Buddhismus
Zentrale Punkte der Darstellung des Buddhismus sind das Leben Buddhas und seine Lehren, wie sie sich aus der Predigt der vier edlen Wahrheiten und dem achtteiligen Pfad entfaltet haben. Symbolisch wird Buddhas Lehre oft durch das «Rad der Lehre» dargestellt, dessen acht Speichen an den achtteiligen Pfad, der zum Nirvana führt, erinnern. Aufgrund seiner sehr langen Präsenz in Asien hat der Buddhismus dort nicht nur drei große Hauptrichtungen entwickelt, deren kultische Praktiken und Lebensformen sich zum Teil unterscheiden, sondern auch die verschiedenen Bereiche nachhaltig kulturell mitgeprägt. Seit mehreren Jahrzehnten findet er aber auch in Europa und Nordamerika eine stetig wachsende Zahl von Anhängern. Diese Vielfalt soll daher ausgewogen berücksichtigt werden.
1. Leben und Lehre Gautama Siddharthas, des Buddha
Jede Beschäftigung mit dem Buddhismus hat vom Stifter Gautama Siddhartha, dem späteren Buddha, auszugehen. Denn er ist jene Gestalt, auf die sich alle Buddhisten berufen, unabhängig von der Schul- und Traditionszugehörigkeit. Die Lebenszeit des historischen Buddha dürfte entsprechend indischen Chroniken, die Buddhas Tod hundert Jahre vor dem Regierungsbeginn des Herrschers Ashoka ansetzen, etwa die Jahre 450 bis 370 v. Chr. – mit einem Spielraum von rund zehn Jahren – umfassen. Südostasiatische Buddhisten hingegen datieren Buddhas Nirvana auf das Jahr 543.
Über das Leben Buddhas sind wir nicht in allen Einzelheiten informiert, da die Quellen ihn in erster Linie als ideale Gestalt darstellen wollen, die die verkündete Religion in vollkommener Weise gelebt hat. Mögliche historische Aussagen lassen sich aus zeitgenössischen Normen und Strukturen der hinduistischen Gesellschaft erschließen. Buddha stammte aus einer lokalen Herrscherklasse, war verheiratet und zeugte einen Sohn, ehe er wahrscheinlich mit 29 Jahren seine Familie verließ, um als Asket nach der endgültigen Erlösung vom Leiden zu suchen. Dies dürfte wohl das Ergebnis einer länger dauernden religiösen Suche durch Meditation gewesen sein, während die immer wieder genannten vier Ausfahrten und die Begegnungen mit einem Greis, einem Kranken, einem Leichnam und einem Bettelmönch als Ergebnis ausschmückender Traditionsbildung zu bewerten sind. Nach sechsjährigem intensivem Bemühen um religiöse Entwicklung fand er in Bodhgaya die Erleuchtung.
Als Erleuchteter (Sanskrit buddha: «erleuchtet, erwacht») begab er sich nach Benares, wo er das «Rad der Lehre» in Bewegung setzte (Tafel 1a): Er verkündete die vier edlen Wahrheiten und den achtgliedrigen Pfad. Diese Wahrheiten besagen Folgendes: Alle Existenz ist leidvoll; Leiden entsteht aus dem Begehren; Leiden ist durch das Erreichen des Nirvana überwindbar; der achtgliedrige Pfad ist der Weg zum Nirvana. Dieses Grundkonzept der Lehre ist ein «Mittlerer Weg», der zwischen extremer Askese und Ausschweifung angesiedelt ist. Buddhas Anliegen wird man demnach nicht gerecht, wenn man seine Haltung zur Welt ausschließlich als negativ bezeichnet. Seine Betrachtung des irdischen Daseins als leidvoll und vergänglich geschah nicht aus einer grundsätzlich pessimistischen Weltsicht, sondern aus der Erkenntnis, dass es letztlich ein höheres Bewusstsein gibt, dem die Werte des gewöhnlichen Bewusstseins untergeordnet sind. Daraus ergab sich ein «realpolitischer Weg» Buddhas; er stand mit beiden Beinen «in der Welt». Noch zu Lebzeiten organisierte er seine Anhänger wenigstens in lockerer Weise, die Betonung eines Mittleren Weges bedeutete nicht «Weltfremdheit».
Ziel des buddhistischen Lebensweges ist die Erlangung des Nirvana. Buddha griff die im 7. Jahrhundert v. Chr. in Indien aufgekommene Lehre vom karman, dem «Gesetz der Tat und ihrer Folgen», sowie den Glauben an die Wiedergeburt auf, machte allerdings einen wesentlichen Unterschied gegenüber der Entfaltung dieser Vorstellungen in den Hindu-Religionen. Er leugnete nämlich die Existenz beharrender Substanzen in der Welt, wozu die weitere Tradition auch die Seele zählte. Dass dennoch der Eindruck entsteht, als ob es eigenständig existierende Phänomene gäbe, hängt mit dem Konzept des «Abhängigen Entstehens» (pratityasamutpada) zusammen. Innerhalb einer Kausalkette ergeben sich immer wieder neue Bedingungen, die nachfolgende Existenzweisen bestimmen. In dieser Sichtweise ist auch der Mensch keine eigenständige Größe, sondern die Summe von fünf unpersönlichen, unbeständigen Daseinselementen (skandhas). Diese Unbeständigkeit ist Ursache des Leidens, die erst durch das Nirvana beendet wird. Da im Nirvana auch die skandhas schwinden, existiert keine (individuelle) menschliche Komponente über den Tod hinaus. Diese abstrakten Vorstellungen wurden in der späteren Traditionsbildung in einer positiven Formulierung konkretisiert, indem das Nirvana als ein idealer Ort des Glücks und der Zufriedenheit beschrieben wurde. In Buddhas Lehre, die einen Weg zur Überwindung des Leidens weisen wollte, spielten Gottheiten keine Rolle, ohne dass er deswegen die Existenz von Göttern geleugnet hätte. Für ihn waren die einzelnen Götter genauso in die Welt des Leidens involviert wie die Menschen, so dass sie den Menschen in ihrem Streben nach dem Nirvana nicht als Helfer dienen konnten.
Buddhas Lehrtätigkeit in der Gangesebene dauerte rund viereinhalb Jahrzehnte. Begleitet wurde er von Anhängern, die als Mönche frei von irdischen Verflechtungen diesen Mittleren Weg mit ihrem Lehrer gehen wollten. Vor seinem Tod in Kushinagara hinterließ er seinen Anhängern die Lehre des «Mittleren Weges» als sein Erbe und als einzige Richtschnur, an der man sich im Bemühen, das Nirvana zu erlangen, orientieren sollte. Dieses Festhalten an der «Lehre» (dharma) bildet trotz Differenzen und Verästelungen bis heute das gemeinsame Identitätsband aller Buddhisten. – Nach seinem Tod wurde Gautama Buddha nach der damaligen Bestattungssitte verbrannt.
2. Historische Entwicklungen
Auf dem so genannten ersten Konzil von Rajagriha im ersten Jahr nach Buddhas Tod legten 500 Mönche Ordensregeln fest, wobei die darin fixierte Zugehörigkeit zur Mönchsgemeinde (sangha) eine gewisse Basis bildet, die bis heute – trotz geographischer und inhaltlicher Differenzierung – neben der Lehre ein Identitätselement für alle Buddhisten bildet. In der Lehrentwicklung markierte das dritte Konzil (ca. 250 v. Chr.) in Pataliputra, dem heutigen Patna in der indischen Gangesebene, einen entscheidenden Punkt: Durch fünf Thesen des Mönches Mahadeva wurde hier die elitäre Position mancher Mönche als «Heilige» (arhant) in Frage gestellt. Die Mehrzahl der am Konzil teilnehmenden Mönche votierte für Mahadeva, so dass sich seit diesem Zeitpunkt die «Anhänger der Lehre der Alten» und die Mönche der «Großen Gemeinde» (mahasanghika) gegenüberstanden. Damit hatte jene Entwicklung unwiderruflich begonnen, an deren Ende die drei großen buddhistischen Richtungen «Theravada», «Mahayana» und «Vajrayana» stehen.
a) Theravada-Buddhismus: Diese Richtung bezieht sich auf die Anhänger der «Lehre der Alten» (theravada). Gelegentlich bezeichnet man sie auch als «Hinayana» («kleines Fahrzeug»), doch handelt es sich dabei um einen von Anhängern der «Großen Gemeinde» geprägten Vorwurf, dass das «kleine Fahrzeug» nur für wenige elitäre Mönche einen Weg zum Nirvana biete. Rund ein Jahrtausend lang existierten unterschiedliche Schulrichtungen. Die «Theravada-Richtung» hat als einzige bis in die Gegenwart Bestand. Als allgemeine Charakteristik ist festzuhalten, dass sich diese Richtung – mit den Texten des Pali-Kanons als weithin verbindlichen religiösen Schriften – relativ eng an die Lehren Buddhas hält. Dies zeigt sich in der bis in die Gegenwart andauernden Wertschätzung der Mönche, die als einzige bereits am Ende dieses Lebens die Möglichkeit haben, das Nirvana zu erlangen. Nonnen sowie männliche und weibliche Laien müssen zunächst als Mönch ordiniert werden, um auf dem Heilsweg weiterzukommen. Die Befolgung ethischer Prinzipien ist dafür ebenfalls erforderlich (Tafel 1b). Bis zu Beginn des zweiten Jahrtausends lebten Theravada- und Mahayana-Buddhisten im Gebiet der heutigen Staaten Indien, Pakistan und Afghanistan, aber auch auf Sri Lanka sowie in den Ländern des südostasiatischen Festlandes nebeneinander. Während der Buddhismus insgesamt vom indischen Subkontinent etwa im 12. Jahrhundert durch das Erstarken des Islam verdrängt wurde, wurden die Länder Südostasiens (v.a. Myanmar, Thailand, Laos und Kambodscha) etwa im 13. Jahrhundert durch Theravada-Mönche, die die Sympathie der politischen Machthaber hatten, fast flächendeckend für diese buddhistische Richtung gewonnen, ähnlich wie auch Sri Lanka. Bis in die Gegenwart ist in diesen Staaten der Theravada-Buddhismus die vorherrschende Religion.
Tafel 1: Ausgewählte Texte zum Buddhismus
a) Die vier edlen Wahrheiten (Mahavagga I, zitiert nach H. Oldenberg: Reden des...