Die Vorbereitung
Das Rekognoszieren einer Tour ist ein unerhörter Luxus. Bereits im Winter 2016 besuchte ich Finnland. Ich residierte in Ruka, etwas präziser, nördlich des Zentrums in einer Absteige namens Motelli Ruka Tupa. Nebst der eigentlichen Unterkunft im Hauptgebäude bietet der Betreiber kleine Blockhütten feil. Bestechend schöne Bilder auf führenden Buchungs-Plattformen, ergänzt mit Lobhudeleien in Form von fünf Daumen hoch, nur fünf weil da einfach kein sechster zur Auswahl stand, und ergänzenden Kommentaren auf russisch. Motelli Ruka Tupa muss das Hilton unter den Blockhütten, an der Grenze zur Wildnis von Lappland sein.
Eine Blockhütte mit Dusche, WC, Küche und Schlafnische. Klingt lauschig und nach jeder Menge Privatsphäre. So privat und verlassen, dass ich bei meiner Ankunft an einem sonnigen Samstag vor einer verschlossenen Rezeption stand. Meinen ersten Urlaubseuro investierte ich in ein Telefonat um den Betreiber zu finden.
Mit einer 'Na wenn es denn sein muss'-Miene präsentierte er mir die Blockhütte. Bettwäsche und Handtücher würde er gleich nachreichen.
Einige Telefonate später erstand ich dann Montags eigene Bettlaken und ein nettes rotes Handtuch. Etwas Abwaschmittel, einen Schwamm, Trockentuch und was man so eben einer kompletten Küche noch hinzufügen muss. Insbesondere, wenn das Kochgeschirr förmlich nach einer Wäsche schrie. Gespiesen habe ich die Tage darauf von einem Pappteller.
Zugute halten möchte ich, dass die Privatsphäre hoch gehalten wurde. Bis und mit dem Tag der Abreise bekam ich den Gastgeber nicht mehr zu Gesicht.
Von diesen kleinen Unannehmlichkeiten abgesehen, war ich viel unterwegs. Ich wanderte den Pieni Karhunkierros. Einen 12 Kilometer langen Rundwanderweg in der Nähe von Juuma. Vom Besucherzentrum des Oulanka National Park erkundete ich zwei Wegstücke des Karhunkierros. Zu guter Letzt stieg ich noch zur Valtavaara-Hütte hoch. Alles gemütliche Tagesetappen. Und genau so fühlte ich mich auch. Wie ein Tagestourist. Es waren nicht viele Trekking-Wanderer, welche mir begegneten. Doch bei jedem durchfuhr mich ein grosses Gefühl von Neid und vor allem Scham. Weiss ich doch, wie man mit dem grossen Rucksack auf dem Rücken, nach Tagen der Strapazen auf die Tagestouristen schaut. In ihren hübschen Kleidern, nur fünfhundert Meter vom SUV mit der programmierten Standheizung entfernt.
Ich konnte mir einen Eindruck verschaffen, die Kälte einschätzen und im Geiste schon die Ausrüstung zusammenstellen. Nach meiner Erfahrung auf dem Laugavegur (Ein Schaffhauser auf dem Laugavegur) war klar, es musste ein Vier-Jahreszeiten-Zelt her. Ein Vier-Jahreszeitenzelt, 4-Season heisst es modern, ist winter- und wüstentauglich. Das Aussenzelt lässt sich bis zum Boden abspannen. Das Innenzelt besitzt nicht nur ein Moskito-Netz sondern kann ebenfalls komplett verschlossen werden. So zischt der Wind nicht durch. Des weiteren verfügt es über eine bessere Abspannung und kann aufgrund des geodätischen Aufbaus durchaus auch etwas Schneelast tragen. Man darf sich jedoch nicht der Illusion hingeben, dass das Ding auch Wärme speichert.
Der Markt ist mit bezahlbaren 4-Jahreszeiten-Zelte nicht übersättigt. Natürlich, wenn man ein grenzenloses Budget hat, steigt auch die Auswahl. Ich testete die Zelte zweier Lieferanten, deren Preise im dreistelligen oberen Mittelfeld angesiedelt waren.
Nebst den oben erwähnten Eigenschaften war für mich das Gewicht und die Einfachheit des Aufbaus ausschlaggebend. Mit Tränen in den Augen retournierte ich das Exemplar von Salewa. Es war eine wunderschöne Behausung, mit einer beeindruckenden Stabilität, ein bezauberndes Design, kurz gesagt, ein Traumhaus. Ohne Handschuhe brauchte ich zwanzig Minuten für den Aufbau. Auf einem Campingplatz ist dies nicht weiter tragisch. Mit dem Bier nebenstehend, während sich in der Grillstätte eine hübsche Glut bildet und die werte Begleitung das Fleisch mariniert. Zieht einem die Kälte um die Ohren, bei jedem Schritt versinkt man eine Stiefelhöhe tief im Boden und das prächtige Weiss von oben bedeckt langsam die Ausrüstung, sind 20 Minuten eine entsetzlich lange Zeit. Das Marmot Miwok 2P wird nie einen Schönheitspreis gewinnen. Das muss es auch nicht. Innert vier Minuten stand es zum Einzug bereit. Aufgebaut mit Handschuhen.
Was noch fehlte waren die Schneeheringe. Etwas breiter, etwas länger. In betörendem rot gehalten und so leicht, dass man sie aufgrund ihres Gewichts mit geschlossenen Augen nicht von einer Gänsefeder unterscheiden könnte.
Rückblickend hätte ich mir besser einen 410er-Firstnagel zugelegt, aber dies sind die Erfahrungen, welche den Reiz des Abenteuers ausmachen. Zwölf Stück von diesem wertvollen Utensil trug ich mit. So konnte ich auch die letzte Schlaufe und Leine im Boden verankern.
Verpackt habe ich sie in zwei Bündel à 6 Stück, gehalten von einem Klettband, welches ich an einem Hering befestigte. Ich habe begonnen stets einige Klettverschlüsse mitzuführen. Sie sind universell einsetzbar, man muss nichts verknoten und nicht mit starren Fingern kleine Schlaufen durch passgenaue Laschen ziehen. Wobei ich einräumen möchte, man kann es mit dem Verstauen auch übertreiben. Irgendwann kommt der Punkt, an welchem man einfach alles oben in den Rucksack stopft. Sei es, weil einem der Schnee in den Nacken fällt oder man langsam am Boden anfriert, bisweilen muss es einfach schnell gehen.
Als nächstes musste in neuer Schlafsack her. Einer, welcher den Temperaturen gewachsen war. Wir dürfen nicht vergessen, es ist nicht nur eine Frage des Komforts. Irgendwie haben die meisten von uns auch das Ziel, morgens wieder aufzuwachen. Bisher sträubte ich mich stets etwas gegen Daunenschlafsäcke. Dem Reiz, eine tote, nasse Gans durch die Landschaft zu tragen konnte ich nichts abgewinnen.
Nun ist es jedoch so, dass man bei den Temperaturen in der Nähe des Polarkreises um das abgelegte Federkleid der lieben Gans nicht herumkommt.
Ich nehme euch gleich die Illusion, anhand der Werte den perfekten Schlafsack finden zu wollen. Es ist ein Ratgeber, im Endeffekt muss man die Erfahrung selber machen. Das Gute daran, ihr macht die Erfahrung einmal, danach wisst ihr, wie ihr euer Outdoor-Schlafzimmer ausstattet.
Der Händler eures Vertrauens wird euch, unauffällig auf das Preisschild schielend, vielleicht folgende Temperaturen an den Kopf werfen. Den Komfortbereich (T-comf), den unteren Grenzbereich (T-lim) und den extremen Bereich (T-ext). Wenn er sich ganz wichtig machen will, führt er noch den oberen Grenzbereich (T-max) ins Feld, welcher in etwa so relevant ist, wie die Farbe des Verpackungsbeutels. T-max vermittelt die unverzichtbare Information, wann der normale Mensch zu schwitzen beginnt. Also dieser normale Mensch, welcher einfach den Reissverschluss auf zippt, wenn es im Schlafsack zu warm wird.
Der T-comf gibt den Wert an, bei welchem die normale Frau nicht friert und komfortabel die Nacht verbringt. Bevor nun die Genderbewegung dieses Teufelsbuch verbrannt; Dies ist nichts sexistisches, man braucht nun mal einen Referenzwert und darauf bezieht sich diese Norm. Sprich 25 Jahre, 60 Kilogramm und 160 Zentimeter Körpergrösse. Beim Mann sind es übrigens 25 Jahre, 70 Kilogramm und 173 Zentimeter Körperlänge. Doch beim Mann stossen solche Normwerte für gewöhnlich nicht auf mediales Echo, irgendwie verkraften Männer auch die Duschgel-Werbung mit dem muskelbepackten Frauentraum besser.
Was das Frieren anbelangt, dies ist nicht etwa eine Schwäche der Frau, man beachte zum Beispiel englische Teens während dem Feiern im Freien. Halbnackt bei Unternull. Für die übrigen Vertreter des Homo Sapiens gilt der Fakt, dass der weibliche Körper naturgemäss etwas weniger Muskeln und mehr Fett als der männliche Körper aufweist. Nun ist es so, dass Fett wohl ein wenig isoliert, allerdings kann es keine Wärme erzeugen. Dies können nur Muskeln. Wir kennen dies vom umgangssprachlichen Bibbern. Kleine Muskelkontraktionen versuchen Wärme zur erzeugen. Das Zittern ist die letzte Reaktion des Körpers auf Kälte. In erster Linie haben wir die Gänsehaut, ein Urreflex, welcher das Ziel hat, das Fell aufzustellen und eine Isolationsschicht zu bilden. Nur haben wir nicht mehr allzu viel Fell. Deshalb beginnt der Körper die Muskeln um die Blutgefässe zu bewegen. Er schmeisst unsere Extremitäten wie Hände und Füsse der Kälte zum Frass vor, reduziert die Durchblutung und schützt die inneren Organe sowie das Rückenmark. Zudem stellt er die Schweissproduktion ein. Die sommerliche Kühlung ist hier nicht von Nöten. Erst nach diesem Prozess beginnen wir wirklich zu zittern.
Zurück zum Schlafsack. Relevant sollte der Komfortwert sein. Dieser "garantiert" eine angenehme Nacht. Beim T-lim schläft der Mann gerade noch irgendwie, beim T-ext geht es um das nackte Überleben. Hätte ich dieses Buch mal früher gelesen.
Ich entschied mich für einen Mumienschlafsack von Nordisk, T-comf -4 Grad, T-lim -10 Grad und T-ext -30 Grad. Empfohlen für eine Körpergrösse von 185 Zentimeter. So gern man sich auch im Schlafsack bewegt, hier sollte man nicht zu grosszügig sein. Jeder Freiraum im Schlafsack will erwärmt werden. Von Mumienschlafsäcken bin ich gar kein Freund. So eingezwängt schlafe ich sehr schlecht. Zieht man erst noch die Kapuze zusammen, geht auch der letzte Komfort flöten. Aber es sagte ja niemand, dass dies hier ein Club-Urlaub werden würde.
Schlafsack, Zelt, was braucht man noch?
Wäre ich nicht vorgängig in Finnland gewesen, hätte ich wohl eine schwere Daunenjacke hochgeschleppt. Ich baute auf eine leichte Jacke mit Windstopp-Eigenschaft und intelligent verteilter Isolierung. Ist ein Drittel so dick und halb so schwer wie die Bekleidung, welche mancher...