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Einleitung
Dieses Buch richtet sich an den mathematisch interessierten Leser, der erfahren möchte, wie sich die Mathematik thematisch darstellt, wenn man über die Schulmathematik oder über die in den ersten Semestern eines Mathematikstudiums gebotenen Grundlagen hinausgeht. Es ist auch für Leser geschrieben, die sich neben ihrem eventuell völlig anders gelagerten Studium oder Beruf für das Wesen der höheren Mathematik interessieren. Die hier beschriebenen Themen sollen dem Leser zur Horizonterweiterung dienen.
Begrifflich wird Ihnen manches bekannt vorkommen. Sie werden aber feststellen, daß die Mathematik sich meistens nur die Assoziation allgemein bekannter Begriffe zunutze macht, um die Logik besser verdaulich zu machen. Wenn Sie also schon immer gerne einmal ...
- in einem topologischen Raum übernachten
- auf einer Riemannschen Fläche den Rasen mähen
- mit einer Fuchsschen Gruppe joggen
- die Blätter einer Überlagerung zusammenharken
- Ihre Terrasse mit hyperbolischen Sechsecken pflastern
- oder Ihrer Freundin Artinsche Zöpfe flechten wollten
- und zur Sicherung der Spur einer Abbildung die Kripo rufen
würden, dann sollten Sie dieses Buch unbedingt lesen. Sie werden zwar erkennen müssen, daß sich Ihre Vorstellungen nicht realisieren lassen, aber Sie wissen dann wenigstens, warum es nicht geht.
Wenn Sie bereit sind, für die Zeit der Lektüre dieses Buches über Ihr bisheriges Verständnis der Mathematik hinaus zu gehen, gedanklich einmal in eine andere Welt zu wechseln, dann halten Sie das richtige Buch in Ihren Händen. Etwas Konzentration werden Sie sicher brauchen, aber Sie werden es nicht bereuen.
Im Laufe vieler Jahre habe ich es immer wieder erlebt, dass angehende Abiturienten und auch Studenten in den ersten Semestern (selbst wenn sie Mathematik studieren) darüber stöhnen, wie schwierig und unverständlich doch alles sei. Das wird dann schnell mit der Mathematik an sich identifiziert und schon ist ein weiteres unzutreffendes Bild von der Mathematik im Kopf verankert. Wie sollte auch ein junger Mensch, der die Mathematik eben nur in dem Umfang kennt, wie sie in der Schule vermittelt wird, zwischen der Mathematik an sich und dem Rechnen von Aufgaben in der Schule unterscheiden, wenn er den Einfluß durch Lehrpläne, Lehrer und Dozenten auf Umfang und Art der Wissensvermittlung nicht erkennen kann? Wenn man aber ein scheinbar unverständliches Thema der Mathematik auf anschauliche Weise erklärt, es einfach macht, vielleicht sogar einen Praxisbezug herstellt, ändert sich das Urteil über die Mathematik in den meisten Fällen schnell zugunsten der Mathematik. Wenn ein Schüler, der bisher jeden Raum mit mehr als den 3 Dimensionen Länge, Breite, Höhe für eine Utopie gehalten hat, plötzlich spielerisch mit einem 20- oder 30-dimensionalen Vektorraum umgehen kann, weil er verstanden hat, wie diese Logik anzuwenden ist, dann hört man laufend Aussagen wie „So hat es mir noch keiner erklärt“ oder „So verstehe ich es auch“ oder sogar „So klingt Mathe richtig interessant“. Wie häufig habe ich diese Sätze gehört. Es drängt sich die Frage auf, ob das anfängliche Unverständnis sein muß oder ob es eine Möglichkeit gibt, dieses zu vermeiden. Ich habe darauf bisher keine zufriedenstellende Antwort und erst recht keine Lösung gefunden. Vielleicht gelingt es aber mit diesem Buch, zumindest eine breitere Perspektive zur besseren inhaltlichen Einordnung der Mathematik beizutragen.
Es ist nicht die Absicht, diejenigen zu bekehren, die ihrer eigenen Meinung nach nie einen Zugang zur Mathematik gefunden haben. Die gibt es ebenso, wie es Menschen gibt, denen jegliches Sprachgefühl oder künstlerisches Talent fehlt. Denjenigen aber, die der Mathematik gegenüber aufgeschlossen sind und die gern etwas mehr über die Mathematik wissen möchten, leider aber niemanden haben finden können, der ihnen eine breitere Perspektive auf die Mathematik gibt, denen möchte ich hier den Zugang zu einem Stoff bieten, den sie sonst kaum auf diese einfache Weise zusammengefaßt finden können.
Das Thema dieses Buches, also die Darstellung Riemannscher Flächen durch Fuchssche Gruppen, liegt weit jenseits jeder Schulmathematik. Nur Weniges wird entfernt an Bekanntes aus der Schulzeit erinnern. Selbst ein Student der sogenannten ‚Reinen Mathematik‘ (das ist die ursprüngliche Mathematik, aus der sich später die ‚Angewandte Mathematik‘ entwickelt hat), aus der das Thema dieses Buches stammt, könnte erst im fortgeschrittenen Stadium seines Studiums Zugang zu diesem Thema finden, weil es breit angelegte Grundlagen erfordert. (Die meisten Studenten der Mathematik ringen in den ersten Semestern noch mit den Grenzen ihrer eigenen Abstraktionsfähigkeit, haben also zunächst sehr häufig noch eher grundsätzliche als fachliche Sorgen.)
Wenn Sie im Verlaufe des Buches hin und wieder das Gefühl beschleichen sollte, Sie seien an die Grenze ihres eigenen Abstraktionsvermögens gestoßen, geben Sie bewußt nicht auf. Versuchen Sie, die Grenzen Ihrer Abstraktion hinaus zu schieben. Die Erfahrung zeigt, dass es geht, bei dem einen etwas mehr, bei dem anderen etwas weniger. Lassen Sie es nicht bereits am Willen scheitern. Denken Sie daran, daß kein Meister vom Himmel gefallen ist … selbst das Autofahren erfordert einige Fahrstunden bis zum sicheren Umgang.
Worum geht es eigentlich in der Mathematik? Was ist Mathematik?
Es ist leicht, die Mathematik zu den Naturwissenschaften hin abzugrenzen. Die versuchen, die reale Natur zu erforschen und zu erklären. Die Mathematik macht das nicht. Sie ist ein logisches Gedankengebilde, das nirgends existiert, aber fast ausnahmslos überall benötigt wird. Selbst die Natur bietet eine Reihe von ‚Anwendungsbeispielen‘, in erster Linie allerdings aus der Zahlentheorie, man denke z.B. an die berühmten Fibunacci-Zahlen, eine Zahlenfolge, deren untere Elemente sich häufig in der Natur wiederfinden. Aber vieles aus der Mathematik kann man sich eben gerade wegen ihrer Abstraktheit nicht vorstellen. Es fehlt vielfach einfach ein Anschauungsobjekt für die Logik. Soweit möglich, versucht die Mathematik, einzelne Aspekte ihrer Logik mit Hilfe von Modellen besser verständlich zu machen, stößt aber zwangsläufig schnell an Grenzen, da unsere Anschauung der mathematischen Logik auf deren Weg nur ein winziges Stück folgen kann.
Die Anwendung der konsequent logisch und deshalb weitgehend abstrakt aufgebauten Mathematik bietet in der realen Welt aber unersetzliche Hilfestellung bei der Erklärung, dem Verständnis und insbesondere bei der Weiterentwicklung der Vorgänge in allen erdenklichen Bereichen – für die Natur und die irdische Wirtschaft ebenso wie für das himmlische Universum.
Aus der Abstraktion vom Konkreten neue Erkenntnisse zu erzielen und zu lernen ist ein wesentliches Element der Mathematik. Zum besseren Verständnis dieses Prinzips des Denkens und Handelns in der Mathematik mag die folgende kurze Anekdote helfen:
Ein Mathematiker fährt mit dem Zug zu einem Kongress. Er sitzt mit zwei anderen Herren in demselben Abteil, die scheinbar zusammen reisen. Die drei lernen sich kennen und unterhalten sich angeregt. Als der Fahrkartenkontrolleur sich ihrem Abteil nähert, entschuldigen die beiden anderen Herren sich für einen Moment und verlassen das Abteil. Sie gehen gemeinsam in die Toilette und schließen sich dort ein. Als der Kontrolleur zur Toilette kommt und diese besetzt vorfindet, klopft er an die Tür: „Fahrkartenkontrolle, bitte Ihren Fahrausweis.“ Einer der Herren schiebt seine Fahrkarte unter der Tür durch, der Kontrolleur kontrolliert sie, schiebt sie zurück und geht weiter. Einen Moment später kehren die beiden zu ihren Plätzen im Abteil zurück.
Angekommen am Ziel, verabschieden sie sich von dem Mathematiker, danken noch einmal für die gute Unterhaltung und freuen sich auf die Rückfahrt, denn offenbar haben alle drei geplant, mit demselben Zug zurückzufahren. Bevor sie sich trennen, hat der Mathematiker dann doch noch eine Frage: Warum haben Sie das Abteil verlassen, als der Kontrolleur sich näherte? Sie erklären ihm ihren Trick, daß sie immer gemeinsam mit nur einer Fahrkarte fahren, freuen sich darüber, daß sie wieder nur für den halben Preis gefahren sind und bitten ihn zum Schluß, den Trick nicht weiterzuerzählen. Er sagt dies zu. Sie trennen sich.
Am Tag der Rückreise treffen die drei sich vor dem Bahnhofsgebäude. Einer der beiden anderen Herren entschuldigt sich augenzwinkernd beim Mathematiker, er müsse noch eben eine Fahrkarte kaufen.
Der Mathematiker lächelt verständnisvoll … (die anderen wissen nicht, daß er selbst diesmal keine Fahrkarte hat).
Im Zug wieder gute Unterhaltung wie bei der Hinfahrt, die beiden anderen Herren und der Mathematiker sind guter Laune. Als der Kontrolleur in Sichtweite kommt und sich langsam ihrem Abteil nähert, verlassen die beiden Herren wie erwartet wieder das Abteil, der Mathematiker wisse ja Bescheid. Dieser lacht, wünscht gutes Gelingen und sagt „Dann bis gleich“.
Kurz nachdem die beiden sich in der Toilette eingeschlossen haben aber noch bevor der...