Unser Leben unter der Sonne Afrikas
Bonne journée und Salamaleikum Algerien
Meine drei Monate Probezeit auf der Taurus
Bevor die Arbeit in Frankreich zu Ende ging, hatte ich mich, zusammen mit meinem Kollegen Willem de Hartocht, bei der holländischen Reederei Stevin Bagger in Beverwijk als Schiffsführer für die Hafenbaustelle in Béthioua beworben. Meine Frau und meine Kinder konnten mit nach Algerien.
Das war für mich ganz was Neues: Leben und arbeiten im Orient, im nordafrikanischen Maghreb. Ich kannte den Orient nur aus Büchern, aus Tausendundeiner Nacht und den Erzählungen von Karl May. Was erwartete uns? Ein fremdes, interessantes Land, wo viel die Sonne scheint, wo Arabisch und Französisch gesprochen wird. Doch damit hatten wir kein Problem, denn etwas Französisch konnten wir noch aus der Zeit, als wir mit unserer Péniche durch Frankreich geschippert waren. Nach erfolgreicher Probezeit sollte meine Familie nachkommen.
Auf dem Büro in Beverwijk hatte ich ein längeres Gespräch mit dem Personalchef. Eigentlich wollte ich auf den großen, mit zwei Voith-Schneider-Propellern ausgerüsteten Spezialschiffen als Zweiter Schipper fahren. Ich machte wohl einen guten Eindruck, denn sie stellten mich gleich als Ersten Schipper ein. Was für ein Glück: Ich wäre sonst nie Erster Schipper geworden. Man sagte mir, dass ich nach der erfolgreichen Probezeit von drei Monaten einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekäme.
Die beiden Schwesterschiffe Taurus und Cetus waren Spezialschiffe für den Hafenbau, Steenstorter (Stone Dumper), die sich beim Deich- und Hafenbau in Hoek van Holland bewährt hatten. Die Schiffe waren vermessen mit 1.400 Gt, 4.000 kW, zwei Voith-Schneider-Propellern und hatten zwölf Mann Besatzung (vier Europäer, acht Algerier). Sie sollten in Algerien beim Bau des Gashafens von Béthioua und eines dem Hafen vorgelagerten Wellenbrechers in der Bucht von Arzew eingesetzt werden. Eine Herausforderung für mich, den ich war noch nie auf solchen Schiffen gefahren. Sie lagen schon einige Monate in der Bucht von Arzew vor Anker und warteten auf den Einsatz. Am Anfang waren noch beide Schiffe aktiv, doch man brauchte nur eins, und so schickte man die Cetus zurück nach Holland. Die Taurus sollte nun im Verband mit einigen Klappschuten den zwei km langen Wellenbrecher aus ca. 15 m Tiefe aufschütten: mit Steinen und Geröll aus dem nahen Steinbruch des Atlasgebirges. Außerdem gab es noch einige Pontons, die von kleinen holländischen Schleppern gezogen wurden, und den Schneidkopfbagger Spüler 5 der Reederei Holzmann aus Hamburg, die auch am Hafenbau beteiligt waren.
Ich flog also von Köln über Paris mit der Air Algérie zunächst nach Oran. Am Flughafen wurde ich vom Agenten der Reederei abgeholt und mit dem Auto nach Arzew gefahren, wo die Taurus vor Anker lag. Einige der holländischen Besatzungsmitglieder waren erst nicht so begeistert, dass ich, ein Deutscher, ihr Erster Schipper werden sollte. Das war jedoch noch nicht sicher, denn es gab zwei weitere Kandidaten, die angelernt werden sollten: Henk van de Valk und Gerhard van den Bogaard. Henk war ein großer, grauhaariger Typ aus Amsterdam, der vorher schon einige Jahre als Zweiter Schipper auf der Taurus gefahren war. Er gab mir zur Begrüßung seine große Hand und sagte, ich solle mir nicht einbilden, dass ich in so kurzer Zeit lernen könnte, die Taurus zu führen. »Wir werden sehen«, sagte ich, aber ich war durch seine Aussage verunsichert. Als Nächstes wollte Henk mir eine Kabine unter Deck zuweisen, aber das habe ich nicht akzeptiert. Mein Kollege Willem de Hartocht unterstützte mich in meinem Protest. Auch er war der Meinung, wenn ich auf der Taurus Erster Schipper werden sollte, konnte ich nicht in einer Kabine tief unten im Schiff wohnen. Ich telefonierte mit dem Büro im Camp, und schon musste Henk mir eine Kabine am Oberdeck geben. Am nächsten Tag machten wir Anker auf und fuhren nach Béthioua zur Ladestelle. Wir hatten vorübergehend noch einen erfahrenen Schipper an Bord, der uns anlernte. Jeder von uns musste das Schiff steuern, den Computer bedienen, Anker setzen und mit dem schweren Hydaulikschieber die Ladung Steine über Bord auf Position ins Meer schütten.
Gerhard van den Bogaard
Ich freundete mich mit Gerhard van den Bogaard an. Er war von großer, massiger Gestalt, hatte Humor und lachte gerne und laut. Er wohnte in Beneden-Leeuwen an der Waal, dem südlichen Hauptarm des Rheins, der sich in Millingen gabelt. Er hatte sein Leben lang im Hafenbau in der ganzen Welt gearbeitet, doch seine interessanteste Baustelle war in Richardsbaai in Südafrika. Das erzählte er immer wieder. Der Bau des Hafens dort dauerte sieben Jahre. Während dieser Zeit waren seine Frau Francien und seine beiden Söhne mit dabei. Sie wohnten in einem großen, schönen Haus mit Garten. Seine Jungens besuchten die normale Schule, wo in Afrikaans und Englisch unterrichtet wurde. Afrikaans war Amtssprache, eine Sprache, die aus dem Holländische entstanden ist.
Es war die Zeit der Apartheid, Auf der Baustelle gab es keine Probleme zwischen Weißen und Schwarzen: Die Weißen stiegen in ihren Bus für Weiße und die Schwarzen in ihren Bus für Schwarze. Es gab jedoch einen Bus, der Weiße und Schwarze beförderte, erzählte Gerhard. Die Weißen saßen vorne und die Schwarzen hinten. Eines Tages wollten die Schwarzen auch mal vorne im Bus sitzen. Niemand wollte in den Bus steigen, solange das Problem nicht geklärt war. Der Busfahrer, ein kluger Mann, sagte zu den versammelten Leuten: »Wir vergessen, das ihr weiß oder schwarz seid, ihr seid alle grün!« Das war die Lösung, alle stimmten zu. »Einsteigen!«, rief der Fahrer. »Die Hellgrünen nach vorne und die Dunkelgrünen nach hinten!« Wir machten ungläubige Gesichter, und Gerhard lachte laut.
Der Präsident von Südafrika war damals Botha, ein Bure. Jede Volksgruppe hatte zur Zeit der Apartheid ein eigenes »Homeland«; das beste Land besaßen natürlich die Weißen, und das konnte auf die Dauer nicht gutgehen. Die Mehrheit der Bevölkerung, 75% waren »Schwarze« (d. h. alle Menschen dunkler Hautfarbe, die eine Bantusprache als Muttersprache hatten), dann kamen die »Coloureds« (Mischlinge) dann die »Weißen«, hauptsächlich Buren, und im Anschluss die San (»Buschmänner«). Die San hatten das südliche Afrika schon bevölkert, bevor die Weißen und die Schwarzen einwanderten. In Durban gab es auch viele Inder. Später wurde die Apartheid abgeschafft und Mandela, ein Mann aus dem Volk der Xhosa, wurde der erste schwarze Präsident der neuen Republik der »Regenbogennation«. Mandela rief die Weißen auf, im Land zu bleiben, aber viele aus England stammende Weiße verließen das Land und gingen nach Australien. Die ca. sechs Millionen Buren dagegen, die seit dem sechzehnten Jahrhundert in Südafrika lebten, verstanden sich als weiße Afrikaner und blieben. Die Holländer hatten Kapstadt gegründet, und die Buren als Nachfahren der Holländer betrachten Kapstadt als Mutterstadt Südafrikas. Das Land besteht aus Provinzen (ähnlich wie in Deutschland die Bundesländer), hat ein Parlament und elf offizielle Sprachen. Es ist das Land mit dem höchsten Lebensstandard in Afrika.
Gerhard war der Baas seiner schwarzen Arbeiter, er hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Leuten. Einen von ihnen ernannte er zum Chief (Vorarbeiter), dem sagte er, was gemacht werden musste, und der teilte die Leute zum Arbeiten ein. Bei einem weißen Baas wurde oft und schnell von Diskriminierung gesprochen.
Die holländische Firma verdiente viel Geld mit dem Hafenbau und hatte eine Lohnerhöhung für ihre schwarzen Arbeiter beschlossen. Die freuten sich, kamen aber nur noch vier oder fünf Tage zur Arbeit, das genügte ihnen. Jetzt hatte die Firma ein Problem, denn sie hatte nicht mit der Mentalität der Leute gerechnet.
Mit meiner Mannschaft auf der Cetus tat ich später das Gleiche wie Gerhard: Ich ernannte Lakdar, einen Mann meines Vertrauens, zum Chief, er sorgte für einen reibungslosen Arbeitsablauf. Gerhard wollte, dass ich im großen Camp wohnte, aber da war alles schon vergeben. So dicht beieinander wollte ich sowieso nicht wohnen. Es ergab sich dann später, dass wir ein Haus im kleinen Camp bekamen. Hier hatten wir gute und interessante deutsche Nachbarn. Auch für Jirina war es einfacher: Sie sprach Deutsch, aber kein Holländisch.
Gerhard und ich waren Freunde, doch manchmal auch Konkurrenten. Er hatte aber nie Vorurteile gegenüber Deutschen, und das schätzte ich an ihm. Während meiner Probezeit belauschte ich einmal ein Gespräch zwischen dem »Uitfurder« Salomon und ihm. Salomon sollte beurteilen, ob ich für den Job als Schipper geeignet sei oder nicht, und den Bericht an die Personalabteilung in Holland schicken. Er fragte Gerhard: »Ho doet die Moff dat, kann die faaren of niet«?
»Ja naturlik«,...