Fast Forward
Einige meiner aufregendsten Erfahrungen habe ich vor meinem sechsten Lebensjahr gemacht. Ich bin in Honolulu, Hawaii, geboren, was an sich schon ziemlich toll ist, aber drei Wochen später, noch bevor ich mir eine schicke Sonnenbräune zulegen konnte, zogen wir nach Japan. JAPAN. Die Heimat meines absoluten Lieblingsessens: Erbsenbrei. Na ja, zumindest war das wohl damals mein Lieblingsessen; was für eine Verschwendung, schließlich hätte ich auch pikante Thunfisch-Röllchen mit extra Wasabi essen können. Verdammt sollst du sein, Baby Lauren – du und dein kindischer Geschmack! Also gut, ja, du warst ein kleines Kind. Sorry, dass ich dich angeschrien hab.
In Tokio wohnten wir eine Weile bei meiner Großmutter, und ich hatte ein japanisches Kindermädchen, eine Uba – was, wie ich gerade herausgefunden habe, so viel heißt wie »Milchmutter«. (Einen Moment bitte, ich muss mal schnell meinen Therapeuten anrufen.) Ihr Name war Sato-san, ich liebte sie über alles, und deswegen war das erste Wort, das ich je sagte, japanisch: o-heso. Jetzt denkt ihr vielleicht, das wäre das japanische Wort für »Mami« oder »Papi«, aber nein, o-heso heißt Bauchnabel, was, wie ich finde, schon beweist, was für ein ungewöhnlicher, tiefsinniger, nachdenklicher Mensch ich bin, und mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen, danke, dass ihr mein Buch gekauft habt, ENDE.
Nein, wartet, ein paar Dinge wollte ich doch noch erwähnen. Meine Mutter, eine Missionarstochter, war in Japan aufgewachsen und sprach fließend Japanisch. Außerdem war sie unglaublich schlau und schön, und deswegen passierte auch das hier:
Das ist meine Großmutter mit mir auf dem Schoß, und wir sehen gerade meine Mutter im Fernsehen! Damals gab es nur drei Sender in Amerika und vielleicht sogar noch weniger in Tokio, und das Ganze hatte etwas sehr Mysteriöses – nicht wie heute, wo es fast unmöglich ist, beim Zappen nicht früher oder später über seine eigene Reality-Show zu stolpern. Fernseher waren gerade erst erfunden worden, und dort war sie, meine Mutter – und ich war so klein, dass ich wahrscheinlich wieder nur an Erbsenbrei gedacht habe. Oder an mein absolutes Lieblingsthema: Bauchnabel.
Wo wir gerade beim Thema sind, anscheinend steht auf irgend so einer GikiWoogle-Seite folgendes Zitat von mir: »Bauchnabel sind sehr wichtig.« Was, auch wenn es aus medizinischer Sicht, angesichts der lebensspendenden Qualitäten der Nabelschnur, natürlich stimmt, ganz eindeutig ein Witz ist. Und trotzdem haben mich schon erschreckend viele Journalisten mit diesem ernsten Jetzt-hole-ich-zum Todesstoß-aus-Gesichtsausdruck, den ich so sehr liebe, dieser mit einem Stirnrunzeln zum Ausdruck gebrachten falschen Ehrlichkeit, gefragt: »Denken Sie wirklich, dass Bauchnabel wichtig sind?« Lasst mich diese Frage ein für alle Mal beantworten: Nein, tue ich nicht. Obwohl dieses Buch noch nicht lang ist und ich schon ganz schön viel über Bauchnabel geschrieben habe … Zur Hölle mit euch, ihr verdammten Klatschpresse-Journalisten! Sorry noch mal – ich sollte wirklich aufhören zu schreien.
Da war sie also, meine Mutter, auf dem größten Fernseher, den es zu jener Zeit gab – der in etwa so groß war wie ein Zauberwürfel. Seht euch ihren feschen 60er-Jahre-Priscilla-Presley-Look an! Dass sie als Nicht-Muttersprachlerin Japanisch konnte, war damals so ungewöhnlich, dass sie in eine japanische Talkshow eingeladen wurde.
Meine Eltern waren nicht sehr lange zusammen. Sie kannten einander erst kurz, als sie beschlossen zu heiraten, und danach – sie waren beide gerade mal zweiundzwanzig – kam gleich ich zur Welt, und – na ja, das bringt es eigentlich schon auf den Punkt. Sie waren einfach sehr, sehr jung. Zu der Zeit strebte meine Mutter eine Karriere als Sängerin an, also sollte ich bei meinem Vater bleiben. Sie trennten sich in aller Freundschaft, und dann traf mein Vater eine Entscheidung, die in dieser Situation wohl jeder getroffen hätte: Er zog mit mir auf die Jungferninseln, wo wir in einem Hausboot lebten. Ich schlief in einer Art Doppelstockbett, das gleichzeitig unsere Küche war. Zum Kindergarten fuhr ich mit dem Bus, der eigentlich ein Motorboot war. Wir zogen dorthin, weil … Wisst ihr was? Daran kann ich mich gar nicht richtig erinnern. Rufen wir doch einfach meinen Dad an und fragen ihn. Er wird wahrscheinlich nicht drangehen, weil er an der Ostküste wohnt und heute Samstag und noch dazu Frühling ist – wenn es nicht gerade in Strömen gießt, ist er bestimmt draußen und spielt Golf. Aber ich zeige euch mal ein Bild, damit ihr auch Anruf-bei-meinem-Dad spielen könnt.
Ja, ich weiß, echt schade, dass wir uns überhaupt nicht ähnlich sehen … Okay, mal sehen, ob er zu Hause ist.
Rrring, rrring, rrring.
Ich hab’s euch ja gesagt. Er ist wahrscheinlich nicht …
ICH:
Oh, hi! Ich dachte, du bist bestimmt nicht zu Hause.
ICH:
Aha, das erklärt natürlich alles. Hey, warum haben wir früher noch mal auf einem Hausboot gelebt?
ICH:
Hast du noch andere Kinder, mit denen du auf einem Hausboot gelebt hast?
DAD:
Nein, aber ich habe andere Kinder, die mich öfter anrufen.
ICH:
Dad, bitte. Ich ruf dich ständig an. Also, ich schreibe gerade ein Buch, und …
DAD:
Wird das wieder so eine bescheuerte Vaterfigur wie in deinem letzten Buch?
ICH:
Dad, die Figur war doch nicht an sich bescheuert. Nur wenn es um moderne Technik ging.
DAD:
Moment – was hast du gesagt? Ich konnte dich nicht hören. Ich hab wohl irgendwie die falsche Taste gedrückt.
ICH:
Ähm, okay. Ich hab nur gesagt, dass die Vaterfigur in meinem ersten Buch – der Bestseller Lieber jetzt als irgendwann, erschienen bei Fischer, jetzt erhältlich als Taschenbuch – nicht wirklich bescheuert ist, und er ähnelt dir auch nur ein ganz kleines bisschen.
DAD:
Warum sagst du so komische Sachen?
ICH:
Was denn für Sachen? Ich dachte nur gerade, dass Weihnachten vor der Tür steht und Bücher sich immer hervorragend als Geschenk eignen.
DAD:
Solche Sachen zum Beispiel. Als wolltest du was verkaufen. Bist du gerade bei Ellen zu Gast?
ICH:
Dad, ich würde dich doch nicht vom Set der Ellen DeGeneres Show anrufen.
DAD:
Oh, ich bin ja so hip, ich lebe in Hollywood, wo die Leute nicht mal ihren Vater vom Set der Ellen DeGeneres Show anrufen dürfen.
ICH:
Dad, bitte. Warum haben wir noch mal auf dem Hausboot gewohnt?
DAD:
Na ja, damals habe ich für einen Kongressabgeordneten gearbeitet, und ich musste oft Überstunden machen, ich hab dich morgens zur Schule gebracht und dann bis sechs Uhr abends nicht gesehen, und deswegen hatte ich ein schlechtes Gewissen. Und ich war mir nicht mal sicher, ob das der richtige Job für mich war. Außerdem war ich ja gewissermaßen mit dieser Frau zusammen – die mit dem Pferd, weißt du noch? Na ja, sie hat immer wieder mal dort gewohnt, und da dachte ich, ich ziehe auch dorthin und schreibe, und …
An dieser Stelle muss ich meinen Vater leider unterbrechen (na ja, ehrlich gesagt redet er immer noch, also psssst – verratet ihm das bloß nicht). Aber ich muss euch erzählen, dass ich als Kind dachte, mein Vater hätte nie irgendwelche Dates gehabt, bis er meine Stiefmutter kennenlernte und sie heiratete. Erst Jahre später habe ich herausgefunden, dass die jungen Frauen, die ab und zu vorbeikamen, womöglich doch mehr waren als »die Katzensitterin«, »die nette Frau, mit der ich Tennis spiele« und »die Frau mit dem Pferd«. Und das kann ich ihnen nicht verdenken. Ich meine, wer würde für diesen gutaussehenden Typen nicht katzensitten?
Ach, und können wir bitte über die unnötig breiten Gürtel reden, die Kinder in den 70ern tragen mussten? Seht euch doch nur mal – ups, mein Vater ist immer noch am Telefon!
DAD:
… Und außerdem kannte sie diese Leute am Yachthafen in St. Thomas.
ICH:
Also sind wir mit unserem Boot um die Insel gesegelt und so?
DAD:
Oh, nein. Der Motor hat nicht funktioniert.
ICH:
Der Motor hat nicht …? Dann haben wir in einer gigantischen schwimmenden Badewanne gewohnt, die sich nicht vom Fleck gerührt hat?
DAD:
Der Ort war etwas seltsam, das gebe ich zu – aber die Leute dort waren sehr nett. Sehr unkonventionell. Alle dort hatten sich irgendwie von der Gesellschaft losgesagt, und das haben wir auch, in gewisser Weise – nachdem wir Washington D.C. verlassen hatten, dachte meine Mutter bestimmt noch wochenlang, ich würde in Capitol Hill arbeiten. Aber ich konnte mehr Zeit mit dir verbringen, und damit hatte ich mein Ziel erreicht. Es war echt schön dort. Wir haben oft Spritztouren mit dem Auto und Ausflüge an den Strand gemacht. Das klingt für dich jetzt wahrscheinlich ziemlich seltsam, aber so war das Leben in den 70ern. Und wir hatten unseren Spaß.
(Eine Pause, in der wir beide...