Kapitel Eins: Hallo, ich bin Farid, Magier von Beruf
Magie ist etwas Geheimnisvolles und Wunderschönes, sie lässt uns staunen und selbst ältere Menschen wieder zu Kindern werden. Ich finde, diese magischen Momente sind Gold wert. Schau dir bei einem Einkauf oder einem Spaziergang doch mal bewusst die Leute um dich herum an. Wie viele hetzen durch ihr Leben, sind gestresst? Da schimpft einer auf dem Parkplatz, weil ihm ein anderer die letzte freie Parkbucht weggeschnappt hat; ein Vater rollt mit hochrotem Kopf den vollbepackten Einkaufswagen mit integriertem Kindersitz in Form eines Autos durch die engen Supermarktgänge, während das Kind fröhlich eine Hupe nachahmt; und selbst im Park beim Entenfüttern hört man über dem lauten Geschnatter der Enten noch die verärgerten Rufe eines Radfahrers, weil zwei alte Leutchen mit einer Tüte Brotkrumen das Federvieh mitten auf den Radweg gelotst haben. Ich persönlich liebe es, in dieses pralle Leben hineinzuspringen, die Leute aus ihrem Alltag in die Welt der Magie zu entführen und ihnen ein verblüfftes Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Aber was genau steckt hinter der Illusionskunst – der Magie? Warum kann man sich noch so konzentrieren und kommt einfach nicht dahinter, wie der Magier es schafft, etwas verschwinden und wieder erscheinen zu lassen?
Magier lassen sich eben nicht gern durchschauen. Oder hast du schon einmal im Internet nachgesehen, wie ein bestimmter Zaubertrick funktioniert? Ich kann mir gut vorstellen, dass du enttäuscht warst, weil du dich so einfach hinters Licht führen hast lassen. Vielleicht aber warst du überrascht, wie ausgebufft die Umsetzung einer Illusion sein kann?
Egal, wie simpel oder kompliziert ein Zauberkunststück ist, die Leute fallen immer wieder darauf herein. Obwohl es inzwischen unzählige Bücher und Videos gibt, in denen Tricks Schritt für Schritt erklärt werden. Eigentlich könnte mich jeder durchschauen, aber die Magie – oder was wir für Magie halten – ist zu faszinierend, als dass wir den Glauben daran aufgeben wollen. Ich kann mich nicht beschweren, die Leute kommen immer noch in Scharen in meine Shows.
Manche Leute hören nicht auf zu wettern, Magie sei Lug und Betrug. Und in gewisser Weise haben sie recht, denn wir Magier täuschen sie. Aber nicht, um sie zu ärgern oder ihnen Schaden zuzufügen oder um sie neidisch zu machen – »Ich kann was, was du nicht kannst« –, sondern um sie zu unterhalten, zu überraschen, ihnen Freude zu bereiten und Ablenkung zu verschaffen. Wie hoch soll die Strafe für solch ein Vergehen sein?
Ich möchte dich im Folgenden in meine Welt der Magie entführen, dich hinter die Kulissen blicken lassen und dir verwandte – und nicht immer seriöse – andere Meister der Täuschung und Ablenkung vorstellen. Von allen können wir etwas lernen, ohne gleich selbst zum Betrüger oder Hochstapler zu werden. Das Leben wird leichter, wenn wir ihm hin und wieder einen Schuss Magie verpassen. Und manchmal kann Unmögliches auf magische Weise Wirklichkeit werden!
Doch bevor ich dich hinter das Geheimnis der Magie schauen lasse, erzähle ich dir noch, wie ich überhaupt dazu gekommen bin, den etwas ungewöhnlichen Beruf des Magiers zu ergreifen.
Ich wollte schon als Kind unbedingt Zauberer werden. Andere Jungs hätten wohl »Feuerwehrmann« oder »Fußballprofi« geantwortet, auf die Frage, was sie einmal werden wollen. Bei mir war eben der Zauberer das erklärte Berufsziel. Damit erntete ich auf Familienfesten oder bei Verwandtenbesuchen regelmäßig schmunzelnde Blicke. Und später, als ich dann bereits volljährig war, ungläubiges Stirnrunzeln.
Und obwohl ich heute bewiesen habe, dass auch aus einem Zauberer was werden kann, können sich die meisten nicht vorstellen, wie mein Leben wirklich aussieht. »Kann man damit denn Geld verdienen?«; »Und was machen Sie hauptberuflich?«; »Sie stammen also aus einer Zirkusfamilie?« – Diese Dinge bekomme ich ständig zu hören, auch wenn viele mich mittlerweile aus dem Fernsehen kennen.
Magier werden zu wollen, das ist also nichts Gewöhnliches. Aber daran haben meine Eltern ganz bestimmt nicht gedacht, als sie den persischen Namen Farid für mich wählten, der so viel bedeutet wie »etwas Besonderes, etwas Einzigartiges«. Und doch haben sie mir das Wichtigste mitgegeben, um diesen Weg überhaupt beschreiten zu können: Ihre Liebe und Erziehung haben in mir die Kraft wachsen lassen, an mich und meine Ideen zu glauben, und seien sie auch noch so verrückt. Die beste Voraussetzung für meinen Beruf.
Und weil ich immer wieder gefragt werde, wann ich denn mit dem Zaubern angefangen habe und wie ich auf die verrückte Idee kam, damit auch noch mein Geld verdienen zu wollen, beginne ich jetzt noch mal von vorn.
Ich wurde im Bergischen Land geboren. Meine Mutter, eine Deutsche, und mein Vater, ein Perser, der als junger Architekturstudent nach Deutschland gekommen war und hier eine neue Heimat fand, schenkten mir und meiner zwei Jahre älteren Schwester ein geborgenes Zuhause. Wir Kinder lernten beide Kulturen unserer Eltern kennen; und es ist für uns selbstverständlich, offen auf Menschen zuzugehen, gleichgültig woher sie stammen oder welcher Religion sie angehören. Unser Zuhause war europäisch und persisch eingerichtet; es gab deutschen Eintopf wie bei Großmuttern ebenso wie die typischen persischen Gerichte mit Gemüse- und Fleischsoßen, Khorescht, meist traditionell mit Reis und Safran zubereitet, den uns die Großeltern väterlicherseits allerdings direkt vom Kaspischen Meer zukommen ließen.
Als der Bruder meines Vaters ihn bat, ihn bei einem Bauprojekt in Teheran zu unterstützen, überlegten meine Eltern nicht lange. Mein Vater nahm mich – denn ich war im Gegensatz zu meiner Schwester noch nicht schulpflichtig – zu der langen Reise in seine Heimat mit, und meine Mutter kam uns so oft wie möglich besuchen.
Obwohl mir bereits als Fünfjähriger die persische Kultur teilweise vertraut war, verspürte ich den großen Unterschied zwischen dem beschaulichen Leben in unserem ländlichen Haus bei Gummersbach und dem großen Teheraner Stadthaus, in dem mehrere Angestellte für Wohl und Ordnung sorgten. Der Umgang der Familienmitglieder untereinander war anders, als ich es von zu Hause kannte. Mein Vater siezte seine Eltern, wie es dort auch heute noch im Umgang mit älteren Generationen üblich ist, und es wurde großer Wert auf Respekt und Benimm gelegt. So kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich mit den persischen Großeltern ähnlich intensiv gekuschelt habe, wie ich es mit Oma und Opa in Deutschland tat.
Womöglich lag es auch an dieser Distanz, dass mir mein persischer Großvater so eindrucksvoll in Erinnerung ist. Er war, wie beinahe alle Männer in Vaters Familie, von einer stattlichen Größe, doch anders als mein Vater machte er die meiste Zeit ein ernstes Gesicht. Ich weiß noch, dass ich ihn oft heimlich beobachtet habe, wenn wir zusammen im Hof saßen und sich die Männer unterhielten. Nur selten rief er mich zu sich, um mir etwas zu sagen oder zu geben. Meist haben wir uns dann mehr mit Händen und Füßen verständigt, weil ich nur wenige Brocken Persisch verstand.
Doch eines Nachmittags hörte ich ihn meinen Namen rufen. Neugierig lief ich in den Wohnsalon, wo er mich in der großzügig angelegten Sitzecke aus handgeknüpften Perserteppichen erwartete. Hier saß ich besonders gern, denn man hatte den besten Blick auf den leise plätschernden Teich – Teich? Richtig gelesen, es gab einen Teich mitten im Wohnzimmer, allerdings ohne Fische. An diesem Nachmittag kam ich gar nicht dazu, die üppige Pflanzenwelt unter Wasser zu bestaunen, denn bereits beim Näherkommen zwinkerte mir Großvater verschwörerisch zu, wie er es noch nie getan hatte. Sofort klopfte mein Herz vor Aufregung. Ich wusste zwar nicht, was passieren würde, spürte aber augenblicklich, dass er etwas Besonderes im Schilde führte.
Großvaters dunkle Augen funkelten geheimnisvoll, als sich seine rechte Hand meinem Gesicht näherte. Nur einen Wimpernschlag später zog er eine persische Münze hinter meinem linken Ohr hervor. Aber das konnte doch gar nicht sein! Ich betastete die Stelle. Dann überlegte ich, dass er die Münze sicher schon in seiner Hand gehalten hatte, bevor er an mein Ohr gegriffen hatte. Was ich damals noch nicht verstand: Das Wichtige an diesem Moment war, dass mich Großvater mit seinem Einstiegstrick vollkommen in den Bann gezogen hatte; ich ließ ihn und die Münze nicht mehr aus den Augen. Und das ist die beste Voraussetzung für das Gelingen eines Zauberkunststücks, wie ich heute weiß.
Großvater sagte nun etwas auf Persisch und wies dabei mit dem Kopf auf den Platz neben sich. Und was dann geschah, hielt ich für echte Magie: Er ließ die Münze verschwinden.
Zuerst lag sie noch auf seiner rechten Handfläche. Er drückte mit der Mittelfingerspitze der linken Hand gegen die Münze und schloss seine rechte Hand, aber nur so weit, dass ich die Münze unter dem Finger noch sehen konnte. Dann drehte er seine Hand um, und die verschlossene Handfläche zeigte nach unten. Wie in Zeitlupe drehte er die Hand noch einmal ein Stück zurück, so dass ich den Rand der Münze in seiner Hand schimmern sah. Die Münze war also immer noch da, wurde von dem Mittelfinger gehalten. Jetzt bewegte Großvater die Hand wieder zurück, zog den Haltefinger heraus und schloss die Hand fest. Ich starrte auf seine geballte Faust und wartete. Die Spannung stieg. Langsam drehte er die Hand erneut, wie in Zeitlupe, bis die Handfläche wieder nach oben zeigte. Er öffnete seine Finger mit einer magischen Geste: Die Hand war...