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E-Book

Dinge zurechtrücken

Gespräche aus vierzig Jahren

AutorJoan Didion
VerlagKampa Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783311700289
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Dieser Band versammelt die besten Gespräche der »Schriftstellerin und Ikone« (The New Yorker) aus vier Jahrzehnten. Joan Didion erzählt von ihrer Kindheit in Sacramento, ihrer Studienzeit in Berkeley, den Jahren in New York und Los Angeles. Sie denkt nach über ihre Ehe mit dem Schriftsteller John Gregory Dunne, seinen unerwarteten Tod und den ihrer Tochter Quintana, nur zwei Jahre später - Schicksalsschläge, die sie in ihren Erinnerungsbüchern Das Jahr magischen Denkens und Blaue Stunden verarbeitete, die schon jetzt als Meilensteine des Genres gelten.Aber natürlich geht es in diesen Gesprächen auch um Literatur, um das Schreiben von Romanen, das dem nicht-fiktionaler Texte so gar nicht gleicht, um das Schreiben als Akt der Notwehr, um Politik und Engagement, Sonnenuntergänge an der kalifornischen Küste, lange Spaziergänge durch New York und vieles mehr. Ein reiches Leben ist hier zu besichtigen und das Werk einer Frau, deren Stil wegweisend war, so wie ihr Erscheinungsbild: Noch im Alter von über achtzig Jahren wirkte Didion in einer Anzeige der Modemarke Céline als Testimonial. »Didion still glitters«, schrieb die New York Times.

Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen wie die New York Review of Books und den New Yorker und war u. a. Redakteurin der Vogue. Sie hat fünf Romane und zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, darunter Das Jahr magischen Denkens, für das sie 2005 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Gemeinsam mit ihrem 2003 verstorbenen Mann, dem Schriftsteller John Gregory Dunne, hat sie mehrere Drehbücher geschrieben. Joan Didion lebt in New York.

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Leseprobe

Der Schriftsteller versucht immer, den Leser zum Zuhörer seines Traums zu machen.


Im Gespräch mit Linda Kuehl, 1978

Sie haben einmal gesagt, Schreiben sei ein feindseliger Akt. Warum?

Feindselig in der Weise, dass man jemandem seine Sicht der Dinge aufzuzwingen versucht. Es ist ein feindseliger Akt, das Denken eines Menschen in dieser Weise zu manipulieren. Häufig möchte man jemandem seinen Traum oder auch seinen Albtraum erzählen. Allerdings möchte niemand den Traum eines anderen hören, sei er nun schön oder schlimm; niemand möchte sich darauf einlassen. Der Schriftsteller versucht immer, den Leser zum Zuhörer seines Traums zu machen.

Sind Sie sich beim Schreiben des Lesers bewusst? Hören Sie beim Schreiben dem Leser zu, der Ihnen zuhört?

Offensichtlich höre ich einem Leser zu, aber der einzige Leser, den ich höre, bin ich selbst. Ich schreibe immer für mich selbst. Sehr wahrscheinlich begehe ich also einen aggressiven, feindseligen Akt gegen mich selbst.

Die Frage in vielen Ihrer nicht-fiktionalen Texte: »Haben Sie verstanden?«, ist also an Sie selbst gerichtet?

Ja. Als ich mit dem Schreiben anfing, habe ich gelegentlich versucht, für einen anderen Leser als mich selbst zu schreiben. Ich bin immer gescheitert. Jedes Mal bin ich erstarrt.

Wann wussten Sie, dass Sie schreiben wollten?

Ich habe schon als kleines Mädchen Geschichten geschrieben, aber ich wollte nicht Schriftstellerin werden, sondern Schauspielerin. Damals wusste ich noch nicht, dass beides dem gleichen Impuls entspringt. Es geht um Vorspiegelung. Um eine Aufführung. Der einzige Unterschied ist der, dass der Schriftsteller unabhängig ist. Das ging mir schlagartig auf, als eine Freundin, eine Schauspielerin, mit einigen Schriftstellerkollegen vor ein paar Jahren bei uns zum Essen war. Plötzlich wurde mir bewusst, dass sie die einzige Person im Raum war, die ihren Auftritt nicht planen konnte. Sie musste darauf warten, dass jemand anderes sie darum bat. Ein seltsames Leben.

»Die Sätze in meinen nicht-fiktionalen Texten sind viel komplizierter als in meinen Romanen. Wenn ich einen Roman schreibe, scheine ich viel weniger Nebensätze zu hören.«

Gab es jemanden, der Ihnen das Schreiben beigebracht hat?

Mark Schorer lehrte in Berkeley, als ich dort studierte, und er unterstützte mich. Ich meine damit nicht, dass er einzelne Sätze oder Passagen mit mir diskutierte – niemand hat die Zeit, die Arbeiten seiner Studenten so genau zu korrigieren. Aber er vermittelte mir ein Gefühl dafür, worum es beim Schreiben geht, wozu es gut ist.

Hat irgendein Autor Sie in besonderer Weise beeinflusst?

Ich sage immer Hemingway, weil er mir gezeigt hat, wie Sätze funktionieren. Als ich fünfzehn oder sechzehn war, tippte ich seine Erzählungen ab, um herauszufinden, wie diese Sätze funktionieren. So brachte ich mir gleichzeitig bei, mit der Maschine zu schreiben. Vor ein paar Jahren, als ich in Berkeley unterrichtete, las ich noch einmal In einem andern Land, und sofort waren diese Sätze wieder da. Es sind wirklich perfekte Sätze. Sehr direkt, sanfte Flüsse, klares Wasser über Granit, keine Untiefen.

Sie haben auch Henry James genannt …

James schrieb ebenfalls perfekte Sätze, allerdings sehr indirekte, sehr komplizierte Sätze. Sätze mit Untiefen. Man kann in ihnen ertrinken. Ich würde es nicht wagen, solche Sätze zu schreiben. Ich bin nicht mal sicher, ob ich es wagen würde, James noch einmal zu lesen. Ich liebte seine Romane so sehr, dass sie mich lange Zeit lähmten. Diese unendliche Fülle von Möglichkeiten. Dieser vollkommen durchdachte Stil. Das schüchterte mich so sehr ein, dass ich fürchtete, gar nichts mehr zu Papier zu bringen.

Ich frage mich, ob einige Ihrer nicht-fiktionalen Texte nicht wie ein einziger Satz von Henry James aufgebaut sind.

Das wäre ideal, nicht wahr? Ein ganzer Text – acht, zehn, zwanzig Seiten in einem einzigen Satz. Übrigens sind die Sätze in meinen nicht-fiktionalen Texten viel komplizierter als in meinen Romanen. Viel mehr Nebensätze. Mehr Semikolons. Wenn ich einen Roman schreibe, scheine ich viel weniger Nebensätze zu hören.

Sie haben gesagt, mit dem ersten Satz stehe der gesamte Text. Genau das hat Hemingway auch gesagt. Alles, was er brauchte, war der erste Satz, dann hatte er die ganze Geschichte.

Schwierig am ersten Satz ist, dass man daran hängen bleibt. Alles andere folgt daraus wie von selbst. Und wenn man die ersten beiden Sätze geschrieben hat, sind sämtliche Optionen dahin.

Der erste Satz ist eine Geste, der zweite eine Verpflichtung.

Ja, und der letzte Satz eines Textes ist ein neues Abenteuer. Er sollte einen Text öffnen. Er sollte den Leser dazu bringen, zurückzublättern und noch einmal von vorn anzufangen. So sollte es sein, aber das funktioniert nicht immer. Ich stelle mir das Schreiben immer als einen Hochseilakt vor. In dem Augenblick, in dem man Wörter zu Papier bringt, schließt man Möglichkeiten aus. Es sei denn, man ist Henry James.

Ich frage mich, ob Ihre Arbeitsmoral – was Sie Ihre »strenge protestantische Ethik« nennen – Ihnen nicht Türen verschließt, Sie daran hindert, sich alle Möglichkeiten offenzuhalten.

Vermutlich ist das ein Teil der Dynamik. Wenn ich ein Buch beginne, strebe ich nach Perfektion, es soll alle erdenklichen Farben, die ganze Welt enthalten. Schon nach zehn Seiten habe ich es vermasselt, habe es beschränkt, festgezurrt und verhunzt. Das ist sehr entmutigend. In diesem Moment hasse ich das Buch. Nach einer Weile finde ich einen Kompromiss: Nun, es ist nicht das ideale Werk, das mir vorschwebte, aber vielleicht – wenn ich dies nur erst einmal zu Ende bringe – gelingt es mir beim nächsten Mal. Vielleicht bekomme ich noch eine Chance.

Gibt es Autorinnen, die Sie in besonderer Weise beeinflusst haben?

Am ehesten als Modelle für einen Lebensentwurf, nicht für eine Schreibweise. Vermutlich haben die Brontës mich in meiner eigenen Vorstellung von Theatralik bestärkt. Irgendetwas an George Eliot hat mich stark angezogen. Ich glaube, sowohl Jane Austen als auch Virginia Woolf passten vom Temperament her nicht zu mir.

Welche Nachteile, so es sie denn gibt, bestehen für weibliche Autoren?

Als ich anfing zu schreiben – Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger –, gab es eine gewisse gesellschaftliche Tradition, in der männliche Romanciers sich bewegen konnten. Säufer mit kaputter Leber, Frauen, Kriege, große Fische, Afrika, Paris, keine zweiten Chancen. Ein Mann, der Romane schrieb, nahm eine bestimmte Rolle in der Welt ein, und dann konnte er alles tun, was er wollte. Eine Romanautorin hatte keine solche Rolle. Frauen, die Romane schrieben, wurden oft als krank betrachtet. Carson McCullers, Jane Bowles. Nicht zu vergessen Flannery O’Connor. Romane von Frauen wurden selbst von ihren Verlegern als »empfindsam« beschrieben. Ich weiß nicht, ob das heute noch zutrifft, aber damals war es zweifellos so, und es gefiel mir nicht. Ich ging damit so um wie mit allem anderen. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, reagierte, wie ich glaube, ziemlich schlau. Ich ließ nicht viele Menschen wissen, was ich so tat.

Vorteile?

Die Vorteile sind wohl identisch mit den Nachteilen. Ein gewisser Widerstand ist immer gut. Man bleibt wachsam.

Können Sie am Stil eines Textes erkennen, ob es sich um eine Autorin handelt?

Nun, wenn Stil und Charakter eins sind – wovon ich überzeugt bin –, offenbart der Stil unweigerlich auch das Geschlecht. Ich möchte nicht zwischen Stil und Sensibilität differenzieren. Noch einmal, der Stil eines Autors ist seine Sensibilität. Aber die Frage der sexuellen Identität ist überaus kompliziert. Würde ich etwa mit nüchternem Blick etwas von Anaïs Nin lesen, ich würde vermutlich sagen, es sei von einem Mann geschrieben, der wie eine Frau zu schreiben versucht. Genauso würde es mir bei Colette ergehen, und doch werden beide Autorinnen allgemein als dezidiert »feminine« Schriftstellerinnen betrachtet. Ich erkenne das Feminine nicht. Auf der anderen Seite erscheint mir Sieg von Joseph Conrad als ein ausgesprochen femininer Roman. Genau wie Nostromo oder Der Geheimagent.

Fällt es Ihnen leicht, männliche Figuren darzustellen?

Menschen am Fluss ist teilweise aus der Perspektive eines Mannes erzählt. Everett McClellan. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass diese Teile schwieriger gewesen wären als die anderen. Dennoch empfanden viele Leute Everett als schemenhaft. Für mich ist er die prägnanteste Figur im ganzen Buch. Ich mochte ihn sehr. Ich mochte Lily und Martha, aber Everett liebte ich.

»Tagsüber arbeitete ich für Vogue, nachts schrieb ich Szenen für einen Roman. Wenn ich eine Szene fertig hatte, klebte ich die Seiten aneinander und hängte sie in langen Streifen an die Wand meines Apartments.«

War Menschen am Fluss wirklich Ihr erster Roman? Er wirkt für ein Debüt so vollendet, dass ich das Gefühl hatte, Sie hätten einige frühere Versuche in der Schublade.

Ich habe einige nicht-fiktionale Texte zur Seite gelegt, aber nie einen Roman. Es kann passieren, dass ich vierzig Seiten rauswerfe und vierzig neue Seiten schreibe, aber sie gehören alle zum selben Buch. Ich habe Menschen am Fluss nachts über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschrieben. Tagsüber...

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