Des ersten Adhyâya erster Pâda.
Om! Verehrung dem heiligen Vâsudeva!
Einleitung.
| Objekt (vishaya) und Subjekt (vishayin), wie sie als ihren Bereich die Vorstellung des »Du« [Nicht-Ich] und des »Ich« haben, sind so entgegengesetzter Natur wie Finsternis und Licht. | Steht es nun fest, dass das Sein des einen in dem andern nicht zutrifft, so folgt um so mehr, dass auch die Qualitäten (dharma) | des einen bei dem andern nicht statthaben. Hieraus ergiebt sich, dass die Übertragung (adhyâsa) des als seinen Bereich | die Vorstellung des »Du« habenden Objektes und seiner Qualitäten auf das als seinen Bereich die Vorstellung des »Ich« habende, rein geistige Subjekt, | und umgekehrt, dass die Übertragung des Subjektes und seiner Qualitäten auf das Objekt folgerichtigerweise falsch ist. – Und doch ist den Menschen dieses, auf falscher Erkenntnis beruhende (mithyâ-jñâna-nimitta), Wahres und Unwahres [d.h. Subjektives und Objektives] paarende Verfahren angeboren (naisargika), dass sie die Wesenheit und die Qualitäten des einen auf das andere übertragen, Objekt und Subjekt, obgleich sie absolut verschieden (atyanta-vivikta) sind, nicht voneinander unterscheiden | und so z.B. sagen »das bin ich«, »das ist mein«. | –
|›Aber was ist unter dieser »Übertragung« zu verstehen?‹ – Wir antworten: sie ist das auf Erinnerung | beruhende Erscheinen eines früher Gesehenen an einem anderen. – Manche hingegen definieren sie als die Übertragung der Qualitäten, die der einen Sache zukommen, auf eine andere; – | einige wiederum als einen Irrtum, der dadurch bedingt sei, dass man den Unterschied der Sache nicht auffasse, auf welche die Übertragung geschehe; – wieder andere erklären sie als die Annahme von Qualitäten an dem Gegenstande der Übertragung, welche seinem Wesen entgegengesetzt seien. – Wie dem auch sei, darin ist Übereinstimmung, dass sie das Erscheinen der Qualität der einen Sache an einer anderen ist. Und so zeigt sie sich auch in der Wahrnehmung des gemeinen Lebens, wenn z.B. die Perlmutter als Silber, oder der Mond, wiewohl er einer ist, als zwei erscheint.
– ›Aber wie ist es möglich, auf das innere Selbst, da es doch nicht Objekt ist, die Qualitäten von Objekten zu übertragen? Denn ein jeder überträgt doch nur auf ein vor ihm stehendes Objekt | ein anderes Objekt; und du selbst sagtest [oben], dass das der Vorstellung des »Du« entbehrende innere Selbst kein Objekt sei (avishayatvam)?‹ – Wir antworten: dasselbe ist doch nicht in jedem Sinne Nicht-Objekt; denn es ist das Objekt der Vorstellung des Ich; und nur darum nimmt man ja auch allgemein ein inneres Selbst an, weil es der Wahrnehmung nicht unzugänglich ist. Auch besteht eben keine Notwendigkeit, dass man nur auf ein vor uns stehendes Objekt ein anderes Objekt übertragen könne; indem z.B. auf den Weltraum (âkâça), wiewohl er nicht wahrnehmbar ist, Unerfahrene die dunkle Farbe des Grundes und dergleichen übertragen. | Ebenso ist es nicht ausgeschlossen, dass man auch auf das innere Selbst überträgt, was nicht das Selbst ist.
Diese so beschaffene Übertragung erklären die Philosophen für ein Nichtwissen (avidyâ) und bezeichnen im Gegensatze dazu die genaue Bestimmung der Natur eines Dinges als das Wissen (vidyâ.) Ist dem aber so, dann folgt, dass der Gegenstand, auf welchen eine [derartige, falsche] Übertragung stattfindet, durch eine in ihr begründete Fehlerhaftigkeit oder Beschaffenheit nicht im mindesten betroffen wird.
Diese, »Nichtwissen« genannte, das Selbst und das Nicht-Selbst miteinander verwechselnde Übertragung bildet nun die Voraussetzung, unter welcher alle Beschäftigung mit Beweisen | oder zu Beweisendem, und zwar auf weltlichem wie auf vedischem Gebiete, stattfindet; und ebenso beruhen auf ihr alle Lehrbücher, mögen sie nun Gebote und Verbote oder auch die Erlösung betreffen. – ›Aber wie ist es möglich, dass die Erkenntnismittel, wie Wahrnehmung u.s.w., und auch die Lehrbücher sich auf den Bereich des im Nichtwissen Beruhenden beziehen?‹ – Antwort: weil man ohne den Wahn, dass in Leib, Sinnesorganen u.s.w. das »Ich« und das »Mein« bestehe, kein Erkennender sein kann, und folglich eine Bethätigung der Erkenntnismittel nicht möglich ist. Denn ohne die Sinnesorgane zur Hülfe zu nehmen, findet eine Thätigkeit des Wahrnehmens u.s.w. nicht statt; die Verrichtung der Sinnesorgane aber wiederum ist nicht möglich ohne einen Standort [den Leib]; | keinerlei Aktion des Leibes aber ist möglich, ohne dass man auf ihn das Sein des Selbstes (der Seele, âtman) übertrüge; und ohne dass dieses alles stattfindet, d.h. bei der [von der Leiblichkeit] unabhängigen Seele ist eine Erkenntnisthätigkeit gar nicht möglich. Ohne Erkenntnisthätigkeit aber geht das Erkennen nicht vor sich. Folglich beziehen sich die Erkenntnismittel, Wahrnehmung u.s.w. sowie die [erwähnten] Lehrbücher auf den Bereich des im Nichtwissen Beruhenden. – Ferner auch deswegen [gehört die weltliche und die vedische Erkenntnis in den Bereich des Nichtwissens], weil [dabei] ein Unterschied von den Tieren nicht stattfindet. Denn sowie die Tiere, wenn z.B. ein Ton ihr Ohr berührt, | falls die Erkenntnis durch diesen Ton u.s.w. für sie von unangenehmer Art ist, sich davon wegwenden, und, falls sie angenehm ist, sich hinzuwenden, – wie sie z.B., wenn sie einen Menschen mit einem aufgehobenen Stocke in der Hand vor sich sehen, in der Meinung: »der will mich schlagen«, zu fliehen suchen, und wenn sie ihn mit einer Hand voll frischen Grases sehen, sich zu ihm hinwenden: – ebenso pflegen auch die Menschen, wiewohl ihre Erkenntnis entwickelter ist (vyutpanna-cittâh), wenn sie Starke von grausigem Ansehen schreiend und mit gezückten Schwertern in den Händen wahrnehmen, sich von ihnen abzuwenden und zu den Entgegengesetzten sich hinzuwenden. – Sonach ist, in Bezug auf Mittel und Gegenstände des Erkennens, das Verfahren bei Menschen und Tieren das gleiche. Allerdings geht bei den Tieren die auf das Wahrnehmen u.s.w. folgende Thätigkeit ohne vorheriges Urteilen (vieveka) vor sich; aber, wie man an der Gleichheit damit ersieht, ist auch bei den [geistiger] Entwickelung teilhaften (vyutpattimatâm) Menschen die auf das Wahrnehmen u.s.w. folgende Thätigkeit für jene Zeit [der falschen Erkenntnis, vgl. p. 449,3] entschieden die nämliche; | und wenn hingegen zu einer Werkthätigkeit gemäss dem Schriftkanon nur ein solcher, der vorher die [erforderliche] Einsicht (buddhi) erworben hat, und keiner, der nicht die Verbindung der Seele mit der andern Welt erkannt hat, zugelassen wird, so ist doch zu dieser Zulassung nicht erforderlich, dass man die vom Vedânta zu lehrende, den Hunger und die übrigen [Begierden] hinter sich lassende, von den Unterschieden zwischen Brahmanen, Kriegern u.s.w. Abstand nehmende Wahrheit über die vom Samsâra (der Seelenwanderung) freie Seele [erkannt habe]. Denn diese kommt bei der Betrauung [mit dem Opferwerke] nicht zur Anwendung, ja, sie steht mit derselben in Widerspruch. Und indem der Kanon der Vorschriften [nur] vor der sothanen Erkenntnis der Seele in Wirkung steht, so erstreckt er sich nicht über den Bereich des im Nichtwissen Beruhenden hinaus. So z.B. wenn es heisst: »der Brahmane soll opfern«, so sind diese und ähnliche kanonische Vorschriften nur möglich, sofern man Kasten, Âçrama's (Lebensstadien), Lebensalter und andere unterschiedliche Zustände auf das Selbst überträgt. Diese Übertragung aber ist, wie wir sahen, die Annahme einer Sache da, wo sie nicht ist. So wie daher jemand, wenn es seinem Sohne, seiner Gattin und dergleichen schlecht oder gut geht, | zu sagen pflegt, »es geht bei mir schlecht oder gut«, und damit Qualitäten von Aussendingen auf das Selbst (die Seele) überträgt: ebenso auch überträgt er auf dasselbe Qualitäten des Leibes, wenn er denkt: »ich bin fett, ich bin mager, ich bin weiss, ich stehe, gehe, springe;« und ebenso Qualitäten der Sinnesorgane, wenn er denkt: »ich bin stumm, entmannt, taub, einäugig, blind«; und ebenso die Qualitäten des Innenorgans [antahkaranam, d.h. des Manas], Verlangen, Entscheidung, Zweifel, Entschluss u.s.w. [vgl. Brih. 1, 5, 3]; – so also überträgt er den Vorsteller des Ich (ahampratyayin = Manas) auf die seinen Verrichtungen lediglich als Zuschauer (sâkshin) gegenüberstehende innere Seele, und umgekehrt die allem als Zuschauer beiwohnende innere Seele auf das Innenorgan u.s.w. [d.h. auf die Sinnesorgane, den Leib und die Gegenstände der Aussenwelt].
So steht es mit dieser anfanglosen, endlosen, angebornen Übertragung, welche ihrem Wesen nach eine falsche | Annahme ist, alle Zustände des Thuns und des Geniessens [oder Leidens] hervorbringt und die Sinneswahrnehmung aller Menschen befasst. Sie, welche die Ursache des Unheils ist, zu beseitigen und das Wissen von der Einheit der Seele zu lehren, – das ist der Zweck aller Vedântatexte [d.h. der Upanishad's]. Und wie dieses den Gegenstand aller Vedântatexte ausmacht, so wollen auch wir denselben in dieser | Çârîraka-Mîmânsâ [Erforschung der verkörperten Seele] darlegen.
Erstes Adhikaranam.
In dem Lehrbuche der Vedânta-mimansâ [Erforschung der Upanishad's], welches wir erklären wollen, lautet das erste Sûtram wie folgt:
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