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E-Book

Die Welt ist ein schöner Ort

Der Weg meiner Tochter in einen würdevollen Tod

AutorDeborah Ziegler
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783641183066
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Am Silvesterabend des Jahres 2013 wird die 29-jährige Brittany Maynard wegen unerträglicher Kopfschmerzen ins Krankenhaus eingeliefert. Kurz darauf erfährt sie, dass ein Hirntumor in ihrem Kopf wütet und sie nur noch wenige Monate zu leben hat. Für Brittany steht fest: Sie wird nicht warten, bis der Tumor sie ihres Wesens beraubt und ihr ein qualvolles Ende bereitet. Sie ist entschlossen, gegen das bestehende Gesetz in Kalifornien den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu bestimmen. Es beginnt ein zäher Kampf, doch sie findet einen Weg: Elf Monate nach der Diagnose nimmt sie ein tödliches Medikament zu sich und stirbt in Oregon, umringt von Familie und Freunden. In ihrem Buch erzählt Brittanys Mutter von dem unglaublichen Mut ihrer Tochter - und von ihrem beispiellosen Einsatz für einen würdevollen Tod.

Deborah Ziegler wurde 1956 in Albuquerque, New Mexico, geboren. Sie studierte Pädagogik und unterrichtete fünfzehn Jahre lang Englisch und Naturwissenschaften. Derzeit lebt sie mit ihrem Mann Gary und zwei Hunden in Kalifornien und hält Vorträge über selbstbestimmtes Sterben.

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Leseprobe

1
Das Unheil kündigt sich an

31. Dezember 2013 bis 1. Januar 2014

»Den schlimmsten Momenten im Leben gehen manchmal kleine Beobachtungen voraus.«

Andy Weir, Der Marsianer

Der erste Schritt aus der Welt, in der ich früher gelebt habe, glich eher einem heftigen Schubs. Ich konnte nicht erst vorsichtig die Zehen aus der Tür strecken. Ich wurde brutal in ein neues Leben gestoßen.

Spät am Silvesterabend 2013, als Brittany eigentlich essen und tanzen gehen sollte, rief mich mein Schwiegersohn aus einem Krankenwagen heraus an. Dan sagte, Brittany habe scheußliche Kopfschmerzen. Sie waren in ein Krankenhaus gefahren, wo eine Computertomografie einen Schatten auf ihrem Hirn gezeigt hatte. Weil das Krankenhaus keine Kernspinuntersuchung durchführen konnte, waren sie jetzt unterwegs zu einer größeren Klinik mit den richtigen Geräten.

»Soll ich versuchen, heute Nacht einen Flug zu bekommen? Falls es Nachtflüge nach Oakland gibt.«

Dan antwortete, sie müsse erst die Aufnahmeuntersuchung und die Kernspintomografie hinter sich bringen, deshalb wäre es am nächsten Morgen früh genug. Er gab das Handy an meine Tochter weiter.

»Momma, ich habe solche Kopfschmerzen«, sagte Britt. Durch die Schmerzmittel klang ihre Stimme belegt und undeutlich. »Sie haben ein CT gemacht und einen Schatten auf meinem Hirn gefunden. Vielleicht ist es ein Tumor.«

Mir blieb das Herz stehen, mein Verstand wollte diese Möglichkeit nicht wahrhaben. »Denk nicht gleich so etwas, Schätzchen. Zieh keine voreiligen Schlüsse. Kleines, ich bin bald da. Morgen bin ich bei dir.«

Gary buchte mein Flugticket, während ich wahllos Kleider in einen Koffer warf. »Hör auf deinen eigenen Rat«, sagte Gary. »Zieh keine voreiligen Schlüsse. Ich besorge jemanden, der nach deinem Vater sieht und bei den Hunden bleibt. Dann komme ich später nach.« Er legte mir die Hände auf die Schultern. »Versuch, heute Nacht ein bisschen zu schlafen. Du musst ausgeruht sein, wenn du ankommst.«

Als ich am nächsten Morgen von San Diego nach Oakland flog, überlegte ich, woher der Schatten auf Brittanys Hirn stammen konnte. Meine Tochter und ein Hirntumor? Das war einfach unmöglich.

Brittany war immer ein gesundes, aktives Kind gewesen. Mit ihren guten eins fünfundsiebzig strahlte sie Stärke und Lebenskraft aus. Als ich durch das Flugzeugfenster in den wolkenlosen Himmel schaute, schoben sich Bilder vor mein inneres Auge wie bei einer lautlosen Diaschau.

Drei Jahre alt. Sie hatte die Füße auf dem Armaturenbrett ihres Bobbycars und kreischte begeistert. »Schneller, Momma, schneller!«

Vorschule. Das Gesicht hinter ihren Locken verborgen hing sie kopfüber am Klettergerüst. »Guck mal! Momma, guck mal!«

Erste Klasse. Britt beugte sich über ihre Hausaufgaben und malte so lange Buchstaben, dass sie vom festen Druck auf ihren dicken Anfängerstift eine Beule am Finger bekam.

Grundschule. Mit blitzenden grünen Augen und glockenklarer Stimme trug Britt ihre Soli als Prinzessin Jasmin vor. Im Duett mit dem Jungen, der Aladin spielte, schmetterte sie furchtlos ihren Text und sang davon, unbeschwert durch den funkelnden Himmel zu fliegen. Sie streckte dem strahlenden Publikum die Arme entgegen, jeder Ton saß perfekt. Wie prophetisch dieses Lied über wundersame Dinge, die man entdecken kann, werden sollte. Aber einen Aladin, der sie begleitet, würde sie nie brauchen.

Zehn, elf Jahre alt. Die Mittelstufe gehörte dem Tumbling, einer Turnsportart, dem Cheerleading und Schlittschuhlaufen. Mühelos gelangen ihr sportliche Glanzleistungen.

Highschool. Zwischen Höhenflügen und Bruchlandungen rebellierte Britt, um sich ihre Freiheit zu erkämpfen. Fast taillenlanges honigbraunes Haar, ein Lächeln, das den Jungs den Atem verschlug. Sie schwänzte vor Übermut den Unterricht und war in der Schule trotzdem immer hervorragend.

Gerade erwachsen. Eine Reise nach Costa Rica zu einer von Frauen geleiteten Farm weckte in Britt eine tiefe Sehnsucht nach ehrenamtlicher Arbeit, nach unberührter Natur und Abenteuern voller Action. Damals zeigte sich zum ersten Mal die junge Frau, die gern wanderte, Bungeejumping liebte und Fremde zu Freunden machte.

Während ich zu meiner kranken Tochter flog, stellte ich mir ihr strahlend weißes Lächeln vor, ihre muskulösen Beine und kräftigen Arme, mit denen sie sich in die Lüfte schwang und sich unbekümmert ins Leben stürzte. Ich sah ihre langen gebräunten Beine im weiß schäumenden Wasser vor mir, als sie sich über rutschige Felsen abseilte. Ich sah meine Kleine mit Schwimmweste und Helm auf einem Floß, das im Wildwasser kaum noch zu erkennen war. Britt brachte als Einzige ein verschmitztes Grinsen für die Kamera zustande, während alle anderen das Gesicht verzogen und wild paddelten. Ich dachte an ihr Lachen – der allerschönste Laut, den ich je gehört hatte –, als sie über eine Hängebrücke lief und sie absichtlich zum Schwanken brachte, um den Rest der Gruppe aufzuscheuchen.

Britt still und reglos in einem Bett konnte ich mir nicht vorstellen. Meine Tochter gehörte einfach auf einen fliegenden Teppich.

Brittanys Schwiegermutter Carmen holte mich vom Flughafen ab. Wir umarmten uns. Ihr gedrungener Körper war stocksteif, als sie mich an sich drückte. Sie fuhr mich zum Krankenhaus, wo mein einziges Kind auf frischen weißen Laken in der neurologischen Intensivstation schlief.

Carmen sagte, an diesem Tag solle eine Kernspinuntersuchung durchgeführt werden, die deutliche Ergebnisse hervorbringen würde. Die Computertomografie im ersten Krankenhaus hatte ja nur ein verschwommenes Bild geliefert. Ihre Stimme war klar und hatte einen leichten kubanischen Akzent, den ich bezaubernd fand. Carmen und ihr Mann Barry waren seit dem Verlobungsessen unserer Kinder mit Gary und mir eng befreundet. Sie erzählte auch, dass Barry sich um Charley und Bella kümmerte, Britts und Dans Hunde. Ich dachte an den gutherzigen, starken Barry, bei dem die Hunde sofort ruhig wurden. Die ganze Familie nannte ihn nur den »Hundeflüsterer«.

Carmen und ich liebten unsere Kinder von ganzem Herzen. Dan war Carmens ganzer Stolz, und ich empfand Brittany gegenüber genauso.

Damals wusste ich nicht, dass eine Kernspintomografie die bevorzugte Untersuchungsmethode bei Hirntumoren ist. Eine Weile lang fuhren wir schweigend weiter. »Was bedeutet ein Schatten auf dem Hirn?«, fragte ich schließlich.

Carmen antwortete, das wisse sie nicht, aber Dan würde es uns erklären, wenn wir dort wären. Auf dem Weg zum Krankenhaus betete ich stumm, während ich in dem stillen Van saß. Brittany klagte seit fast einem Jahr über Kopfschmerzen. Hatte sie Migräne? Wurden sie von Stress ausgelöst? Den Nebenhöhlen? Wir hatten zusammen eine ganze Reihe von Hypothesen aufgestellt, was die immer lähmenderen Schmerzen verursachen könnte. Nachts wurde das Pochen in ihrem Kopf manchmal so stark, dass es alles andere ausblendete und Brittany sich nur noch in die Dusche hocken und sich warmes Wasser auf Hals und Nacken laufen lassen konnte. Ich hatte im Internet nach Antworten gesucht, aber es gab Hunderte von möglichen Gründen.

Brittany trank, so gut es ging, keinen Wein. Sie achtete darauf, regelmäßig Sport zu treiben. Sie mied Nitrate und kaufte frische Biolebensmittel. Bildeten wir es uns nur ein, oder besserten sich ihre Kopfschmerzen, wenn sie Gary und mich in Südkalifornien besuchte?

Nach ihrer Hochzeit mit Dan Ende September 2012 hatte Brittany sich eine junge Deutsche Dogge gekauft, zusätzlich zu ihrem anhänglichen, aus schlechten Verhältnissen geretteten Beagle Bella. Sie meinte, sie sei in Nordkalifornien einsam und wolle so gern einen Welpen haben, der ihr Gesellschaft leistete. Waren die Hunde eine zu große Belastung?

Kurz nach der Heirat hatte Brittany auch einen Neurologen aufgesucht. Sie hatte sich für ihn entschieden, weil er in westlicher und östlicher Medizin ausgebildet war und mit einem ganzheitlichen Ansatz warb. Obwohl Brittany beschrieb, dass die Kopfschmerzen einsetzten, wenn sie zu Bett ging, und so heftig waren, dass sie sich übergeben musste, sagte der Arzt ihr, sie habe »Frauenkopfschmerzen«, die sich legen würden, wenn sie ein Kind bekäme. Brittany war deswegen ein bisschen beleidigt, weil er ihrer Meinung nach andeutete, die Kopfschmerzen seien eine Kombination aus dem Stress als Frischverheiratete und einem hormonellen Ungleichgewicht. Ich traute mich nicht, es auszusprechen, aber ich dachte, er könnte vielleicht recht haben.

Später sprachen Britt und ich darüber, dass dieser Neurologe keine Kernspintomografie angeordnet hatte und der wachsende Tumor deswegen nicht entdeckt worden war. Der Arzt hatte offensichtlich wichtige Informationen nicht beachtet. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer, wenn Britt lag. Nachts musste sie sich vor Schmerzen heftig übergeben und flüchtete sich unter eine warme Dusche. Allerdings hörten wir von anderen Neurologen (verteidigen sie sich immer gegenseitig?), dass jedes Jahr hundert Millionen Amerikaner über starke Kopfschmerzen klagen und fünfunddreißig Millionen von ihnen unter migräneartigen Schmerzen leiden. Würden Ärzte für all diese Patienten eine Kernspintomografie anordnen, würde das gesamte Gesundheitssystem bankrottgehen. Deshalb ebbten unsere Wut und das Bedürfnis, dem Arzt einen geharnischten Brief zu schreiben, mit der Zeit ab. Es gab so viele andere Dinge, mit denen wir fertigwerden mussten – uns blieb nichts weiter übrig, als mit dieser Sache abzuschließen und nach vorne zu sehen.

Der Arzt riet ihr außerdem von zu viel Koffein, Rotwein, industriell verarbeitetem Fleisch, Lebensmitteln mit...

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