2. Kundenorientierung als strategischer Wettbewerbsfaktor im Handel
Der Ansatz der Kundenorientierung hat in den letzten Jahren in allen Branchen, aber vor allem im Handel, stark an Bedeutung gewonnen[3]. Dem geht die in der Literatur verbreitete Meinung voraus, dass Unternehmen, die sich durch hohes Wissen über den Verbraucher und durch eine hohe (proaktive) Kundenorientierung in Ihren Aktivitäten auszeichnen, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten erzielen werden, die nur produktorientiert agieren[4]. So zeigen Studien, dass kundenorientierte Unternehmen bis zu neun Prozent höhere Preise durchsetzen können und bis zu sechs Prozent höhere Marktanteile erzielen[5].
Doch was ist ein kundenorientiertes Unternehmen? Nach Bruhn bedeutet Kundenorientierung eine „…umfassende, kontinuierliche Ermittlung und Analyse der individuellen Kundenerwartungen sowie deren interne und externe Umsetzungen in unternehmerische Leistungen sowie Interaktionen im Rahmen eines Relationship Marketing-Konzeptes mit dem Ziel, langfristig stabile und ökonomisch vorteilhafte Kundenbeziehungen zu etablieren.[6]“. Galwik hingegen kennzeichnet Kundenorientierung durch drei Säulen: die Konzentration des Unternehmens auf Kernkompetenzen, den Lernprozess mit dem Kunden und die Verbreitung kundenrelevanter Informationen im Unternehmen[7]. Eine andere eher allgemeine Definition sieht Kundenorientierung „…als variable, situativ zu beurteilende Grundeinstellung der Mitarbeiter einer Unternehmung zu den Kunden und Kundenbedürfnissen.“[8]
Trotz zahlreicher Betrachtungen des Themas und dem Wissen der Unternehmen über die Notwendigkeit kundenorientierten Handelns, besteht eine große Kluft zwischen Theorie und Realität. Eine Studie von Diller und Saatkamp aus dem Jahre 2002 zeigte, dass Kundenorientierung zwar von vielen Unternehmen als Leitgedanke proklamiert wird, aber in der Unternehmenspraxis immer noch mangelhafte Anwendung findet [9].
Globalisierung, Substituierbarkeit der Produkte, Branchenerosion, neue Informations- und Kommunikationstechnologien, gesättigte Märkte, Deregulierung und Smart-(S)hopper sind nur einige Begriffe die heute den Handel prägen.
Die circa fünf Millionen Menschen, die heute in Deutschland im Handel tätig sind, haben es nicht leicht mit dem rasanten Wandel, den hohen Ansprüchen und ständig neuen Herausforderungen dieser Branche mitzuhalten. So gilt der Handel in Deutschland als der anspruchvollste und Wettbewerb intensivste Markt in Europa[10]. Beispielsweise haben sich international erfolgreiche Handelsunternehmen wie Marks & Spencer und Wal-Mart wieder aus dem deutschen Markt zurückgezogen. Doch warum?
Die in Deutschland, nach Industrie und Handwerk, drittgrößte Wirtschaftskraft, mit Umsätzen von rund 1.1 Billionen Euro pro Jahr[11], befindet sich heute in einer rezessiven Phase mit sinkenden oder stagnierenden Umsätzen (Umsatzrenditen von durchschnittlich 0,7%) bei gleichzeitiger steigendem Wettbewerb (Globalisierung des Handels)[12]. Die Einführung des Euros bewirkte, dass der Kostendruck durch die Transparenz der Preise und die Konkurrenz aus dem europäischen Ausland noch weiter verstärkt wurde[13]. Die klassische Lösung des Handels, mit erhöhter Marktpräsenz und Preiswettbewerb zu reagieren, führt nicht mehr zum gewünschten Erfolg, sondern vielmehr zu noch stärker sinkenden Profitmargen[14].
Auch die Betrachtung der zukünftigen Entwicklung des Handels in Deutschland ist nicht beeindruckend. Stagnierende bzw. der ab 2010 stark rückläufige Trend der Bevölkerungszahlen sowie sinkende Nettorealeinkünfte bergen weit reichende negative Konsequenzen für die Nachfrageentwicklung im Handel[15]. Des Weiteren wächst der Seniorenmarkt in Deutschland, der auch zukünftig über ein umfangreiches Vermögen verfügen wird. Vererben die heutigen Senioren ihr Vermögen an ihre Kinder weiter, sind diese im Durchschnitt 59 Jahre alt. Beide Gruppen (Senioren als auch Erben) neigen dazu von Jahr zu Jahr immer weniger zu konsumieren. Vor dem Hintergrund einer weltwirtschaftlich unsicheren Situation und zunehmenden Terrorängsten wird das Geld eher in Dienstleistungen oder Immobilien investiert. Banken und Versicherungen sind Gewinner dieser Entwicklung. Industrie und Handel haben das Nachsehen[16].
Mehr denn je werden also Lösungen für die vielfältigen Probleme gebraucht. Eggert betont, dass innerhalb des privaten Konsums vor allem die Erlebnis- und Dienstleistungsorientierung des zukünftigen Verbrauchers die klassische Verbrauchs- und Güternachfrage ablösen wird. Unternehmen, die es verstehen „Arrangeur“ zu sein und persönliche Beziehungen zu inszenieren, werden die warenorientierten Strukturen vieler Handelsunternehmen in den Schatten stellen. Tchibo hat in Deutschland bereits gezeigt, dass dieses Konzept erfolgreich ist. So bietet das Unternehmen nicht nur ein erlebnisorientiertes Sortiment („Jede Woche eine neue Welt“) sondern auch Riester Renten-Produkte, Kredite und Telefondienstleistungen an[17].
Fensky hingegen schlägt ein kontinuierliches „on demand Retailing“ als Lösung der zukünftigen Probleme des Handels vor. Diese vollkommen auf die Nachfrage der Konsumenten orientierte Strategie bedeutet, dass ein Unternehmen sich schnell auf Veränderungen der Umwelt einstellen muss. Dafür sind vor allem integrierte Geschäftsprozesse mit Kunden, Lieferanten und Partnern über die Unternehmensgrenzen hinaus notwendig, die ein flexibles Eingreifen auf Veränderungen des Marktes ermöglichen[18].
Belz hebt hervor, dass in Zukunft „die Schnellen“ den Erfolg für sich verbuchen. Es gilt, trotz herrschenden Zeitdrucks und schwieriger Marktlage ein unverwechselbares, langfristiges Unternehmensprofil aufzubauen, das sich zwar den Kundenbedürfnissen anpasst aber gleichzeitig Stabilität und Vertrautheit verkörpert[19].
Um in der Vielfalt der Lösungsansätze die heute von der Literatur angeboten werden die „richtigen“ zu finden, erfordert es neben der Analyse des Strukturwandels eine genaue Betrachtung aktueller Trends.
Der rasante Wandel der heutigen Konsumgüterwirtschaft erfordert ein immer schnelleres Reagieren auf aktuelle Trends. Folgende Trends zeichnen sich bezogen auf die Konsumenten und den Handel in Deutschland ab:
Konsument:
Der heutige Konsument ist gekennzeichnet durch steigende Komplexität der Bedarfs- und Verhaltensmuster. Dies resultiert aus dem Wunsch nach Individualität und Convenience in Verbindung mit einem zunehmenden Informationsanspruch[20].
Die Vermittlung von Einkaufserlebnissen (z. B. Do it Yourself (Ikea Prinzip)) rückt in den Vordergrund. Die Befriedigung der Konsumentenbedürfnisse durch das eigentliche Produkt lässt stetig nach[21].
Es herrscht eine erhöhte Preissensibilität bei den Konsumenten vor, das so genannte „Smart Shopper Phänomen“. Nicht die Marke oder der Hersteller (kontinuierlicher Rückgang der Markenbindung) sondern der Preis entscheidet über den Einkauf[22].
Durch unüberschaubare Produktvielfalt und Bonusprogramme entsteht bei den Kunden eine zunehmende Verwirrung[23].
Der Kunde bevorzugt mittelfristig eine elektronische Kommunikation mit den Unternehmen[24].
Aufgrund des Demographischen Wandels in Deutschland nimmt die Zahl der jüngeren Verbraucher stetig ab, die ältere Kundschaft nimmt zu [25].
Handel:
Der Trend zur Bildung von Netzwerken im Handel bildet sich mit zunehmender Internationalisierung zu einem strategischen Erfolgsfaktor heraus[26].
Es findet eine Konzentration von wenigen Top-Unternehmen statt. In Deutschland besitzen die fünf Top-Handelsunternehmen einen Marktanteil von circa 80%[27].
Langfristig gültige Kundensegmentierungen gehören der Vergangenheit an. Maßnahmengeschneiderte und flexible Segmentierungen anhand neuster Kundendatensysteme werden zum Schlüsselfaktor[28].
Die Machtverhältnisse zwischen Industrie und Handel verschieben sich zu Gunsten des Handels[29].
Das Internet als Verkaufsmarktplatz gewinnt an Bedeutung (Electronic Retailing und Electronic Commerce)[30].
Zusammenfassend ist festzustellen, dass auf der einen Seite ein Konsument mit immer höheren Ansprüchen zu finden ist, der sich von einzelnen Marken und Unternehmen zunehmend löst. Auf der anderen Seite befindet sich das Handelsunternehmen, welches sich in einem aggressiven Wettbewerbsumfeld um die Gunst der Kunden bemühen muss. Daher wird die Kundenbindung zum zentralen Unternehmensziel auf dem Weg zu einem langfristigen und nachhaltigen Erfolg.
2.3 Kunden zufrieden stellen, binden und begeistern
Im Bezugsrahmen der Kundenorientierung werden in diesem Kapitel drei Konstrukte näher beleuchtet...