MARTIN LUTHER
(1483–1546)
»Ich bin ein Bauernsohn; der Urgroßvater, mein Großvater, der Vater sind richtige Bauern gewesen. Ich hätte eigentlich ein Vorsteher, ein Schultheiß und was sie sonst noch im Dorf haben, irgendein oberster Knecht über die andern werden müssen. Danach ist mein Vater nach Mansfeld gezogen und dort ein Berghäuser geworden. Dorther bin ich. Daß ich aber ein Baccalaureus und Magister wurde, dann (…) Mönch wurde, (…) dann trotzdem dem Papst in die Haare geriet, (…) daß ich eine entlaufene Nonne zum Weibe nahm – wer hat das in den Sternen gelesen?«
Diese Zusammenfassung seines dramatischen Lebenslaufes schildert Martin Luther in einer seiner Tischreden. Martin Luther, heute vorrangig in seiner Bedeutung als Initiator der Reformation bekannt, hat auch das erzieherische Denken seiner Zeit sowie die Entwicklungen im Schulwesen mitbestimmt und geprägt.
Luther wurde am 10.11.1483 in Eisleben geboren und einen Tag später auf den Namen des Tagesheiligen, Martin, getauft. Seine Familie siedelte 1484 nach Mansfeld über, wo sein Vater, Hans Luder, in dem aufblühenden Kupferbergbau sein Einkommen bestritt. Luther besuchte zunächst die städtische Lateinschule und anschließend, mit knapp vierzehn Jahren, die bekannte Domschule in Magdeburg. Nach einer weiteren Station, der Pfarrschule St. Georg in Eisenach, nahm er 1501 in Erfurt das Studium an der artistischen Fakultät auf. Bereits eineinhalb Jahre später legte er den Baccalaureus der Philosophie ab und war damit verpflichtet, bei der Betreuung von Studienanfängern mitzuwirken. Nach bestandener Magisterprüfung 1505 wechselte er an die juristische Fakultät und erhoffte sich mit diesem Schritt, den Grundstein zu seiner weiteren beruflichen Karriere zu legen. Diese Pläne zerbrachen jedoch, denn am 2.7.1505 geriet Luther bei Stotternheim in ein heftiges Gewitter und gelobte in seiner Todesangst – ein in der Nähe einschlagender Blitz erschreckte ihn zutiefst – für den Fall seiner Rettung, Mönch zu werden. Bereits zwei Wochen später trat er gegen den Willen seines Vaters in den Orden der Erfurter Augustinereremiten ein. 1507 erhielt er die Priesterweihe, begann, vom Orden beauftragt, das Studium der Theologie und hielt erste Lehrveranstaltungen. Nach dem Wechsel nach Wittenberg, wo er eine Professur für Moralphilosophie übernahm, promovierte Martin Luther 1512 zum Doktor der Theologie. Neben seinen Verpflichtungen für den Orden und als Universitätslehrer beschäftigte er sich intensiv mit der Bibel. Mehr und mehr quälte ihn dabei die Suche nach einem gerechten Gott.
Seine theologischen Studien des Römerbriefes führten ihn schließlich zu der Erkenntnis, dass der Mensch nie dem fordernden Willen Gottes zu entsprechen vermag und sich deshalb vor Gott nur als Sünder bekennen kann. Nicht die Vergebung der Sünden durch die Kirche, sondern allein die freie und bedingungslos geschenkte Gnade Gottes bewirke seiner Auffassung nach das Heil des Menschen (Rechtfertigung). Diese reformatorische Erkenntnis, dass der Gerechte nur aus Glauben leben wird (vgl. Römerbrief Kap. 1, 17), stand im Verständnis Luthers im Gegensatz zu einem Missbrauch der Buß- und Beichtpraxis, wie er sich in der mittelalterlichen Kirche eingeschlichen hatte: Durch die Zahlung einer Geldsumme bot die Kirche Gläubigen die Möglichkeit, nicht abgeleistete Bußübungen zu kompensieren und somit dem Tod im Fegefeuer zu entkommen.
Infolge der Auseinandersetzung mit dem Ablassprediger und Dominikanerpater Johannes Tetzel löste Luther mit seinen schriftlich formulierten Thesen an der Tür der Schlosskirche in Wittenberg (31.10.1517) die Reformation aus. Luther, der seine Thesen auch auf dem Reichstag zu Worms (1521) vor dem Kaiser nicht widerrief, verfiel der Reichsacht. Zehn Monate lebte Luther zurückgezogen auf der Wartburg als »Junker Jörg«. In dieser Zeit übersetzte er das Neue Testament ins Deutsche. Im Folgenden kam es zum Bruch mit der alten Kirche. Luther begann nun mit verschiedenen Maßnahmen, die Neugestaltung der Kirche selbst voranzutreiben. Die Liturgie im Gottesdienst sollte auf Deutsch verlesen werden, Messgewänder wurden abgeschafft, das Gemeindeleben neu strukturiert. Luther bestritt in seiner Schrift Über die Mönchsgelübde, dass ein erzwungenes Gelübde nicht gebrochen werden dürfe. Infolgedessen traten Mönche und Nonnen aus den Klöstern aus, Priester gingen Ehen ein. Luther selbst heiratete 1525 die entflohene Nonne Katharina von Bora, mit der er sechs Kinder hatte, wovon zwei schon in jungen Jahren starben.
In den folgenden Jahren verschärfte sich der Konflikt zwischen den »protestantischen« Lutheranhängern und Landesfürsten sowie Papst- und Kaisertum, und es kam zu zahlreichen politischen Auseinandersetzungen. Den Augsburger Religionsfrieden 1555 konnte Luther nicht mehr miterleben. Er starb 1546 in Eisleben.
Abgesehen von der enormen Fülle an Schriften, die für die Theologie bis heute von Relevanz sind, ist auch Luthers lebenslanges Interesse an Fragen der Erziehung und Bildung offensichtlich. Die christliche Unterrichtung der Jugend stellte für ihn schon früh ein wichtiges Anliegen dar. Dieses Anliegen ist in engem Zusammenhang mit der reformatorischen Theologie zu sehen. Im Mittelpunkt der Theologie Luthers stand die unmittelbare Verantwortung des Einzelnen gegenüber Gott. Mit seiner Lehre vom Priestertum aller Gläubigen brach Luther mit der klerikalen Überhöhung des geistlichen Standes und machte jeden Einzelnen für sein eigenes Seelenheil und die Erkenntnis des Glaubensgrundes durch das Studium der Schrift verantwortlich. Ein wesentlicher Beitrag zur Bildung des Volkes war deshalb die Bibelübersetzung Luthers in die deutsche Sprache. Dank der Entwicklung des Buchdruckes war es nun möglich, dem Volk erschwingliche Bibeln zur Verfügung zu stellen. Allein in Wittenberg wurden zwischen 1534 und 1584 hunderttausend Exemplare gedruckt. Aber vor allem die Sprache der Bibel war zum Bildungsmittel geworden. Heinrich Heine bemerkte später, dass Luther mit seiner Bibelübersetzung »die deutsche Sprache« geschaffen habe. Luther trug dazu bei, dass sich die zu dieser Zeit langsam entstehende allgemeine deutsche Sprache zur Schriftsprache entwickeln konnte.
Die Forderung der Volksbildung erforderte natürlich auch die Aufstellung eines umfassenden Bildungsplanes. Dabei erkannte Luther bald, dass es nicht nur darum ging, einen Lehrplan für die religiöse Unterweisung zu erstellen, sondern auch darum, neue Schulen zu gründen, damit das Volk im Lesen unterrichtet werden konnte. Hauptziel des schulischen Unterrichts war die Erziehung zum Christenmenschen, die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die Teilnahme an der kirchlichen Praxis. Um diesen Zielen flächendeckend näher zu kommen, sollten zunächst die bestehenden Schulen erfasst werden. Bei Visitationen im Fürstentum Sachsen, an denen Luther sich beteiligte, fand er ein erschütterndes Bild vor: Von 718 sächsischen Kirchspielen hatten nur 71 eine Schule.
Gemeinsam mit Melanchthon und Bugenhagen bemühte sich Luther um die Reform bzw. Neuordnung des mittelalterlichen Bildungswesens, das sich infolge der Reformation in einer existenzbedrohenden Krise befand. In den beiden Schriften An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und erhalten sollen (1524) und Eine Predigt, dass man Kinder zur Schule halten solle (1530) rief Luther zur Gründung, Erhaltung und zum pflichtmäßigen Besuch von Schulen auf. In einer seiner frühesten Schriften »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« schrieb er: »(…) und wollt Gott, ein jeglich Stadt hätt auch ein Meidschulen, darinnen des Tages die Maidlein (…) das Evangelium hörten, es wäre zu deutsch oder lateinisch.« Allerdings ging Luther noch davon aus, dass es in den meisten Fällen genüge, die Knaben zwei Stunden und die Mädchen eine Stunde am Tag zu unterrichten. Nur die besonders begabten Kinder sollten zu Beamten, Gebildeten und Ministern ausgebildet werden. Daran wird deutlich, dass Luther zwar in erster Linie deshalb Schulen einrichten wollte, um die Unterweisung des Volkes in der Religion voranzutreiben, aber auch ebenso das Ziel verfolgte, genügend Bürger heranzubilden, die als ordentlich Ausgebildete den Staat auf vernunftbegabte Weise stützen könnten. Angesichts ihres weltlichen Erziehungsauftrages sollte die Schule auch die Jugend zur Übernahme gesellschaftlicher Führungsaufgaben befähigen. Luther sah dabei sowohl den Staat als auch die Kirche in der Verantwortung und Pflicht, für Schulen und Universitäten zu sorgen.
Bei den sächsischen Schulvisitationen fiel dem Reformator zudem auf, dass dem Volk die einfachsten christlichen Grundgedanken fremd waren. Um den Verantwortlichen für die dringend erforderliche Unterrichtung geeignetes Material zur Verfügung zu stellen, wies Luther bereits 1525 auf die Notwendigkeit eines Katechismus hin. Im Jahre 1529 erschienen schließlich der Kleine und der Große Katechismus (Januar/April), die für die christliche Erziehung bis heute von großer...