Was passiert mit mir?
Ob Menschen eine Seele haben oder nicht, darüber streiten die Gelehrten (und nicht nur die). Sicher ist aber: Wir haben Gefühle, und oft sind diese Gefühle schön – oft aber auch ziemlich lästig!
In der Pubertät geraten die Emotionen total durcheinander und schwanken auch schnell zwischen Extremen: Man ist wütend, glücklich, erregt, zornig, ratlos, ängstlich, einsam, selbstsicher, verlegen, streitlustig, schüchtern zugleich, und dann geht alles wieder von vorne los. Das liegt daran, dass die ganze Pubertät durch Hormone ausgelöst wird. Hormone sind chemische Botenstoffe, die von Körperzellen produziert werden, um andere Körperzellen dazu zu bringen, irgendwas zu tun. Beispielsweise wird das Knochenwachstum durch sie gesteuert: Die Hormone befehlen sozusagen den Knochenzellen, dass sie jetzt mal wieder ein paar Zentimeter zulegen sollen – mit dem Ergebnis, dass die meisten Eltern anfangen zu stöhnen, weil mal wieder alle Hosen zu kurz sind. Jugendliche werden im Jahr bis zu zehn Zentimeter größer. Gewachsen wird nicht gleichmäßig, sondern in Schüben. Mal ist man die Größte in der Klasse, mal die Kleinste. Christine überragte zum Beispiel in der fünften Klasse alle anderen und fühlte sich wie eine einsame Riesin, aber das hat sich zum Glück im nächsten Schuljahr geändert.
Ähnlich ist es mit der Sexualentwicklung. Damit am Ende alles gut funktioniert, müssen alle möglichen Teile im Körper größer werden oder überhaupt den Betrieb aufnehmen. Das passiert aber nicht einfach über Nacht, sondern langsam und Stück für Stück und bei jedem ein bisschen anders. Und bei jedem kommt es zu seiner Zeit. Und als wäre es nicht blöd genug, dass die beste Freundin vielleicht schon einen Busen hat und man selbst noch nicht (was völlig in Ordnung ist, wenn du ein Junge bist), geht dabei auch noch einiges schief – zum Beispiel im Gesicht. Stichwort: Pickel. (Was du dagegen tun kannst, darüber informieren wir dich noch in dem Kapitel «Zu zweit allein zu Haus», S.42) Die ganzen Hormone im Blut sorgen bei manchen Menschen dafür, dass sie solche blöden Pusteln bekommen. Biologisch ist das überhaupt nicht notwendig. Aber ändern kann man’s auch nicht. Alles fängt damit an, dass die Hirnanhangsdrüse ein hormonelles Signal aussendet, um andere Zellen zu veranlassen, die Geschlechtshormone Testosteron (männlich) und Östrogen (weiblich) zu produzieren. Und zwar bei Jungs und Mädchen. Denn jeder von uns hat von beiden Hormonen genügend in sich – sowohl vom Testosteron als auch vom Östrogen. Nur der Mix ist bei jedem anders und beeinflusst Stimmung und Äußeres.
Der Beginn der Pubertät hängt auch ein bisschen von den äußeren Einflüssen ab (Ernährung, Umweltbedingungen allgemein), wird aber vor allem genetisch gesteuert. Wenn deine Eltern also früh in die Pubertät kamen oder lange damit beschäftigt waren oder viele (oder wenig) Pickel hatten, wird das bei dir vermutlich auch der Fall sein. Das ist vielleicht frustrierend, hat aber einen großen Vorteil: Du kannst weder etwas dafür, noch kannst du wirklich etwas dagegen unternehmen oder daran ändern. Also: Schnall dich an, entspann dich und mach das Beste daraus!
Früher dachte man, dass die Hormone im Blut während der Pubertät alles wild durcheinanderwirbeln. Klar, dass ein Mensch dann keinen klaren Gedanken fassen kann. Und wie bequem für Eltern und Lehrer, die Verantwortung für alle Probleme dem kleinen Werwolf in dir zuzuschieben.
Leider weiß man inzwischen, dass diese Sicht nur halb richtig ist. Es stimmt, dass du dich veränderst, geistig und körperlich, und das wiederum liegt tatsächlich an den Hormonen. Also ein Stück weit muss man das einfach hinbekommen. Man hat aber inzwischen nachgewiesen, dass Jugendliche durch Launenhaftigkeit und Stimmungsschwankungen vor allem in Situationen auffallen, in denen Erwachsene das Sagen haben (Familienaktivitäten, Unterricht, Arbeit). Untereinander tauchen diese «Probleme» bei euch Jugendlichen häufig gar nicht auf – was wiederum dazu führt, dass nicht nur die Eltern ihre Kinder nicht mehr verstehen, sondern die Kinder zugleich das Gefühl haben, mit ihnen wäre doch alles ganz normal. Warum, fragen sie sich, stellen die Eltern sich eigentlich so an? Das ist auch zumindest einer der Gründe dafür, dass Freundschaften unter Gleich-altrigen in diesem Alter eine Wichtigkeit zukommt, die Erwachsene nicht immer nachvollziehen können.
Man kann also sagen, dass in diesem Fall beide Seiten recht haben. Je älter man wird, desto mehr ist man mit Problemen konfrontiert. Diese Probleme kann man aber auch im höheren Alter immer besser erfassen. Man sagt: Die «Urteilsfähigkeit» nimmt zu. Du kannst eine Sache jetzt besser beurteilen. Mit fünf Jahren erscheint eine Situation nicht so komplex und schwierig wie mit fünfzehn. Was wiederum damit zusammenhängt, dass der oder die Fünfzehnjährige zum Teil schon Einfluss auf einige Dinge nehmen kann, ein Fünfjähriger oder eine Fünfjährige nicht. Auch wenn das oft nur theoretisch ist. Krasses, aber häufiges Beispiel: Mit fünf steht man da und heult, wenn die Eltern sich scheiden lassen, aber zu mehr reicht es nicht – und das Leben geht weiter (wenn auch anders als zuvor). Mit fünfzehn bricht die gesamte Welt zusammen. Der Schlag ist härter, die Folgen sind vielfältiger, das Drama ist größer. Denn: Man kann sich schon zum Problem äußern, aber würde es was nutzen?
Mixt man das mit Emotionen, die durch allerlei Hormone verstärkt werden, erhält man einen brodelnden Teufelstrank. Bleiben junge Menschen jedoch nur unter sich, können sie ganz allein die Situation gestalten, sodass es vorerst keinen Anlass für große Gefühle gibt. (Das ändert sich allerdings zügig, sobald Liebe und Eifersucht ins Spiel kommen.) Kurz gesagt: Du bist normal – deine Eltern und Lehrer sind normal – aber ihr sprecht im Moment nicht dieselbe Sprache. Das aber in Hochgeschwindigkeit.
Je mehr Geduld ihr miteinander habt, desto besser wird es gehen. Zudem hat das körperliche Wachstum eine Folge, die dir vielleicht nicht bewusst ist. Du bist jetzt kein kleines Kind mehr, das deine Eltern auf den Knien schaukeln (oder notfalls auch mal beiseiteschieben) können. Du bist (fast) so groß und stark wie deine Eltern. Selbst wenn körperliche Gewalt bei euch keine Rolle spielt (was wir hoffen), ändert sich dadurch trotzdem die gegenseitige Wahrnehmung. Aber es wird noch eine Weile dauern damit. Deine Eltern behandeln dich also automatisch noch wie ein (kleines) Kind – und vielleicht benimmst du dich auch manchmal noch so. Aber zugleich spürt ihr alle, dass du eben nicht mehr so klein bist. Und denk daran: Ihnen macht das Ganze vielleicht Angst oder sie trauern heimlich um die schöne und unkomplizierte Zeit mit dir. Du selbst weißt auch noch nicht recht, was du dir zutrauen kannst – und was nicht. Klar ist jedoch: Die Veränderung läuft unheimlich schnell und manchmal ruckartig ab. Ein bisschen so, als ob du in die Sommerferien fahren würdest – und wenn du zurückkommst, ist aus der Baugrube nebenan ein fertiges Haus geworden. Oder du besuchst deine Oma und auf einmal kann sie nicht mehr so wild mit dir spielen wie letztes Jahr – plötzlich ist sie alt und grau geworden, über Nacht.
Sich miteinander auseinanderzusetzen oder gar zu streiten, ist wichtig für die Entwicklung der Persönlichkeit. Zu Hause kann man, wenn alles gut läuft, ausprobieren, was geht oder nicht mehr geht, und daraus lernen, ohne allzu großen Schaden anzurichten. Man wappnet sich sozusagen für die Außenwelt. Außerdem: Die Natur will zwar, dass die Eltern ihre Kinder behüten und großziehen, aber dann sollen die plötzlich nicht mehr gemütlich daheim bei Mutti rumsitzen, sondern hinaus in die Welt ziehen! Auch deshalb ist es biologisch sinnvoll und notwendig, die kuschelig enge Vertrautheit zwischen den Generationen aufzulösen.
Häufig ist es so, dass als «typisch männlich» oder «typisch weiblich» angesehene Verhaltensweisen in dieser Zeit überraschend auftreten – und dazu noch überraschend intensiv. Da wird aus einem bislang ganz unauffälligen Jungen vielleicht ein schlagkräftiger Rabauke, der mit fiesen Sprüchen und Biersaufen beweisen will, was für ein harter Kerl er ist. Oder ein paar Freundinnen verbringen zahllose Stunden damit, sich zu schminken und immer wieder umzuziehen, nach dem Motto: Wer ist die Schönste im ganzen Land?
Was Eltern oder auch manchen Gleichaltrigen rätselhaft erscheint, hat sehr wohl eine Funktion: Wir lernen durch Ausprobieren und Nachahmen – und wenn wir vom Kind zur Frau oder zum Mann werden, gibt es jede Menge zu beachten und daher auch jede Menge auszuprobieren oder nachzuahmen. Sich also mal in dieser und mal in jener Rolle zu versuchen – und zu erleben, was für Ergebnisse und Erlebnisse das mit sich bringt – ist sehr hilfreich. So merkt man, was gut zu einem passt. Und was nicht.
Manchmal kommt es in dieser Zeit auch zu unangenehmen Situationen – wenn die anderen bei der Klassenparty über die Hose lachen, die du toll findest und extra angezogen hast. Wenn jemand hinter deinem Rücken über dich redet und flüstert oder du sogar davon Wind bekommst, dass du verspottet wirst. Derart ausgegrenzt zu werden, das tut weh. Leider sind junge Menschen nicht immer so sensibel und freundlich, wie sie es sich für sich selbst wünschen und eigentlich auch gern wären.
«Selbstfindung» nennt man diesen Prozess, den die meisten Menschen auch später im Leben immer mal wieder durchlaufen. Meist dann, wenn...