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E-Book

Dopamin und Käsekuchen (Wissen & Leben)

Hirnforschung à la carte

AutorManfred Spitzer
VerlagSchattauer
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl214 Seiten
ISBN9783608168341
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ein Titel aus der Reihe Wissen & Leben Herausgegeben von Wulf Bertram Hormone zur Hochzeit und Gehirnforschung für den Alltag Wer glaubt, Wissenschaft könne nur langweilig präsentiert werden, hat noch keines der unterhaltsamen Bücher von Manfred Spitzer gelesen! In seinen neuesten Essays, die wieder einmal ebenso wissenschaftlich fundiert wie amüsant sind, geht es nicht nur um käsekuchensüchtige Ratten. Daneben nimmt er viele andere Fragen aufs Korn, die uns schon lange beschäftigen: Wir alle wissen, dass zuviel Zucker einen negativen Effekt auf den Leibesumfang hat, aber wussten Sie auch, dass Zucker hilft, unsere Zukunft zu planen? Oder dass auch Väter Schwangerschaftsdepressionen bekommen und Testosteron uns nicht automatisch zu aggressiveren Menschen macht? Warum Teenager sich so sehr für Sex and Crime interessieren und wie Liebe und Sex unser Denken verändern? Dass ökologisch verantwortungsbewusst einkaufende Konsumenten noch lange nicht zu besseren Menschen werden? Dies sind nur einige der Aspekte, zu denen Spitzer in 'Dopamin und Käsekuchen' die spannendsten Erkenntnisse der Hirnforschung auf leicht verständliche Art vorstellt.

Manfred Spitzer, Prof. Dr. Dr., geboren 1958, studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg. Von 1990 bis 1997 war er als Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg tätig. Zwei Gastprofessuren an der Harvard-Universität und ein weiterer Forschungsaufenthalt am Institute for Cognitive and Decision Sciences der Universität Oregon prägten seinen Forschungsschwerpunkt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft und Psychiatrie. Seit 1997 hat er den neu eingerichteten Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Ulm inne und leitet die seit 1998 bestehende Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm. Seit 1999 ist er Herausgeber des psychiatrischen Anteils der Zeitschrift Nervenheilkunde; seit Frühjahr 2004 leitet er zudem das von ihm gegründete Transferzentrum für Neurowissenschaft und Lernen in Ulm und moderiert eine wöchentlich in BR-alpha ausgestrahlte Fernsehserie zum Thema Geist und Gehirn. Er ist Autor des Nr.-1-Bestsellers 'Digitale Demenz' und zahlreiche seiner Buchveröffentlichungen wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

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Leseprobe

2 Einfach verbieten!


Kinder-TV-Werbung für ungesunde Nahrungsmittel


Wie repräsentative Daten des Berliner Robert Koch-Instituts1 zeigen (19), sind in Deutschland 15% (entsprechend 1,9 Millionen) Kinder und Jugendliche übergewichtig, 6,3% davon (800 000) krankhaft übergewichtig (adipös)2. Der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen nimmt mit dem Alter zu (Abb. 2-1) und er liegt heute etwa doppelt so hoch wie noch vor 20 Jahren.

Zwischen Jungen und Mädchen gibt es beim Übergewicht keinen Unterschied, wohl aber im Hinblick auf soziale Schicht und Migrationshintergrund. Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus sind von Übergewicht und Adipositas besonders häufig betroffen, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund auch, Kinder von Müttern mit Übergewicht oder Adipositas ebenfalls. Weltweit sind 155 Millionen Kinder im Schulalter übergewichtig, weshalb Gesundheitsfachleute voraussagen, dass die Generation der derzeit jungen Menschen die erste ist, deren Lebenserwartung im Gegensatz zu den Eltern geringer ausfallen wird (17). Die meisten Übergewichtigen gibt es in den USA, wo der Anteil auch bei den Jungen und Mädchen bei über 30% liegt. Bei den erwachsenen US-Amerikanern liegt die Quote des krankhaften Übergewichts bei über 30%. Unter den erwachsenen Europäern ist krankhaftes Übergewicht bei den Deutschen am häufigsten (1).

Abb. 2-1 Anteil der übergewichtigen (hell) und krankhaft übergewichtigen (dunkel) Kinder und Jugendlichen in Abhängigkeit vom Alter. 9% der Drei- bis Sechsjährigen sind bereits übergewichtig, 15% der Sieben- bis Zehnjährigen und 17% der 14- bis 17-Jährigen. Die Häufigkeit von krankhaftem Übergewicht (Adipositas) beträgt bei den Drei- bis Sechsjährigen 2,9% und steigt auf über 6,4% bei den Sieben- bis Zehnjährigen bis auf 8,5% bei den 14- bis 17-Jährigen.

Weltweit ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisaton WHO Übergewicht etwa doppelt so häufig wie Mangelernährung und Untergewicht (3, 17). Man spricht mittlerweile von einer Adipositasepidemie, und jährlich sterben 2,6 Millionen Menschen an den Folgen von krankhaft erhöhtem Übergewicht (1). Dass der Prozentsatz Übergewichtiger bei Erwachsenen höher ist als bei Kindern und Jugendlichen darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Übergewicht und Fettleibigkeit oft in der Kindheit bereits angelegt sind, wie entsprechende Studien ergeben (14). Daher ist alles, was bei Kindern das Essen ungesunder Nahrung verursacht, langfristig für deren Gesundheit extrem schädlich. Zu diesen Ursachen gehört in westlichen Industrieländern der Bildschirmmedienkonsum, der bei Kindern und Jugendlichen in den USA bereits 7,5 Stunden täglich beträgt (mehr als die mit Schlafen verbrachte Zeit) und hierzulande bei 5,5 Stunden liegt.

Seit Langem ist bekannt, dass Fernsehen dick macht (13). Die vor dem Fernseher verbrachte Zeit ist nach einer kürzlich publizierten australischen Studie an 8 800 Erwachsenen ein deutlicher Risikofaktor für eine erhöhte generelle Sterblichkeit sowie eine erhöhte Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen (8). Es wurden 58 087 Personenjahre ausgewertet, während der es 284 Todesfälle gab, davon 87 aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse (Herz- und Hirninfarkt) und 125 aufgrund von Krebserkrankungen. Auch nachdem Alter, Geschlecht, Bauchumfang und körperliches Training aus den Daten herausgerechnet wurden, blieb der tägliche TV-Konsum als Risikofaktor für eine erhöhte Sterblichkeit bestehen, der pro Stunde bei 11% zusätzlichem Sterblichkeitsrisiko (an welcher Krankheit auch immer) lag. Im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrug das Sterblichkeitsrisiko pro zusätzlicher TV-Stunde sogar 18%. Wer vier Stunden oder mehr täglich vor dem Fernseher verbringt, hatte gegenüber jemandem, der zwei Stunden und weniger täglich fernsieht, ein um 46% erhöhtes allgemeines Sterblichkeitsrisiko und ein um 80% erhöhtes Risiko, an einem Infarkt zu versterben. Alle Zusammenhänge waren statistisch signifikant und sind es klinisch auf jeden Fall: Durch viel Fernsehen wird das Risiko, an einem Infarkt zu versterben, nahezu verdoppelt. Man bedenke zusätzlich, dass es keine Gruppe gab, die ganz ohne TV lebte, man also nur sagen kann, um wie viel eine Stunde mehr TV ungesünder ist.

Nahrungsmittel sind die mit Abstand am häufigsten beworbenen Produkte in der an Kinder gerichteten Fernsehwerbung. Allein in den USA gibt die Werbewirtschaft jährlich zehn Milliarden US Dollar zur Beeinflussung des Essverhaltens von Kindern aus, wobei der Löwenanteil auf die Fernsehwerbung entfällt (10, 16). Kinder unter fünf Jahren sehen jährlich mehr als 4 000 Werbespots für Nahrungsmittel (10). Oder anders ausgedrückt: Während des Zeichentrick-Unterhaltungsprogramms an einem typischen Sonntagmorgen sehen Kinder im Durchschnitt alle fünf Minuten einen Nahrungsmittelwerbespot (6), und nahezu alle im Fernsehen beworbenen Nahrungsmittel sind ungesund (4, 9, 15, 21, 22, 24, 26, 28, 29).

Amerikanische Wissenschaftler (31) gingen der Frage nach, was es am Fernsehkonsum genau ist, das sich so ungünstig auswirkt. Sie verwendeten Daten von Kindern aus 2 037 Familien einer Längsschnittstudie der National Science Foundation (NSF), wobei 1997 eine erste Befragung und 2002 eine zweite Befragung durchgeführt worden war. Zudem wurde der Body-Mass-Index (BMI) bei den Kindern bestimmt (und zur besseren Vergleichbarkeit verschiedener Altersjahrgänge z-transformiert). Wiederum wurden Alter, Geschlecht und körperliches Training sowie die Häufigkeit des Essens während des Fernsehens aus den Daten herausgerechnet, um festzustellen, was am TV-Konsum schädlich wirkt. Hierbei stellte es sich heraus, dass die Werbung für ungesunde Nahrungsmittel in entsprechenden Unterhaltungssendungen für die TV-bedingte Fettleibigkeit verantwortlich war. Für Kinder, die 1997 sieben Jahre alt oder jünger waren, zeigte sich Folgendes: Mit jeder Stunde, die sie 1997 mehr Fernsehkonsum betrieben, lag ihr BMI 2002 um 11% höher. Weder das Programm noch die körperliche Ertüchtigung zwischen dem Betrachten von Unterhaltungsprogrammen mit Werbung hatten einen Einfluss auf das Übergewicht, die Werbung jedoch hatte einen klaren negativen Effekt. Dieser war auch bei Kindern über sieben Jahren nachweisbar, jedoch etwas geringer.

Es ist eine Sache, einen statistischen Zusammenhang aufzuzeigen, und eine andere Sache, den Mechanismus des Zusammenhangs aufzuklären. Dass etwas so ist, sagt noch nichts darüber aus, warum etwas so ist. Dass Fernsehen dick macht, ist lange bekannt; dass der Mechanismus vor allem über die Werbung vermittelt wird, ist hingegen erst mit den neuen Daten geklärt. Sie passen gut zu vorliegenden Kenntnissen zum Lernen und zu den Auswirkungen von Werbung bei Kindern. Kinder lernen sehr schnell – was immer wir ihnen an Inhalten anbieten. Experimente an Kindern im Vorschulalter zeigten, dass diese den Inhalt von Werbespots nach nur wenigen Darbietungen gelernt hatten und sich dem Produkt gegenüber entsprechend positiv verhielten: sie fanden es gut und wählten es aus (5, 7, 23). Auch generalisieren Kinder über mehrere Produkte, sodass eine werbebedingte positive Einstellung gegenüber einem Produkt sich auf andere ähnliche Produkte überträgt, wie man seit gut drei Jahrzehnten weiß (11). Zudem weiß man, dass Kinder über Medien hinweg generalisieren, das heißt, eine Fernsehfigur beispielsweise auf der Schokoladenpackung problemlos wiedererkennen.

In den USA beginnen Kinder mit dem Fernsehen im Alter von durchschnittlich neun Monaten, und 90% aller Kinder sehen bereits vor dem Alter von zwei Jahren regelmäßig fern (32). Entsprechend wird Fernsehwerbung gezielt auf diese Gruppe ausgerichtet, was unter anderem zur Folge hat, dass ein Kind bei Schuleintritt mehr als 200 Markennamen bzw. die entsprechenden Produkte kennt (12, 20, 25). Bei Kindern ist der kritische Verstand noch nicht entwickelt. Daher sind sie den Effekten der Werbung relativ schutzlos ausgeliefert. Sind sie dann erst einmal an die üblichen in der Werbung gepriesenen Nahrungsmittel gewöhnt, kommen sie nur noch sehr schwer davon los. In den vergangenen Jahren mehrten sich die Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen Suchtverhalten und pathologischem Essverhalten nachweisen konnten (vgl. Kap. 1, Dopamin und Käsekuchen, S. 1ff.). So wird verständlich, warum diejenigen, die als junge Menschen viel TV-Werbung gesehen haben, gar nicht anders konnten als gewissermaßen sich selbst immer wieder „anzufixen“ (um einen Terminus aus der Drogenszene zu gebrauchen). Denn wer die beworbenen Produkte isst, so zeigt die Neurowissenschaft, verstellt damit langfristig sein Belohnungssystem und braucht für den gleichen belohnenden Effekt immer mehr Nahrung. Der Mechanismus von TV-Werbung geht damit über die üblichen Lernprozesse hinaus: Man „lernt“ nicht nur Produkte und Markennamen, sondern damit verbundene Assoziationen und sogar Verhaltensweisen.3 Nein, man wird sogar süchtig nach einer bestimmten Form von Nahrung, die reich ist an Fett und Kohlenhydraten und für deren Dauerkonsum...

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