Einleitung: Das Management der Digitalisierung
Charakteristik und Definition der Digitalisierung
Die Digitalisierung ist eine der bedeutendsten Entwicklungen des 21. Jahrhunderts und beherrscht Wirtschaft und Gesellschaft wie kaum ein anderes Thema. Es gibt Weniges, was so komplex, vielschichtig und anspruchsvoll ist. Dies gilt gleichermaßen aus der Perspektive von Kunden, Staatsbürgern, Politikern, Mitarbeitern und Führungskräften. Mittlerweile sind tausende Bücher, Artikel und Fachbeiträge erschienen, die das Thema aus unterschiedlichen Richtungen beleuchten und darstellen, wo Chancen und Vorteile, Gefahren und Risiken liegen. Was in Forschung und Veröffentlichungen nach wie vor zu kurz kommt, ist die Frage nach der Umsetzung der Digitalisierung1. Es gibt sehr viele gute Beispiele, von denen gelernt werden kann und die eine erstaunliche Ähnlichkeit in der Vorgehensweise aufweisen.
In diesem Buch wird aufgezeigt, wie aus den Potenzialen und Versprechungen der Digitalisierung echte Resultate werden. Der Fokus liegt daher nicht auf der Digitalisierung, sondern auf der Umsetzung der Digitalisierung. Das ist keine sprachliche Spitzfindigkeit, sondern ein wesentlicher Unterschied. Im Vordergrund stehen nicht Technik und IT, sondern das Management und Wirksam-Machen der Digitalisierung. Es geht um bewährte Vorgehensweisen und Werkzeuge, wie sich ein Unternehmen digital entwickeln und Resultate erzielen kann. Nicht technische Spielereien oder bunte PowerPoint-Folien entscheiden über den Erfolg der Digitalisierung, sondern konkrete Maßnahmen. Das ist der Schritt vom Wunsch zur Wirksamkeit.
Entgegen landläufiger Meinung sind die treibenden Faktoren der Digitalisierung nicht Systemtechnik, IT oder das Internet. All das gibt es schon seit Jahrzehnten, im Falle des Webs schon über ein Vierteljahrhundert. Der entscheidende Punkt und zugleich Definition der Digitalisierung sind folgende Elemente: 1) die Vernetzung von Menschen, Maschinen und Daten; 2) die Individualisierung von Produkten, Dienstleistungen und Informationen; 3) die deutliche Zunahme an Geschwindigkeit; 4) die Dezentralisierung bzw. Selbstorganisation und 5) die tendenzielle Auflösung von Branchen- und Unternehmensgrenzen. Das ist der Treibsatz der Digitalisierung und bewirkt die Steigerung von Innovationsleistung und Produktivität. Die Folge davon ist nicht selten die Veränderung von Geschäftsmodellen, Branchen und traditionellen Vorstellungswelten. Paradigmatisch dafür steht das Beispiel Uber: Dieses Unternehmen hat weder das Internet noch das Taxi erfunden. Es hat aber eine klassische Branche herausgefordert, indem es eine globale Lösung für ein seit jeher atomisiertes Geschäft auf den Markt gebracht hat. Der Ansatz ist denkbar einfach und nur über digitale Kommunikation möglich: Der Kunde bezahlt nicht für ein Taxiunternehmen, sondern für eine Taxifahrt. Auch wird anhand dieses Beispiels ersichtlich, dass viele traditionelle Begriffe der Wirtschaftswissenschaften an ihre Grenzen kommen. Ist der Uber-Fahrer Unternehmer, Angestellter, freier Dienstleister oder Kunde? Ergibt die herkömmliche Unterscheidung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in diesem Fall noch einen Sinn?
Trotz des vielfältigen Wandels muss festgehalten werden, dass die Digitalisierung nichts an den Gesetzen des Wirtschaftens verändert. Im Zentrum steht nach wie vor die Frage: Ist der Kunde bereit, für eine digitale Lösung eine Rechnung zu bezahlen? Die Digitalisierung verändert aber alles hinsichtlich Veränderungsfähigkeit, Kompetenzaufbau und methodischer Fähigkeiten. Der Engpass sind nicht die Vorschläge, Potenziale, Chancen oder Ideen. Entscheidend ist die Umsetzungsstärke unserer Unternehmen. Und dies bedingt nicht eine Cloud oder das Silicon Valley, sondern kompetentes Management. Die Digitalisierung sollte daher als Anlass gesehen werden, das Unternehmen wieder einmal grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Die zentrale Frage für das Management lautet: Wie können wir die Potenziale der Digitalisierung in Nutzen und Resultate umwandeln?
Kritikfelder der Digitalisierung
Die Digitalisierung ist als globales und alles durchdringendes Thema natürlich auch Gegenstand von Sorge und Angst. Klarerweise muss eine kritische Reflexion der Digitalisierung erfolgen, damit negative Wirkungen und Begleiterscheinungen bewusst und öffentlich gemacht werden. Nur so wird ein transparenter und vernünftiger Diskurs entstehen. Niemand kann absehen, wie sich dieses Thema auf die politische, gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklung auswirken wird. Es existieren drei Gefahrenfelder, die nachfolgend dargestellt werden.
Eine erste Kritik lautet, dass durch Digitalisierung Arbeitsplätze verloren gehen und die Produktivitätsvorteile die Beschäftigungsquote reduzieren werden. Zudem werden Überwachung und eine qualitative Verschlechterung von Arbeitsverhältnissen befürchtet. Auswirkungen in der Arbeitswelt und innerhalb bestehender Beschäftigungsverhältnisse sind natürlich laufend zu prüfen; gleichwohl kann mit einer historischen Analogie gearbeitet werden. Bereits in der ersten Industriellen Revolution im 18. Jahrhundert hat es die gut begründete Sorge gegeben, dass Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und im Handwerk verloren gehen, was wiederum zu Massenarbeitslosigkeit und Verelendung führt. Das genaue Gegenteil ist eingetreten, und dasselbe Muster war auch bei allen anderen industriellen Revolutionen feststellbar – nicht zuletzt seit der Computerisierung in den 1970er-Jahren.
Die zweite Gefahr ist eine handfestere und hat sich schon verschiedentlich gezeigt: Die Möglichkeiten der Digitalisierung führen zu Manipulation und zu einer Beeinflussung von Wählern und Kunden. Die teilweise gesteuerte Wahl des US-Präsidenten Donald Trump und das betrügerische Geschäftsmodell von Facebook sind nur stellvertretende Beispiele für diese Art von Manipulation und Geschäftsmodell. Gerade hier haben mittlerweile Protagonisten der Digitalisierung selbst erkannt, dass diese Entwicklung aus dem Ruder laufen kann. So meint etwa Tim Cook, CEO von Apple: »Ich habe Nichten und Neffen, und ich erlaube ihnen nicht, dass sie einem Sozialen Netzwerk beitreten.« Der Manager für Mitgliederwachstum bei Facebook, Chamath Palihapitiya, spricht die Gefahren für die Gesellschaft offen an: »Was wir schufen, zerstört den Zusammenhalt jeder Gesellschaft: An die Stelle von Bürgerdiskurs und Kooperation setzen wir Desinformation und Unwahrheit. Es geht nicht um ein paar Russen-Hacks, das ist ein globales Problem.« Und Jaron Lanier, Chefstratege bei Microsoft, fasst das Thema ernüchtert wie folgt zusammen: »One has this feeling of having contributed to something that’s gone very wrong.« Diese Beispiele2 zeigen deutlich die Gefahren durch die neuen Technologien und Methoden auf. Demokratie, Menschenrechte und Freiheit müssen gegen Populisten und Diktatoren geschützt werden. Die Politik hat Antworten zu finden und sich gegenüber postfaschistischen und postkapitalistischen Strömungen zu wehren.
Drittes Kritikfeld ist die negative Auswirkung digitaler Geräte, Medien und Kommunikationsweisen auf Menschen. Überspitzt wird gerne von digitaler Degeneration oder digitaler Demenz oder gar digitaler Debilität gesprochen. Vor allem für jüngere Menschen werden Beeinträchtigungen von Konzentration, Wahrnehmungsfähigkeit, körperlicher Fitness und Sozialverhalten befürchtet. Gespräche und Erfahrungsaustausch mit Eltern, Lehrern und generell mit allen, die mit Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zu tun haben, vermitteln dieses Bild und führen rasch zu einer Bestätigung dieses Vorurteils. Auch an dieser Stelle gilt: Einerseits sind diese Phänomene oder Hypothesen wissenschaftlich zu untersuchen und im Fall echter Beeinträchtigung ist ihnen entgegenzuwirken. Andererseits hat es aber immer schon grundsätzliche Bedenken gegenüber neuen Medien und neuen Technologien gegeben. Bei der Erfindung des Automobils wurde davon gesprochen, dass der menschliche Körper für Geschwindigkeiten über 50 km/h nicht geschaffen sei. Nach Einführung des Radios bzw. Fernsehens kamen Zweifel auf, ob diese neuen Audio- bzw. optischen Wellen nicht gesundheitsschädlich seien.
Gerade weil die Digitalisierung nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich und politisch wirkt, ist eine kritische Reflexion notwendig. Dies geschieht in Wissenschaft und Praxis, durch Nichtregierungsorganisationen, Unternehmungen und Regierungen. Eine verantwortliche Unternehmensführung sollte diese Dimension vor Augen haben und sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.
Digitalisierung als Motor für Transformation
Aufgrund der Wirkmächtigkeit der Digitalisierung sind heute praktisch alle Unternehmen aufgefordert, sich mit diesem Thema zu befassen. Dies betrifft nicht nur Start-ups, Konzerne, IT-...