In Kapitel 2 wurden wesentliche Implikationen und Entwicklungen für den Markt und die Herstellung des klassischen TV-Spots aufgezeigt. Kerngeschäft ist die Vermarktung der Werbung im Analog-TV. Aufgrund der digitalen Konvergenz und der Änderung in der Medienausstattung und Nutzung sowohl beim Endkonsumenten, als auch in Bezug auf die Produktionsmittel auf allen Stufen der Wertschöpfungskette wird ein neuer Markt für digitale Werbefilme entstehen, jenseits der klassischen TV-Spots im Massenmarkt. Durch die Änderungen in der Technik und durch die Änderungen im medialen Nutzungsverhalten beim Endkonsumenten im Hinblick auf die Werbung ergeben sich zahlreiche neue Anforderungen an die Produktionsart für digitale Spots, die durch technische Innovationen und neue Herangehensweisen im Produktionsablauf sowie durch Veränderungen in der Wertschöpfungskette realisierbar werden.
Der Produktionsablauf bei der Herstellung digitaler Werbefilme ist im Wesentlichen ähnlich der Produktion klassischer Werbefilme für den analogen TV-Markt. Die beteiligten Unternehmen sind nach wie vor die werbetreibenden Unternehmen, Werbeagenturen und Filmproduktionen. Inwiefern sich Verschiebungen der Dienstleistungen innerhalb dieser Unternehmen ergeben, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit erörtert (Vgl. Kapitel 3.3.3). Zentraler Ansatzpunkt in diesem Kapitel ist das Kostensenkungspotential bei der Produktion digitaler Spots. Diese neue Herangehensweise soll mit den Stichworten neue Ästhetik, digitale Medien und schlanke Produktion beschrieben werden.
Digitale Werbefilme sind in erster Linie nicht für den klassischen TV-Markt gedacht. Die Werbeträger digitaler Werbespots sind primär: das Internet, Mobile Devices (wie Handy, PDA oder iPod) und das Digital-TV. Insofern darf nicht mit gleichartigen Ansprüchen und Vorstellungen in Bezug auf die Ästhetik des TV-Marktes agiert werden. Jedes Medium hat eine eigene Bildsprache.[79] Soll ein digitaler Spot mit allen Medien kompatibel sein, so muss dies bereits bei der Ideenfindung bedacht werden. Beispielsweise sind die verschiedenen Formate (Größe des Displays) im Internet oder beim Mobile TV zu bedenken. Die Idee sollte derart gestaltet sein, dass sie mit einfachen grafischen Mitteln funktioniert und ohne großes Production Value[80] auskommt. Gleichwohl sollten die entsprechenden Werbeziele im Fokus behalten werden, um die zieladäquate Werbewirkung nicht zu beeinträchtigen. Hieraus resultiert bereits ein Kostenvorteil gegenüber der klassischen TV-Werbung. Serge Roman, ein erfahrener Kameramann kommentiert dies in einem Interview mit Christian Henze.[81] Seiner Meinung nach seien die Zeiten vorüber, in denen Mio. € für die Produktion eines Werbespots ausgegeben werden. Die Kreativität rücke in den Vordergrund. Für ihn bestehe kein Zusammenhang zwischen der Größe eine Budgets und der Qualität eines Werbespots. Als Beispiel bringt er argentinische Werbefilmproduktionen, die trotz der kleineren Budgets für ihn sehenswerte Werbefilme umsetzten.
Es ist also möglich, auch ohne Reise nach Kapstadt und ohne teure Technik einen Spot zu drehen, der die Konsumenten positiv anspricht und seine Wirkung nicht verfehlt. Es seien hier einige Beispiele für andersartige Ideen gemäß der neuen Ästhetik für digitale Medien genannt:
Beispiel eins: Die Firma Apple und die Kampagne „Get a Mac“ (vgl. Abbildung 4). Es handelt sich um eine Reihe von Spots, welche einen Vergleich zwischen Macs und PCs darstellen. Zwei Menschen unterhalten sich, der Eine trägt einen Anzug und erscheint etwas antiquiert. Er symbolisiert einen PC. Der Zweite ist jung und dynamisch, er stellt einen Macintosh dar. Sie unterhalten sich humorvoll über Macs und PCs. Beispielsweise wird auf den ständigen Virenbefall oder Systemabstürze von PC-Computern angespielt. Es sind sehr anschauliche und humorvolle Spots mit einer klaren Werbebotschaft. Einfach und kostengünstig gedreht. Die Produktionsbudgets werden nicht veröffentlicht, Brancheninsider gehen jedoch davon aus, dass die Apple-Kampagne für circa 30.000 US$ realisiert wurde.[82]
Abbildung 4: Beispiel für eine Internet Spot (Apple) - Neue Ästhetik (1)
Ein weiteres geeignetes Beispiel ist die Kampagne „Jumping Jack“[83] (vgl. Abbildung 5) des Autoherstellers BMW. BMW erklärt anhand eines einfachen Hampelmanns die Vorzüge eines neuen Allradsystems (xDrive). Der Zuschauer sieht lediglich einen Hampelmann, welcher von einer Hand gezogen wird. Die Arme und Beine stehen für die vier Räder eines Autos.
Abbildung 5: Beispiel für einen Spot (BMW) - Neue Ästhetik (2)
Ein abschließendes Beispiel: Die Firma K-Fee vermarktet gekühlten Kaffee in Dosen. Eine aktuelle Kampagne besteht aus einer Reihe von Filmen mit dem gleichem Prinzip: der Zuschauer sieht eine ruhige, beschauliche Szenerie: einen Angler, einen Golfer oder nur eine Wiese, begleitet von beruhigender und atmosphärischer Musik. Plötzlich erscheint ein Monster mit einem ohrenbetäubenden Schrei im Bildschirm: danach der Slogan: „So wach warst Du noch nie!“ Die Umsetzung der Idee gelingt ohne Schnitte und mit nur einer einzigen Kameraeinstellung, also sehr kostengünstig.
Abbildung 6: Beispiel für einen Spot (K-Fee) - Neue Ästhetik (3)
Dies sind Beispiele für Werbefilme, bei der eine Idee im Mittelpunkt steht, welche die Konsumenten anspricht. Eine Idee, die appelliert, vergleicht oder betroffen bzw. neugierig macht. Mit filmerisch einfachsten Mittel in Szene gesetzt und mit geringem Ausstattungsaufwand des Sets, können die Herstellungskosten bei gleich bleibender Werbewirkung reduziert werden.
Ein weiterer Vorteil, der durch die neue Ästhetik zum Tragen kommt, ist das virale Marketing.[84] Im Internet können die Treatments gewagter, progressiver und aggressiver gestaltet sein, zum einen aufgrund der klar definierbaren Zielgruppe, ohne Streuverluste. Zum anderen, da im Internet bisher etablierte Institutionen fehlen, die den Inhalt von Werbung mit Beschränkungen belegen. Daher sind die digitalen Werbespots zum Teil gewagter als herkömmliche TV-Werbung.[85] Beispielsweise schaltete die Firma Budweiser einen Werbefilm im Rahmen der amerikanischen Großveranstaltung Super-Bowl nicht im TV, sondern im Internet, da er als zu gewagt empfunden wurde.[86]
Innerhalb der Filmbranche ist eine intensive Diskussion über die Verwendung von Zelluloid Filmmaterial oder digitalen Medien aufgekommen. In diesem Zusammenhang gilt es sich anzuschauen, mit welchen Kosten welche Ergebnisse erzielt werden, insbesondere im Hinblick auf die notwendige Erfahrung im Umgang mit den unterschiedlichen Medien. Mit dem traditionellen 35mm Material kennen sich alle Beteiligten sehr gut aus. Sämtliche Kameramänner kennen das Material, das Handling der Kamera und wissen aufgrund ihrer Erfahrung, wie die Bilder später aussehen und wirken werden. 35mm Material ist das state-of-the-art der Filmbranche. Ähnlich wie bei der digitalen Fotografie hat eine neue Technik wie High Definition (HD) einen sehr schweren Stand, und die Meinungen gehen stark auseinander. Im Jahr 2001 schrieb Hans Henneke von Kodak in einem Artikel, dass die Vorteile des Filmmaterials für ihn beim Filmen in der Bildqualität und in der Gestaltung liegen und in Bezug auf die Speicherung bei der Informationsdichte und Beständigkeit.[87] Ein französischer Kameramann, namens Francois Reumont, hat eine Reihe von Tests mit einer HD-Kamera durchgeführt. Für ihn war es ein positives Erlebnis: Farb- und Kontrastverhalten ließen, entgegen der Aussage von Henneke, nicht auf eine digitale Kamera schließen und die Detailwiedergabe war, so Reumont, sehr zufrieden stellend.[88] Die Entwicklung ist, wie in allen technischen Bereichen, rasant: Fast jeden Monat kommen neue Geräte und Applikationen, welche günstiger und besser als die Vorgänger sind.[89] Martin Kreitl, Leiter der HD-Postproduktion von Taurus-Media Technik, sieht das Problem, dass die Filmbranche der HD-Technik im Vergleich zum 35mm Material nicht so recht vertrauen mag, eher als deutsches: während Länder wie England oder Italien bereits einen Großteil der Fernsehproduktionen in HD realisieren, trauen sich Filmschaffende in Deutschland
nicht so recht.[90] Ein vergleichbares Bild resultiert aus den im Rahmen dieser Arbeit geführten Experteninterviews. Während beispielsweise in den Niederlanden bereits ein großer Teil der Werbefilme in HD realisiert wird, warten deutsche Filmproduktionen und Agenturen vorerst die weitere Entwicklung in der HD-Technologie ab.[91] Die Betrachtung von der Kostenseite her führt zu einem einschneidenden Vorteil in der HD-Technik. Kreitl geht von einem Einsparungspotential von insgesamt circa 20 Prozent aus.[92] Auch Hofmann attestiert der digitalen Technik einen...