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Eltern als Therapeuten von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen

Selbständigkeit fördern mit Applied Behaviour Analysis

AutorKarola Dillenburger, Ken P. Kerr, Mickey Keenan
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783170285743
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Der Einsatz der im angloamerikanischen Raum als eigenständige psychologische Disziplin etablierten Verhaltensanalyse oder 'Behaviour Analysis' ermöglicht große Fortschritte in Kommunikation, Entwicklung und Selbständigkeit für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen. Das Werk führt in störungsbezogene lernpsychologische Grundprinzipien ein, schildert die Einführung von entsprechenden Therapieprogrammen in Nordirland über die Initiative PEAT (Parents= Education as Autism Therapists) und enthält Darstellungen von Eltern und Therapeuten zu exemplarischen Behandlungsverläufen. Prof. Dr. med. Hanns Rüdiger Röttgers, FH Münster, und Dr. med. Schide Nedjat, Psychiaterin und Psychotherapeutin mit Schwerpunkt ASS, erläutern die fachliche und sozialrechtliche Situation in Deutschland.

Dr. Mickey Keenan, BCBA-D, Fellow der Britischen Psychologischen Gesellschaft, Senior Lecturer an der University of Ulster, Gründer von PEAT. Dr. Ken P. Kerr, Leitender Behaviour Analyst, Pionier der ABA in der Republik Irland, als erster Behaviour Analyst für PEAT tätig. Prof. Karola Dillenburger, BCBA-D, Klinische Psychologin, Professorin an der Queens University Belfast, Koordinatorin des Masterstudiums zu ASS. Aus dem Englischen übersetzt und für Deutschland adaptiert von Prof. Dr. Hanns Rüdiger Röttgers und Mitarbeitern des Moduls Autismustherapie des Masterstudiengangs 'Clinical Casework' an der Fachhochschule Münster.

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Leseprobe

Vorwort


 

 

Ich besitze weder einen Pullover noch eine Jacke mit dem Logo der Universität, an der ich studiert habe. Nicht etwa, dass Queens College keine gute Einrichtung wäre, aber ich habe irgendwie niemals das brennende Verlangen oder den Wunsch verspürt, so etwas zu besitzen. Das einzige College-Kleidungsstück, das ich besitze, ist eines der University of Ulster (UU) in Coleraine in Nordirland. Die UU wird mir immer im Gedächtnis bleiben, weil sie für das steht, was eine Universität tun sollte: nämlich Erkenntnisse zu erarbeiten und anzuwenden, damit diese praktischen und wissenschaftlichen Nutzen bringen.

Ich kam erstmals für einen einwöchigen Aufenthalt zur UU, nachdem mich Dr. Michael (»Mickey«) Keenan nach Nordirland eingeladen hatte. Wir kannten uns aus dem Internet und von einer kurzen Begegnung auf einer Konferenz in Washington, DC. Mickey studiert und praktiziert die Wissenschaft, die als ABA bekannt ist. Wir nahmen Kontakt auf, als er in einem Internetforum mitteilte, dass er sich als Behaviour Analyst (nachfolgend: BA) in seinem Heimatland ohne Kollegen, mit denen er sich austauschen könnte, ein wenig isoliert fühle. Ich versicherte ihm, dass sogar in den USA Behaviour Analysts dazu neigen, sich isoliert zu fühlen, obwohl dort die meisten Mitglieder des internationalen Dachverbands, der International Association for Behavior Analysis, tätig sind. ABA ist einfach kein weithin studiertes Fach.

Mickey beeindruckte mich zuerst mit seinem Wissen über das Fach und dem Wunsch, dies an andere weiterzugeben. Da er immer auf der Suche nach neuen Wegen war, seine Studenten zu unterrichten und zu inspirieren, fragte er mich, ob ich interessante Demonstrationen für die Studenten hätte. Ich schickte ihm die Kopie eines Artikels von mir und einigen Kollegen über ein spaßiges kleines Experiment, bei dem meine Studenten im Fach »Experimentelle Psychologie« die klassische Konditionierung erlernen, indem sie sich gegenseitig kitzeln. An diesem Punkt bewies mir Mickey seinen Computersachverstand, indem er eine Computeranimation schuf, mit der er das Vorgehen in dem Experiment illustrierte. Diese EDV-gestützte Anleitung zur Durchführung von Mickey ist die beste Einführung in die Behaviour Analysis, die ich je gesehen habe.

Meine eigene Arbeit befasst sich schwerpunktmäßig mit ABA für die Probleme von Menschen, bei denen Autismus oder eine verwandte Störungen diagnostiziert wurde. Daraus ergab sich, dass ich meine Beschäftigung mit Mickeys Arbeit noch einmal aufleben ließ. Man muss wissen, dass ABA zu Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn nicht sehr angesehen war. Sie wurde häufig als ein eher reduktionistischer Zugang zum menschlichen Verhalten abgelehnt. In den 1970er Jahren gab es in einigen US-Bundesstaaten sogar Gesetzesinitiativen, die Anwendung von ABA zu verbieten. Um es mit Richard Foxx, einem der besten derzeitig tätigen Behaviour Analysts, zu sagen, ist das Ausmaß, mit dem Menschen ABA diffamieren, in der Regel umgekehrt proportional zu dem Ausmaß, zu dem sie ABA verstanden haben.

Aus meiner Sicht ist ABA mittlerweile so ausgereift, dass sie als ein eigenes Fach und nicht länger als Bestandteil der Psychologie verstanden werden sollte. Die für mich naheliegendste Analogie ist die zwischen Chiropraktikern und Osteopathen. Sie beschäftigen sich mit einigen identischen Phänomenen, aber ihre Methoden und ihre Verpflichtung gegenüber wissenschaftlichen Methoden liegen so weit auseinander, dass es wenige Gesprächsmöglichkeiten gibt1.

Im Jahre 1987 wurde eine Untersuchung veröffentlicht, die die Arbeit von Otto Ivar Lovaas und seinen Kollegen beschrieb. In dieser wegweisenden Untersuchung wurden autistische Kinder im Vorschulalter intensiv mit ABA behandelt. Nach dem Ende der Studie war fast die Hälfte der so behandelten Kinder nicht mehr von ihren Alterskameraden zu unterscheiden. Sie hatten jeden Anschein ihrer früheren Diagnose verloren.

Verblüffend war nicht so sehr das Ergebnis dieser Studie als vielmehr dessen Aufnahme. Die meisten versuchten, die Ergebnisse wegzuerklären. Wenn der Zustand der Kinder sich gebessert hatte, waren sie nicht wirklich autistisch. Andere bemängelten, dass die Teilnehmer nicht nach dem Zufallsprinzip in Experimental- und Kontrollgruppen aufgeteilt worden waren, sondern nach dem Kriterium, ob ein qualifizierter Anleiter für die Therapie vorhanden war. Diese Reaktion war ein typischer Fall davon, vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen, und die meisten Menschen nahmen ABA nicht zur Kenntnis.

Diese Wahrnehmung von ABA änderte sich in den frühen 1990ern drastisch. Damals erschien das Buch »Let Me Hear Your Voice«2. Die Verfasserin, Catherine Maurice, war keine ausgebildete BA. Sie war auch keine Wissenschaftlerin. Sie war eine Mutter. Eine Mutter, die beschrieb, wie ihre Kinder durch ABA aus dem Autismus herausfanden. Die Schleusentore öffneten sich und plötzlich verlangte JEDER nach ABA. Mein Anrufbeantworter genau wie der aller anderen bekannten Anbieter von ABA für Autismus war täglich voll mit Nachrichten von Menschen, die davon gehört hatten und unsere Nummern nachgeschlagen hatten. Ich weiß noch, wie ich damals gedacht habe, dass, falls es einen anderen Bobby Newman im Telefonbuch gegeben haben sollte, dieser mich sicher verflucht haben muss, weil so viele Leute ihn auf der Suche nach mir angerufen haben.

Diese schlagartige Popularität hatte zwei Seiten. Auf der einen Seite erhalten immer mehr Menschen qualitativ hochwertige behaviorale Interventionen und ernten die Früchte, auf der anderen Seite gibt es nicht ansatzweise genügend ausgebildete Behaviour Analysts, um den Bedarf zu decken. Die Natur verabscheut das Leere (Aristoteles): So treten weniger qualifizierte Personen auf den Plan, wo es einen Bedarf gibt und nicht genügend Fachpersonal vorhanden ist.

In den meisten Staaten der Welt ist ABA kein kontrolliertes Betätigungsfeld in dem Sinne, dass es Zulassungsprüfungen oder staatliche Anerkennungen gäbe. Dieser Prozess beginnt erst jetzt langsam. Solange das so ist, sind die, die ABA-Unterstützung suchen, sich auf Mundpropaganda und Behauptungen angewiesen, um sich der Qualität der entsprechenden Dienstleister zu versichern. Viele »Behaviour Analysts« haben keine anerkannten Berufsqualifikationen. Bestenfalls haben sie einmal als Assistenten eines Behaviour Analysts gearbeitet. Bedauerlicherweise kann Unkenntnis in diesem Feld für den Betroffenen einen großen Schaden nach sich ziehen.

Dieses schlagartige Interesse an ABA aber brachte mich nach Nordirland, wo ich die erste Reihe von Kursen an der University of Ulster gab. Die Eltern und Professionellen, die Autoren des Textes, den Sie gerade lesen, fragten mich, ob ich eine Reihe von einführenden Seminaren zu dem faszinierenden Gebiet der ABA veranstalten könne: Ich fühlte mich geehrt und sagte zu.

Anfangs gab es sprachliche Missverständnisse (mit dem nordirischen Englisch, Anm. d. Übersetzers). Ich beschrieb etwa eine Technik zur häuslichen Anwendung für Eltern. Sie kamen am nächsten Tag zurück und sagten »It worked a treat«3. Ich stockte und fragte: »Ist das gut oder schlecht?«. Eine andere Mutter beschrieb das Verhalten ihres Kindes und schloss dies ab mit: »Am Ende des Tages spricht er nicht.« Da ich nicht wusste, dass mit »am Ende des Tages« eine Zusammenfassung des Gesagten gemeint ist, antwortete ich: »Nun, spricht er denn am Morgen?«. Die folgende Stille in der Zuhörerschaft war ohrenbetäubend.

ABA reitet nun auf einer Welle der Popularität, und das Einzige, was ihr gefährlich werden kann, ist die Ausbreitung von Leuten, die behaupten, Behaviour Analysts zu sein, aber tatsächlich nichts davon verstehen. Jedes Mal, wenn eine unqualifizierte Person mit einer angeblichen ABA-Intervention scheitert, untergräbt dies das Vertrauen in ABA. Wir müssen mehr Personen seriös ausbilden, vermitteln was ABA wirklich ist und was nicht, und für die wirklich Qualifizierten klare Nachweise schaffen. Dieses Buch steht für das Bemühen von Menschen, genau das zu tun, und ich bin stolz, daran mitzuwirken.

Eine meiner ersten Ausbilderinnen, Claire Poulson, hat mich seinerzeit gewarnt, ABA werde niemals eine besonders populäre Behandlungsmethode werden. Sie bietet keine Wunderheilung an, sondern regelmäßige und teils anstrengende Arbeit über viele Jahre. Diese Feststellung charakterisierte den Stand der Dinge vor dem Erscheinen von »Let me hear your voice«. In manchen Stadtvierteln sind Behaviour Analysts nun die beliebtesten Kinder auf der Straße. Diesen Ruf haben sie verdient. Ich lade Sie ein, zu verstehen, warum das so ist.

Prof. Bobby Newman

»Association in Manhattan for Autistic Children«

1     Die US-amerikanischen Heilberufsbezeichnungen sind nicht 1:1 ins Deutsche zu übersetzen. Im Deutschen wäre eine passende Analogie die zwischen universitär...

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