Vorwort
Während eines Aufenthaltes in New York Anfang 1941 beendete Jean-Michel sein Leben. Er war gerade 46 Jahre alt geworden. Jean-Michel Frank war ein Cousin von Otto Frank, Anne Franks Vater. Die Schicksale der Pariser und der Frankfurter Zweige der Familie Frank zeigen auffällige Ähnlichkeiten in Bezug auf Verfolgung und Vernichtung.
Jean-Michel Frank befand sich in New York, um die Einrichtung des Appartements von Nelson Rockefeller im Rockefeller Centre zu vollenden. Es war die Krönung seines Status als bekanntester Innenarchitekt der damaligen Zeit.
Jean-Michel begann seine Karriere Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Paris. Die erste Wohnung, die er einrichtete, war die des Schriftstellers Pierre Drieu la Rochelle. Danach folgten Aufträge von Künstlern, Politikern und Industriellen. Innerhalb weniger Jahre festigte sich seine Reputation als exklusivster, elegantester und kompromisslosester Designer. Aufträge nahm er nur dann an, wenn man ihm freie Hand ließ.
Seine Inneneinrichtungen zeichnen sich durch weitgehende Schlichtheit aus, die von den Auftraggebern mit der Kahlheit einer Klosterzelle assoziiert wurde. Diese Kahlheit stand in umgekehrtem Verhältnis zum Preis. Nur die Allerreichsten konnten sich eine Inneneinrichtung von Jean-Michel Frank leisten.
Das Einrichten bestand hauptsächlich darin, dass Jean-Michel Frank die Appartements oder Häuser, die ihm anvertraut wurden, leerte. Er riss alle Zwischenwände, Verkleidungen, Schränke, Böden und Stuckarbeiten heraus, entfernte alle Möbel und sogar die vorhandenen elektrischen Leitungen. Anschließend ließ er auf den Wänden eine einfache Stuckschicht aus weißem Kalk anbringen. Den Boden ließ er nur intakt, wenn der ursprüngliche jahrhundertealte Parkettboden noch vorhanden war. Dieser Parkettboden wurde mit Sandstrahl bearbeitet. Anschließend brachte er Vertäfelungen an und stellte einige von ihm entworfene Möbel und Lampen auf. Die Wände ließ er kahl; er verbot ausdrücklich, auch nur ein Gemälde oder Porträt aufzuhängen. Die Kombination dieser sparsamen Elemente schuf eine traumhafte Atmosphäre.
Wandverkleidungen, Möbelstoffe, Vorhänge und Teppichböden ließ er entweder aus unvorstellbar prunkvollen Stoffen (Pergament, Taftseide oder Galuchat, dem Leder aus der Haut eines Sandhais) herstellen, oder sie waren von einer extremen Schlichtheit. Für Vasen, Lampen und Spiegelrahmen benutzte er am liebsten Gips. Die meisten Wände ließ er mit einem einfachen Material verputzen. Eine seiner aufsehenerregenden Neuerungen war, dass er Tische und Schränke mit Intarsien aus Stroh ausstattete; für manche Fauteuils oder Sofas benutzte er Stoffe, die normalerweise für die Herstellung von Staubtüchern benutzt wurden. Die Pariser Hautevolee maulte, dass sie ein Vermögen hinblättern musste, um sich von Frank »auf Stroh« setzen zu lassen.
Jean-Michel Frank war umgeben von Freunden, die er am Janson de Sailly, einem exquisiten Gymnasium im 16. Arrondissement, kennengelernt hatte, dem oben erwähnten Schriftsteller und späteren Vorreiter des Faschismus Pierre Drieu la Rochelle, dem Schriftsteller und Herausgeber Léon Pierre-Quint, dem surrealistischen Schriftsteller und Dichter René Crevel und dem Maler Christian Bérard. Später schlossen sich ihnen der Schriftsteller, Maler, Dramatiker und Universalgenie Jean Cocteau und die Komponisten Francis Poulenc und Georges Auric an – um den Kreis der intimen Freunde zu beschränken, die Jean-Michel Frank sein ganzes Leben lang treu geblieben sind.
Mitte der zwanziger Jahre kam er in Kontakt mit dem Ehepaar Gräfin Marie Laure und Graf Charles de Noailles. Marie Laures Mädchenname war Bischoffsheim. Sie war die Tochter von Maurice Bischoffsheim, einem Bankier deutscher Abstammung. Maurice Bischoffsheim verstarb 1904 im Alter von achtundzwanzig Jahren. Er hinterließ der damals noch keine zwei Jahre alten Marie Laure ein unermessliches Vermögen.
Marie Laures Großmutter mütterlicherseits hieß Laure de Sade und war die Urenkelin von Marquis de Sade. Am Ende des 19. Jahrhunderts betrieb Laure Marie den exklusivsten aufsehenerregendsten Salon in Paris. Proust durfte sie ab und zu besuchen. Er verewigte Laure de Sade als eine der Protagonisten in seinem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit unter dem Namen Herzogin von Guermantes.
Marie Laure Bischoffsheim war im Besitz des Manuskriptes von Die 120 Tage von Sodom, dem äußerst anstößigen Roman, den Marquis de Sade 1785 während seiner Gefangenschaft in der Bastille geschrieben hatte. Sie verwahrte dieses Manuskript, sagte man, in einem ledernen, phallusförmigen Futteral. 1923 heiratete Marie Laure Charles de Noailles, Mitglied einer illustren und jahrhundertealten Adelsfamilie.
Das junge Ehepaar hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Salon zu gründen, der den Salon von Marie Laures Großmutter noch übertrumpfen sollte. Dieses Ziel wollten sie erreichen, indem sie eine Gruppe ultramoderner – heute würde man sagen, zeitgenössischer – Künstler an sich banden. Diese Künstler – Poulenc, Satie, Auric, Cocteau, Dalí, Picasso, Mallet-Stevens – stellten im Auftrag des Grafenpaares Kunstwerke her, die einen radikalen Bruch mit der traditionellen Kunst bedeuteten.
Auch Jean-Michel Frank gehörte zu dieser Gruppe. 1925 erhielt er den Auftrag, das obere Stockwerk von Bischoffsheim, dem Haus der Noailles an der Place des États-Unis, neu einzurichten. Dieses Interieur wurde in nationalen und internationalen Kunstzeitschriften ausführlich besprochen. Für Jean-Michel Frank bedeutete es den internationalen Durchbruch.
1930 bekam Jean-Michel das Angebot, die künstlerische Leitung des Unternehmens Adolphe Chanaux zu übernehmen, eine Werkstätte für exklusive Möbel, er wurde Direktor und Geschäftspartner. Von diesem Tag an änderte sich der Stil seiner Entwürfe und seine Lebensweise. Er versammelte eine Gruppe von Künstlern um sich: Alberto und Diego Giacometti, Salvador Dalí, Paul Rodocanachi, Emilio Terry und Christian Bérard, die in seinem Auftrag Lampen, Vasen, Stühle, Tische, Wandschirme entwarfen. Er ließ diese Gegenstände, von denen bis dahin immer nur Unikate hergestellt wurden, in Serie produzieren. Die Lampen und Vasen von Alberto Giacometti und die Stühle und Tische von Paul Rodocanachi und Jean-Michel Frank wurden ein weltweiter Erfolg. Manche Modelle wurden auch noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg produziert.
Das Leben Jean-Michel Franks änderte sich unter dem Einfluss seiner neuen Verantwortung als Direktor einer Werkstätte, in der anfänglich fünfunddreißig und später mindestens fünfzig Arbeitnehmer ihr tägliches Brot verdienten. Er wurde ernsthafter, verlor sich nicht länger in lebensgefährlichen Experimenten mit Drogen. Sein Leben bekam buchstäblich mehr Farbe, weil er unter dem Einfluss von Christian Bérard anfing, Entwürfe mit fröhlichen Farben für die Bezüge eines Sofas oder Taburetts, für den Stoffentwurf eines Vorhangs oder eines Teppichs zu benutzen. Die Inneneinrichtungen der zwanziger Jahre waren dagegen einfach und schlicht.
Im selben Jahr 1930 verursachte Marie Laure de Noailles einen Skandal wegen der Vorführung des Films L’Âge d’or, der in ihrem und ihres Mannes Auftrag von Luis Buñuel und Salvador Dalí gemacht worden war. Der Schluss des Films bestand aus einer bildhaften Umsetzung des Schlusses von Die 120 Tage von Sodom, dem pornographischen Roman von Marie Laures Ururgroßvater. Die Vorführung führte zu heftigen Protesten von rechtsextremen Gruppierungen. Sie beschimpften das rote jüdische Pack und bezeichneten Marie Laure als dessen wichtige Vertreterin.
Dieser Skandal markierte den Beginn des politischen Konflikts zwischen Links und Rechts, der Frankreich im Laufe der dreißiger Jahre in zunehmendem Maße spalten sollte. Als Folge des Skandals wurden Marie Laure und Charles de Noailles vom Adel verstoßen. Marie Laure fasste die Ächtung als Herausforderung auf und schloss sich den Linksextremen an. Sie fing an, die spanischen Kommunisten ostentativ zu unterstützen, unter anderem durch Waffenschmuggel. Das brachte ihr den Spitznamen ›Die rote Gräfin‹ ein. Charles de Noailles zog sich in sein Landhaus in Südfrankreich zurück und brach jeden Kontakt mit Marie Laure ab.
Marie Laure de Noailles und Jean-Michel Frank gehörten zu jenen, die in den dreißiger Jahren von den Rechten wegen ihrer jüdischen Identität und ihrer Verbindungen zu linksradikalen Künstlern, und von den Linken wegen ihrer Verbindungen zum Adel und den Superreichen geächtet wurden.
1935 eröffnete Jean-Michel Frank unter seinem eigenen Namen ein Geschäft in der eleganten Rue du Faubourg Saint-Honoré. Die Fotos, die es von diesem Geschäft noch gibt, bieten von außen Einblick in den Verkaufsraum, in dem die Deckenleuchten, Wandlampen, Stehlampen und Tischlampen von Giacometti ein weiches Licht auf Stühle, Tische, Lampen, Vasen und Wandschirme von Salvador Dalí, Jean-Michel Frank, Christian Bérard und Emilio Terry werfen. Jean-Michel Franks Name prangt in großen Buchstaben stolz über den strengen schwarzen Holzrahmen der Schaufenster.
Dieses Geschäft war das front-office für die Werkstatt in der Rue de Montauban, wo die Möbel hergestellt wurden, und für die vielen Wohnhäuser, in denen an der Inneneinrichtung gearbeitet wurde. Jean-Michel Frank stand ab 1935 allein an der Spitze eines umfangreichen Betriebes, der exklusive Möbel, Vasen...