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E-Book

Ehrlich glauben

Warum Christen so leicht lügen

AutorUlrich Eggers
VerlagSCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2013
ReiheEdition Aufatmen 
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783417226744
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Hier finden Sie Impulse für einen ehrlichen Glauben! Denn: Auch Christen lügen! Manchmal bewusst, meistens unbewusst und intuitiv. Unser Mund lügt, unser Schweigen lügt, unsere Fassade lügt, auch unsere Beziehungssysteme und Gemeinden fördern die Unwahrheit. Der Chefredakteuer des Magazins AUFATMEN, Ulrich Eggers, analysiert, warum das so ist, und zeigt auf, wie wir unsere frommen Fassaden einreißen können. Seine These: Christen müssen aus der Unfreiheit eines Doppellebens mit Heiligenschein herausfinden. In 50 sehr persönlichen Impulsen, jeweils mit Fragen zum Weiterdenken, wird deutlich, wie echte Freiheit in Christus aussehen kann.

Ulrich Eggers (Jg. 1955) gründete Zeitschriften wie family, AUFATMEN, JOYCE oder andersLEBEN und verantwortet das Magazin AUFATMEN weiterhin als Redaktionsleiter. Bis zum Herbst 2021 war er Verleger und Geschäftsführer der SCM Verlagsgruppe und lebt in Cuxhaven. Ehrenamtlich ist er 1. Vorsitzender von 'Willow Creek Deutschland' und Leiter der Lebensgemeinschaft 'WegGemeinschaft e.V.', die das christliche Tagungszentrum Dünenhof trägt. www.aufatmen.de

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Kapitel 2


Begegnung mit unserem Problem: Doppelleben


Wenn eines auch heute noch im Bild der Öffentlichkeit über die Kirche lebt, dann dies: In der Kirche, da sind die Heiligen, die mit den hohen, steilen Ansprüchen. Leute, die irgendwie besser sein wollen als die Sünder um sie herum. Ein übles Zerrbild. Aber eines, das deutlich macht: Christsein und das fromme Soll werden stark miteinander identifiziert. Christen müssen offensichtlich irgendwie die besseren Menschen sein, so viel ist klar. Klar ist allerdings auch, dass sie es gar nicht sind. Und dass keiner besser darüber Bescheid weiß als wir selbst: Soll und Ist klaffen auseinander. Außen- bzw. Wunschbild und Wirklichkeit stimmen nicht überein.

Bei einer Umfrage eines US-Internetdienstes unter 700 Christen gaben 51 Prozent zu, im vergangenen Monat gelogen zu haben. Nach anderen Umfragen sollen angeblich rund 50 Prozent aller christlichen Männer pornosüchtig sein. Wenn das so wäre, müsste man darüber reden, predigen und schreiben, diese mögliche männliche Wirklichkeit wahrnehmen. Tun wir aber nicht. Weil es gar nicht stimmt? Oder weil wir es nicht wahrhaben wollen und nicht an unserer glänzenden Fassade kratzen möchten? Tatsache ist –, dass wir lange nicht so gut, edel und fromm sind, wie die Leute denken oder wir uns selbst das gerne vormachen wollen.Tatsache ist – und dazu braucht man keine Umfrageergebnisse –, dass wir lange nicht so gut, edel und fromm sind, wie die Leute denken oder wir uns selbst das gerne vormachen wollen. Aber dennoch putzen wir alle an unserer Fassade herum – und verweisen unser Versagen ins schummrige Dunkel, damit es nicht gesehen wird. Das erzeugt Stress. Denn wir wissen ja um den Anspruch der Bibel und unsere eigenen Ideale. Und wir möchten gut dastehen – also mühen wir uns, ein schönes Bild von uns hochzuhalten. Zugleich aber kennen wir unsere Wirklichkeit – und leiden darunter, Gott, uns selbst und den Menschen um uns herum nicht genügen zu können. Zum Glück, meinen wir, weiß das ja keiner: Unsere Fassade wird ja geputzt. Auf Dauer aber verkrümmt uns dieses Leben in zwei Welten.

Das also macht unser Problem aus: Eigentlich wollen wir als Christen wahr leben. Ehrlichkeit und Echtheit gehören zum Glauben. Aber zugleich macht das christliche Umfeld mit seinen hohen Idealen und Ansprüchen es uns besonders schwer, ehrlich zu sein. Man lernt schnell, dass es sich lohnt, ein Doppelleben zu führen. So fällt man nicht auf, eckt nicht an und kann mitschwimmen im Strom der »Normalen« – muss seine Wirklichkeit mit ihren Schwächen, Fehlern, Fragen oder Zweifeln nicht offenbaren. Einige Beispiele, die ich so oder anders immer wieder erlebe:

? Steile Predigt


Ein Gastprediger ist zu Besuch und hält eine Predigt über die Ewigkeit. »Nicht wahr, wir freuen uns doch alle auf den Himmel?!«, ruft er begeistert aus. Und ich denke: Nein, das geht mir ganz anders! Ich hänge an meinem Leben, an meiner Frau, den Kindern. Ich genieße jeden neuen Tag. Und der Himmel? Ich weiß nicht, wie es dort sein wird. Werde ich meine Frau wiedersehen? Wenn nicht, dann will ich da eigentlich gar nicht hin. Und goldene Gassen und prachtvolle Tore? Da stehe ich nicht drauf – lieber heute Nachmittag einen schönen Spaziergang am Strand. Ich bin unsicher in Bezug auf den Himmel. Eigentlich will ich vor allem gesund sein und hierbleiben und mich am Leben freuen.

Ich schaue mich um im Gottesdienst: Alle scheinen zuzustimmen, keiner schüttelt den Kopf. Alle freuen sich auf den Himmel – nur ich nicht. Na gut, dann halte ich wohl auch besser die Klappe über meine Fragen und Zweifel – und tu so, als würde ich mich genauso freuen.

Ein Beispiel von vielen – ich weiß nicht, wie viele Christen sich wirklich auf den Himmel freuen. Meine Zweifel werden bestätigt, wenn ich so viele Alte sehe, die sich als langjährige, reife Christen auch noch mit 85 mit jeder Faser ans Leben klammern. Oder wenn ich versuche, einen Rückschluss aus der Tatsache zu ziehen, dass viele Christen so intensiv um Heilung beten. Ja, ist es denn nicht im Himmel viel schöner als auf der Erde? Und freuen wir uns nicht alle darauf? Da hat doch keiner widersprochen, oder?

Die Wirklichkeit unseres Lebens sagt etwas anderes als unser Über-Ich, das sich gefordert sieht, unsere christlichen Ideale hochzuhalten. Wir freuen uns alle auf den Himmel. Nur wollen wir da nicht ganz so schnell hin. Was ich gut verstehen kann – es geht mir ja genauso. Wir sind eben Menschen – und diese himmlische Perspektive ist uns fremd und verlangt viel Glauben. Und weckt manchen Zweifel, viele Fragen. Nur: Wäre es nicht viel klüger – und vor allem viel echter –, wenn wir das auch mal voreinander zugeben würden? Wenn wir an dieser Stelle (und an vielen anderen …) ehrlicher predigen würden und unsere Wirklichkeit genauso »wahr« nähmen wie unsere Ideale und Glaubensziele?

Ich weiß nicht, wie viele Christen sich wirklich auf den Himmel freuen. Und ich bin weit entfernt davon, hier etwas schlechtzureden. Nur eben: Ich fürchte, es geht nicht nur mir so, dass meine Freude auf den Himmel noch nicht so stark ist. Und wenn das tatsächlich so ist, dann sollten wir da ehrlich werden.

Übrigens wäre es an der Stelle vermutlich sehr interessant, wenn die Prediger bei diesem Thema geheime Abhöreinrichtungen bei ihren Gottesdienstbesuchern anbringen könnten: Wäre es nicht viel klüger – und vor allem viel echter –, wenn wir an dieser Stelle (und an vielen anderen …) ehrlicher predigen würden und unsere Wirklichkeit genauso »wahr« nähmen wie unsere Ideale und Glaubensziele?Was da auf dem Weg nach Hause im Auto oder beim anschließenden Mittagessen über die Predigt gedacht, gesagt oder diskutiert wird – das sind vermutlich oft die wirklichen Fragen und spiegelt die wirkliche Meinung der Leute über das, was gepredigt wurde. Wenn man das auswerten könnte! Was müssten das für relevante und hilfreiche Predigten sein, wenn man darüber reden würde, was tatsächlich in den Herzen der Leute los ist – wenn eine Predigt schonungslos und liebevoll mitten in die Wirklichkeit unseres Lebens, mitten in Ängste, Sorgen, Zweifel, Widerstände und Vorbehalte träfe.

? Der »Kelch des Leides«


Ein anderes Gebiet: unsere Lieder. Immer wieder geht es mir so, dass ich den Atem anhalte und mich frage: Warum singen die anderen das so einfach? Warum trauen die sich das? Warum sagen sie das hier so laut – aber ich sehe in ihrem Leben so wenig davon? Das stimmt doch gar nicht, was die da singen! Ich zumindest tue mich schwer damit.

Ich singe gern. Und ich bin ein Typ, der durch Lieder stark erreichbar ist. Bei besonders schönen Texten oder Melodien, bei eindrucksvollen Gottesdiensten oder Konzerten können mir schnell einmal Tränen in die Augen steigen. Ich bin da nah am Wasser gebaut. Lieder bedeuten mir etwas. Ich kann doch Gott nicht einfach so mit Anlauf belügen. Ich kann doch nicht einfach Worte aussprechen, die ich gar nicht abdecken kann oder umsetzen will!Oft sind es gesungene Gebete. Worte und Texte, in denen ich mich Gott neu hingebe und mein Vertrauen sich manchmal weit aus dem Fenster hängt. Und das ist gut so, wir brauchen es, dass unser Glaube ganzheitlich in uns wurzelt. Aber gerade, weil ein Lied so tief gehen kann, möchte ich ehrlich sein. Ich kann doch Gott nicht einfach so mit Anlauf belügen, denke ich. Ich kann doch nicht einfach Worte aussprechen, die ich gar nicht abdecken kann oder umsetzen will! Ich schaufle schon genug Sünden in meinen Lebensrucksack – da muss ich nicht auch noch so offensichtlich unwahr sein vor Gott.

Ich mag viele der neuen Anbetungslieder sehr und gehöre nicht zu ihren Kritikern – auch wenn ich ein großer Freund der alten Kirchenlieder bin und sie für wahre Glaubensschätze halte. Manchmal aber scheinen mir gerade einige der neuen Lieder so überschwänglich und vollmundig getextet, dass sie uns – besonders im Zusammenhang mit schönen Melodien – schnell einmal zum Lügen verführen:

Anbetungszeit im Sonntagsgottesdienst: »Du bist die Hilfe, die nie zu spät kommt, du bist der Retter in großer Not …«, schmettern wir gerade – aber in mir wehrt sich etwas. »Du bist die Hilfe, die nie zu spät kommt?« – Was für eine steile Aussage, denke ich. Stimmt das wirklich? Kann man das so sagen?

Ich denke an unsere erste Tochter, die ein paar Tage nach der Geburt starb. Hilfe, die nie zu spät kommt? Ist der Satz höhere Ironie oder Zynismus? Eine verwinkelte theologische Aussage, die erst auf der dritten Denkebene einen Sinn ergibt? Habe ich damals nicht genug gebetet? Man kann dieses Lied so schön mit Karacho singen – aber wie singt es eine, deren Mann gerade an Krebs gestorben ist? Einer, dessen Unternehmen gerade pleite ging?

Und wie stellt sich der Autor das Singen dieses Liedes vor? Wer darf und soll mitsingen? Die Glücklichen im Glauben, die gerade nicht im finsteren Tal sind? Oder wirklich alle – unabhängig von ihrer Lage? Liegt dem Originallied vielleicht ein Beipackzettel mit Kleingedrucktem bei, das mögliche Nebenwirkungen und Kontraindikationen beschreibt oder erklärt, in welcher Form höherer Lyrik dieser Text auch für Schmerzbeladene Sinn ergibt?

Oder so: »Mein Jesus, ich lieb dich, ich weiß, du bist mein«, heißt es in einem schönen Lied, das ich gern singe. An einer Stelle aber stockt mir jedes Mal die Stimme, weil ich diese Schlusszeile so nicht mitsingen kann: »Ich liebe dich heute wie niemals zuvor.«...

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