Bei ersten Eingrenzungsversuchen zum Thema „Elite“ und ihrer Positionierung in der Gesellschaft findet sich oft eine einfache Gegenüberstellung von Masse und Elite. Dabei werden dem ersten Begriff durchwegs negative Attribute, wie grob, diffus und gewöhnlich, zugeordnet, d.h. die Masse wird als ein irrationales Ensemble von Menschen aufgefasst. Im Gegensatz dazu wird die Elite als fein, sozial höhergestellt und einzigartig verstanden. Diese Dichotomisierung als Erklärungsversuch stellt allerdings eine extrem verkürzte Vorstellung von Gesellschaft dar, die deren Komplexität nicht gerecht wird: sie besteht nicht aus straff durchorganisierten Verhältnissen, sondern definiert sich durch einen vielschichtigen Reproduktionsprozess und einer Vielfalt an sozialen Beziehungen und Problemlagen. Durch die Industrialisierung und Demokratisierung, die zu enormen Bevölkerungswachstum und einer gestiegenen Binnen-wanderung geführt hat, wurde diese Komplexität noch einmal gesteigert. Somit stellt sich die Frage nach einer präziseren Definition der Eliten.
In den Sozialwissenschaften herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass die hervorstechendste Eigenschaft von Eliten deren Macht ist. Diese wird als die Chance angesehen, innerhalb einer sozialen Beziehung bestimmte Vorstellungen durchzusetzen und damit soziale Prozesse zu beeinflussen. Eliten sind Träger gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Macht, personifizieren daher die Entscheidungszentren, von deren Einfluss viele oder auch alle Mitglieder der Gesellschaft betroffen sind.
Zentrale Positionen dieser Art sind auf einen kleinen „elitären“ Kreis beschränkt, der in der Bundesrepublik Deutschland etwa 2000 Personen umfasst (Dahrendorf, 1965, S. 277). In seinem Modell sozialer Schichtung (s. Anhang 1) wird graphisch verdeutlicht, wie gering sich dieser Anteil von maximal einem Prozent an der Gesamtbevölkerung ausnimmt. Die Theorie der Ausübung von Macht einer kleinen Minderheit wurde schon von dem Florentiner Niccolò Machiavelli vertreten. Seine Auffassung von Herrschaft mit dem Ziel von Macht und Erhaltung der Privilegien - nicht aber (unbedingt) dem Wohl einer Gesellschaft - hat viele spätere Theoretiker beeinflusst. Der Sozialökonom Vilfredo Pareto ging davon aus, dass das Volk von einer Elite, d.h. einer ausgewählten Klasse regiert wird, die zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen politische Macht ausübt, wobei dies als das Wesentliche einer Gesellschaft betrachtet wird. Allerdings sind die „Eliten (...) nicht von Dauer ... sie verschwinden unbestreitbar nach einer gewissen Zeit“. Deren Zirkulation, die einen Zustand andauernder Transformation bedingt, führt zu seiner Auffassung der Geschichte als einem „Friedhof der Eliten“[1]. Für Ralf Dahrendorf ist diese Zirkulationsrate Spiegel und Ursache für politische Instabilität in einer Gesellschaft (Dahrendorf, 1965, S. 253).
Analog der Einteilung moderner Gesellschaften in verschiedene Funktionsbereiche wird der Einflussbereich der Elite ebenfalls in Sektoren unterteilt:
In der Wissenschaft besteht über diese Kategorisierung generell Einigkeit, jedoch variiert die individuelle Unterteilung, je nachdem, wie viel Einflussmöglichkeit den einzelnen Teileliten zugeordnet wird. Rainer Geißler als einer der bekanntesten Sozialstrukturanalytiker in Deutschland wendet das Gliederungsmuster Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Gewerkschaften, Massenmedien, Kultur, Wissenschaft und Militär an. Dagegen wurden in der Mannheimer Elitestudie von 1981 die Funktionsbereiche Politik, Verwaltung, Wirtschaftsunternehmen, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Massenmedien, Wissenschaft, Militär, Kultur und Sonstige (Justiz, Kirchen, Berufsverbände, kommunale Führungspositionen und Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher) unterschieden. Generell erkennbar ist eine weitgehende Übereinstimmung. Nur bei dem Sektor Wirtschaft und seiner Aufteilung in Subsektoren, sowie bei der Frage nach der Stellung von Kirche und Justiz herrscht im Vergleich mit weiteren Forschungsarbeiten, z.B. der Potsdamer Elitestudie von 1995, Uneinigkeit.
Aus dieser Kategorisierung der Elite in Deutschland folgt die Tatsache, dass man nicht von einer Spitze, sondern nur von den Spitzen der Gesellschaft sprechen kann.
Der Elitenpluralismus zeichnet sich dadurch aus, dass die einzelnen Teileliten jeweils auf ihrem Gebiet hoch spezialisiert und relativ autonom sind. Eine Abschottung infolge eines zu radikal aufgefassten Pluralismus, die für die Gesellschaft negative und schädigende Folgen hervorrufen könnte, soll durch eine strukturelle Elitenintegration vermieden werden. Dabei kommt es über die verschiedenen Funktionsbereiche hinweg zu einer Zusammenarbeit, z.B. zwischen Politik und Wirtschaft.
Es liegt jedoch auf der Hand, dass sich durch die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Sektoren bei der Teilnahme an Entscheidungen eine gewisse Konkurrenzstellung ergibt: das Verhältnis zwischen den Funktionseliten ist nach Geißler von einem „pluralistischen Mit- und Gegeneinander“ (2000, S. 16) geprägt. Die Hierarchie unter den Teileliten ist nach der Größe des Einflussbereichs festgelegt: im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die politische Elite, die sowohl ihre staatlichen Aufgaben erledigt, als auch in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilbereichen aktiv beteiligt ist. Unmittelbar unter - oder auch neben - ihr wird die wirtschaftliche Elite eingeordnet, die je nach Auffassung noch einmal in verschiedene Subeliten aufgeteilt wird, die generell von dem Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geprägt sind. Im mittleren Bereich rangieren die Verwaltung, die Justiz, die Wissenschaft und die Massenmedien, wobei letztere aufgrund des Ausbaus des Kommunikationsnetzwerks in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. In der Peripherie finden sich die Kultur, die in finanzieller Weise von anderen Sektoren abhängig ist, sowie das Militär u.a..
Durch die bevorzugte Stellung der Einflussnahme auf Prozesse in der Gesellschaft wird den Eliten gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen ein größerer Handlungsspielraum eingeräumt, der mit zunehmender Macht des Einzelnen oder des Funktionsbereiches wächst. Er kann allerdings nicht beliebig gedehnt und ausgereizt werden, da auch der Einflussbereich von jenen in den privilegierteren Positionen durch Regeln, die unsere Demokratie festigen, begrenzt ist und diese (zuviel) Machtmissbrauch verhindern.
Als Indikatoren bzw. Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zu einer der genannten Eliten gelten Leistung und der daraus resultierende Erfolg:
In Bezug auf das erste Merkmal ist es zum einen wichtig, dass es persönlich zurechenbar ist, d.h. die Individualität der geleisteten Arbeit betont wird. Zum anderen wird sie nur auf den Gebieten, die für die Gesellschaft wichtig und bedeutsam sind, angerechnet. Dabei wird auf die unter 2.3 Elitenpluralismus und Einflussstruktur genannte Aufgliederung in die verschiedenen Teilbereiche Bezug genommen, einem Anzeichen für den Pluralismus und die Differenziertheit der Gesellschaft, die nicht zuletzt auf der voranschreitenden Arbeitsteilung beruht. Durch das Betonen von Leistung wird die ökonomische Dominanz in der Ideologie der Moderne hervorgehoben.
Der zweite Indikator, Erfolg, ist das unmittelbare Ergebnis einer Leistung, die als für die Gesellschaft bedeutsam eingestuft und darüber hinaus öffentlich anerkannt ist, d.h. zum Erfolg an sich wird.
In der Realität stellen sich jedoch zwei Probleme: einerseits ist es im Nachhinein schwer nachzuvollziehen, wem die Leistung und der Erfolg zuzurechnen ist. Das zweite Problem ist die Messbarkeit dieser öffentlichen Anerkennung. Als populäres Messinstrument wird jedoch nicht erst seit der heutigen Zeit die Summe an finanziellen Mitteln genommen, die eine Person für ihre Leistung erhält.
Die Auffassung, dass man durch ein besonderes Maß an geleisteter Arbeit mehr Anerkennung verdient – getreu der Redewendung „Ohne Fleiß kein Preis“ – ist eine der Grundeigenschaften unserer heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftsform. Daher definieren sich für Ortwin Runde, 1999 Bürgermeister von Hamburg, Eliten als eine Gruppe von Leistungsträgern mit Verantwortung, Sozialkompetenz, normativer Orientierung und moralischer Integrität[2]. In Zusammenhang mit den beiden letztgenannten Eigenschaften steht Dreitzels Auffassung von Eliten als Freizeithelden: „Von diesen Eliten können bestimmte Gruppen oder einzelne Personen zu Bezugspunkten des Verhaltens anderer werden“ (Dreitzel, 1962, S. 147). Sie leben demzufolge vor, welches „richtige“ Handeln und d.h. welche Leistung gesellschaftlich anerkannt oder abgelehnt wird, vermitteln dadurch die abstrakten Normen und Werte und geben gewisse „Orientierungspunkte für eine erstrebenswerte Lebensführung“ (Beate Krais, 2001, S. 23). Diesem Mehr an Anerkennung seitens der...