Die Begriffe "Arbeitsbeziehungen" und "Industrielle Beziehungen" werden in der wissenschaftlichen Literatur synonym verwendet. Beide Bezeichnungen wurden wörtlich aus dem Englischen übernommen und sind mit labour relations und industrial relations zu übersetzen.[5]
Bei Arbeitsbeziehungen handelt es sich um wirtschaftliche Austauschprozesse. Sie bestehen zwischen Kapital und Arbeit bzw. den Akteuren, die Kapital und Arbeit in einem Betrieb, einem Wirtschaftszweig, einem Land oder einem regulierten transnationalen Wirtschaftsraum repräsentieren. Sie umfassen zudem Normen, Verträge, Institutionen und Organisationen zur Regulierung der Arbeit, die aus der Interaktion zwischen den Akteuren und staatlichen Eingriffen hervorgehen.[6] Nach einer Definition von Hillmann lassen sich Arbeitsbeziehungen als "System von Regeln, nach denen die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ihre besonderen Interessen artikulieren, konfrontieren, aushandeln und institutionalisieren“[7] beschreiben.
Zu den Akteuren zählen im Allgemeinen Personen, Gruppen und Organisationen.[8] Auf Seiten des Kapitals sind dies in erster Linie die Arbeitgeber und deren Verbände. Ferner sind das Management und der unmittelbare Vorgesetzte zu nennen, die für die Umsetzung der Instruktionen des Arbeitgebers verantwortlich sind. Die Seite der Arbeit wird hingegen von den Arbeitnehmern, den Gewerkschaften und den Arbeitsgruppen repräsentiert. Darüber hinaus wird die Arbeitnehmervertretung in Deutschland u. a. durch den Betriebsrat[9] und in den USA durch die shop stewards vorgenommen.[10] Von elementarer Bedeutung ist die Tarifpartnerschaft. Sie bezeichnet das Verhältnis zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und deren Vertretern zum Zwecke des Tarifabschlusses. Den gesetzlichen Rahmen für die zugehörigen Normen, Verträge, Institutionen und Organisationen gibt der Staat vor, der damit die "dritte Partei" im System der Arbeitsbeziehungen darstellt.[11] Zur besseren Verdeutlichung soll die nachfolgende Übersicht dienen.
Abb. 1: Akteure der Arbeitsbeziehungen in Deutschland und den USA
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Müller-Jentsch, W.: Strukturwandel, 2007, S. 28 und Lösche, P.: Verbände, 2004, S. 380
Bei ländervergleichenden Studien stellt sich i. d. R. die Frage, ob und inwieweit Begriffe eines Landes für das andere Land Anwendung finden können. Für die vorliegende Arbeit ist dabei von besonderer Relevanz, dass die US-amerikanische Terminologie nicht selten von der deutschen abweicht. Zur Erleichterung der Orientierung behilft sich die einschlägige Fachliteratur oftmals mit einer weitläufigen Übersetzung, wie z. B. bei den contracts, die mit "Tarifvertrag" gleichgesetzt werden. Ausnahme von dieser Vorgehensweise bilden Termini, für die in Deutschland im weiteren Sinne keine Äquivalente existieren. Typische Vertreter hierfür sind die locals und die shop stewards. Aus Gründen der besseren Übersichtlich- und Vergleichbarkeit folgen die weiteren Ausführungen dem dargelegten Prinzip.
Arbeitsbeziehungen sind auf die Interessenregulierung zwischen Akteuren von Kapital und Arbeit ausgerichtet, wobei die Konfiguration der Arbeitsverhältnisse bzw. die kollektive Regelung der Beschäftigungs-, Arbeits- und Entlohnungsbedingungen den Mittelpunkt bilden.[12] Die grundlegenden Interessengegensätze bestehen im Kern darin, dass der Arbeitnehmer Interesse an hohem Arbeitseinkommen, guten Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit und der Verringerung der Arbeitsmühe besitzt. Die Kapital- bzw. Arbeitgeberseite strebt hingegen geringe Kosten für Lohn und Arbeitsumfeld sowie die Steigerung der Arbeitsleistung an.[13]
Zur Festlegung der kollektiven Regelungen treten in Abhängigkeit des jeweils zugrundeliegenden nationalspezifischen Systems die verschiedenen Akteure miteinander in Interaktion.[14] Die Verhandlungen werden in Form einer geregelten Konfliktaustragung vorgenommen, wobei die Akteure ihre jeweiligen Interessen wahrnehmen und versuchen, institutionelle Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu verändern.[15]
Entsprechend kann man im weiteren Sinne den Gegenstandsbereich der Arbeitsbeziehungen zusammenfassen. Ihm zugehörig sind der kontrahierte wirtschaftliche Austausch zwischen Arbeit und Kapital, in dessen Folge sich Konstellationen ergeben, die sich in unterschiedlichen Formen des industriellen Konflikts ausdrücken. Desweiteren sind die kollektiven Akteure zu nennen, die als Organisationen Gruppeninteressen formieren, aggregieren, vermitteln und durchsetzen. Letztendlich müssen auch die Institutionensysteme dazu gezählt werden, die für die normative Regelung der Austauschprozesse und Konfliktbeziehungen zuständig sind.[16]
Das deutsche System der Arbeitsbeziehungen wird dabei von fünf charakteristischen Merkmalen bestimmt: Dualität, Intermediarität, Verrechtlichung, Zentralisierung und Repräsentativität. Die Dualität ermöglicht die Regulierung von Interessenkonflikten über die Tarifautonomie und die Betriebsverfassung. Intermediarität meint hingegen die pragmatische Interessenvermittlung zwischen Arbeit und Kapital innerhalb einer Institution der kollektiven Arbeitnehmervertretung. So findet beispielsweise innerhalb des Betriebsrates der Interessenaustausch unter besonderer Beachtung wirtschaftlicher Betriebsziele statt. Die Verrechtlichung ist in den deutschen Arbeitsbeziehungen besonders stark ausgeprägt. Sie ist gekennzeichnet durch ein dichtes und weitverzweigtes Netz aus staatlichen Gesetzen und Rechtssprechung. Zentralisierung beschreibt die Konzentration der Interessenvertretung auf die Verbände der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Jene Organisationen repräsentieren die Interessen ihrer Mitglieder, wobei sie durch die Zentralisierung und Verrechtlichung ihr Vorgehen relativ unabhängig von ihren Mitgliedern gestalten können.[17]
Durch die Orientierung an gesetzlich institutionalisierten Austauschbeziehungen der zentralistischen Verbände wird das deutsche Modell auch als korporatistisches oder neokorporatistisches System bezeichnet. Im Gegensatz dazu steht das monistische System der Vereinigten Staaten, das keine Aufteilung der Regulierungsebenen vorsieht. Es dominiert der Pluralismus, welcher vorrangig auf den vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital aufbaut. Die offensichtlichsten Differenzen zeigen sich am hohen Grad der Dezentralisierung und Fragmentierung. Während in Deutschland zentralisierte Verbände die Arbeitsbeziehungen bestimmen, herrschen in den USA vorwiegend lokale Tarifverträge und eine zersplitterte Gewerkschaftslandschaft vor. Ferner lassen sich deutliche Unterschiede zwischen beiden Systemen an dem Kriterium der Verrechtlichung festmachen. Die gesetzliche Verankerung ist letztendlich auch der Grundstein für die Intermediarität, die das Phänomen einer gegensätzlichen Handlungslogik innerhalb einer Institution verkörpert. In den USA ist das Maß an gesetzlichen Eingriffen bedeutend niedriger, so dass die Austauschbeziehungen zwischen Arbeit und Kapital weitestgehend der Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien überlassen werden.[18]
Die Ursachen dieser grundlegenden Unterschiede sind vor allem historischer und politischer Natur. In der vergleichsweise jungen USA konnten bestimmte Entwicklungsschritte nicht stattfinden, die in Europa zu Zentralisation und weitgehenden regulativen Eingriffen geführt haben. So fehlten beispielsweise staatliche Zwangsorganisationen wie Zünfte und Gilden, die sich im feudalistischen Europa herausbildeten und fürsorgliche sowie karitativ-versicherungsähnliche Aufgaben übernahmen. Der kapitalistische Wettbewerb konnte sich somit nach Gründung der USA u. a. in Form von Gewerbefreiheit, unregulierten Märkten und Konkurrenzdruck ungehindert entfalten. Die staatliche Bürokratie war instabil und schwach, so dass sie kaum Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen nehmen konnte.[19]
Die Entwicklung des Arbeitsrechts in Deutschland begann im 19. Jahrhundert mit der aus England übergreifenden Industrialisierung. Dies führte zur Einführung der Massenfertigung und einem deutlichen Anwachsen der wirtschaftlichen Überlegenheit der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern. Daraus folgten u. a. außerordentlich lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne und Kinderarbeit. Die Ausbeutung führte schnell zu gesundheitlichen Schäden der arbeitenden Bevölkerung und verursachte Druck auf die staatlichen Stellen regulierend einzugreifen.[20]
Im Jahr 1839 wurde daraufhin mit dem preußischen "Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Bergwerken und Fabriken" die...