Galt das Hauptaugenmerk des vorherigen Kapitels der Identifikation der wesentlichen Voraussetzungen demokratisch legitimierter Herrschaft, so soll in einem nächsten Schritt der Untersuchungsfokus auf das multikausale und multidimensionale Globalisierungsphänomen gelenkt werden, ohne dabei jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit verfolgen zu können und wollen. Vielmehr zielt dieses Kapitel neben einer Einführung in den Globalisierungskontext darauf ab, die wesentlichen Veränderungsprozesse der Globalisierung in ihrem geographischen Kern, der OECD-Welt, aufzuzeigen, um so auf die Konsequenzen für Demokratie und Staatlichkeit in der westlichen Welt schließen zu können.
Sich ursprünglich auf den Sektor Wirtschaft beschränkend und dort die zunehmend globale Verflechtung der Ökonomien und Finanzmärkte in den Blick rückend (Nohlen, 2002: 181), erfuhr der Begriff Globalisierung in den letzten Jahren durch eine Vielzahl weiterer unter ihm subsumierter nicht wirtschaftlicher Prozesse einen stetig wachsenden Bedeutungsinhalt. Der Begriff avancierte zu einem zentralen Terminus bei der Analyse der gegenwärtigen politischen, wie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer Veränderungen, verlor mit seiner Verwendungsvielfalt allerdings auch weitgehend sein Profil.
Wie bereits angedeutet, ist das Phänomen Globalisierung trotz seiner wörtlichen Implikationen weniger als bereits erreichter oder unmittelbar bevorstehender globaler Endzustand (Globalität), sondern vielmehr als ein multidimensionaler und unvollendeter Prozess zu verstehen, der eine Fülle verschiedenster, teils widersprüchlicher Entwicklungsgänge in sich eint. Während der Terminus an sich also eher als mögliche Zieldefinition zu verstehen ist, sind die unter dem Begriff zusammengefassten Prozesse teils weit davon entfernt, globale Ausmaße anzunehmen und reduzieren sich in ihrer Mehrheit noch immer auf die um die Schwellenländer erweiterte Triade Nordamerika, Westeuropa und Japan.[5] Deutlich wird dies nicht zuletzt auch immer wieder dann, wenn in der wissenschaftlichen Diskussion ausgehend von dem durch den Globalisierungsbegriff präjudizierten Bezugsrahmen einschränkend von Globalisierungstrends oder -tendenzen die Rede ist (z.B. Höll, 2000: 207-209; Nuscheler, 2004: 53) oder gar die aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen und ihrer Qualität und Quantität nach zweifelsfrei neuartigen Globalisierungsprozesse an sich angezweifelt werden.
Bleibt die Frage wie sich der Sachverhalt Globalisierung über die Feststellung seines multidimensionalen und unvollendeten Charakters hinaus definieren lässt? Dem Wunsch einer allgemeingültigen, nicht dem Vorwurf der Verkürzung und der Profillosigkeit ausgesetzten, Definition kann angesichts der Kontextvielfalt des Globalisierungsphänomens nur schwer nachgekommen werden, doch existieren durchaus pragmatische Definitionsversuche, die sich von dem in der Diskussion dominierenden aber nichtsdestotrotz reduktionistischen ökonomischen Blickwinkel lösen und ein breiteres Verständnis von Globalisierung zulassen. Globalisierung wird dann als Vermehrung und Verdichtung grenzüberschreitender Interaktionen definiert, in deren Folge heterarchische Abhängigkeiten zunehmen (Vgl. Messner/Nuscheler, 1996: 2; Altvater/Mahnkopf, 1996) oder aber auch als „…ein komplexer multidimensionaler Prozess der Entgrenzung und Enträumlichung zum einen und der Verdichtung und Vernetzung zum anderen“ (Tetzlaff, 2000: 24). Globalisierung bedeutet also die qualitative wie quantitative Intensivierung grenzüberschreitender Interaktionen bei deren gleichzeitiger räumlicher Ausdehnung, wodurch Staaten und Gesellschaften in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht immer enger vernetzt und damit wechselseitig zu unterschiedlichen Graden verwundbar werden.
Während damit eine sich deutlich vom Begriff der Globalität abgrenzende Definition der Globalisierung gefunden werden konnte, die auch die Berücksichtigung nicht-wirtschaftlicher Globalisierungsprozesse ermöglicht, bedarf die weitere Auseinandersetzung mit den Auswirkungen gegenwärtiger Globalisierungsprozesse auf die Demokratie zweifellos einer sorgfältigeren Analyse dieses „welthistorischen Megatrends“ (Nuscheler, 2004: 53).
Wie mittlerweile hinreichend belegt, ist der Globalisierungsprozess kein gänzlich neues Phänomen (z.B. Hirst/Thompson, 1996; Osterhammel/Petersson, 2003). Die historischen Vorläufer reichen je nach angelegtem Bewertungsmaßstab und Blickwinkel bis ins 16. Jahrhundert zurück, in dem sich mit der Entdeckung Amerikas, dem aufkommenden Sklavenhandel im Dreieck Europa, Afrika und Amerika und den sich intensivierenden Handelsbeziehungen mit Asien die ersten Konturen eines Welthandels herauskristallisierten.
Spätestens jedoch mit dem im 19. Jahrhundert aufkommenden industriellen Zeitalter kann von einer von Europa ausgehenden und dort im speziellen von den nationalen Volkswirtschaften vorangetriebenen Globalisierungsphase gesprochen werden, die maßgeblich durch das imperialistische Streben der heranwachsenden europäischen Nationalstaaten begünstigt wurde. Unter dem Banner des Freihandels entwickelte sich erstmals eine arbeitsteilige, auf Industriegüter und wachsenden Massenkonsum ausgerichtete Weltwirtschaft, die das Volumen des Welthandels stetig vorantrieb und die gegenseitige Verflechtung und wirtschaftliche Integration der Nationalstaaten bis zum I. Weltkrieg gar bis auf ein in mancher Hinsicht mit dem Status quo vergleichbaren Niveau anwachsen ließ (Hirst/Thompson, 1996: 49). Staatlich geförderte Innovationen im Bereich Kommunikation (Telegraphen und Telefon) und Transport (Eisenbahn und Flugzeug) begannen die Überwindung geographischer wie ökonomischer Grenzen zu begünstigen und bisherige Raum- und Grenzvorstellungen zu relativieren. So ermöglichte es der industrielle wie auch technische Fortschritt, Rohstoffe aus anderen Erdteilen, insbesondere aus den europäischen Kolonien, zu importieren, zu verarbeiten und anschließend weltweit zu vermarkten. Marx und Engels beschrieben den hinter der außergewöhnlichen Dynamik dieser Zeit stehenden Geist mit folgendem viel zitiertem Satz, der auch heute wieder Gültigkeit beanspruchen kann: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel“ (Marx/Engels, 1955: 10).
Der Ausbruch des I. Weltkrieges beendete diese Phase wirtschaftlicher Globalisierung jedoch abrupt und leitete eine, von den zwei Weltkriegen und der Weltwirtschaftskrise von 1929 getragene De-Globalisierung ein, die mehr als drei Jahrzehnte andauern sollte und in deren Folge sich die weltwirtschaftliche Integration im Vergleich zum Niveau am Vorabend des I. Weltkrieges drastisch verminderte (Busch, 2003: 20). Erst das Ende des II. Weltkrieges beendete diese Phase der Isolation und Desintegration und ermöglichte einen neuerlichen oder besser erneut einsetzenden und von politischen Entscheidungen getragenen wirtschaftlichen Globalisierungsprozess, dem sich die Welt unter veränderten Rahmenbedingungen und in anderer Qualität und Quantität auch heute ausgesetzt sieht. Geprägt von den Erfahrungen der Weltkriege suchte man über den Weg der ökonomischen Liberalisierung und Verflechtung zukünftige Konflikte zu verhindern und die Erholung der vom Krieg stark angeschlagenen Staaten zu beschleunigen. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung gilt die erste Finanz- und Währungskonferenz der Nachkriegszeit (Bretton Woods, USA, 1944), in deren Verlauf mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank die ersten Internationalen Organisationen zur Regelung und Koordinierung der Wirtschaftszusammenarbeit auf globaler Ebene gegründet wurden. Erstmalig wurden damit bis dato allein den Nationalstaaten vorbehaltene Entscheidungskompetenzen zugunsten einer effektiveren Steuerung an überstaatliche Organisationen übergeben. Nicht weniger wegweisend war das drei Jahre später abgeschlossene Generell Agreement on Tariffs and Trade (GATT), welches 1948 in Kraft trat und den Abbau von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen zur Aufgabe hatte. Beide Abkommen symbolisieren den Beginn einer von den westlichen Staaten, im speziellen von den USA und mit Beginn der europäischen Integration (Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957) auch maßgeblich von den westeuropäischen Nationalstaaten, verfolgten Strategie des freien Handels und der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung, die mit Hilfe technischer und organisatorischer Innovationen den Weg für die aktuellen Globalisierungsprozesse ebnete.
Als wesentliche Ursachen der Globalisierung in seiner gegenwärtigen Gestalt lassen sich demnach neben den bereits ausschnitthaft dargestellten politischen Triebkräften in erster Linie technologische und wirtschaftsstrukturelle Veränderungen als maßgebliche, sich teilweise wechselseitig verstärkende, Motoren des vor allem seit Beginn der neunziger Jahre zunehmend an Dynamik gewinnenden Globalisierungsprozesses anführen (Busch, 2003: 12; Benner/Reinicke/Witte, 2000: 17-26; Narr/Schubert, 1994).
Wie weiter oben bereits aufgezeigt, waren es die von den westlichen Industrienationen initiierten Politiken zur weltwirtschaftlichen Liberalisierung und gegenseitigen Einhegung, die den wirtschaftlichen Globalisierungsprozess nach dem Ende des II....