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Einen Herzschlag entfernt

Die Geschichte einer Mutter, die für das Leben ihres Sohnes kämpfte

AutorTracie Frank Mayer
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783775173810
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Als Marc auf die Welt kam, wurde seinen Eltern gesagt, dass er seine ersten Tage nicht überleben würde. Er hatte einen schweren Herzfehler, und nur eine vorgeburtliche, direkte Verbindung zwischen Aorta und Lungenarterie hielt ihn am Leben. Diese würde sich bald schließen. Die Ärzte gaben ihn auf und sagten seiner Mutter: 'Lassen Sie ihr Baby sterben'. Doch die Amerikanerin Tracie Frank Mayer weigerte sich. Sie betete und kämpfte um ihren Sohn, obwohl sie kaum deutsch sprach. Und trotz aller Widerstände von Seiten der Ärzte geschah das Unglaubliche: Marc überlebte. Nun erzählt Tracie Frank Mayer ihre bewegende Geschichte.

Tracie Frank Mayer wurde in den USA geboren und studierte dort BWL. Ihr Onkel ist der US-amerikanische Musikproduzent, Komponist und Jazztrompeter Quincy Jones. 1984 zog sie der Liebe wegen nach Köln, im selben Jahr wurde ihr Sohn Marc geboren. Sie lebt als Autorin, Bloggerin und Referentin in Deutschland, handelt mit Immobilien und arbeitet als Sprachcoach für deutsche Muttersprachler, die ihre englischen Konversationsfähigkeiten verbessern wollen. Nebenbei engagiert sie sich in vielen Charity-Organisationen. Mit ihrem englischsprachigen Buch 'Incompatible with Nature. A Mother's Story' tourte Tracie Frank Mayer erfolgreich durch die USA und wurde in zahlreiche Talkshows eingeladen.

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2

Nur eine Untersuchung


Wir waren pünktlich zu unserem Elf-Uhr-Termin in der Abteilung für Kinderkardiologie der Uniklinik Köln angekommen. Es war Donnerstag, der 13. Dezember 1984.

Die Glasschiebetüren am Haupteingang zum Herzzentrum öffneten sich automatisch, als wir uns auf sie zubewegten. Helmut führte uns zu einem Schild, auf dem »Anmeldung« stand. Als wir vor dem Glasfenster standen, grüßte er die Dame dahinter, griff in seine Brusttasche und zog einen Brief heraus, den wir vom Evangelischen Krankenhaus Köln-Weyertal bekommen hatten, wo unser Sohn die Schwelle von meinem Becken in meine Arme überschritten hatte. Die Dame betrachtete das Dokument und erklärte uns, wo wir hinmussten.

Helmut hielt eine Seite von Marcs Babytragetasche, ich hielt die andere, und so stiegen wir gemeinsam die Treppe in den ersten Stock hinauf. Von dem Moment an, als wir uns ineinander verloren hatten, war unser Rhythmus derselbe gewesen. Immer synchron. Selbst als wir diese Treppe hinaufstiegen, nahmen unsere Füße jede Stufe in absolutem Gleichklang. Rechts, links, rechts, links, rechts, links. Als wir oben angekommen waren, sahen wir bereits die Tür, auf der in großen schwarzen Blockbuchstaben »Kinderkardiologie« stand. Helmut drückte sie auf, und dahinter befand sich ein gut ausgeleuchtetes Wartezimmer. Er übergab mir seine Schlaufe der Tragetasche.

»Setz dich, Schatz. Ich sage Bescheid, dass wir hier sind.«

Weil ich kein Deutsch konnte, wollte ich lieber von niemandem angesprochen werden. Also suchte ich mir ein ruhiges, unbesetztes Eckchen im Wartezimmer. Ich küsste Marc und wiegte ihn sanft in meinen Armen. Um ihn vor Zugluft zu schützen, die sich ihren Weg vielleicht in dieses Zimmer bahnen könnte, nahm ich die regenbogenfarbene Decke, die Tante Audrey gehäkelt hatte, aus der Tragetasche und drapierte sie über Marcs Beine. Die Decke war dünn und leicht und gleichzeitig leistete sie genau das rechte Maß an Schutz und Wärme. Ihre farbenfrohe Heiterkeit stand in krassem Gegensatz zu der gedrückten Stimmung, die im Wartezimmer herrschte. Unbehagen umhüllte mich. Was in aller Welt sollten wir hier? Langsam kroch der beißende Geruch von Chemikalien in meine Nase. Ich malte mir aus, was es sein könnte: eine ziemlich verwirrende Mischung aus Desinfektionsmittel, Butterbrötchen, Kaffee, Reinigungsalkohol und sterilen Nadeln. Ein Angst einflößender Geruch – und doch irgendwie passend für diesen Ort.

Obwohl vereinzelt selbst gemalte Kinderbilder an den weißen Wänden hingen, fühlte es sich überhaupt nicht nach einem kinderfreundlichen Ort an. Postergroße Ankündigungen von bevorstehenden Veranstaltungen im Krankenhaus schmückten das Zimmer. Jedes Mal, wenn ich einatmete, wallte etwas in meinem Magen auf. Außer der Erholungsphase nach Marcs Geburt hatte ich noch nie in meinem Leben Zeit in einem Krankenhaus verbracht. Ich hatte absolut keine Ahnung, was mich hier erwarten würde.

Helmut kam zurück, schloss die Tür hinter sich und kam auf uns zu. Gott sei Dank. »Ist das normal, Helmut? Ich meine, ist das bei allen Eltern in Deutschland so, wenn sie gerade ein Kind bekommen haben?«, fragte ich.

Ich wusste, dass er sich auch nicht besser auskannte als ich. Aber ich musste ihn fragen, nur um etwas zu sagen, um eine verbale Verbindung herzustellen und die nervliche Anspannung zu lösen. Meine Aufmerksamkeit war zu zwei älteren Kindern gewandert. Sie saßen an einem kleinen Holztisch in einer Spielzone in der Mitte des Wartezimmers und beschäftigten sich mit den wenigen Büchern und Spielsachen, die es hier gab. Die beiden waren ziemlich laut und in meinem angespannten Zustand wurde mir das alles zu viel. Außerdem störte es mich, dass ihre Eltern nichts unternahmen, damit die beiden etwas leiser waren.

Ich dachte genervt: Warum sagen diese Leute ihren Kindern nicht mal, dass sie leise sein sollen? Sie sind doch groß genug, um zu wissen, wie man sich in der Öffentlichkeit benehmen sollte, auch wenn sie am Kinderspieltisch sitzen.

Dann rief ich mich selbst zur Ruhe.

Komm runter! Beruhige dich. Beruhige. Dich. Du bist nur nervös, weil du nicht weißt, was los ist. Du verstehst es nicht, was auch immer es ist. Ganz sicher ist es einfach nur Routine. Eine Untersuchung, die jeder mit einem neugeborenen Baby machen muss. Die machen das bestimmt überall so, auf der ganzen Welt. Was weiß denn ich?! Es hilft nicht gerade, dass Helmut keine Ahnung hat, warum der Stationsarzt vom Weyertal-Krankenhaus uns hierhergeschickt hat – obwohl er das wissen sollte, es ist schließlich sein Land, verflixt noch mal!

In Gedanken versunken hatte ich gar nicht bemerkt, wie Helmut sich auf seinem Stuhl gedreht hatte, sodass er bequem seinen Arm um mich legen konnte. Er drückte meine Schulter und sagte lächelnd: »Keine Ahnung, mein Schatz. Ich hatte noch nie ein Baby. Aber mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, dass alles okay ist. Wenn etwas nicht stimmen würde, hätte uns das schon jemand gesagt. Du warst schließlich zwölf Tage im Krankenhaus mit Marc und vor der Geburt hattest du alle möglichen Untersuchungen und alles war in Ordnung. Mach dir keine Sorgen!«

Ich nickte und versicherte mich, dass Helmut recht hatte, indem ich Marcs Finger und Zehen zählte. Alles da. Ich knuddelte ihn.

Er sieht gesund aus, dachte ich, absolut in Ordnung. Ich weiß rein gar nichts über Babys, aber Marc sieht gut aus. Helmut hat recht: Wenn etwas nicht stimmen würde, wüssten wir es schon längst.

Ich versuchte zu entspannen, doch Worte, die ich gehört hatte, hallten in meinem Kopf wider.

Wir haben einen Termin für Sie vereinbart in der Kinderkardiologie im Herzzentrum der Uniklinik. Es ist nur eine Untersuchung. Nur zur Kontrolle.

Dies hatte die diensthabende Schwester gesagt, kurz bevor wir das Krankenzimmer verließen, in dem ich mit Marc seit der Entbindung knapp zwei Wochen zuvor gelegen hatte. Zwölf Tage schienen übermäßig lang, aber 1984 war es im Weyertal normal, dass Frauen nach einem Kaiserschnitt so lange im Krankenhaus blieben. Die Schwester hatte Helmut den Brief gegeben, in dem unser Termin stand. Ich war an seine Seite geflogen, um mir das Blatt Papier genau anzusehen. Die Worte Kinder, Kardiologie und Universitätsklinik hatte ich entschlüsseln können und den Namen meines Sohnes natürlich auch. »Kein Grund zur Sorge. Nur eine Untersuchung«, hatte Helmut die Worte der Krankenschwester wiederholt. Sie war bereits über die Blüte ihrer Jahre hinaus, weißhaarig, wirkte matronenhaft und fühlte sich wohl damit. Vielleicht hatte sie Enkelkinder. Jedenfalls war sie der großmütterliche Typ. Als die Worte Universitätsklinik und Kardiologie fielen, hatte sie meine Beunruhigung bemerkt und mir, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, gut zugesprochen. Nun spielte ich ihre Worte immer und immer wieder wie eine Schallplatte in meinem Kopf ab. »Es ist nur zur Kontrolle«, hatte sie gesagt und meinen Arm getätschelt. Mit ihren gütigen Augen und ihrer sanften Stimme hatte sie mich tatsächlich beruhigt.

Doch nun waren die Sorgen zurückgekehrt. Ich versuchte, mich mit Logik zu überzeugen. Wir waren zwölf Tage in diesem Krankenhaus gewesen, dachte ich. Wenn etwas nicht stimmen würde, hätte uns schon längst jemand etwas gesagt. Oder doch nicht? Mein Gynäkologe hatte mich regelmäßig untersucht. Ich hatte einen Ausdruck von der fötalen Herzfrequenz meines Babys bekommen, als ich im dritten Monat schwanger war. Alles war gut. Und dann der Schnappschuss von Marc, als er ein zwölf Wochen alter Embryo war: das Ultraschallbild, auf dem er an seinem Daumen nuckelt. Alles war genau so, wie es sein sollte.

Jetzt komm schon, du hast dir doch noch nie unnötig Sorgen gemacht. Nun fang nicht damit an. Du hast keinen Grund, überhaupt nur den Verdacht zu hegen, dass etwas nicht stimmen könnte.

Ich sah zu Helmut. Er küsste mich auf die Wange und umwickelte seinen kleinen Finger mit dem winzigen Händchen unseres Sohnes. Eine Weile saßen wir still nebeneinander, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Ich schlug mein rechtes Bein über mein linkes. Es wollte nicht aufhören zu zucken.

Helmut war nicht der Typ fürs Stillsitzen und Nichtstun. Er vertiefte sich in eine Zeitschrift, während ich verstohlene Blicke in die Gesichter der anderen Eltern warf. Ich wollte nicht in ihre Intimsphäre eindringen. Aber ich konnte nicht anders, als sie anzusehen und mich zu fragen, welcher Schatten sich über das Licht in ihrem Leben gelegt hatte und weshalb sie hier gelandet waren. Ich sprach ein lautloses Gebet und hoffte, dass alle ihre Babys gesund würden. Und gleichzeitig wünschte ich mir das auch für unsers.

Alle sahen so trostlos aus – als hätte jemand das ganze Gewicht der Welt auf ihre Schultern geladen. Sah ich Resignation in ihren leeren Gesichtern? Wir saßen wahrscheinlich alle im selben Boot. Sie waren bestimmt auch zum ersten Mal in diesem Herzzentrum mit ihren Kindern und bestimmt wollten sie, wie wir auch, alles richtig machen. Warum gaben sie auf, bevor sie überhaupt wussten, gegen wen sie kämpften?

Auf der rechten Seite des Wartezimmers in der Nähe der Tür mit den großen schwarzen Blockbuchstaben saß ein türkisches Paar. Der Mann stand mehrmals auf und tigerte herum. Die Frau blieb sitzen. Sie hatte sich ihr Baby quer über ihren Schoß gelegt. Ihre rechte Hand ruhte auf dem Rücken des Kindes, während sie es mit der Kraft ihrer Beine hin und her wiegte. Sie waren neben mir die einzigen Ausländer im Zimmer.

Auf der...

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