Aufnahme in das Kosthaus und Vorbereitungen zum Studentenleben – Der Segen des Vaters – Eintritt in das Seminar – Anfang des Studentenlebens, die Prinzipia – Fluchtversuch wegen Lehrertyrannei – Allerlei andere Schicksale und Unternehmungen – Die 1. Vakanz – Bestrafter Diebstahl – Das 2. Studienjahr, die Rudiment – Schwärmereien, Askese – Die Prämien – Studentenpossen – Das Lotto und der Schatz – Das 3. Schuljahr – Das kalte Fieber – Luftreisen – Lebensgefahr – Die Hexe – 4. Studienjahr – Das erste deutsche Buch – Pubertät.
Im Jahre 1769, den 20. Okt., nachmittags am St. Ursula Vorabend, nahm ich Abschied von meinen Eltern und Brüdern. Meine Mutter meinte, es würde mich viele Tränen kosten. Allein ich ging mit stillem Gleichsinn hinweg. »Du kommst nun aus dem Unfrieden hinweg,« dieser Gedanke milderte die Wehmut des Abschieds. Meinen Taubenschlag besuchte ich zuletzt noch einmal, dann betrachtete ich um und um das väterliche Haus, das kleine Gärtchen und besonders die schöne Rebe daran, die voller Trauben hing, mit einer Art von Zärtlichkeit und rief mir die angenehmsten Augenblicke, die ich da genossen hatte, ins Gedächtnis Zurück. Endlich sagte ich: »Lebe Wohl, Vater, und du Hans Michel, und du Franz Joseph, und betet für mich, wie ich für euch.« Der Vater gab mir nochmals gerührt seinen Segen und entließ mich mit den Worten: »Xaverl, sei fromm und fleißig! Sieh! wenn du als ein braves Studentlein zurückkommst, machst du mir viel Freude; wenn du dich aber übel aufführst und davongejagt wirst, so komm nur nimmer zu mir, ich schlage dich tot.« – »Behüte dich Gott, Vater,« sagte ich, »du darfst nicht fürchten, daß ich dir heimgejagt werde.« So schied ich von meiner Heimat. Die Mutter war meine Begleiterin und führte auf einem Schubkarren einen kleinen Koffer, in dem einiges weißes Zeug und wenige elende Kleidungsstücke samt einigen Notenpapieren lagen. Alle Nachbarn grüßten mich zu guter Letzt sehr freundlich und wünschten mir Glück. Nun ging's zum Großvater. Da wäre mir beinahe das Herz gebrochen. Er hatte mich so lieb, und ich ihn und die Ahnfrau desgleichen. Sie gaben mir noch viele schöne Lehren auf den Weg und schenkten mir ein kleines Reisegeld. Aber der Großvater sagte mir so viel Tröstendes und wußte mir so angenehme Aussichten vorzumalen, daß ich am Ende, ohne Tränen zu vergießen, Abschied nahm. »Sieh, Xaverl!« sagte er, »wenn nichts wäre, als daß du nimmer so viele Schläge bekommst, so solltest du dich schon deswegen freuen, in die Fremde zu gehen.« Das machte einen starken Eindruck auf mich und gab mir gute Hoffnung. Denn es war kaum ein Tag verstrichen, an dem ich nicht irgendeine Exekution an mir vollziehen lassen mußte. Da wir zum oberen Tore hinausgingen, führte mich die Mutter zum sogenannten Zwinger-Herrgottlein, dem früher erwähnten Wunderbilde und sagte: »Xaverl, komm, wir wollen hier unserm Herrn danken, daß er dir das Gehör wiedergegeben hat und ihn bitten, daß er dich vor Verführung bewahren und zu einem recht braven Studenten machen wolle.« Ich betete wirklich mit Inbrunst um diese Gnade und fühlte, vielleicht zum erstenmal, das Erheiternde, Tröstliche und Herzerhebende des wahren Gebetes. Auf der Straße blieb ich oft stehen und sah nach meiner geliebten Vaterstadt zurück. Wenn ich traurig werden wollte, sagte meine Mutter: »Sieh, es ist ja nicht weit von Höchstädt bis Dillingen; schreibe mir, wenn dir etwas fehlt, ich will kommen, sobald ich kann.« Dies war mir eine große Ermunterung. Unser Gespräch auf dem Wege handelte größtenteils von der Art, wie ich mich mit andern Studenten betragen müßte. Sie prägte mir vorzüglich die Lehre ein: ich sollte mich nie zum Bösen verleiten lassen, aber auch nie einen andern wegen Kleinigkeiten bei den Obern verschwatzen (anschwärzen). Denn dies würde mir den Haß aller meiner Kameraden zuziehen usw. Dann erzählte sie mir eine Geschichte von P. Homobonus Hantner, der als Student erstlich durch allerlei Schwätzereien sich verhaßt gemacht, dann aber wegen einiger kindischen Ausschweifungen, die man sogleich den Oberen hinterbrachte, derb abgestraft, und als er zu eigensinnig war, sich in die Strafe zu fügen, gar davongejagt, Soldat und Deserteur ward und dem Tode so nahe kam, daß er kaum mehr gerettet werden und in den Kapuzinerorden treten konnte. Dies Beispiel machte einen starken Eindruck auf mich und gab den guten Lehren der Mutter Haltung und Dauer.
Wir langten bei der Pforte des Seminars an. Der Hausknecht, der meinen Koffer in den Schlafsaal trug, wies mir in der Reihe kleiner Verschläge, die an den beiden Seiten des Saales hinabliefen, und Ständchen genannt wurden, das hinterste Ständchen an und führte mich in das Küchenstübchen zum P. Inspektor, der uns sehr gütig empfing und mir guten Mut einsprach. Meine Mutter
bat ihn unter anderm, er möchte Vatersstelle bei mir vertreten und mich, wenn ich ein böser Bube wäre, wacker peitschen lassen. Allein der Inspektor sagte, er hoffe, solche strenge Mittel werden bei mir nicht nötig sein. Dann hieß er mich in die Vesper gehen, ließ meiner Mutter etwas zu essen reichen und hielt eine lange Unterredung mit ihr; denn sie war sehr offenherzig und gesprächig, und gar nicht schüchtern; dies gewann ihr die Herzen Hoher und Niederer, mit denen sie umgehen mußte. Beim Abschied fielen beiderseits einige zärtliche Tränen, und sie versprach, bald wieder zu kommen und nach mir zu sehen.
Man führte mich darauf in das Museum und zeigte mir mein Schreibpult, wo ich sitzen sollte. Einige kleine Studenten machten sich sogleich an mich und vertrieben mir die Zeit bis zu Tische. Am folgenden Tage ward ich meinem künftigen Instruktor vorgeführt. Er war der Erste in seiner Schule, ein eifriger, fleißiger, andächtiger, aber meiner Meinung nach zuweilen sehr ungeduldiger Student, namens Christoph Wanner von Lauingen gebürtig.
Wenn man mich fragte: »In welche Schule willst du morgen gehen?« so sagte ich: »In die erste Schule.« Ich glaubte gewiß, meine Antwort könne niemanden im Zweifel lassen, wohin ich eigentlich zu gehen vorhabe. Denn die Schule, bei der man anfängt, dachte ich, bleibt immer die erste Schule, heißt sie sonst auch, wie sie will. Allein die Studenten hätten gern gewußt, ob ich Prinzipist oder Rudimentist werden wollte. Die Bedeutung dieser Wörter kannte ich aber selbst noch nicht und blieb bei meiner ersten Rede: »ich gehe in die erste Schule.« Man führte mich also am ersten Schultag in das Gymnasium, zu den Rudimentisten; ich war bereit, alles mitzumachen, was die andern taten. Allein nachmittags diktierte der Magister ein sogenanntes Argument, und ich wußte nichts damit anzufangen, als die lateinischen Worte, welche er über einen deutschen Text gesetzt hatte, rein abzuschreiben und sie ihm unverändert darzureichen. Zu meiner nicht geringen Verwunderung fing er laut zu lachen an und sagte: »Büblein, das heißt nicht, ein Argument machen; du mußt mit den Worten die nötigen Abänderungen vornehmen.« »Herr Magister,« erwiderte ich, »ein solches Ding habe ich in meinem Leben nicht gemacht; ich weiß gar nicht, wie ich's angehen muß, um etwas herauszubringen.« »Mein Kind,« sagte er, »wo hast du die Prinzipia gehört?« »Beim Herrn Kantor in Höchstädt,« antwortete ich, »aber ich bin noch nicht weiter als bis zum volo vis velle gekommen.« – »Mein Kind,« sagte er, »noch taugst du nicht in die Rudiment, du mußt in die Prinzipia gehen.« Dann rief er einen Studenten aus der Bank hervor und befahl ihm, mich zum Herrn Fendt in die Prinzipia zu führen. Mit Schmerzen verließ ich das Gymnasium und bedauerte in der Stille, daß ich nun von einer höheren Schule in eine niedrigere verstoßen würde.
Herr Fendt empfing mich ganz freundlich und wies mir mein Plätzchen zuhinterst in den Stühlen bei den Exemplisten an. Aber o wehe! schon den ersten Tag sah ich ebendieselben Exekutionen wie beim Herrn Kantor in Höchstädt an meinesgleichen vornehmen, und unser Lehrer behauptete den Ruhm, daß kein einziger, auch der beste Schüler nicht, ohne Schilling von ihm weggekommen sei.
Die nötigen Schulbüchlein wurden mir vom Pater Inspektor beigeschafft, der sich , ohne daß ich es wußte, sehr sorgfältig um alles, was mich anging, erkundigte. Wir waren drei Seminaristen, welche die Prinzipia besuchten, Joseph Widmann, Johann Schropp, beide Ratsherren-Söhne von Lauingen, und ich. Die Schule im Gymnasium fing allzeit um halb zwei Uhr an, die unsre um ein Uhr nachmittags. Nach dem Mittagessen um 12 Uhr folgte die Musikstunde, unter der wir uns gewöhnlich fortschlichen und bis 1 Uhr vor dem obern Tore herumliefen. Im Winter hatten wir die größte Freude daran, Schneemännchen zu machen, das heißt, nach der Länge in den Schnee hineinzuliegen und darin unsre ganze Form abzudrücken. Einst kamen wir so spät und erfroren in die Schule, daß der Herr Fendt jedem von uns einen Spanischen zumessen wollte und meinen beiden Kameraden wirklich zumaß. Wir mußten zu diesem Ende auf eine lange Bank liegen, die immer vorne in der Schule zu diesem Gebrauche bereitstand.
Als die Reihe an mich kam, wollte ich gar nicht daran, mich auf die Bank zu legen, und weigerte mich, so sehr ich konnte, mein Mäntelchen mit Ärmeln (Polisson) wegzulegen. Denn der hintere Teil meiner...