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E-Book

Eine volkstümliche Geschichte der Philosophie

Neu bearbeitete Ausgabe

AutorKarl Vorländer
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl385 Seiten
ISBN9783744816106
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Mit diesem Buch richtet sich der Philosoph Karl Vorländer an interessierte Laien, die einen Überblick über die philosophischen Strömungen der Menschheitsgeschichte erlangen möchten, ohne sich jahrelangem Studium schwer verständlicher Originaltexte widmen zu müssen. Es ist verständlich und durchaus unterhaltsam geschrieben, ohne je oberflächlich zu werden. Hier liegt die "Volkstümliche Geschichte der Philosophie" in einer neu bearbeiteten Fassung vor, die, wie alle Werke der ofd edition, nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst wurde. Die bessere Lesbarkeit und Gestaltung verhelfen so zu einem ungetrübten Lese- und einem nachhaltigen Lernprozess.

Karl Vorländer (1860 - 1928) war ein den Neukantianern der Marburger Schule zugerechneter Philosoph, der sich vor allem als Kant-Kenner einen Namen machte. Seine zweibändige "Geschichte der Philosophie" stellte lange Zeit eine Standardlektüre für Studenten und Schüler dar.

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Leseprobe

Erster Teil: Die Philosophie des Altertums und des Mittelalters





Sokrates



A. Die griechische Philosophie


Erstes Kapitel. Die Zeit vor Sokrates


1. Entstehung der griechischen Philosophie

Mancher sich für besonders „modern“ haltende Leser wird vielleicht, wenn er die Überschrift dieses ersten Teiles liest, bei sich denken: Was soll uns Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts eine so ausführliche Beschäftigung mit den alten Griechen, die vor zweieinhalb Jahrtausenden gelebt haben, deren Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse, deren Sprache, deren ganze Kultur so völlig andersartig gewesen ist? Freilich für den, der alle Werte dieser Erde am liebsten in Mark und Pfennig umwandeln möchte, haben sie keine Bedeutung. Wohl aber für den, dem geistige Kultur, Kunst, Wissenschaft noch einen unschätzbaren Wert darstellt. Vor allem gerade für die Philosophie hat Altgriechenland eine hervorragende, ja geradezu ausschlaggebende Bedeutung, weil griechisches Denken bereits sämtliche oder doch nahezu sämtliche große, die Menschheit und darum auch noch die Gegenwart bewegende philosophische Probleme in einfachster, für jeden gebildeten Menschen auch heute noch verständlicher Form behandelt, uns sozusagen vorgedacht hat. Alle die philosophischen Richtungen und Einzelwissenschaften, die wir im Verlauf unserer Philosophiegeschichte noch kennenlernen wollen: Idealismus und Materialismus, Dogmatismus und Skeptizismus, Nationalismus und Mystizismus, oder: Naturphilosophie und Ethik, Psychologie und Logik, mechanische und teleologische Naturauffassung, Geschichts- und Religionsphilosophie, haben Ursprung und Pflege auf altgriechischem und später, von dort verpflanzt, auf dem Boden des römischen Weltreichs gefunden.


Mit welchem von diesen Zweigen der Philosophie beginnt nun das erste selbständige Denken der griechischen Wissenschaft? Nun, es geht mit der geistigen Entwicklung der ganzen Menschheit ähnlich zu wie mit der geistigen Entwicklung des Individuums (Einzelmenschen). Wie die Aufmerksamkeit des Kindes oder des Naturmenschen, so richtet sich auch das Nachdenken der Philosophie naturgemäß zunächst auf die Erklärung der uns umgebenden äußeren Natur. Mit anderen Worten: sie ist zuerst Naturphilosophie.


Aber eben Naturphilosophie, nicht mehr religiöse oder theologische Naturbetrachtung. Gewiss, das erste Nachsinnen über die Rätsel des äußeren Daseins, über das „Wohin?“ und „Wozu?“ der Welt führt überall zuerst zu religiösen, und zwar kindlich-naiven Vorstellungen. Man stellte sich beispielsweise Sonne, Mond und Sterne, das Meer, das Erdinnere (die „Unterwelt“) als gelenkt und regiert von besonderen „göttlichen“ Wesen vor; man erfand eine förmliche Welt von Gottheiten und Halbgottheiten und eine Sagenwelt (Mythologie), die von ihnen kündete. Höchstens dass man sie dann einer obersten Gottheit unterordnete, wie die Inder ihrem Brahma, die Israeliten, die schon besonders früh einen einzigen Nationalgott verehrten, ihrem Jehova oder Jahve, die Babylonier ihrem Baal, die Ägypter ihrem Sonnengott Ra-Ammon, die Griechen ihrem Zeus. Aber mit der Aufwärtsentwicklung des menschlichen Denkens konnte der Glaube an diese mannigfaltige Götterwelt nicht erhalten bleiben. Mochte damit noch so viele schöne Poesie, noch so viele wunderbar herrliche Gestaltung in Erz und Marmor zugrunde gehen, wie Schiller es in seinen „Göttern Griechenlands“ so unnachahmlich schön besungen hat, so musste doch an die Stelle des Gottes Helios, der „seinen Sonnenwagen in stiller Majestät lenkte“, der „seelenlos sich drehende Feuerball“ der nüchternen wissenschaftlichen Wahrheit treten.


Eine Zwischenstufe zwischen beiden bildet in Altgriechenland, zeitlich wie sachlich, das Denken der sogenannten „Orphiker“, so benannt nach ihrem angeblichen Ahnherrn, dem sagenhaften nordgriechischen königlichen Sänger Orpheus, deren geheimnisvolle Weisheit noch bis lange in die Blütezeit von Hellas (Altgriechenland) hinein in phantastischen Geheimdiensten („Mysterien“) sich fortpflanzte. Ihre Gedanken beschäftigten sich, statt des Volksglaubens an die heitere Welt der angeblich auf dem höchsten Berge Griechenlands, dem Olymp, thronenden Götter und Göttinnen, mit der Herleitung alles Gewordenen aus einem Urgrund, als den sie irgendein Unentwickeltes, die einen die Nacht, die anderen den die Erde umwölbenden Himmel, wieder andere den sie umgebenden Vater Okeanos (Ozean), die meisten ein wirres Durcheinander, das „Chaos“ – ähnlich dem „Tohuwabohu“ der ersten Verse des ersten Kapitels Mose – betrachteten: aus dem dann der ordnende Zeus und seine Geschwister zuerst ein naturgesetzlich geordnetes Weltall schaffen, nachdem sie die unter dem Sinnbild von überstarken Riesengeschlechtern (Giganten und Titanen) versinnbildlichten ungebändigten Naturkräfte gebändigt haben, ähnlich wie die nordischen „Asen“ zunächst die urgewaltigen Eis-und Frostriesen bezwingen müssen.


Mit dieser Richtung altgriechischer Weisheit hat die beginnende Philosophie der Griechen wohl den Gegenstand ihrer Forschung gemein. Auch sie fragt nach dem Uranfang alles Gewordenen. Allein sie fragt danach nicht mehr in der Form religiösen, sondern wissenschaftlichen Denkens. Der Augenblick, wo dies geschieht, ist die Geburtsstunde der griechischen Philosophie.


Ihre Wiege stand nicht in dem unseren Lesern als Stätte höchster hellenischer Kulturblüte bekannten Athen, sondern auf der anderen Seite des griechischen Inselmeers, in Kleinasien. Karl Marx hat zuerst der Ansicht in weiteren Kreisen zum Durchbruch verholfen, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Völker von durchschlagendem Einfluss auch auf den geistigen Inhalt von bestimmten Geschichtsperioden ist. Nun hatte sich aber früher als im Mutterland in den Kolonien der alten Griechen, das heißt an den kleinasiatischen, unteritalischen, thrazisch-mazedonischen Küsten des Mittelmeers, ein blühender Handel und in seinem Gefolge eine rege, nicht bloß wirtschaftliche, sondern auch politische, wissenschaftliche und künstlerische Kultur entwickelt, neben der freilich auch manche sittliche Schädigung, wie sie übermächtig werdender Kapitalismus mit sich zu bringen pflegt, einherging. Namentlich unter dem geistig besonders regsamen jonischen Stamm, der sich an der Westküste Kleinasiens und den ihr benachbarten Inseln angesiedelt hatte. Hier sind Homers Gesänge zuerst erklungen, hier fand auch die griechische Lyrik (Liederdichtung) ihre frühesten Vertreter, hier entstanden die ersten großen Werke der bildenden Kunst, wie der berühmte Tempel der Göttin Artemis zu Ephesus, hier die Anfänge der Geschichtsschreibung. So befindet sich denn hier auch die Geburtsstätte griechischer Philosophie. Denn auch die positiven Wissenschaften hatten hier ihre erste Pflege auf hellenischem Boden gefunden. Bei den ausgedehnten Handelsfahrten der Koloniegriechen zu Wasser und zu Lande hatte sich auch in kultureller Beziehung ein reger Austausch mit den Kulturvölkern des nahen Morgenlandes, den Phöniziern, Ägyptern und Chaldäern (in Babylonien und Assyrien) angebahnt, denen sie sicher in Völkerkunde, Arithmetik, Geometrie und Astronomie vieles verdankt haben. Die ersten Philosophen sind zugleich Mathematiker und Astronomen und zum Teil auch Politiker gewesen.


Die bedeutendste aller griechischen Pflanzstädte aber an der von der Natur in jeder Weise begünstigten Westküste Kleinasiens war das reiche Milet, die Mutter von angeblich nicht weniger als achtzig blühenden Tochterstädten an den Gestaden des Mittel- und Schwarzen Meeres. Die erste Philosophie der Griechen ist:


2. Die milesische oder jonische Naturphilosophie (das Problem des Urstoffs)

Als „Urheber“ der Philosophie wird von dem drei Jahrhunderte später lebenden Aristoteles, dem wir die zuverlässigsten Nachrichten über diese ihre Anfänge verdanken, der Milesier Thales (um 624 bis 545 v. Chr.) bezeichnet, ein Mann von vornehmem Geschlecht, der in der Mathematik und in der Astronomie so bewandert war, dass er eine Sonnenfinsternis, wahrscheinlich die von 585, richtig voraussagte. Er erdenkt zuerst einen stofflichen Urgrund aller Dinge, und zwar das Wasser. War doch für diese Küsten- und Inselgriechen das Meer das alles belebende Element, dessen Inneres ja auch voll von Leben ist; schwamm doch die Erde nach ihrer Meinung auf dem Wasser, und ist doch der Same alles Lebendigen feucht. – Dagegen sah sein ein Menschenalter später (588 bis 524) lebender Landsmann Anaxímenes die Luft als den Urstoff an, sie, das beweglichste und unbegrenzteste der Elemente, das zugleich als Atem Anfang und Ende alles tierischen Lebens darstellt. Aus ihrer Verdünnung ging ihm zufolge das Feuer, aus ihrer Verdichtung oder Zusammenziehung Winde, Wolken, Wasser und Erde hervor. – So war es denn von selbst gegeben, dass ein dritter Denker, der uns später noch besonders beschäftigen wird, Heraklít aus Ephesus (535 bis 475), das Feuer als Urelement annahm. Aus Feuer ist das Weltall einstmals geworden, in Feuer wird es sich dereinst auch wieder auflösen, um daraus in neuer Läuterung wieder hervorzugehen, eine Lehre, die wir uns durchaus verständlich machen können, wenn wir für das „Urfeuer“ den Feuerball des Sonnensystems einsetzen.


Einen gewissen Fortschritt stellt der zwischen Thales und Anaximenes lebende Anaximánder insofern dar, als er nicht mehr wie diese einen bestimmten, mit den Sinnen wahrnehmbaren Stoff,...

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