Synodal oder autoritär?
Der Regierungsstil des Papstes
Ein Kardinalsrat berät den Papst. Externe Firmen prüfen die Bücher und die Verwaltung des Vatikans. Eine weltweite Umfrage zum Thema »Ehe und Familie« sorgt für Aufsehen und schürt bei einigen konservativen Katholiken die Angst, basisdemokratische Elemente könnten Einzug in die katholische Kirche halten. Papst Franziskus hat in den ersten Monaten seines Pontifikats viel Unruhe in die Weltkirche gebracht, weil er einen unorthodoxen Regierungsstil pflegt. Das ist zum Teil seiner Person geschuldet. Viele Neuerungen gehen aber auch auf das Konto der Kardinäle im Vorkonklave, die sich Veränderungen im Regierungsstil des Papstes sowie im Verhältnis der römischen Kurie zu den Ortskirchen gewünscht hatten. Die Unzufriedenheit gerade unter den Kardinälen aus der Weltkirche war groß. Franziskus hat die Kritik sowie die Wünsche ernst genommen und unmittelbar nach seiner Wahl mit der Umsetzung begonnen. Dabei lässt sich bei einem ersten groben Blick auf die Entwicklungen eine doppelte Richtung feststellen: Einerseits baut Franziskus das Element der Beratung in einer institutionalisierten Form aus. Zugleich sind die Entscheidungsprozesse und -wege stärker als vorher auf den Papst zugeschnitten. Franziskus achtet penibel darauf, dass sich neben ihm kein »zweiter« Papst, kein Nebenpapst, entwickelt, der Entscheidungen an sich zieht und Macht gewinnt, wie das in den letzten beiden Pontifikaten bei den Kardinalstaatssekretären Angelo Sodano und Tarcisio Bertone der Fall war. Wobei man auch da noch einmal unterscheiden muss: Es gab zumindest in der Ära von Johannes Paul II. eine Form des »Checks and Balances« im Vatikan dahingehend, dass dem mächtigen Kardinalstaatssekretär bisweilen der enge Papstvertraute und Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, als Korrektiv gegenüberstand. Diese Rolle blieb in der Ära des Kardinalstaatssekretärs Bertone ab 2006 unbesetzt, was in einer zu großen Machtkonzentration in der Person Bertones endete und entscheidend zu den bekannten Fehlern, Skandalen und der Unzufriedenheit beitrug.
Bereits im Vorkonklave wurde deutlich: Der künftige Papst wird in der Amtsführung seine Entscheidungen auf eine breitere Basis stellen müssen. In den Generalkongregationen sowie bei den »privaten« Treffen der Kardinäle in den Tagen vor dem Konklave diskutierten die Purpurträger schon sehr konkrete Vorstellungen, wie dies umgesetzt werden könnte. Da stand zum einen die Forderung im Raum, ein »Kabinett« zu bilden, also ein regelmäßiges Treffen der Leiter der vatikanischen Behörden. Zum anderen äußerten viele Kardinäle den dringenden Wunsch, die Weltkirche stärker in Entscheidungen einzubinden. Was das Kabinett anbetrifft, wurden schon unter Benedikt XVI. immer wieder solche regelmäßigen Treffen der Kurienspitze gefordert. Allerdings hatte Joseph Ratzinger nur wenige Male alle seine Minister an einen Tisch geholt. Dabei wurde im Verlauf seines Pontifikats mehrfach deutlich, dass eine bessere Kooperation, Koordination und Kommunikation innerhalb der römischen Zentrale notwendig gewesen wäre. Selbst Benedikt XVI. musste einsehen, dass ihm so manche Krise erspart geblieben wäre. So hätte wohl bei einer besseren internen Abstimmung beispielsweise Anfang 2009 bei der Rücknahme der Exkommunikation der vier Bischöfe der traditionalistischen Piusbruderschaft der Skandal um den Holocaustleugner Richard Williamson vermieden werden können.
Mag es für den Theologen Joseph Ratzinger vielleicht nicht die oberste Priorität gewesen sein, die kurialen Abläufe zu optimieren, so hätte wenigstens sein oberster Verwaltungschef, Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, diese Weitsicht besitzen müssen. Doch auch dieser erkannte bis zum Schluss nicht die dringliche Notwendigkeit, auf seiner Ebene eine solche verstärkte Vernetzung zu betreiben. Stattdessen baute er eine hierarchische Zuspitzung des Kurienaufbaus auf das Staatssekretariat und seine Person hin aus. So sollten beispielsweise nur noch mit dessen Zustimmung Papiere veröffentlicht werden. Dazu kam, dass der Zugang zum Papst selbst für Leiter vatikanischer Behörden zum Ende des Pontifikats hin immer schwieriger wurde. Diese mussten teilweise Monate auf ein Treffen warten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Benedikt XVI. seine Entscheidungen im luftleeren Raum, in völliger Einsamkeit und ohne Rückbindung getroffen hatte. Benedikt XVI. wusste den Kurienapparat durchaus zu nutzen. Er ließ sich von den entsprechenden Fachressorts Dossiers erstellen, nutzte gelegentlich auch die Expertise externer Fachleute seines Vertrauens und konnte auf die Erfahrungsberichte der Bischöfe zurückgreifen, die er bei den regelmäßigen Ad-Limina-Besuchen traf oder die er bei den Bischofssynoden und Konsistorien, den Treffen der Kardinäle, hörte. Es fehlte aber an einer institutionalisierten Beratungsstruktur.
Die zweite Forderung des Vorkonklaves nach der stärkeren Einbeziehung der Weltkirche entstand vor dem Hintergrund, dass viele Kardinäle, die in den Diözesen rund um den Globus arbeiten, den Eindruck hatten, dass die Kurie die Praxis zu wenig im Blick hat und in einer selbstreferenziellen, bisweilen selbstherrlichen Art Entscheidungen fällt, die vor Ort nicht umsetzbar sind. So stand schon vor dem Konklave die Idee eines Kardinalsrats im Raum, der den Papst beraten soll. Mit Jorge Mario Bergoglio wählten die Kardinäle deshalb einen Mann, der als Jesuitenoberer und Leiter von Jesuiteneinrichtungen sowie als Erzbischof eines Bistums mit 2,6 Millionen Katholiken Erfahrung in Leitungspositionen hatte, einen Mann, der nicht aus der Kurie kam, einen Mann, der nicht Italiener ist und damit nicht in italienische Seilschaften verstrickt und niemandem einen Gefallen schuldig ist, einen Mann, der den Eindruck erweckte, dass er entschlossen handeln kann und will.
Dass Bergoglio diesen Erwartungen auch entspricht, wird schnell klar. Vier Wochen nach seiner Wahl, am 13. April 2013 gibt Franziskus bekannt, dass er eine Gruppe von acht Kardinälen bestimmt hat, »um ihn bei der Leitung der Universalkirche zu beraten« und das Projekt der Kurienreform voranzubringen. Schnell hat sich der Name K8 etabliert in Anspielung auf die G8-Gruppe der Staats- und Regierungschefs der großen Industrienationen. Bereits wenige Tage nach seiner Wahl hatte Franziskus mit seinem Freund Kardinal Oscar Rodríguez Maradiaga über den Kardinalsrat gesprochen. Die Suche nach Kandidaten begann sofort: einer je Kontinent, Nord- und Südamerika aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Prägungen jeweils mit einem eigenen Vertreter, ein Koordinator und ein Kurienvertreter. An sich hätte man erwartet, dass der Papst erfahrene Kuriale in das Gremium beruft. Doch zum einen möchte er Leute an seiner Seite, die ihn bei der Leitung der Kirche beraten. Dafür braucht es Kirchenführer, die die Hand am Puls der pastoralen Praxis haben.
Zum anderen: Wenn die Kurie letztlich der Weltkirche dienen soll, müssen zuerst die Bedürfnisse an der Basis eruiert werden. Deshalb liegt das Schwergewicht auf Kardinälen mit Erfahrung als Diözesanleiter in unterschiedlichen Weltgegenden. Dass ein solches Gremium im Vorkonklave von den Kardinälen angeregt worden war, bestätigt Franziskus wiederholt. Kritiker des Papstes sehen darin bereits eine Konditionierung der Wahl und wittern einen Verstoß gegen die Konklaveordnung Universi dominici gregis von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahr 1996, die von Benedikt XVI. mit kleinen Änderungen bestätigt worden war. Dort steht in Abschnitt 82: »Desgleichen untersage ich den Kardinälen, vor der Wahl Wahlkapitulationen einzugehen, d.h. gemeinsame Abmachungen zu treffen mit dem Versprechen, sie für den Fall einzulösen, dass einer von ihnen zum Pontifikat erhoben würde. Auch solche Versprechungen, sollten sie vorkommen, erkläre ich für nichtig und ungültig, selbst wenn sie unter Eid abgegeben worden wären.« Papst Franziskus ist völlig frei in seinen Entscheidungen. Es spricht für ihn, wenn er jetzt die Dinge umsetzt, die im Vorkonklave als kritische Punkte herausgearbeitet und benannt worden sind. Auch ist es völlig legitim, wenn er im Vorkonklave diskutierte Änderungen und Verbesserungsvorschläge aufgreift. Das neue Beratungsgremium der Kardinäle ist also keine Wahlkapitulation, sondern eine Form von kollegialer Rückbindung des Papstamts an das Kardinalskollegium.
Mitglieder des Kardinalsrats sind zunächst die acht Kardinäle Giuseppe Bertello, Francisco Javier Errázuriz Ossa, Oswald Gracias, Seán Patrick O’Malley, Oscar Rodríguez Maradiaga, Reinhard Marx, Laurent Monsengwo Pasinya und George Pell. Anfangs war Kardinal Bertello der einzige Kurienvertreter in der Gruppe und der einzige Italiener. Dabei ist er als Präsident des Governatorats – Chef der Vatikanstaats-Verwaltung – streng genommen nicht einmal Mitglied der Kurie, verstanden als Leitungsorgan der Weltkirche. Auch ist er kein Verwaltungsfachmann; die längste Zeit diente er als Kirchendiplomat. Trotzdem übernimmt er am Anfang den Kurienpart. Mit dem Treffen des Kardinalsrats im Juli 2014 wird die K8 offiziell in eine K9 verwandelt. Seitdem ist Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin mit dabei, der zweite Italiener in dem Gremium. Papst Franziskus hat sich von Anfang an ausbedungen, dass er das Gremium vorübergehend oder dauerhaft in seiner Zusammensetzung verändern kann. Obwohl einige der Mitglieder verantwortliche Positionen in kontinentalen...