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E-Book

Eltern und Kinder

Vom Gelingen einer lebenslangen Beziehung

AutorDemián Bucay, Jorge Bucay
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783104904078
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Jorge Bucay, Autor des Weltbestsellers »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte«, und sein Sohn Demián laden uns ein zu einer spannende Reise durch die einzigartige Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern. Kinder bereichern das Leben. Doch in jedem Kapitel der Beziehung zwischen Eltern und Kindern gibt es unterschiedliche Herausforderungen: Wie mit dem träumerischen kleinen Sohn umgehen, wie die große Tochter ins eigene Leben begleiten? Und was bedeutet es, wenn die Eltern älter werden? In ihrem ersten gemeinsamen Buch betrachten Jorge und Demián Bucay diese lebenslange Beziehung von der Geburt des Kindes bis zum Altwerden der Eltern. Und es ist ein Glück, dass beide aus ihrem reichen Erfahrungsschatz als Psychotherapeuten und als Väter schöpfen können. In persönlichen Anekdoten, in Romanen wie Hermann Hesses »Demian« oder in »Der kleine Prinz« und Filmen wie »Herr der Ringe«, »Der Pate« oder »Star Wars« finden sie Antworten - immer verständnisvoll und erhellend.

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.

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Leseprobe

Zu Eltern wird man


Die Kunst, ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, besteht vor allem darin, diese Aufgabe angemessen zu erfüllen. Zu Eltern wird man, indem man als Eltern handelt, denkt und fühlt. Ein Kind geboren zu haben reicht nicht aus, um sich als Eltern zu betrachten, und folglich auch nicht, um von den Kindern als solche anerkannt zu werden.

Ich bin der Ansicht, dass zum Vater- oder Muttersein mindestens drei Dinge gehören, die durch unser Umfeld, unsere Gefühle und unser Verhalten bestimmt werden: der gesellschaftliche Status als Eltern, die elterliche Liebe und die Ausübung der elterlichen Pflichten. Drei Dinge, die nicht von unbegrenzter Dauer sind, wie wir so gerne glauben, und die zudem selten gleichzeitig beginnen oder enden.

Ich muss hier an Edgar Rice Burroughs’ Geschichte von Tarzan denken, an Mogli, den Jungen aus Rudyard Kiplings Dschungelbuch, und an viele ähnliche Figuren, die als Waisenkinder von einem Muttertier oder einer Herde adoptiert werden, die sich um sie kümmert, sie ernährt und beschützt, aber auch erzieht. Sie sind keine »tierischen Babysitter«, sondern richtige Ersatzväter und -mütter für das jeweilige Kind.

Ich persönlich kenne niemanden, der von Affen oder Wölfen aufgezogen wurde, aber es kommt gar nicht so selten vor, dass eine Person von außerhalb der Familie oder gar eine Institution die Vater- oder Mutterrolle einnimmt. Ich lernte einmal einen Mann kennen, dessen leibliche Mutter sich nicht um ihn kümmern konnte und ihn deshalb in die Obhut einer Tante gab, die bereits eine ganze Kinderschar zu versorgen hatte. Dieser Mann erzählte in der Therapie, dass er von klein auf jeden Tag zu einem Fußballplatz ging, der sich ein paar Straßen weiter befand, und den Großteil seiner Zeit dort verbrachte. Irgendwann blieb er auch zum Essen dort und unterhielt sich stundenlang mit den Leuten aus dem Verein. Ich habe keinen Zweifel, dass er diesen Verein als Erwachsener mit einem ähnlichen Gefühl der Verbundenheit und Dankbarkeit betrachtete, wie andere Menschen sie für ihre Eltern empfinden. Ein Gefühl, das nicht schwer zu verstehen ist, wenn man seine Geschichte kennt, und das man als Außenstehender dennoch nicht nachempfinden kann. Tatsächlich kam der Mann unter anderem in meine Praxis, weil er ständig Streit mit seiner Frau hatte, die eifersüchtig darauf war, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit er seinem geliebten Verein widmete (und ja, es ist ganz natürlich, dass man früher oder später mit seiner Schwiegermutter hadert!).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Eltern die Menschen sind, die dich großgezogen haben. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Was noch hinzukommt, ist die bewusste Entscheidung, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen.

Nach unserem Verständnis sind Vater und Mutter nicht nur die Personen, die dich versorgt, gekleidet, beschützt und erzogen haben. Sie haben vor allem eine bewusste Entscheidung getroffen: »Dies ist mein Sohn, dies ist meine Tochter, und ich werde für sie sorgen mit allem, was dazugehört.« Dabei muss betont werden, dass dieser willentliche Vorgang des Annehmens aus freien Stücken auch und gerade dann notwendig ist, wenn es sich um ein leibliches Kind handelt, denn:

Um wirklich Vater oder Mutter zu sein, muss man seine eigenen Kinder annehmen, sie adoptieren.

 

Auch wenn wir uns mit dieser Aussage keine Freunde machen, weil sie allem widerspricht, was die meisten Menschen gelernt haben, sind wir der festen Überzeugung, dass jedes Kind in diesem Sinne »adoptiert«, also angenommen wurde. Wir glauben, dass es irgendwann im Leben einen Moment gibt, in dem Vater und Mutter, jeder für sich und vielleicht nicht zum selben Zeitpunkt, beschließen, ihr Kind als zu sich gehörig anzusehen, als Verlängerung und Teil ihrer selbst, als ihr eigen Fleisch und Blut. Entschieden schwerer zu verdauen ist, dass diese Entscheidung für das eigene Kind keine »natürliche« ist; sie geschieht nicht von allein und ergibt sich nicht automatisch aus der Tatsache, dass sie dieses Kind gezeugt, geboren und offiziell anerkannt haben.

Bei den meisten Frauen findet diese »Adoption« im Laufe der Schwangerschaft statt. Wenn die Mutter das Kind nach der Geburt in den Armen hält, hatte sie schon genügend Zeit, das Neugeborene als ihr Kind anzunehmen. Für den Vater (auch das gilt für die Mehrheit, nicht für alle) gestaltet sich der Prozess ein bisschen schwieriger, vielleicht, weil die intensive Bindung zum Kind fehlt, die eine Schwangerschaft für die Mutter mit sich bringt. Solange sich das Kind im Mutterleib befindet, spürt der Mann das Baby nicht, er ist nicht tagtäglich vierundzwanzig Stunden mit ihm in Kontakt, vierzig Schwangerschaftswochen lang. Für den Vater ist das Kind zunächst nur eine Idee, eine Vorstellung, die langsam heranreift. Die Geburt ändert erst einmal nichts an diesem Gefühl. In den ersten Lebensmonaten des Kindes ist der Vater kaum mehr als eine undeutliche Gestalt, die manchmal neben der Mutter steht. Das Neugeborene hat nur Augen, Hände und ein Lächeln für seine Mutter, die es stillt, die mehr Zeit mit ihm verbringt und deren Geruch und Stimme ihm vertraut sind. Der Mann bleibt häufig ein wenig außen vor, was die Beziehung zu seinem Kind angeht, oder er schließt sich selbst aus. Die Ursache dafür liegt sowohl in der Biologie wie auch in gesellschaftlichen Übereinkünften begründet.

Auch wenn Väter heute in der Regel versuchen, sich in dieser Phase aktiv einzubringen, als wollten sie intuitiv den Adoptionsprozess beschleunigen, liegt die Hauptverantwortung dafür, dass dieser Prozess des Annehmens gelingt, vor allem bei der Mutter. Sie ist diejenige, die dem Partner Raum geben muss. Nur wenn sie sich ein wenig zurücknimmt und etwas von ihrer Fürsorge abgibt, kann sich die Bindung zwischen Vater und Kind festigen.

Als mein ältester Sohn zur Welt kam, musste er zunächst auf die Neonatologie, weil er drei Wochen zu früh geboren wurde (meine Frau hatte eine Schwangerschaftsgestose) und seine Lunge noch ein wenig Zeit und Sauerstoff benötigte, um sich vollständig zu entwickeln. Eine Krankenschwester bat mich, mitzukommen, als sie das Kind zur Station brachte, und wies mich an:

»Sie bleiben hier bei dem Kleinen, bis es ihm bessergeht.«

Ich gehorchte, weniger weil ich überzeugt war, dass es das Richtige war, sondern weil ich nicht wusste, was ich sonst tun konnte. Da saß ich nun allein mit diesem Baby, das mit seinem Händchen einen meiner Finger umklammerte, schaute es an und sagte mir: »Das ist also mein Sohn …« Ich sah ihn wieder und wieder an und stellte erstaunt fest, dass ich dieses Wesen überhaupt nicht kannte. Ich empfand nicht diese Welle von Liebe, von der ich dachte, sie würde mich überrollen. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich lieber gewusst, wie es meiner Frau ging, die gerade einen Notkaiserschnitt hinter sich hatte. Schließlich wagte ich es, eine der Schwestern zu fragen:

»Kann ich ein paar Minuten zu meiner Frau?«

»Nein. Der geht’s gut«, sagte die Schwester kurz angebunden. »Sie bleiben hier.«

»Aber …«, begann ich, doch der strenge Blick der Krankenschwester genügte, um zu begreifen, dass meine Bitte weder Gehör finden würde noch moralisch vertretbar war.

Eine Stunde, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, saß ich dort und hielt die Hand des Kindes, das immer mehr zu meinem Sohn wurde, dann kam der Kinderarzt herein und horchte das Baby ab. Er lächelte und sagte, die Atmung habe sich normalisiert, ich könne nun zu meiner Frau. Als ich das Kind in die Arme der Krankenschwester legte und das Zimmer verließ, spürte ich plötzlich eine tiefe emotionale Verbundenheit und die unumstößliche Gewissheit, dass dieses Kind mein Sohn war, mit allem, was das mit sich brachte.

Nicht wenige Männer plagen in diesen ersten Momenten heftige Schuldgefühle, weil sie für ihr Kind nicht die unbändige Liebe empfinden, die sie doch angeblich empfinden müssten. Diese Liebe, von der alle immer erzählen, auch ihre eigenen Väter, wenn sie vom Tag der Geburt berichten.

Die folgende, angeblich wahre Geschichte hat nichts mit Eltern und Kindern zu tun, aber vielleicht hilft ihr Witz uns trotzdem zu verstehen, wie manche Dinge laufen.

Ein älterer Herr kommt auf seinen Stock gestützt zum Arzt.

»Doktor«, sagt er, als er dem Arzt gegenüber Platz nimmt, »Sie müssen mir helfen. Ich glaube, ich habe ein ernsthaftes Problem …«

»Dann erzählen Sie mal, worum es geht.«

»Sehen Sie, Doktor, ich wohne ein paar Straßen von hier, direkt am Park. Jeden Freitag treffe ich mich mit ein paar Bekannten aus dem Viertel in der Kneipe an der Ecke, und dann prahlen alle mit ihren sexuellen Abenteuern.«

»Und wo ist das Problem?«

»Na ja, Serafín ist fünfundachtzig und hat eine vierzigjährige Freundin, die ihn fast um den Verstand bringt. Sie will die ganze Zeit Sex, und um sie nicht zu verlieren, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sie jedes Mal zu befriedigen, wenn sie Lust hat. Er hat jeden Tag Sex, manchmal sogar zweimal täglich … Der alte Berto, der Älteste in der Runde und ein überzeugter Junggeselle, behauptet, dass er sich mit dem Zimmermädchen aus dem Hotel de la Avenida trifft, mit der Tochter des Ladenbesitzers und mit einer früheren Freundin und dass er mit allen Sex hat … Selbst bei meinem alten Schulfreund Juancito, er ist fünfundachtzig wie ich, steht uns jedes Mal der Mund offen, wenn er erzählt, wie oft und wie leidenschaftlich er Sex hat …«

»Und?«, fragt der Arzt, dem immer noch nicht klar ist, worauf der Mann hinauswill.

»Na ja, meine Frau und ich sind seit...

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