Einleitung
Geld regiert die Welt. So einfach sagt es das Sprichwort, und so einfach scheint es uns im Alltag immer wieder zu sein. Wir beobachten krasse Unterschiede beim verfügbaren Einkommen: Die einen prassen, die anderen darben.
Liest man Zeitungen, kann man nur den Kopf schütteln: Da werden Banken mit Milliarden Steuerzahlergeld gerettet, aber in den Kommunen vor Ort fehlt das Geld.
Vertieft man sich in die Einzelheiten, ist man sofort einem vielstimmigen Chor ausgesetzt. Denn auch die Experten widersprechen einander, wollen die Märkte mit noch mehr Geld fluten oder aber auf einen restriktiveren Kurs setzen. Die einen stehen für eine strikte Sanierung der Staatsfinanzen, die anderen wollen Wachstum auf Pump ankurbeln. Wieder andere schütteln den Kopf und beharren auf den ehernen Gesetzen des Marktes, der für jede Handlung eine klare, aus den Gesetzen von Angebot und Nachfrage abgeleitete Konsequenz kennt.
Als ich Anfang der 90er-Jahre als Berater zur Boston Consulting Group kam, wollte ich wissen, wie Geld funktioniert, und meldete mich freiwillig bei der Beratung von Banken. Das war damals nicht ganz so beliebt, weil es sich um große, bisweilen nicht sonderlich entscheidungsfreudige und schnelle Organisationen handelte. Da ich nach dem Doppelstudium Wirtschaft und Theologie zunächst einige Jahre an der Universität verbracht hatte und dort theologische Seminare anbot, war die Bankenberatung ein guter erster Schritt. Ganz generell war damals der Wechsel aus einer Welt in die andere weniger üblich als heute.
So tief ich die Feierlichkeit großer Bankhäuser und das Selbstbewusstsein der dort Handelnden einatmen durfte, so klar wurde mir im Lauf der Zeit, dass die Verfügung über Geld und Kapital eine Verführung darstellen kann, die Allmachtsphantasien weckt. Wer über Geld verfügt, spielt Schicksal – gleich ob es um Schiffsfinanzierungen geht, große Immobilienkredite, die Gewährung oder die Kündigung eines Darlehens. Die Auswirkungen auf alle Beteiligten sind massiv.
Diese Beobachtungen gingen über wirtschaftswissenschaftliche Theorien hinaus. Mir war aber nicht klar, wie ich eine sinnvolle Brücke zu meiner philosophischen und theologischen Ausbildung schlagen konnte. Wobei schon die Frage nach einer solchen Brücke etwas ungewöhnlich war, denn in den 90er-Jahren, gewissermaßen der Blütezeit des Neoliberalismus, galten die verschiedenen gesellschaftlichen Welten als ziemlich klar voneinander abgegrenzt. Finanzwirtschaft, Realwirtschaft, Politik und Gesellschaft berührten sich nur punktuell; das wechselseitige Verständnis war begrenzt. Finanzwirtschaftliche Praktiken wurden – leicht übersteigert – in Anlehnung an Naturgesetze gesehen. Die Illusion der Beherrschbarkeit der Märkte war weit verbreitet. Politik wurde bisweilen nur noch als Erfüllungsgehilfin marktwirtschaftlicher Imperative angesehen.
Aus der Bankenwelt wechselte ich später in die Beratung, anschließend in die Führung und Leitung von Industrieunternehmen. Ich lernte, was Kostenstrukturen sind, wie Globalisierung funktioniert und welch immense Bedeutung eine klare Strategie haben kann. Mein Vertrauen in die Erkennbarkeit zukünftiger Entwicklungen und die Planbarkeit von Unternehmen wurde erst dann massiv erschüttert, als kurz nach einer persönlichen Investition in ein spanisches Unternehmen der Bauindustrie der Markt dort massiv einbrach. Statt 700.000 Wohnungen wurden in Spanien nur noch 100.000 Einheiten pro Jahr gebaut. Das war im Business-Plan leider nicht vorgesehen! Umgekehrt lernte ich einmal mehr den Wahrheitsgehalt des Sprichworts kennen: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Denn hinterher hatte es eigentlich jeder gewusst, dass in Spanien – dem Boomland Europas zu Beginn der Jahrtausendwende – eine riesige Krise ausbrechen würde!
Man könnte natürlich auch sagen, dass ich für die Recherchen zu diesem Buch weder Kosten noch Mühen gescheut habe. So einfach ist es aber nicht, denn auch an den ursprünglichen Entscheidungen nahmen ja zahlreiche andere Menschen und Institutionen teil: Berater, Anwälte, Banken, Manager.
Wie also kommt es zu unternehmerischen Fehlentscheidungen? Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Kurskorrektur, auch mit Verlusten? – In meinem eigenen Fall gelang ein Verkauf des Unternehmens, allerdings klar unterhalb des ursprünglichen Kaufpreises. Daher kann man fragen: Wer trägt letzten Endes tatsächlich das Risiko?
Der soziale Charakter von Geld und Kapital hat ja nicht unbedingt mit der Verteilung von Chancen und Risiken zu tun. Großbanken erhielten in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 das Prädikat »systemrelevant«, einfach weil man nach den Erschütterungen durch die Insolvenz des Bankhauses »Lehman Brothers« am 15 . September 2008 die Folgen einer unkontrollierten Bankenpleite fürchtete. Mittelständler dagegen, denen die Banken die Kreditlinien strichen, mussten die Segel streichen.
Solche Beispiele zeigen, dass unser Empfinden für Gerechtigkeit mit der Logik von Entscheidungen in einem wirtschaftlichen und politischen System oft nicht übereinstimmt. Da aber intuitiv »gerechte« Entscheidungen oft unerwartete Nebenwirkungen auslösen, ist der Streit der Meinungen absolut vorprogrammiert: Kurz gesagt, so lässt sich schlussfolgern, stimmt weder »grundsätzlich« unser intuitives Verständnis von Gerechtigkeit noch »grundsätzlich« die Systemlogik von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Wie aber können und sollen wir dann mit der Welt der Wirtschaft und der Finanzen, mit der Logik von Geld und Kapital umgehen?
Viele Menschen beschränken sich auf den Horizont ihrer alltäglichen Pflichten und Bedürfnisse: Die Miete wird bezahlt, über den Benzinpreis beim Tanken geschimpft, der Urlaub wird gebucht. Wie aber hängen die Dinge zusammen? Wie weit können wir der zweckrationalen Theorie des Homo oeconomicus, des nach rein rationalen Argumenten zum eigenen Vorteil entscheidenden Menschen, trauen? Wo und wie ist sie zu ergänzen?
2009 hatte ich in Laichingen, Jena und Berlin das »Institut für Sozialstrategie« (www.institut-fuer-sozialstrategie.org) zur Erforschung der globalen Zivilgesellschaft gegründet. Und in diesem Zusammenhang fand am 1. Februar 2013 in Tübingen gemeinsam mit dem von Hans Küng gegründeten Weltethos-Institut sowie dem Forschungsinstitut für Philosophie in Hannover (www.fiph.de) ein Symposium zum Thema »Wirtschaftsanthropologie« statt, d. h. zur Frage »Wer ist der Mensch, wenn er denn wirtschaftet?«
In dieser Fragestellung kommt erneut die Suche nach einer Brücke zwischen wirtschaftswissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und philosophischen Theorien zum Ausdruck. Und es war einfach zu erkennen, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen von der Steinzeit bis heute, von der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft bis zum Großstadtbewohner des 21. Jahrhunderts eben nicht immer nur von Geld und Kapital bestimmt war. Wer vom Apfelbaum in seinem Garten einen Apfel zum eigenen Verzehr pflückt, handelt wirtschaftlich, aber außerhalb der Sphäre des monetär bewerteten Bruttosozialprodukts. Denn er zahlt niemanden einen Preis für den eigenwirtschaftlich angebauten Apfel. Wie aber hängen dann nicht-monetäre und monetäre wirtschaftliche Leistungen zusammen?
Im Hintergrund der folgenden Überlegungen steht die Frage nach einer Logik, Phänomenologie und Hermeneutik von Geld und Kapital. Gesucht wird nach einer Verbindung des Kapitals mit der sozialen und institutionellen Sphäre, die das Leben des modernen Menschen ausmacht. Anders gesagt: Das Verstehen der Erscheinungsformen, der spannungsreichen Verknüpfungen, aber auch der Widersprüche des Kapitals ist Ausgangspunkt, Ziel und Motiv dieses Buches.
Dass Geld die Fließgröße von Kapital und dass Kapital ein Speicherungsmedium von Geld, indirekt von Arbeit und Leistung darstellt, ist kein neuer Gedanke. Neu ist aber die konsequent anthropologische Betrachtung des Phänomens von Geld und Kapital. Dies hat dann auf dem Weg zu diesem Buch zu seiner zentralen These geführt, die auf wunderbare Art und Weise die Verknüpfung der finanzwirtschaftlichen Welt mit den psychologisch, politisch und historisch interessanten Handlungen und Strebungen von Menschen schafft.
Diese These lautet: Die grundlegende kapitalistische Transaktion ist der Tausch von Geld gegen Träume. Nicht die Frage nach einem sozialistischen oder kapitalistischen Wirtschaftssystem ist in diesem Zusammenhang entscheidend, sondern eher die Frage, um welche Träume es geht ...
In dieser Einleitung will ich nicht wesentliche Gedanken schon vorwegnehmen, aber die grundlegende These des Buchs doch etwas verständlicher ausformulieren.
Da wirtschaftliche Handlungen grundsätzlich von Menschen ausgeübt werden (selbst bei so indirekten Transaktionen wie dem computergestützten Präsenzhandel auf den internationalen Börsen), muss eine Definition des wirtschaftlichen Handelns im Umgang mit Geld und Kapital diese menschliche Dimension von vornherein berücksichtigen. Und über die allseits bekannte Dimension des Tauschs hinaus geht es dabei um Träume – kleine, mittlere, große, verrückte oder vernünftige Träume.
Die Verwirklichung von Träumen richtet sich auf die Zukunft. Träume sind aber mehr als Erwartungen, auch wenn in vielen Fällen – beim Kauf einer Zahnpasta beispielsweise – der »Traum« im Grunde mit der Erwartung eines gut funktionierenden Produkts zusammenfällt. Interessanterweise richtet sich aber selbst die Werbung für Zahncreme eher an Traumwelten, die von Schönheit, Attraktivität und Gesundheit bestimmt sind als an die nur...