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Wenn Dornröschen nicht mehr aufwacht

Die Botschaft der Märchen in Familienaufstellungen

AutorThomas Schäfer
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783426419854
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Klassische Märchen spiegeln Familien- und Lebensskripte wider, die dem Einzelnen in der Regel nicht bewusst sind. Nach Bert Hellinger sind Märchen und das, was sie für den Einzelnen bedeuten, oft mit einem verborgenen familiären Lebensauftag verknüpft.  Das persönliche Lieblingsmärchen verrät demnach eine Menge über Ereignisse und Schicksale der Geburtsfamilie. Thomas Schäfer zeigt in seinem Buch anhand von aussagekräftigen Fallbeispielen, welche Lebenshintergründe mit bestimmten Märchen verknüpft sind und sucht in Verbindung mit Familienaufstellungen nach Lösungen und Hilfen bei psychischen Problemen.

Thomas Schäfer, geb. 1960, arbeitet seit vielen Jahren als Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Psychotherapie und Familienaufstellungen.

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Leseprobe

Der methodische Umgang mit Märchen


Was spricht dafür, Märchen des Rat Suchenden in Familienaufstellungen mit einzubeziehen? Sowohl in Familienaufstellungen mit Papierscheiben[3] als auch in Gruppenaufstellungen gibt es manchmal einen »toten Punkt«. Der Hinweis auf das Märchen kann möglicherweise ein Tor öffnen, das bislang übersehen wurde. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte von Manuela (siehe das Kapitel »Dornröschen«), die unter starken Allergien litt. Die als Person aufgestellte Allergie wollte der Mutter Manuela wegnehmen. Die Rivalität unter den Frauen wurde im wahrsten Sinne des Wortes handgreiflich ausgetragen. Auf die jetzt gestellte Frage nach dem Märchen gab Manuela »Dornröschen« an, in dem es fast immer um eine nicht gewürdigte frühere Frau des Vaters geht. Anschließend konnte dann schnell eine Lösung gefunden werden, indem die frühere Frau geachtet wurde.

Wie schon gesagt, sollen die Einsichten in die Skriptzusammenhänge eines Märchens dem Rat Suchenden und seiner Familienaufstellung dienen und nicht umgekehrt. Ein Beispiel dafür ist die Aufstellung von Fritz (Kapitel »Hans im Glück«). Obwohl hier der typische Skripthintergrund des männlichen Verwandten, der sein Vermögen verloren hatte, gegeben war, so wurde diese Person dennoch nicht aufgestellt. Es war deutlich wahrzunehmen, dass Fritz schon alles für seine Lösung hatte: die wieder gefundene Liebe zu seinem verstorbenen Vater. Eine zusätzliche Arbeit im Sinne von »Vollständigkeit« hätte nur Kraft genommen statt Nutzen gebracht.

Ohnehin muss man sich klarmachen, dass sich nicht bei jedem der typische Skripthintergrund des benannten Märchens zeigt. Zusätzlich besitzen viele Märchen eine breite »Streuung«. Beim »Froschkönig« (siehe das Kapitel »Der Froschkönig oder Der eiserne Heinrich«) beispielsweise geht es um eine »kalte« Frau, die ihren Gatten nicht als Mann genommen hat. Doch diese Frau, die den Frosch bzw. »den Mann« stets an die Wand wirft, ist nicht immer die Mutter des Aufstellenden, es kann auch eine andere Frau im Familiensystem sein. Was speziell den »Froschkönig« angeht, so gibt es ohnehin verschiedene Skripte. Schon der Titel verweist auf das zweigeteilte Märchen: »Der Froschkönig oder Der eiserne Heinrich« lautet er nämlich vollständig. Wenn dieses Märchen genannt wird, sagen die meisten »Der Froschkönig«, aber andere auch »Der eiserne Heinrich«, so als ob es zwei verschiedene Geschichten seien. Wie wir sehen werden, hat in der Tat jedes dieser beiden Märchenteile seine eigene Bedeutung.

 

Sowohl in der Einzeltherapie als auch in Aufstellungsgruppen frage ich die Klienten zu Beginn nach dem Märchen, das sie in der Kindheit am meisten beeindruckt hat.[4] Dabei sollte man darauf achten, ob sie tatsächlich eine innere Verbindung zu dem Märchen haben. Gibt jemand mehrere an, kann man fragen, welches das wichtigere ist. Aufschlussreich ist auch die Beobachtung, bei welcher Märchenbeschreibung der Erzählende einen zentrierten oder betroffenen Eindruck macht. Empfehlenswert ist es, wenn der Therapeut in der Gruppe wie auch in der Einzeltherapie eine kurze Imagination durchführt: Nach einer geleiteten Entspannung kann der Klient mit geschlossenen Augen darauf warten, welche Märchenfigur jetzt innerlich auf ihn zutritt. Dabei kann es für ihn durchaus Überraschungen geben.

Bert Hellinger hat seine Vorgehensweise in diesem Zusammenhang so beschrieben:

 

Diese Geschichten, seien es es solche, die auf traumatischen Ereignissen und Erlebnissen beruhen oder systemisch bedingt sind, kann man suchen. Eine Methode, das Skript und die systemische Geschichte herauszubekommen, ist das Erzählen folgender Geschichte:

Einer denkt, er habe jetzt genug gearbeitet und er könne sich was Gutes leisten. Er geht aus seinem Ort weg und fährt in einen anderen Ort und wandert ein bisschen herum und kommt vor ein Haus, und über dem Haus steht mit großen Buchstaben »Welttheater«. Er denkt sich: »Das ist der richtige Platz«, und kauft sich eine Eintrittskarte. Etwas teuer, aber er sagt sich, das macht mir jetzt nichts aus. Dann geht er hinein, setzt sich in den Raum, lehnt sich zurück, macht es sich gemütlich und wartet. Schließlich gehen die Lichter aus, und der Vorhang öffnet sich: Das Stück beginnt. Wie er so hinschaut, merkt er: Das Stück kenne ich ja schon aus der Literatur. Das ist ja überhaupt nichts Neues. Und als er weiter hinschaut, merkt er, das ist das Stück, das er selber spielt. Frage: Wie heißt dein Stück? Es ist ein Stück, das es in der Literatur gibt. Entweder als Märchen oder als Film oder als Roman, Theaterstück, vielleicht auch als eine Biographie. Wenn der Name des Stückes hochkommt, ist das eine Überraschung und meist ein bisschen peinlich.[5]

 

In den Aufstellungsgruppen kommt es vor, dass jemand ein Märchen angibt, nur weil die meisten anderen auch eines nennen. Mancher glaubt, dass Lösungen nur möglich sind, wenn man ein Märchen oder ein »Stück« angibt. Dem kann man als Therapeut vorbeugen, indem man die Tatsachen von Anfang an ausspricht: Das Wesentliche sind wie gesagt die Familienaufstellungen, nicht die Märchen. Märchen können zuweilen einen wichtigen Hinweis liefern, sie müssen es jedoch nicht.

Wichtige Aufschlüsse geben können aber nicht nur Märchen, sondern auch Geschichten aus der Jugendzeit und ebenso aus dem Erwachsenenleben, zum Beispiel Opern, Filme und Romane. Manchmal ist es nur eine wichtige Szene, die das Interesse begründet hat. Eine Frau liebte als Jugendliche zum Beispiel ein langes, weitschweifiges modernes Märchen vor allem wegen einer einzelnen Szene, was sie mir gegenüber auch deutlich zum Ausdruck brachte: Eine der Hauptfiguren lernte, aus ihrem Körper auszusteigen und ihn zu verlassen. Diese Frau hatte ihr ganzes Leben, auch schon in der Kindheit, nur eines gewollt: nicht mehr auf der Erde sein, was letztlich Jenseitssehnsucht bedeutet.

Bei Erwachsenengeschichten lohnt es sich, nach der Szene zu fragen, die besonders beeindruckend gewesen war. Doris hatte sich zwar an kein Märchen aus der Kindheit erinnert, doch ihre Erwachsenengeschichte war das Musical »Sissi«, in dem es um die Lebensgeschichte der bekannten lebensmüden österreichischen Kaiserin geht. Auf Schallplatte hörte sie immer wieder eine bestimmte Stelle an: Elisabeth sieht den Tod zwischen Gitterstäben vor sich stehen und sagt zu ihm:

»Komme, öffne mir!
Lass mich nicht warten.
Bin ich nicht
genug gequält?
Erbarme dich!
Komm, süßer Tod …
Verfluchter Tod …
Erlöse mich!«

Doris’ Mutter war lebensmüde. Sie hatte ihre Tochter schon des Öfteren gebeten, sie umzubringen, indem sie beispielsweise zusammen mit dem Auto einen Abhang hinunterführen. Sie könne die Qual ihres Lebens nicht mehr ertragen, sagte sie gerade in letzter Zeit immer wieder. Tatsächlich lauteten die sich stets wiederholenden Worte der Mutter: »Der Tod ist die beste Erlösung.« Ganz ähnlich wie im Musical. Die Musik und der Text des Musicals brachten Doris zu Bewusstsein, was zu ebendieser Zeit in ihrer Familie geschah; sie fühlte, dass sie genauso lebensmüde war wie ihre Mutter, weil sie deren Leid trug.

Auch im Theater hatte Doris das Musical gesehen. Der Darsteller des Todes hatte eine magische Wirkung auf sie. Sie konnte ihn auch nach der Aufführung nicht so schnell wieder vergessen. Es war ihr, als ob sie in den Tod verliebt sei. Durch eine Familienaufstellung konnte sie dann zu einem späteren Zeitpunkt ihre Todessehnsucht erkennen und auch verstehen, warum ihre Mutter aus dem Leben scheiden wollte.

Das Musical »Sissi« zog Doris genau zu der Zeit in Bann, als der Drang der Mutter zu sterben besonders intensiv war und sie selbst als deren Tochter sehr gefährdet war. Anders als die Märchen haben die Geschichten aus dem Erwachsenenleben einen größeren Bezug zur aktuellen Situation, doch auch in ihnen kann Vergangenes aufscheinen.

Eine Frau, Isolde, gab als Erwachsenen- und Jugendgeschichte ein Buch[6] über ein Zwillingsschwesternpaar an. Die beiden Schwestern waren Musikerinnen und wollten immer zusammen öffentlich musizieren. Durch das Schicksal wurden sie oft voneinander getrennt, worunter beide litten. Das Buch endet mit dem Tod einer der Zwillinge, was für den noch lebenden Zwilling mit schwerem Schmerz verbunden war. Isoldes Mutter hatte eine Zwillingsschwester, die bei der Geburt verstorben war. Doch die Parallelen gehen noch weiter: Die Mutter war hochmusikalisch, und Isolde hatte ihr musikalisches Talent, das sie auch beruflich nutzte, von der Mutter geerbt; so zumindest sah es Isolde. In einer Familienaufstellung zeigte sich, dass sie mit der toten Zwillingstante identifiziert war und der Mutter den toten Zwilling ersetzte.

Auch Filme und Romane, die einen lang anhaltenden Eindruck hinterlassen, haben oft ihre Bedeutung. Besonders aussagekräftig ist es, wenn der grundlegende Inhalt sowohl in der Erwachsenengeschichte als auch im Märchen gefunden wird. Bei den Erwachsenengeschichten muss man ebenso berücksichtigen, dass sie sich auch gänzlich auf ein aktuelles Problem beziehen können und nichts mit der Herkunftsfamilie zu tun haben müssen.

Als Beispiel für einen Film sei die Geschichte von Paula erwähnt: Paula litt unter mehreren lebensbedrohlichen Krankheiten. Bei einer Aufstellung kam sie in Kontakt mit dem Tod, der als Person aufgestellt war. Ihr Verhalten dem Tod gegenüber war anmaßend. Sie sagte ihm: »Ich bestimme das Handeln, nicht du.« Darauf antwortete der Tod: »Was du sagst, ist sehr schlimm. Du glaubst, du könntest mit mir spielen – ich...

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