Mit dem Begriff Kunststoff werden polymere Werkstoffe bezeichnet, nämlich Thermoplaste, thermoplastische Elastomere, vernetzte Elastomere und Duroplaste. Kunststoffe sind eine eigene Werkstoffklasse, ihr Deformationsverhalten ist viskoelastisch und sie besitzen ausgeprägte zeit- und temperaturabhängige Eigenschaften. Die Prüfung von Kunststoffen ist ein eigenständiges Fach- und auch Forschungsgebiet (Bild 2.1). Die Kunststoffprüfung umfasst alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Untersuchung von Kunststoffen und daraus hergestellten Produkten.
Bild 2.1 Stellung der Kunststoffprüfung innerhalb der Kunststofftechnik
2.1 | Zweck der Kunststoffprüfung |
Die Kunststoffprüfung dient der Untersuchung, Charakterisierung und Qualifizierung von Kunststoffen und daraus hergestellter Formteilen. Sie umfasst werkstofftechnische, qualitätssichernde und schadensanalytische Untersuchungen, auch Untersuchungen zum Recycling von Kunststoffen.
Moderne Produkte sollen aus technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Überlegungen leicht sein (minimierter Energie- und Ressourcenverbrauch), dabei sind sie oft geometrisch komplex gestaltet und stark beansprucht. Deshalb finden Kunststoffe zunehmend Einsatz als Konstruktionswerkstoffe und der Ausnutzungsgrad des polymeren Werkstoffs im fertigen Produkt ist folglich hoch. Ein Formteil weist heute vielfach nur noch geringe Sicherheitsreserven auf. Wenn Produkte früher dauerfest ausgelegt waren, dann sind sie heute überwiegend nur noch zeitfest dimensioniert. Aus den dargelegten Gründen wird es zunehmend wichtig, die Gebrauchseigenschaften von Kunststoffen exakt zu charakterisieren, festgelegte Werkstoffe für eine Anwendung auf ihre Identität zu prüfen und zu verifizieren. Mögliche Schwankungen der Werkstoffqualität, Materialverwechslungen, Änderungen bei Funktionsadditiven oder beim Farbpigment von Kunststoffen, ebenso mögliche Eigenschaftsverluste der Kunststoffe durch die Verarbeitung zum Formteil können zu einer mangelhaften Produktqualität beitragen und sind schließlich potentielle Ursachen für Schadensfälle im Einsatz. Diese Probleme müssen idealerweise frühzeitig erkannt und vermieden werden. Dazu bedarf es der Kunststoffprüfung mit geeigneten, aussagefähigen Prüf- und Qualitätssicherungsverfahren für Kunststoffe und daraus hergestellter Formteile. Die Verfahren sollten wünschenswerterweise einfach, schnell und automatisierbar sein. Tabelle 2.1 zeigt die Einsatzmöglichkeiten der Kunststoffprüfung in verschiedenen Aufgabenfeldern. Die Aufgabenfelder stehen im Zusammenhang mit dem Produktlebenszyklus und den daraus resultierenden, prüftechnischen Fragestellungen.
Tabelle 2.1 Verschiedene Zwecke der Kunststoffprüfung
Aufgabenfeld | Zweck der Kunststoffprüfung |
Werkstoffforschung Werkstoffentwicklung | → Werkstoffcharakterisierung |
Produktentwicklung | → Prüfung von Kunststoffen → Prüfung von Kunststoff-Formteilen (Produktqualifizierung) |
Qualitätssicherung | → Wareneingangskontrolle → Fertigungsüberwachung |
Schadensuntersuchung | → Schadensanalytik |
Produktrecycling | → Untersuchung der Recyclingfähigkeit |
In der Kunststoffprüfung gibt es verschiedene Fragestellungen und daraus leiten sich Untersuchungsaufgaben ab (Tabelle 2.2). Die sind in der kunststofftechnischen Praxis wünschenswerterweise möglichst effektiv und erfolgreich zu lösen. Deswegen sollten prüftechnische Untersuchungen gut überlegt und nur so umfangreich als nötig erfolgen! Bestehen beispielsweise bei aktuell angelieferten Kunststoffteilen bereits visuell erkennbar Glanzgradabweichungen gegenüber vorangegangen gelieferten und freigegebenen Teilen gleichen Typs, dann lässt sich die jüngste Lieferung ohne weitere Prüfungen zurückweisen. Der Lieferant kann eigenverantwortlich die Ursache für die vorliegende Abweichung feststellen; er ist gehalten, die Qualität seiner Lieferteile auf das freigegebene Qualitätsniveau zurückzuführen. Erst dann, wenn ein prüftechnisch, analytischer Nachweis für die Abweichung erforderlich wird, sind weitere Untersuchungen durchzuführen. Thermoanalytische, kalorische Messungen mittels DSC (englisch: „Differential Scanning Calorimetry“) oder Dynamische Differenzkalorimetrie, DDK) beispielsweise lassen eine unterschiedliche, thermische Vorgeschichte der abweichenden Teile nachweisen.
Tabelle 2.2 Kunststofftechnische Untersuchungsaufgaben
Untersuchungsaufgabe | Fragestellung | Probe |
Makromolekulare Eigenschaften | Struktureigenschaften | Polymer |
Werkstoffliche Eigenschaften | Leistungseigenschaften Neuware Rezyklat Qualitätserfassung | Polymer Formmasse Probekörper |
Verarbeitungstechnische Eigenschaften | Leistungseigenschaften | Formmasse |
Produkteigenschaften | Leistungseigenschaften Qualitätserfassung Schadensanalyse | Produkt |
Kunststofftechnische Untersuchungsaufgaben sind, ein Polymer zu identifizieren, seine makromolekularen und physikalischen Eigenschaften zu charakterisieren und die Schmelze-, Erstarrungs-, und Vernetzungseigenschaften zu ermitteln.
Die werkstofflichen Eigenschaften eines Kunststoffs für einen Einsatz als Konstruktionswerkstoff lassen sich nur am Festkörper messen. Dazu bedarf es zuvor hergestellter Probekörper oder Formteile, die dann analysiert werden können. Fragen zur Qualität beziehen sich sowohl auf die Formmasse (= verarbeitungsfähiger Kunststoff) als auch das hieraus gefertigte Formteil. In der Regel ist eine vereinbarte Qualität zu identifizieren oder sind mögliche Abweichungen davon zu ermitteln und zu bewerten.
Alle genannten Fragestellungen und deren jeweilige Lösung sind Themen der Kunststoffprüfung. Tabelle 2.3 gibt Hinweise über Untersuchungsmöglichkeiten verschiedener Fragestellungen und der dazu geeigneten Prüfungen.
Tabelle 2.3 Möglichkeiten zur Charakterisierung verschiedener Eigenschaften und dazu geeignete Prüfungen
Untersuchungsmöglichkeiten |
Polymer | Polymerschmelze | Kunststoff-Festkörper | Kunststoff-Qualität |
Identität Molmasse (MW, MWD) GPC Rheometrie Lösungsviskosität
| Viskosität | Geometrie Mechanik (RT) Mechanik (T, Frequenz) Sonstige Eigenschaften | Identität Füllstoffgehalt Feuchtegehalt Eigenschafts- veränderung |
Die Infrarotspektroskopie (IR) erlaubt Polymere zu identifizieren, die Gelpermeationschromatografie (GPC) kann die Molmasse (MW) und Molmassenverteilung (MWD) eines Polymers bestimmen. Im Falle hoch- und höchstmolekularer Produkte ist für die Bestimmung der Molmasse die schmelzerheologische Untersuchung mittels Rotationsviskosimeter (Rheometrie) der GPC überlegen. Die Oszillationsrheometrie liefert Hinweise über die viskoelastischen Eigenschaften einer Schmelze. Für lösliche Polymere liefert die Lösungsviskosität und die daraus gewonnene Viskositätszahl (VZ) ebenfalls Rückschlüsse auf die Molmasse oder etwaige Veränderungen der Molmasse.
Das Fließverhalten thermoplastischer Polymere in verarbeitungstechnisch relevanten Schergeschwindigkeitsbereichen lässt sich mittels der Kapillarviskosimetrie (Hochdruckkapillarviskosimeter, HKV) feststellen. Das Ergebnis sind Viskositätskurven, die die Strukturviskosität der untersuchten Polymere für unterschiedliche Temperaturen beschreiben. Einzelpunktmesswerte bei definierten Prüfbedingungen ergibt die Messung der Schmelze-Massefließrate (MFR) beziehungsweise der Schmelze-Volumenfließrate (MVR).
Polymere besitzen viskoelastische Eigenschaften, das heißt sie verhalten sich zeit- und temperaturabhängig. Deshalb sind sowohl deren rheologische (fließtechnische) Eigenschaften als auch deren Festkörpereigenschaften in Abhängigkeit von Temperatur und Beanspruchungsfrequenz zu betrachten. Bei der Beschreibung der Festkörpereigenschaften werden folglich die quasistatische, die schlagartige und kurzeitige Belastung, die langzeitige und auch die dynamische Belastung auf Lebensdauer unterschieden. Die Belastungsart kann dabei jeweils Zug, Druck, Biegung oder Schub sein.
Für die Ermittlung der thermischen Eigenschaften von Polymeren dienen die Verfahren der Thermoanalyse. Dies sind die...