I
Menschen mit Ausdauer wollen einen starken Endspurt hinlegen
Sie glauben, dass Aufgeben nicht in Frage kommt.
Sie wissen, dass »Gehen« undenkbar ist.
Sie sind überzeugt, dass das Ausdauertraining
eine tägliche Übung ist.
Sie verabscheuen Ziellosigkeit.
Sie haben das Gesicht von Siegern.
Kapitel 1
Aufgeben kommt nicht in Frage
Als meine Mutter vor ein paar Jahren starb, rief ich eine entfernte Kusine an, um ihr die Nachricht von ihrem Tod zu überbringen. Unser Gespräch dauerte viel länger, als ich erwartet hatte, da sie anfing, mir Geschichten über die Familie meiner Mutter zu erzählen, die ich bis dahin noch nie gehört hatte.
Meine Mutter war das jüngste von acht Kindern einer schwedischen Einwandererfamilie gewesen. Mit ihr waren jetzt alle acht gestorben. »Die Familie deiner Mutter waren lauter Leute ohne Durchhaltevermögen«, sagte meine Kusine unverblümt. »Als das Leben hart wurde, begannen die Brüder zu trinken und die Schwestern zu jammern. Dann gaben sie einfach auf und starben ... einer nach dem anderen.«
Die Bemerkung verfolgte mich noch lange, nachdem das Telefongespräch beendet war. »Ohne Durchhaltevermögen!«, hatte sie gesagt. Kein schönes Kompliment für eine Familie. Da ich das Urteil meiner Kusine nicht widerlegen konnte, begann ich, die Puzzlestücke aus dem Leben meiner Mutter, so gut ich mich an sie erinnern konnte, zusammenzufügen.
Sie hatte sich sehr bemüht, meinem Bruder und mir eine gute Mutter zu sein. Aber hin und wieder hatte meine Mutter Enttäuschungen verkraften müssen. Viele Dinge liefen für sie einfach nicht so, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie bekam eine Arbeit, gab sie aber kurze Zeit später wieder auf. Sie begann überall in unserem Haus irgendwelche Projekte, stellte sie jedoch nur selten fertig. Sie verkündete, dass sich unser Familienleben ändern sollte, aber die Entschlossenheit, etwas zu verändern, hielt nicht an.
Mutter schien eine viel beschäftigte Frau zu sein, aber nur sehr wenig wurde wirklich erledigt. Sie kannte viele Leute, aber ich bin nicht sicher, ob sie viele enge Freunde hatte. Nur eine einzige Freundin fällt mir ein. Sie besaß Talente (Klavier spielen zum Beispiel), aber ich glaube nicht, dass sie eines davon weiter entwickelte.
In unserem Haus hängt ein kleines Gemälde, das meine Mutter zu malen anfing, als sie schon älter war. Es ist eines der wenigen Andenken, die sie uns nach ihrem Tod hinterlassen hat. Aber das Gemälde ist von jemand anderem fertig gestellt worden.
Ich habe meine Mutter geliebt, und ich bin ihr dankbar, dass sie treu zu ihren beiden Söhnen gehalten hat. Aber mir ist auch bewusst, dass ein ordentliches, diszipliniertes, ausdauerndes Leben eine ständige Herausforderung für sie war. Und obwohl ich weiß, dass ihr Tod die Folge eines schweren Schlaganfalls war, fürchte ich, dass sie gleichzeitig an einem gebrochenen Herzen gestorben ist.
Vor dem Gespräch mit meiner Kusine hatte ich die Einzelteile aus dem Leben meiner Mutter nie so zusammengefügt, dass ich dieses zugrunde liegende Muster gesehen hätte. Eine einzige abwertende Bemerkung – »Leute ohne Durchhaltevermögen« – hatte mir jetzt die Augen dafür geöffnet. Von diesem Wort aufgewühlt, wurden mir viele Dinge klar: über meine Mutter und über mich selbst. Dinge zu Ende zu bringen war für uns beide eine Herausforderung. Es war ein Kennzeichen für unseren Charakter.
Am positivsten kann ich es so ausdrücken: Ich habe ein Gen in mir, das mir das Durchhalten schwer macht. Ich weiß, dass dies keine medizinisch korrekte Diagnose ist, die ein Psychologe stellen würde. Aber es erklärt mir einiges, selbst wenn es zu schmerzlichen Erkenntnissen führt ... über meine Mutter und über mich selbst.
Marvin Goldberg war vielleicht der Erste, der dieses Gen bei mir entdeckte. Im Sommer vor meinem letzten Jahr in Stony Brook beschloss ich, aus seiner Laufmannschaft auszusteigen. Ich hatte keine Lust mehr zu den anstrengenden Trainingsstunden. Ich wollte etwas mehr Zeit haben, damit ich (wie soll ich das ernstzunehmend ausdrücken?) mich mehr mit Mädchen treffen konnte und mehr von den Dingen tun konnte, die unter die Rubrik »einfach Spaß haben« fallen. Ein Sportlerleben war mit solchen Wünschen nicht vereinbar.
Im nächsten Frühling, sagte ich mir, würde ich das Laufen wieder ernst nehmen und in Goldbergs Aschenbahnteam laufen, aber ich wollte im Herbst nicht all die Crossläufe bestreiten müssen, bei denen unsere Mannschaft häufig in Wettläufen über zehn Kilometer gegen Mannschaften aus niedrigeren Klassen antrat.
Da wir die Ferien zu Hause verbrachten – in meinem Fall dreitausend Kilometer von der Schule entfernt –, entschied ich mich, das alles in einem Brief darzulegen. Ehrlich gesagt, hätte ich nie die Kühnheit besessen, dem Trainer diese Dinge ins Gesicht zu sagen. Er hätte meine Argumente innerhalb weniger Minuten widerlegt. Ein Brief war also die beste Möglichkeit, entschied ich. Ich versuchte, meine Entscheidung so klingen zu lassen, als hätte ich plausible Gründe, als wäre die Entscheidung »Partys zu feiern«, statt in der Mannschaft zu laufen, Gottes Wille oder so etwas.
Es dauerte keine Woche, bis der Antwortbrief eintraf. MWG hatte mir postwendend geantwortet. Soweit ich mich erinnere, war sein mit Schreibmaschine engzeilig geschriebener Brief mehrere Seiten lang. Ich wünschte, ich hätte ihn noch. Denn selbst ich, ein junger, unreifer Teenager, hatte sehen können, dass dieser Mann vieles im Blick hatte, das größer und weitreichender war als nur die Frage, ob ich im Herbst in der Laufmannschaft bleibe oder nicht.
Ich erinnere mich, dass mein Vater mich bat, den Brief lesen zu dürfen. Als er ihn gelesen hatte, sagte er: »Das ist vielleicht der wichtigste Brief, den du in deinem ganzen Leben bekommen hast.« Vielleicht war diese Einschätzung etwas übertrieben, aber meine Aufmerksamkeit war damit eindeutig geweckt.
Kurz zusammengefasst, hatte Goldberg gesagt: »Wenn du im Herbst nicht in der Laufmannschaft bleibst, hast du damit folgende Entscheidungen getroffen: Du enttäuschst deine Mannschaftskameraden, die sich darauf verlassen, dass du ihnen hilfst, Wettkämpfe zu gewinnen. Du kehrst den Fans der Mannschaft den Rücken, die in der Vergangenheit zu jedem Rennen erschienen sind, um Sportler wie dich anzufeuern. Aber am meisten« – und damit traf er voll ins Schwarze – »verstärkst du unbewusst einen gefährlichen Charakterzug in dir: Immer wenn du mit einer Herausforderung konfrontiert wirst, die dir nicht gefällt, oder die dir zu schwer erscheint, oder die von dir ein zu großes Opfer verlangt, wird es dir von Mal zu Mal leichter fallen, ihr den Rücken zu kehren.« Mit anderen Worten: aufzugeben und kein Durchhaltevermögen zu zeigen.
Goldberg hatte nicht ahnen können, was ich Jahre später über meine Mutter erfahren sollte. Aber ich denke, er hat schon damals dieses Gen bei mir entdeckt.
Sein Brief und die Worte meines Vaters über den Brief waren stärker als mein Instinkt, alles einfach hinzuwerfen. Ich änderte meine Meinung, kehrte in die Mannschaft zurück und half, sie in jenem Jahr zur Meisterschaft in unserer Liga zu führen. Ich kann nicht behaupten, dass das ein großer Genuss für mich gewesen wäre, aber auf einer tieferen Ebene erfuhr ich die Genugtuung, dass ich etwas geleistet hatte, das gut ausging. Vielleicht ist auf lange Sicht diese Genugtuung im Leben wichtiger als der Genuss.
Goldbergs Brief hatte einen Warnschuss abgegeben. Er hatte Recht gehabt. Die Versuchung, angesichts von schweren Herausforderungen aufzugeben, meldete sich in den vielen Jahren meines Lebens in regelmäßigen Abständen. Immer wieder – bis auf den heutigen Tag – wenn ich versucht bin zu zaudern, eine eingegangene Verpflichtung nicht einzuhalten, Mühen zu umgehen, erinnere ich mich bewusst an den Tag, an dem ich als Jugendlicher in die Laufmannschaft zurückkehrte und etwas tat, zu dem ich eigentlich keine Lust hatte. Und in einem inneren Zwiegespräch mit dem Teil in mir, dem die Kraft fehlt, etwas zu Ende zu führen, sage ich: »Ich habe es damals zu Ende geführt; ich werde es auch jetzt zu Ende bringen. Ich habe es damals geschafft; ich werde es auch jetzt schaffen.«
Diese beiden Geschichten – über das Leben meiner Mutter und über meine Entscheidung als Jugendlicher – sind nur zwei Beispiele von vielen, bei denen es in meinem eigenen Leben um Ausdauer und Durchhaltevermögen ging. Es ist ein Thema, an dem ich immer wieder arbeiten muss, aber jedes Gramm Kraftanstrengung, das mich dieser Kampf kostet, lohnt sich.
Überall wo ich über ein Leben mit Ausdauer spreche, betone ich eines: Man muss damit rechnen, dass die größten Leistungen die Gott für uns plant, in der zweiten Lebenshälfte geschehen werden. Sie sollten die Reaktion meiner Zuhörer sehen, wenn ich hinzufüge: »Sind Sie unter vierzig? Ehrlich gesagt, das meiste von dem, was Sie bis jetzt getan haben, ist nicht mehr als die ersten Runden des Rennens.«
Kaleb aus dem Alten Testament ist für mich der größte Meister der zweiten Lebenshälfte. »Gib mir das Bergland«, bat er Josua. »Ich bin fünfundachtzig, und ich bin genauso stark, wie ich es mit fünfundvierzig war« (siehe Josua 14). Ich vermute, dass er das im Beisein von vielen jungen Männern sagte, die sich um leichte Aufgaben bemühten, als es darum ging, das verheißene Land einzunehmen. Im Bergland gab es geschützte Städte und Männer, von denen es hieß, sie wären Riesen. Wer wollte es schon mit ihnen aufnehmen? Der fünfundachtzigjährige Kaleb!
Wenn ich über Kaleb und...