebe ist.
Jesus hat es als erster Mensch geschafft, vollkommen bedingungslose Liebe zu leben und sich dadurch auf eine Stufe mit Gott gestellt. »Er sitzt zur Rechten Gottes …« ist also eine durchaus gelungene bildhafte Darstellung. Und Jesus hat den Menschen gezeigt, wie ein Leben in bedingungsloser Liebe funktionieren kann, welche positiven Auswirkungen es hat.
Dass es nicht nur ein gegenseitiges »Ich habe Dich lieb, Du hast mich lieb«-Spielchen ist, hat er überaus radikal im Tempel gezeigt, als er die Händler hinauswarf. Wer meint, Jesus habe sich hier lediglich als Mensch erwiesen und gezeigt, dass er wie jeder »Normalo« sein kann, irrt. Denn es zeigt nur, dass Liebe auch oft Kampf bedeuten kann und in Liebe Grenzen bei den Lieblosen gezogen werden müssen.
Auch wenn es manchem - heute wie damals - besser in den Kram passen würde, wenn er die, die versuchten, ein rechtschaffenes Leben in Angepasstheit an das System zu führen, belohnt und bevorzugt hätte, hat Jesus sich mit denen umgeben, die benachteiligt, ausgestoßen oder krank waren. Er ist zu denen gegangen, die sich Liebe gewünscht, ja, sie gebraucht haben. Zöllner, Huren und Ausgestoßene waren ihm herzlich willkommen. Dies alles tat er, ohne dabei auch nur eine einzige Tasche mit seinem Besitz mit sich zu tragen. Kein Geld, kein Haus, kein Esel.
Jesus heilt im Neuen Testament nicht nur Kranke. Er befehligt Naturgesetze und geht über Wasser, er verwandelt Wasser in Wein. Nebenher vermehrt er Brot und Fische in unvorstellbarer Menge und kann auch noch hellsehen. Vollkommen und absolut gar nicht regelkonform, bedenkt man doch, dass einige Jahrhunderte später Menschen für weniger auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Und er setzt dem noch die Krone auf, indem er beweist, dass mit dem Tod seines Körpers eben nicht alles vorbei ist. Er steht von den Toten wieder auf. In der heutigen Zeit wäre Jesus somit der...